top of page

Skihochtour auf den Monte Adamello, 3539m, 7.-9.3.2020

Die Bergfahrt an diesem Wochenende nach Italien war überschattet von der Corona-Virus-Hysterie. Tatsächlich stellten wir uns die Frage im Vorfeld, ob wir es verantworten können, in die Region Lombardei/Trentino zum Skibergsteigen zu fahren. Wir können. Jede andere jahreszeitübliche Erkrankungswelle kostet mit Faktor 1000 mehr Leben. Des Weiteren ergriffen wir aktiv Maßnahmen, um mit möglichst wenigen Menschen in direkten Kontakt zu kommen. Ich gebe zu, das ist auf einer Berghütte im Winter nicht realistisch. In diesem Fall war es jedoch so, dass sich trotz eines wettertechnisch nahezu perfekten Samstags und Sonntags, wo ich mit einer bis auf den letzten Platz gefüllten Hütte gerechnet hätte, lediglich um die 10 Gäste einfanden. In der Nacht von Sonntag auf Montag sind wir vier sogar mit den dreien von der Hütte alleine gewesen. Sehr übersichtlich. Kommen wir zum eigentlichen Thema.
Überlebt. Mein erster Gedanke, als ich nach drei Tagen zurück am Auto und die Gruppe vollständig war. Die gute Nachricht: Wir haben alle gelernt, dass Wettervorhersagen ernst genommen und nicht zu optimistisch bewertet werden dürfen. Das war keine Wanderung im Regen.
Vergangenes Jahr am gleichen Wochenende im März sind meine Frau und ich schonmal auf die Idee gekommen, den höchsten Berg im Adamello-Gebiet im Winter mit Ski zu besteigen. Die Story gibt es hier zu lesen. Auch wenn der Beginn des meteorologischen Frühlings schon durch ist, auf 3500m Höhe ist definitiv noch Winter. Damals war die Vorhersage ebenfalls nicht so wahnsinnig gut und am Ende des Tages drehten wir am letzte Buckel vor der Querung unterm Gipfelaufbau um. White out. Von allen Bergen um uns herum war nichts zu sehen. Damals nahm ich mir fest vor, diesen Berg erst wieder anzugehen, wenn mindestens 3 Tage stabiles, sonniges Wetter auf allen Kanälen angekündigt wird. Wie das so ist mit den Vorsätzen. Das Zeitfenster für diese Tour reichte von Samstag bis Montag. Bis mittwochs vorher sah es eher noch so aus, als müssten wir uns ein anderes Ziel suchen. Auch wegen der Lawinenwarnstufe, die bis Mittwoch über der Baumgrenze noch mit 4 angegeben war. Doch dann wurde die Prognose für das Wetter und die Wahrscheinlichkeit des Eintretens zumindest für Samstag und Sonntag so gut, dass wir es doch wagten und auch die Lawinensituation entspannte sich. Für den Montag traf das leider nicht zu. Den redeten wir uns vielleicht zu schön. An dem Tag steht ja "nur" der Rückweg von der Hütte zum Auto an. Völlige Fehleinschätzung der Situation.



Tag 1, Samstag: Wie im vergangenen Jahr, planten wir zwei Übernachtungen im Rifugio Lobbia Alta ai Caduti dell'Adamello ein. Es sind zwar nicht so wahnsinnig viele Höhenmeter zu bewältigen, doch die Wege sind weit und in jedem Abschnitt muss mehrfach ab- und aufgefellt werden. Hin und wieder müssen Harscheisen ran und im Zweifel kommen Steigeisen und Pickel zum Einsatz. In Anbetracht der Tatsache, dass wir keine Rekordläuferinnen sind, lieber etwas mehr Zeit einplanen. Hin- und Rückfahrt sind ebenfalls nicht unerheblich. Die Reise zum Passo del Tonale verschlang knapp 5 Stunden. Per Video-Maut am Brenner und der Zahlung der Autobahngebühr in Italien per Kreditkarte entgingen wir jeglichem menschlichen Kontakt bis wir auf den Parkplatz an der Gondel rollten. Gegen 11:30 Uhr kamen wir dort an und mussten zunächst mehrfach kreisen, bis zufällig jemand vor uns seinen Parkplatz freigab. Keine Maus hat mehr auf die beiden Parkplätze gepasst, so voll war es. Entsprechend ging es am Gondeleinstieg zu. Hatte ich so nicht erwartet. Nun gut. Hilft nix. Wir wollen mit den Aufstiegshilfen zum Passo Presena, um von dort das gesicherte Gebiet in Richtung Rifugio zu verlassen. Eine Alternative gab es zum Einen wegen der fortgeschrittenen Zeit nicht und zum Anderen hatte niemand ernsthaft Lust, die 1100Hm auf der Piste aufzusteigen. Die Ticketpreise für die Bergfahrt haben sich seit letztem Jahr fast verdoppelt. Doch auch das ist wahlfrei. Umziehen, Sachen packen, einsteigen und rauffahren bis die letzte Station erreicht ist. Der Passo Presena liegt auf 3000m. Etwas exotisch komme ich mir zwischen den Pistenskifahrern und den Touristen, die einfach wegen der Aussicht hier rauffahren, schon vor. Die Rucksäcke sind schwer gepackt. Vor der Abfahrt zum Lago Mandrone folgt das obligatorische Startfoto. Das Wetter ist fantastisch. Wenig Wind, strahlender Sonnenschein, nahezu wolkenlos. Aber kalt. Ich bin furchtbar aufgeregt. Die Querung vom Passo Presena weg ist für mich wie üblich die erste Hürde, die genommen werden muss. Die Verhältnisse sind jedoch besser als beim letzten Mal. Weniger Eis auf der Strecke. Der Schnee ist fantastisch. Dadurch dass es die ganze Woche immer wieder mal geschneit hat und kalt war und erst der Samstag etwas Sonne brachte, hatten wir ganz passablen Pulverschnee. Lediglich der Hang zum Lago Mandrone hinunter, der ziemlich exakt nach Süden ausgerichtet ist, lieferte im unteren Teil wechselnde, immer schlechter werdende Verhältnisse. Doch am See ist die Rutschpartie eh erstmal zu Ende. Die Felle kommen auf die Ski. In der Senke ist es gefühlt heiß. Schuhe auf, Jacke aus, Helm runter. Wir schieben wieder bergan. Es ist eine Spur getreten, doch meine Frau und ich sind uns einig: Viele Menschen sind hier heute noch nicht lang gelaufen. Den Tellerabdrücken der Stöcke nach vielleicht 5 oder 6. Hinter uns ist soweit das Auge reicht niemand mehr. Komisch. Hatte ich anders erwartet. Nach etwa 250 Höhenmeter kommt die ominöse und unerwartete, aber inzwischen bekannte Rampe vorbei, die abgerutscht werden möchte. Felle wieder runter, Schuhe zu, Helm auf. Am rechten Rand hat sich ein Schneebrett gelöst. Allerdings nicht vollständig. Ein Rest hängt noch oben, der bereits eingerissen ist. Also Vorsicht. Nur am äußerst linken Rand abfahren und nicht in den Lawinenkegel gleiten. Manuel hat bei der Gelegenheit gemerkt, dass man auf Fellen nicht besonders gut quer abrutschen kann. Allerdings hat er sich das Ab- und Auffellen gespart. Am unteren Ende der Rampe betreten wir den Mandrone-Gletscher. Der ist gut eingeschneit. Spalten oder Spaltenzonen sind keine auf der Route erkennbar. Das Seil bleibt im Rucksack. Wir gehen in größeren Abständen. Bei Fellaktionen bleibt eine Seite ab jetzt immer auf dem Ski, wenn wir auf dem Gletscher unterwegs sind. Höhenmeter bis zur Hütte sind nicht so furchtbar viele zurück zu legen. Vielleicht 400. Der Weg zieht sich allerdings. Der steile Hang, durch den eine schmale Spur quasi direkt in die Hütte führt, kommt aber letztendlich doch vorbei. Neu hier: Der Stacheldraht aus dem ersten Weltkrieg schaut aus dem Schnee heraus und muss auf dem Pfad überstiegen werden. Uns geht es ganz schön gut heute. Das Rifugio ist wohl mehr oder weniger aus den Bedürfnissen der Soldaten vor etwas mehr als 100 Jahren entstanden. Ich versuche mir vorzustellen, wie das wohl gewesen sein mag. Als einfaches Kanonenfutter im Winter auf über 3000m. Täglich das eigene Leben aufs Spiel setzen zu müssen, weil sich ein paar Großkopferte gegenseitig in die Suppe gespuckt haben. Sei es wegen Erschöpfung, Erfrierung oder weil einem ein Granatsplitter den Kopf auseinander reißt. All jene, die sich so für faschistische Theorien begeistern können, wünsche ich, dass sie mal eine Nacht im Schneeloch auf 3500m bei Gewitter zubringen müssen. Nur eine Nacht. Keine Monate, wie die Soldaten vor 100 Jahren. Und das für nichts und wieder nichts. Ich schweife ab.
Wir treffen an der Hütte ein. Etwa 4 Stunden haben wir benötigt, inklusive aller Umrüstaktionen. Etwa 8 km Strecke, sowie knapp 700 Hm Ab- und Aufstieg liegen hinter uns. Ein einziger Skiständer steht auf der Terrasse. Und der ist praktisch noch leer. Wir klopfen uns den Schnee von den Klamotten und ziehen die Felle ab als der Hüttenwart uns per Handschlag begrüßt. Er hat uns erwartet. Wir lassen alles im Materialraum, was wir im Zimmer nicht brauchen und ich staune nicht schlecht, als jedes Pärchen ein eigenes Zimmer bekommt. Sonst ist niemand auf der zweiten Etage untergebracht. Beim Bier in der Stube stelle ich fest, dass außer uns höchstens weitere 8-10 Menschen oben sind. Ein schlechter Start in die Saison für den Hüttenwart, denke ich. Das Rifugio ist erst ein oder zwei Tage vorher aus dem Winterschlaf geholt worden. Dementsprechend kalt ist es in allen Räumen. Nur in der Stube brennt ein Pelletofen. Fließendes Wasser gibt es keines in den Sanitärräumen. Es stehen Wasserbehälter mit kleinen Kannen bereit. Gefüllt mit -wer hätte es gedacht- kaltem Wasser. Kommen wir zu den guten Dingen. Wir sind in einer italienischen Berghütte, die per Materialseilbahn versorgt wird. Ums Essen braucht frau sich keine Sorgen zu machen. Nach meinem Empfinden stehen die italienischen Hütten in Sachen Futter auf Platz 1. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Franzosen in meiner persönlichen Rangliste mit viel Abstand den letzten Platz belegen. Jedenfalls freue ich mich auf das Nachtessen. Und -ich denke, ich kann das so sagen- wir werden nicht enttäuscht. Natürlich wird kein Sterne-Menü serviert. Das ist klar. Doch es gibt pro Gang eine kleine Auswahl einfacher Gerichte, denen frau ansehen kann, um was es sich handelt. Wie gesagt. Auf französischen Hütten ist das nicht der normale Fall. Während des Essens, bin ich mit meinen Gedanken bei der morgendlichen Abfahrt von der Hütte und mich gruselt es schon wieder. Die Frage, wie ich da morgen früh durch den gefrorenen Hang am Stacheldraht vorbei runterkommen soll, verschafft mir Gänsehaut. Warum das jedes Mal so ein Zirkus ist, weiß ich nicht. Ich bin noch überall bis jetzt, ohne mir den Hals zu brechen, runtergekommen. Schlafenszeit. Auf dem Weg in die zweite Etage erfahre ich, dass außer uns nur eine einzige andere Seilschaft auf den Adamello will. Im Zimmer ist es eisekalt. Ich wurschtele mich in den Hüttenschlafsack, werfe zwei Decken über mich und warte darauf, dass ich einschlafe. Das Herz klopft. Wir sind nicht akklimatisiert. Das Bettchen steht auf 3050m. Für alle, die es vielleicht nicht wissen. Der Gipfel der Zugspitze liegt ca. 80m tiefer. Ich schlafe zwar ein. Doch es ist ein unruhiger Schlaf, der ständig durchbrochen wird. Irgendwann bin ich hellwach und denke, die Nacht ist sowieso bald vorbei. Im Zimmer ist es relativ hell. Ein kurzer Blick auf die Uhr. Mist. Erst 1 Uhr. Es ist unbequem im engen Schlafsack. Meine Nacht ist vorbei. Beim Frühstück lerne ich, dass es allen Teilnehmer_innen mehr oder weniger ähnlich ergangen ist.



Tag 2, Sonntag: Gipfeltag. Die Sonne geht auf. Keine Wolken am Himmel. Ich schlüpfe kurz vor die Tür, um per Kälteschock zu erfahren, wie dick ich mich anziehen sollte, um die Abfahrt auf den Gletscher überleben zu können. Der Kälteschock bleibt aus. Ich wundere mich, dass es gar nicht so kalt ist, wie ich erwartet hatte. Vielleicht lag es auch nur am fehlenden Wind. Schnell wieder rein. Erstmal frühstücken. Wirklich eilig haben wir es nicht. Auftauen wird heute nichts. Wieder dieses mulmige Gefühl. Ich kann es drehen und wenden, wie ich will. Um die Abfahrt von der Hütte runter komme ich nicht herum. Wir packen unseren Kram und machen uns fertig. Ich beschließe, mich meiner Angst zu stellen und steige als erste auf die Ski. Der Hang, die Steine, der Stacheldraht. Die können mich alle mal. Ich rutsche los. Es passiert wenig. Schnell werde ich auf den ersten Metern nicht, da der Pfad zur Hütte praktisch eben ist. So kann ich gemütlich um die Steine zirkeln und sehe weiter vorne, dass ich überhaupt micht bis zum Stacheldraht rutschen muss. Die Jungs aus der anderen Seilschaft haben schon los gemacht und ich folgte einfach ihren Spuren, querte etwas früher nach unten und alles war schick. Im weiteren Verlauf beruhigte ich mich ein wenig, denn der Schnee war deutlich besser als letztes Jahr. Wer zum Adamello will, rutscht nicht die Zustiegsroute zur Hütte ab auf den Gletscher, sondern quert den Hang aus dem kleinen Einschnitt heraus, wo die Hütte steht in südwestlicher Richtung. Dadurch spart frau sich ca. 100-150 Meter Aufstieg auf dem Gletscher, weil sie weiter oben auf eben diesen trifft. Vergangenes Jahr hatten wir dabei stellenweise blankes Eis. Dieses Jahr fanden wir feinsten Pulver vor. Ein guter Start. Ein breites Grinsen. Dann auffellen. Die Jungs vor uns hatten eine Spur getreten. Es folgt stupides Stapfen. Es geht kilometerweit mehr oder weniger flach mitten über den Mandrone-Gletscher. Es dauert lange, bis der eigentliche Gipfel in Sicht kommt. Wir gelangen zu der kleinen Stufe, an der meine Frau und ich letztes Jahr den Abbruch beschlossen. Auf der Kuppe sehe ich, wie unerwartet weit es von dort noch ist, bis überhaupt mal der eigentliche Einstieg in den Gipfelgrat erreicht ist. Der Gipfelgrat selbst sieht aus der Ferne nicht nach Skifahren aus. Die erste Hälfte des Grates ist überaus felsig und äußerst steil. Wir erkennen die drei Burschen vor uns im Hang und sehen, welche Mühe sie augenscheinlich haben, dort mit Ski aufzusteigen. Priml. Hatte ich mir ebenfalls anders vorgestellt. Bevor es steil auf den Grat geht, legen wir eine kurze Pause ein. Essen. Trinken. Pipi. Weiter oben wird das schwierig. Ich schlage vor, dass wir uns die Harscheisen schonmal griffbereit an den Gurt hängen. Die werden wir brauchen. Der bergsteigerische Teil der Tour beginnt. Einen eigenen Weg müssen wir zum Glück nicht suchen. Wir steigen in der Spur unserer Vorgänger auf. Wenn ich an der Stelle ehrlich zu mir selbst bin, muss ich zugeben, dass ich da ohne vorhandene Spur nicht hochgestiegen wäre. So hatten wir es, zumindest was die Wegfindung angeht, etwas leichter. Wenngleich der Nervenkitzel blieb. Hier muss jeder Schritt sitzen. Erneut wundere ich mich über so manche Beschreibung, die ich im Vorfeld sichtete. Sind wohl alles harte, abgebrühte, mit allen Wassern gewaschene Jungs, die Tourenbeschreibungen verfassen. Oder wir hatten am Grat einfach beschissene Verhältnisse. Kann vielleicht auch sein. Wie dem auch sei, wir kratzen Meter für Meter, Schrittchen für Schrittchen weiter rauf. Fels, Eis, lockerer Schnee. Quer zum gefühlt 45° steilen Hang. Nach etwa der Hälfte wird der Rücken breiter und weniger felsdurchsetzt. Zum ersten Mal seit ich Manuel kenne höre ich ihn sagen, dass er diese Passage lieber nicht auf Ski abfährt, sondern auf Steigeisen runtergeht. Ein Novum. Kurz vor dem Gipfel kommen uns indes die drei Burschen, deren Spur wir folgen, auf Ski entgegen. Eine meiner zentralen Fragen während des ganzen Grates wird beantwortet: Wer Skifahren kann, rutscht hier einfach runter. Wer es nicht kann, sollte es lassen. Sonst nicht gut.



Dann der Gipfel. Es ist immer noch wolkenlos, windstill und sonnig. Im Süden ist der Gardasee im Blickfeld. Im Norden die Cima Presanella. Manuel läutet die Gipfelglocke. Wir machen Fotos. Manni muss mit drauf. Geschafft. Ein ganz schön gutes Gefühl. Am Morgen fragte ich mich noch, warum ich diese Tortur jedes Mal mitmache. Jetzt weiß ich es wieder. Wir sehen unten die drei Jungs, wie sie auf den Gletscher kommen. Außer uns ist niemand mehr hier oben. Nun, die Euphorie hielt bei mir nicht lange an. Das Ding in meinem Kopf sagt, zum Glück muss ich hier nicht nochmal hin. Ein Kribbeln am ganzen Körper befällt mich, wenn ich an den Rückweg denke. Felle runter. Schuhe zu. Helm auf. Wir besprechen die Vorgehensweise. Dass wir mit den Ski nicht bis ganz runter an den Einstieg des Grates fahren können, ist geklärt. Das erste Stück geht. Das rutschen wir ab bis wir auf eine Rinne stoßen, in der die anderen drei weiter abgefahren und in die Felsen gequert sind. Das war für uns zunächst das Ende der Abfahrt. An einer geeigneten Stelle wechselten wir auf die Steigeisen und den Pickel. Die Latten schnallten wir auf den Rucksack. Bis auf ein oder zwei Stellen, wo der Schnee wirklich tief war, ließ sich der Rest des Grates relativ gut auf Steigeisen bewältigen. Es war deutlich erkennbar, dass die drei vor uns tatsächlich durch die Felsen gebrettert sind. Ich möchte nicht wissen, wie deren Ski nun aussehen. Ist aber nicht mein Problem. Ab dem unteren Ende des Grates fehlt nur noch der steile Hang, der auf den Gletscher zurück führt. Wir wechseln wieder auf die Ski. Beim Blick nach unten dreht sich mir der Magen um. Gleichzeitig erkennen wir jedoch, dass es durchaus nicht klug ist, diesen Hang bis nach unten mitzunehmen. Klüger ist es, ihn unterm Gipfelhang zu queren. Dadurch kann Schwung auf den Gletscher mitgenommen werden und frau spart sich ein wenig Anschieben auf dem flachen Gletscher. Ich entspanne mich. Das geht, richtig gestartet vorausgesetzt, ohne Kehre. Und so läuft das Ding dann auch. Wir kommen alle ohne Komplikationen auf dem Gletscher an. Ein klein wenig Stolz macht sich in mir breit. Der bis dahin schwierigste Teil ist geschafft. Hat sich wie Bergsteigen angefühlt.
Nun beginnt der etwas weniger amüsante Teil. Der Gletscher ist so flach, dass über weite Strecken bergab angeschoben werden muss. Bretter und Schuhe kommen in den Aufstiegsmodus. Allerdings lassen wir die Felle runter. Dadurch können wir eine Art Langlaufstil erzeugen. Gleiten, wo es geht, und laufen, wo es nicht geht. Aufgepasst: Die Pinbindung ist gesperrt, damit die Bretter sich nicht ungewollt lösen können. Stürzen sollte frau mit der halb offenen Bindung in schneller Fahrt nicht. Falls das jemand nachahmen möchte.
Als wir das Plateau unterm Gipfel verlassen, kommt schneidend kalter Wind auf. Sehr unangenehm. Bis wir zurück am Anstieg zur Hütte angelangt sind, bauen wir ein oder zweimal vom Gehmodus auf den Abfahrtsmodus um, als dann doch mal Buckel vorbei kommen, die abgefahren werden können. Insgesamt ist es mühsehlig. Der Gegenanstieg zur Hütte wartet abschließend. Wir diskutieren kurz die Frage, ob es sich jemand aus der Gruppe vorstellen könne, zu diesem Zeitpunkt noch den Weg zum Passo Presena ins Skigebiet in Angriff zu nehmen. Antwort: Nein. Mit dem, was ich heute weiß, sicher die falsche Antwort. Doch wir haben zu diesem Zeitpunkt unter diesen Bedingungen anders entschieden. Außerdem lockte das Gipfelbier. Also wieder rauf. Wir hatten ja außerdem unser Hüttenzeug noch oben. Würde ich heute auch anders machen, um mir Flexibilität zu erhalten. Hätte, hätte, Fahrradkette. Die etwa 150 Höhenmeter durch den Hang zur Hütte hoch gestalten sich nach so einem Tag schon irgendwie zäh. Wenigstens sind es nicht so viele Höhenmeter, wie beim Hüttenzustieg am Vortag. Auf die Zähne beißen muss ich trotzdem. Der Wind kam glücklicherweise nicht so hart daher, wie beim ersten Versuch. Nach rund 7,5 Stunden seit dem Aufbruch morgens sind wir zurück an der Hütte. Etwas mehr als 15 km Strecke sowie etwas mehr als 800 Hm Auf- und Abstieg waren zu bewältigen. Sofort fällt auf, dass auch das letzte Paar Ski vom Ständer verschwunden ist. Außer uns ist niemand der Gäste geblieben. Dass nur wenige von Sonntag auf Montag bleiben, war schon klar. Dass die Menge jedoch auf 0 geht, abgesehen von uns vieren, hätte ich nicht gedacht. Entsprechend still ging der Rest des Tages von statten. Der Wind, die Wolken und ein grandioses Abendrot kündigten an, dass die Sonne am nächsten Tag Pause haben wird. Besonders beunruhigend wirkte der Hüttenwart nicht, als wir nach der Wetterprognose für den Montag fragten. Und so machten wir uns nicht allzu viele Gedanken. Wir kennen ja den Weg. Dann schneit es eben ein wenig. Gipfelbier. Nachtessen. Rotwein. Gute Gespräche. Stolz ob der eigenen Leistung. Wir sind alle platt. Kurz nach 21 Uhr liegen wir im Bettchen. Es ist immer noch ziemlich kalt im ganzen Haus. Beim Zähneputzen hätte ich jeder elektrischen Zahnbürste, wie am Vorabend, Konkurrenz machen können, weil ich so zitterte. Ich bin schon so gut wie eingeschlafen, als mich ein abartiger Krampf im Bein heimsucht. Unter Schmerzen befreie ich mich fluchend aus dem engen Schlafsack. Steige aus der Kiste und bekomme den Krampf nur mit tatkräftiger Hilfe meiner Frau in den Griff. Das Dehnen, Massieren und Kneten tat genauso weh. Aber es war schön, als der Schmerz endlich nachlies. Krasse Nummer. Ich hatte in der Vergangenheit immer Probleme mit Krämpfen in den Beinen. Doch seit ich mir angewöhnt habe, reichlich und regelmäßig während den Touren zu essen, und zwar nicht nur Zuckerkram, geht es besser. So kam das Ding völlig überraschend um die Ecke. Die Folge: Ich traute mich nicht mehr einzuschlafen. In den engen Schlafsack wollte ich mich gleich gar nicht reinzwängen. Und so folgte die zweite Nacht mit sehr, sehr wenig Schlaf.



Tag 3, Montag. Einen Wecker brauchte ich nach dieser Nacht nicht. Ich versuchte, wenigstens zu ruhen, wartete aber im Grunde nur darauf, endlich aufstehen zu können. Obgleich ich mich fühlte, als wäre eine Dampfwalze über mich gefahren. Ich mag nur noch weg hier und in mein eigenes Bettchen. Mein sehnlichster Wunsch für den Tag. Die Realität: Es wartet eine mehr oder weniger ausgewachsene Skitour zurück ins Skigebiet. Und weil die Behörden sich überlegt haben, alle Skigebiete wegen des Virus zu sperren, müssen wir zwingend bis ins Tal abfahren und können uns nicht wenigtens das Stück schwarze Piste mit dem schweren Gepäck (er)sparen. Diese Hiobsbotschaft unterbreitete uns schon am Abend der Hüttenwart. Ein Blick aus dem Fenster verrät, dass es noch relativ klar ist und nicht schneit. Ich hoffe, es bleibt noch ein paar Stunden so. Frühstück. Bezahlen. Kurzes Bedauern, dass den Hüttenwart ein paar magere Tage oder gar Wochen erwarten. Dann starteten wir. Ich rutsche wieder als erste los und mir wird schlagartig klar, dass die Sicht eine Katastrophe ist. Im Schnee sind absolut keine Konturen oder Strukturen erkennbar. Auf der Piste ist sowas schon saublöd. Bei solchen Sichtverhältnissen ins Gelände zu fahren, ist Leichtsinn. Es gibt nur keine Alternative. Immerhin ist die grobe Richtung für den Rückweg erkennbar. Es ist nicht neblig. Noch nicht. Mit Vorsicht und Engelsgeduld schaffen wir uns in kleinen Kurven dicht beieinander den Hang runter auf den Gletscher. Eigentlich sind die Schneeverhältnisse ein Traum. Aber was nutzt Pulverschnee, wenn die Abbruchkante nicht sichtbar ist. Immer wieder kann ich nicht unterscheiden, ob ich noch rutsche oder schon stehe. Macht die Sache nicht stabiler und haut mich natürlich auch hin. Die Fahrt geht weiter. Der kurze Gegenanstieg mit dem Lawinenkegel ist zu sehen. Ich halte über den Gletscher darauf zu. Es schmeißt mich allerdings wieder, weil nix zu sehen ist und die Gletscheroberfläche eher einer Kraterlandschaft gleicht. Am Gegenanstieg angekommen, entscheiden wir, aufzufellen. Das kostet zwar Zeit, aber einfach auf Füßen hochstapfen, wie im vergangenen Jahr, geht in dem mehr als knietiefen Schnee nicht. Felle drauf. Harscheisen gleich mit. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit bis ich oben bin. Felle und Harscheisen wieder runter. Die Skibrille ist völlig beschlagen. Mit den Handschuhen in der Brille rum zu wischen, verbesserte die Lage nicht dauerhaft. Ich versuche, das nächste Etappenziel, den Lago Mandrone, zu erkennen. Den sehe ich auch und auch das Rifugio Mandrone etwas weiter rechts. Alles, was sich dazwischen befindet, ist eine einzige weiße Fläche, von der ich weiß, dass sie nicht eben ist und dass es nicht egal ist, wo frau entlang rutscht. Zu weit am Hang ist es wegen der Lawinenlage blöd, zu weit vom Hang weg geht es äußerst steil abwärts. Es wird die erste Quälerei des Tages. Wir finden keine Spuren, denen wir folgen könnten. Müssen selbst suchen. Es geht gefühlt endlose Buckel hoch und runter. Wir verfehlen den optimalen Weg um Lichtjahre. An Skifahren ist nicht zu denken. Es sind keine Wellen, Unebenheiten oder gar Abbrüche erkennbar. Immer wieder bleiben wir stehen und versuchen, gemeinschaftlich die Richtung für die nächsten paar Meter festzulegen. In Senken ist der Lago außerdem nicht zu sehen. An einem der letzten Buckel taucht ein winziges, blatt- und nadelloses Bäumlein auf. Das erkennen wir wieder, weil wir beim Zustieg noch drüber gesprochen haben. Und wir wissen, dass die Spur deutlich oberhalb des Bäumleins verläuft. Wir wissen aber auch, dass es der letzte Buckel vor dem Lago ist und beschließen, ein Stück in die folgende Senke abzurutschen und dann aufzufellen. Felle drauf. Harscheisen schonmal griffbereit am Rucksack. Der Aufstieg zum Passo Presena beginnt. Wir erreichen in wenigen Minuten den Lago Mandrone und finden dort eine gute Spur. Ich hoffte insgeheim, dass wir der Spur soweit, wie nur irgendmöglich folgen können. Nein, können wir nicht. Bereits am sich anschließenden Hang verlor sie sich. Es hat in der Zwischenzeit angefangen zu schneien. Die Wolkendecke ist soweit runtergezogen, dass nur noch der Felsriegel zu sehen war, an dem wir links vorbei müssen. Astrid geht zunächst voraus und spurt. Später übernimmt Manuel diese zermürbende Aufgabe. Ich kämpfe immer noch mit meiner Skibrille. Am Ende ziehe ich sie nicht mehr auf. Es gibt sowieso nix zu sehen. Dann muss ich mich nicht mit einer beschlagenen Brille rumärgern. Nach einer kleinen Ewigkeit erreichen wir den Felsriegel, unter dem es ein Stück flach vorbei geht. Hier startet ein Vorgeschmack auf den Wind, der sich nun immer mehr bemerkbar macht. In diesem Wind geht es ohne Brille nicht. Mist. Dann erinnere ich mich daran, seit Jahren ein baumwollenes Taschentuch mit mir mitzuschleppen, das ich noch nie irgendwo gebraucht hatte. Jetzt ist dessen große Stunde geschlagen. Es ist perfekt, um die zickige Skibrille sauber und klar zu halten. Puh.. eine Sorge weniger. In meiner Erinnerung geht es hinter dem Felsriegel rechts um die Ecke, von wo aus eine Linkskurve im Anschluss in einen Weg führt, der nicht zu verfehlen sein dürfte. Dachte ich. Dort angekommen, erkannten wir, dass wir nichts erkannten. Wir versuchten es auf zwei unterschiedlichen Routen, da nicht ganz klar war, auf welcher Höhe genau und an welchen Felsen genau der Weg entlang führen müsste. Beides lieferte kein Ergebnis. Rückwärtsgang. Was tun? Es blieb nur die Möglichkeit, einen Weg direkt auf den Buckel zu finden, um den sonst eine eisige Abfahrtsspur durch steiles Gelände drum herum führt. Ich stieg voraus und hatte erneut damit zu kämpfen, dass keinerlei Unebenheiten, Schneewülste, Abbruchkanten oder Sonstiges zu sehen waren. Kurze Zeit später rutschte ich versehentlich in eine unsichtbare Mulde, die zum Glück ein Ende hatte. Aber wir fanden einen Weg auf diesen Rücken. Wenngleich es sich als schwierig und waghalsig herausstellte, auf ihm entlang zu gehen. Kurz nach mir verschwand Astrid in einem Loch, kam aber zum Glück gleich zum Stehen. Es war ratsam, wie auf einem Gletscher mit den Stöcken voraus zu tasten, um solche Überraschungen zu vermeiden. Dann passierte etwas Fantastisches. Ein Steinmanndl kam in Sicht. Eindeutig von Menschenhand aufgestapelt. So ganz falsch können wir nicht sein. Auf Alex' Telefon funktionierte im Gegensatz zu meinem eine App mit Karte und Punkt, wo frau sich gerade befindet. Und siehe da. Wir stehen auf dem Wanderweg zwischen Passo Presena und Mandrone-Hütte unweit der eigentlichen Skiroute. Mit diesem Wissen fand ich bald weitere Steinmanndl und sogar eine Wegmarkierung. Wir besprachen das weitere Vorgehen, waren uns aber sicher, halbwegs auf dem richtigen Weg zu sein. Auch wenn wenig zu sehen war, so sind Astrid und ich uns einig gewesen, manche Geländeformen wiedererkannt zu haben. Als nächstes war eine Rinne zu durchqueren. Heikel. Es schneite jetzt sehr intensiv. Wir begannen, uns um die Lawinenlage Sorgen zu machen. Und da kommt so eine Rinne gerade recht. Shit. Hilft aber nix. Astrid geht voran, steigt aber erstmal weiter auf dem Rücken auf, um möglichst weit oben in die Rinne queren zu können. Wir folgen in großen Abständen. Immer, wenn sich an Felsen die Gelegenheit bot, besprachen wir erneut gemeinschaftlich den Weiterweg. Mein Höhenmesser verriet, dass wir "nur" noch etwa 180 Höhenmeter zurücklegen müssen. Ich gehe wieder ein Stück voraus und stoße auf eine Schneekante, hinter der es abwärts geht. Ich erkenne nicht, wie weit. Was ich aber erkenne ist die kleine Rinne durch die wir vor zwei Tagen durchgerutscht sind. Bingo. Manuel ist ein kleines Stück unterhalb und kann problemlos auf den gegenüberliegenden Hang steigen. Wir folgen ihm. Er spurt den Rest des Weges, der jetzt immer klarer wird. Die restlichen Höhenmeter dezimieren sich. Ich habe jetzt noch den Jubelschrei in den Ohren, als er hinter einer Felsschuppe verschwindet und ganz viele Steinmanndl vorfindet und sogar die Bergstation am Passo Presena erkennen kann. Bei mir macht sich eine riesige Erleichterung breit. Ich hatte über die gesamte Strecke ernste Befürchtungen, ob wir diesen Weg jemals unbeschadet überstehen. Doch wir sind noch nicht am Ziel. Die lange Querung durch den steilen Hang zur Bergstation ist bei diesen Verhältnissen ein Alptraum. Die Sicht ging zeitweise wieder komplett weg, sodass die Station wieder unsichtbar wurde. Damit noch nicht genug. Der Wind frischte weiter auf und peitschte die Schneeflocken in den Hang hinein. Ich schätze, dass wir im Wind nicht mehr als -15°C hatten. Bei jedem Schritt, besonders bei Manuel vorne, musste mit einem Abgang gerechnet werden. Ätzend. Schwierig, dabei einen klaren Kopf zu behalten. Zuverlässige Spuren gibt es keine. Lediglich die ungefähre Richtung ist klar. Vorsichtig schiebe ich die Ski Stückchen für Stückchen vorwärts, immer darauf achtend, Abstand nach vorne zu halten. Bloß nicht zu viel Druck aufbauen. Immer wieder drehe ich mich um, um nachzusehen, ob Astrid noch hinter mir ist. Sie macht den Besenwagen auf diesem Abschnitt. Bei dem Wind, in dem frau ihr eigenes Wort nicht versteht, bliebe ein Abgang ihrerseits absolut unbemerkt. Am Ende schaffen wir es tatsächlich bis zur Bergstation. Ein Granitblock löst sich von meinem Herzl. Ich stiefele zügig in eine Ecke der Station, wo der Wind nicht ganz so schlimm hinpfeift. Die Station ist ausgestorben. Keine Menschenseele ist zu sehen. Die Türen sind geschlossen. Aufwärmen, kurz ausruhen: Fehlanzeige. Wir packen uns so gut es geht etwas wärmer ein, essen und trinken nochmal was. Lange aufhalten ist unsinnig, also machen wir uns sogleich daran, in den Abfahrtsmodus zu kommen. Das wird nochmal spannend. Von oben geht es zunächst über eine breite rote Piste. Sehen kann frau die allerdings nicht wirklich. Mittem im Weiß stehen in Abständen rote Stangen. Sofern frau dicht genug dran ist, heben sich wenigstens die aus dem Weiß so ab, dass wir ihnen folgen können. Die jeweils gegenüberliegenden Markierungen, die den anderen Rand anzeigen, sind unsichtbar. Die Unterlage ist frisch präpariert. Auf ihr liegen etwa 15-20cm Neuschnee. Eigentlich sensationell. Eigentlich. Unter diesen Bedingungen sorgt die Neuschneeauflage dafür, dass ich nicht feststellen kann, ob ich rutsche oder stehe. Uns allen wird schwindelig, als ob wir Reisekrank wären, weil die Bezugspunkte fehlen. Mich haut es dann auch zweimal hin, obwohl ich fast stehe. In langsamen Stemmbogenkurven kratzen wir hinunter, treffen irgendwann auf eine blaue Piste, in die wir einbiegen. Alle Wege führen hier glücklicherweise zur Mittelstation. Sie kommt dann auch in Sicht und apropos Sicht, die wird weiter unten wieder etwas besser. Das ist auch gut so. An der Mittelstation angekommen, sehen wir, dass die Gondel von ganz unten fährt. Astrid spricht den Menschen oben an und erfährt, dass wir aus Sicherheitsgründen nicht einsteigen dürfen. Sie transportieren gerade Treibstoff nach oben. Er lässt sich auch nicht erweichen. Es bleibt tatsächlich nur die schwarze Piste, die hier unter der Gondel ins Tal führt. Es ist die einzige Piste. Na dann. Schau mer uns des mol o. An der Station vorbei biegen wir in die Abfahrt ein. Es ist eine nette schwarze Piste. Nicht so steil, wie es aus der Gondel aussah. Gut präpariert mit etwas weniger Neuschnee als oben. Und sehen können wir auch wieder etwas mehr. Manuel, als unser sicherster Skifahrer in der Gruppe, fährt vor und erleichtert uns durch seine Spur die Fahrt, weil sie als Kontrast dient. Ich hab wieder ein wenig Spaß. Das gesamte Skigebiet gehört uns alleine. Ich kann mich ein klein wenig entspannen und muss mich nur noch aufs Skifahren konzentrieren. Die Talstation kommt in Sicht. Wenige Schwünge noch. Eine kleine Brücke muss überquert werden. Dann sind wir unten. Ich kann es kaum glauben, diesen Trip hinter mich gebracht zu haben. Ein Wahnsinn. Wir fallen uns in die Arme. Alle sind unbeschadet. Ich bin körperlich und mental völlig erschöpft.

Für die Statistik: Auf dem Rückweg legten wir in etwa 6 Stunden rund 13 km Strecke mit knapp 700 Hm Anstieg sowie etwa 1900 Hm Abfahrt zurück. Die Schwierigkeiten, die sich durch die schlechte Orientierung ergaben, schlugen sich gar nicht so wild im Aufstieg nieder, wie ich annahm. Vom Lago Mandrone bis zum Passo Presena benötigten wir etwa 3 Stunden. Bei guten Verhältnissen wären wir nicht viel schneller gewesen.

Jetzt nur noch trockene, warme Klamotten anziehen, dann was essen und trinken. Wir setzen uns zum Abschluss kurz im Molex, dem Bus von Alex und Manuel, zusammen. Dort ist es schön warm. Wir lassen das gerade Erlebte Revue passieren. Krasse Nummer. Es geht auf 15 Uhr los. Wir haben alle etwa 5 Stunden Heimfahrt vor uns. Eine Frage ist noch offen: Wir wissen nicht, wie ernst die Behörden in Sachen Ein- und Ausreise machen. Auf der Hütte bekamen wir bruchstückhaft mit, dass wohl die Grenzen dicht gemacht würden. Was genau das bedeutet, wussten wir allerdings nicht. Dass ein Land sich völlig abschottet, konnten wir aber irgendwie auch nicht glauben. Wir fahren los. Das erste, was uns noch im Ort Tonale begegnet, ist eine Polizeikontrolle. Der Ort liegt auf der Grenze zwischen der Lombardei und dem Trentino. Was sie genau wollen, kann ich nicht sagen. Manuel und Alex sind vor uns und sprechen mit dem Polizisten, der sie und uns ohne weitere Aktionen durchwinkt. Das war dann auch schon der letzte Kontakt mit "den Behörden". Die Auffahrt auf die Brennerautobahn und auch der Brennerpass als Grenze zwischen Italien und Österreich waren frei. Keine Kontrollen oder gar Sperren. Erneut kommen wir mit Video-Maut und Kreditkarte kontaktlos bis nach Hause, wo mein Kuschelbettchen steht, auf das ich mich seit drei Tagen freue. Endlich schlafen.



Update vom 15.03.2020: Ich habe meine Einstellung zum Thema COVID-19 inzwischen geändert. Es ist nicht einfach nur eine Art Erkältungswelle. Die Rate der Neuansteckungen verläuft exponentiell. Stecke ich mit einer Erkältung im Schnitt 2-3 Menschen an, so ist das Verhältnis beim Corona-Virus mindestens 1:10. Und weil es technisch und organisatorisch in keinem Land möglich ist, die anfallenden Schwerkranken in dieser Masse intensiv zu betreuen, hat das Bremsen der Ausbreitung oberste Priorität. Das wiederum gelingt nur, wenn alle sich an die Vorgaben halten, soweit sinnvoll und umsetzbar. Deswegen haben die hohen Berge und damit unsere geplanten Touren auf unbestimmte Zeit Pause. Wir werden andere Dinge in unserer Umgebung tun. Nur dumme Menschen langweilen sich.

bottom of page