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Akzeptanz, Entscheidung, der neue Weg

Akzeptanz, Entscheidung,der neue Weg: CV

Akzeptanz und Entscheidung

Juli 2016 - Oktober 2016

Ich habe in besagter Julinacht 2016 am Lagerfeuer auf meiner Terrasse etwas sehr wichtiges gelernt: Die Grenzen des Möglichen existieren ausschließlich in meinem Kopf. Die Hürden, die für mich unüberwindbar erschienen, stellte ich selbst auf. Diese überaus positive Erfahrung in dieser Nacht, in der absolut nichts von dem eintrat, was jahrzehntelang in meinem Kopf umherspukte, änderte alles.

Es machte mir Mut, verschaffte mir Selbstvertrauen und ich begriff, dass daran Frau zu sein nichts Schlechtes oder Verwerfliches ist. Ich begann zu akzeptieren, dass ich eine Frau bin. Der wichtigste Schritt in meinem Leben. Und wie geht es nun weiter? Damit endet ja nicht alles. Wie will ich leben? Wieviel Mut bringe ich auf, den Weg weiter zu gehen? Wie weit will ich überhaupt gehen? Eine der wichtigsten Fragen: Welche Rolle spielen meine Kinder bei all diesen Fragen? Ich habe ihnen durch die Trennung von ihrer Mama schon viel zugemutet. Ich habe damit mein Leben vor Schaden bewahrt, doch ich trage nach wie vor für sie Verantwortung. Ihr Leben muss ebenfalls vor weiterem Schaden bewahrt werden. Leichtfertig vollendete Tatsachen zu schaffen, wäre fahrlässig. Auf diese Fragen gibt es inzwischen Antworten. Der Weg beginnt aber erst.

Als nächstes outete ich mich sehr schnell gegenüber meinen unmittelbaren Nachbarn. Unsere Gärten stoßen aneinander und wir haben relativ häufig Kontakt. Ergebnis: Äußerst positiv. Keine Spur von Verwirrung oder Abneigung. Ganz im Gegenteil: Viele Fragen, Anregungen, Herzlichkeit. Wahnsinnn. Das deckte sich alles in keinster Weise mit meinen gut gepflegten Ängsten.

Der Kreis wurde größer und größer gezogen. Eine meiner liebsten Erinnerungen an diese Zeit ist die Hochtour zur Wildspitze mit der Arbeitskollegin meiner Frau, die unbedingt mit in die hohen Berge wollte. Mein Outing ihr gegenüber hat in meiner Wahrnehmung zusammen mit dem bergsteigerischen Erlebnis so viel Nähe und positive Energie erzeugt, dass es mir fast den Boden rausgehauen hätte. Eine erfolgreiche 3er-Mädchenseilschaft. Noch mehr Mut stieg in mir auf. Der war auch nötig, denn meine Entscheidung, mich gegenüber meiner Familie zu outen, war getroffen. Es wäre nichts schlimmer, wenn sie es zufällig über Dritte erführen. Nur, wie sagt man sowas seiner Mama oder seinem Papa? Hinzu kommt, dass ich mich in meinem ganzen Leben noch nie über solch intime Dinge mit ihnen besprach. Was kann ich tun? Es muss getan werden. Ich begann damit, einen Brief zu schreiben. Geschriebenes kann jeder in seinem Tempo erfassen, ich umgehe die Schwierigkeit der direkten sprachlichen Äußerung und es kann immer die gleiche Information transportiert werden. Ein wichtiger Punkt, auf den ich später zurück komme.

Es sollte ein kurzer Text werden. Ich wollte ja niemanden überfordern. So einfach ist das aber nicht. Ich brauchte 6 Wochen dazu. In diesem Zeitraum begann ich mir parallel dazu Gedanken zu machen, wie ich im Büro weiter mit dem Thema umgehen soll. Ich weihte meine damals zwei engsten Kollegen ein. Ein spannender Moment mit überraschendem Ergebnis: "Mach dir nicht so viele Gedanken. Das passt scho.". Ich habe coole Kollegen.

Im weiteren Verlauf sah ich mich wegen einer ungünstigen Rollenverteilung bezüglich eines Auftrages gegenüber meinem Teamleiter gezwungen, ihn über Milla zu informieren. Diesen Tag werde ich nicht so schnell vergessen. Er änderte auch auf der Arbeit alles. Mein Outing weckte bei meinem damaligen Teamleiter ein großes Interesse und bedingungslosen Unterstützungswillen. Meine Aufgabe bestand nur noch darin, den Startschuß für mein Outing in der Firma zu geben.

In diesen wenigen Monaten von der Julinacht bis zum Termin mit meinem Chef im November machte ich so viele gute Erfahrungen, die alle meine Ängste nahezu ausradierten, dass mein Entschluss feststand: Ich ändere mein Leben.

Der neue Weg

November 2016 - Januar 2017

Selbstveranlasste Veränderung beginnt damit, dass man weiß, wo man hin will. Klingt einfach. Ist es aber nicht. Der Brief an Mama war ein Meilenstein. Ihn zum Lesen zu geben, kostete sehr viel Überwindung. Alle bisherigen Veränderungen hätten leicht zurück gerollt werden können, um einen Begriff aus der IT zu verwenden. Diese nicht.  Diesen Schritt zu gehen bedingte die absolute Gewissheit, dass sich, egal, was kommt, die Dinge ändern werden.
Während Mama las, blieb ich neben ihr sitzen. Es war völlig offen, was passiert. Sie damit alleine zu lassen, kam für mich nicht in Frage. Es sind Tränen geflossen. Es wurden einige alte und neue Fragen aufgeworfen. Wir sprachen viel. Papa war etwas zurückhaltender, brauchte lange, um sich der Veränderung zu stellen. Doch sie sind Menschen, die von ihren Erfahrungen und ihrer Umgebung geprägt sind. Jeder geht mit Veränderungen anders um. Man darf niemandem böse sein deswegen. Ich bin ihr Kind geblieben und ich kann auf sie vertrauen. Alles andere ist nicht wichtig. Ich bin akzeptiert so wie ich bin. Das war die Botschaft.
Der wichtigste Schritt war getan. Jetzt waren alle anderen dran. Gestartet bin ich mit meinen Kindern. Meine Frau und ich haben uns vorher belesen und recherchiert, wie man das machen kann, wann ein guter Zeitpunkt ist und was möglicherweise zu tun ist, wenn die eigenen Kinder Schwierigkeiten damit haben. Wir fanden schnell heraus, dass alles vor deren Pubertät stattfinden sollte. Geschlechtsbedingte Unterschiede spielen noch keine Rolle und Identitätsfragen stellen sich normalerweise zu dieser Zeit noch nicht. Perfekt. Wie wir das im Einzelnen in die richtigen Bahnen lenkten, werde ich an anderer Stelle ausführlicher beschreiben, denn ich halte es für wichtig und man findet nicht allzu viel darüber in der verfügbaren Literatur.
Wir wählten einen gemeinsamen Skiurlaub aus, um meine Mädels über Milla aufzuklären. Von der Reaktion war ich selbst überrascht. Es schien ihnen wenig auszumachen. Die Kleine hat etwas länger gebraucht, um es einfach anzunehmen, wie es ist, doch das, worauf es ankommt, ändert sich für meine Kinder nicht. Ihnen ist es egal, ob ich Rock oder Hose trage. Wichtig ist, dass ich da bin und sie sich auf den "Hafen", den ich zu bieten habe, bedingungslos verlassen können. Egal, was für ein Sturm tobt.
An meine Kinder schlossen sich alle anderen Familienmitglieder an. Auch mein Zwillingsbruder, der unerwartet gelassen reagierte. Echt coole Familie ich habe, würde Meister Yoda sagen.
Im Anschluss daran setzte ich meinen Weg in der Firma fort. Ein sehr guter Freund im Management erfuhr von Milla. Wir sprachen viele Stunden und lagen uns am Ende weinend in den Armen. Unterstützung bis rauf in die Geschäftsleitung war die Folge. Zusammen mit meinem Teamleiter und der restlichen Führungsriege planten wir mein Outing in der Arbeit. Ich werde dazu ebenfalls an anderer Stelle etwas ausführlicher berichten. Es könnte ein Beispiel für andere sein.
Nachdem die Vorgehensweise geklärt und ein entsprechendes Informationsschreiben verfasst war, ließ ich im privaten Umfeld einen Testballon zum Jahreswechsel fliegen, indem ich das geplante Vorgehen aus der Arbeit in meinem Dorf durchführte. Alle erreichbaren Nachbarn erhielten zum gleichen Zeitpunkt die gleiche Information mit dem Angebot, sich direkt an mich wenden zu dürfen, wenn jemand Fragen dazu hat. Es gab einen kleinen Ruck in einem kleinen Dorf im bayerichen Schwaben. Was die Menschen zu Hause in ihrer Küche über mich denken oder reden, kann mir egal sein. Doch nach außen erntete ich ausnahmslos Glückwünsche, Bewunderung, Zuversicht und Unterstützung. Ein wahrlich gutes Ergebnis, mit dem ich nicht gerechnet hätte. Pilot hat funktioniert.
Die letzte Herausforderung rückte heran. Die Belegschaft an zwei Standorten, einige Zulieferer und Fremdleister wurden zur gleichen Zeit mit der gleichen Information versorgt. An einem Donnerstagnachmittag. Am darauffolgenden Freitag kam ich das erste Mal als Frau zur Arbeit, wie mit meinem Teamleiter vereinbart. Von der ersten Sekunde an behandelten mich alle Mitarbeiter dieses Unternehmens so, als sei es nie anders gewesen. Das ist das Beste, was man erreichen kann und ich bin allen Kolleginnen und Kollegen unendlich dankbar dafür.
Nun ist kein Lebensbereich mehr übrig, der nicht über Milla Bescheid weiß.

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