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Wie ich das Radfahren für mich entdeckte

Radfahren. Zu meiner Freizeitgestaltung hat das Radfahren bis vor kurzem nie ernsthaft gehört. Klar bin ich als Kind mit dem Rad im Dorf rumgefahren, doch das war nur das Mittel zum Zweck, um Freunde zu treffen, kleine Besorgungen zu machen oder bestenfalls zur Schule zu kommen. Auf den Gedanken zu kommen, allein um des Radfahrens Willen draufzusteigen und in der Gegend rumzufahren, bin ich nie wirklich gekommen. Soweit ich mich erinnern kann, vielleicht irre ich mich, gab es nur eine einzige Ausnahme. Dabei nahmen ich und meine Freunde aus dem Paddelverein uns eher aus überschäumender Kraft vor, den Gerlfanger Berg hochzufahren, was für mich als Jugendliche nahezu unvorstellbar lang und steil erschien. Eine Straße windet sich von einem Dorf zum nächsten, steigt dabei auf etwa 3,5 km nur an. Fühlte sich verwegen an, da hoch zu kommen. Wir taten das dann auch und sind einigermaßen platt gewesen. Nochmal brauchte ich das nicht. Also tat ich es auch nicht mehr. Das war Ende der 80iger.

Seitdem brauchte ich das Fahrrad immer nur, um Strecken zur Schule und zur Arbeit zurück zu legen, weil das Geld für Alternativen fehlte. Da ging es nicht um Spaß. Da ging es um Vollgas, um den nervigen Teil hinter mich zu bringen. Später erinnere ich mich dunkel an die eine oder andere mehr oder weniger gezwungene Tour in meiner vorherigen Beziehung, um es allen Recht zu machen. Wie dem auch sei, mein altes Radl, das ich Anfang der 90iger kaufte und dass zu diesem Zeitpunkt schon etwas hochwertigeres war, hatte wahrscheinlich nicht mal 500km auf der Uhr als ich es nach fast 30 Jahren verschenkte  (mein Blog-Eintrag dazu) und sah sehr vernachlässigt aus. Und so kam es, dass Radfahren bei mir eher negativ besetzt war. Entsprechend selten tat ich es. 

Nun, das hat sich inzwischen geändert und es änderte sich so sehr, dass Radfahren hier eine eigene Rubrik bekommt. Mehr oder weniger aus der Not heraus, weil Probleme mit Füßen und Knien bei mir und meiner Frau das sowieso schon ungeliebte Laufen, was bis dahin der einzige Ausdauersport von mir war, endgültig beendeten, stieg ich wieder aufs Fahrrad. Meine alte Dame stand ja noch da rum. Und die meiner Frau auch. Allerdings war hier schnell klar, dass ihr altes Damensportrad mit einer ähnlichen Menge an Jahren auf dem Buckel, wie meines, für unseren neuen Pläne nicht geeignet war. Sie kaufte sich ein preiswertes, aber modernes Mountainbike im Allgemeinsportgeschäft. Die Frage war ja, ob uns Radfahren als Alternative zum Laufen taugt. Da kam es nicht in Frage, gleich sehr hochpreisig einzukaufen, was, wie ich heute weiß, ein Kinderspiel ist. Außerdem hatten wir überhaupt keinen Schimmer, was ein gutes Radl ausmacht. Ich nahm erstmal Vorlieb mit meiner alten Dame. Und so zogen wir los, unsere erste gemeinsame Fahrradtour zu unternehmen.

Obwohl es mit meiner alten Geis schon ziemlich rumpelig war und mir der Popo schlimm weh tat, so kam doch auch ein Gefühl auf, dass gemeinsam radeln mit meiner Lieblingsbergsteigerin rein nur so zum Vergnügen auch Spaß machen kann. Ziemlich bald machten jedoch unter den neuen Belastungen einige Komponenten an meinem Radl die Grätsche. Es ging mit Schläuchen los, dann waren die Mäntel im Eimer. Hinten hatte ich noch Auslieferungszustand von 1993. Das konnte ich noch ohne viel Aufwand in Zeit und Geld fixen. Mit der Schaltung, die eh schon geflickt war, hatte ich Probleme. Und wir merkten, dass ein neues MTB mit 29" Rädern, einer Federgabel und Scheibenbremsen sehr viel komfortabler ist als ein starrer Rahmen mit kleinen Rädern und windigen Felgenbremsen. Ich bin nur 3 oder 4 Mal mit meinem alten Fahrrad unterwegs gewesen, bis sehr spontan, der Situation auf einer Radtour rund um den Zeller See geschuldet, eine neue Begleiterin für mich gefunden wurde. Es war Liebe auf den ersten Blick. Die Story über dieses Ereignis fasste ich in einem Blogeintrag zusammen. Es wurde ein modernes Hardtail mit Carbonrahmen, einer 12-Gang-Schaltung und 29" Rädern. Die mir bis dahin völlig unbekannte Schaltung beäugte ich mit Misstrauen. 12 Gänge. Das reicht im Leben nicht. In meinem Kopf klebte noch die Vorstellung von "viele Gänge helfen viel", auch wenn sie schwer zu bedienen und zu warten sind. Ich lies mich eines Besseren belehren und stellte sofort auf der ersten Tour fest, wie schön einfach eine Schaltung mit nur einem Hebel ist, die ob der Schaltbreite trotzdem keine Wünsche offen lässt. Feines Sportgerät. Leicht, schnell, schick. Eine würdige Ablösung.

Von nun an ist Radfahren ein fester Bestandteil unserer Trainings. Anfangs fahren wir kaum eine Strecke mehrfach, lernen die Umgebung kennen, ziehen immer größer werdende Kreise. Es etablieren sich eine handvoll Standardstrecken, die zu Hause beginnen und je nach Witterung und Laune gewählt, verknüpft oder auch mal gekürzt werden. Wir beginnen damit, das Radfahren in den Alltag zu integrieren. Neben dem Ausdauertraining ziehen wir das Fahrrad für kleine Besorgungen des täglichen Lebens dem Auto vor. Weil es einfach schön ist. Der häufige Gebrauch führt unweigerlich dazu, dass so ein modernes Radl etwas Wartung und Pflege benötigt. Bereits im ersten Jahr spulte ich von Ostern bis Silvester knapp 2000km runter. Nach den Erfahrungen mit meinem neuen Radl dauert es nicht lange, bis meine Frau adäquat nachrüstet. Als Verschleiß sicht- und messbar wird, entscheiden wir uns dazu, die üblichen Wartungen an Antrieb, Bremsen und Bereifung selbst vorzunehmen. Wir lernen Ketten zu wechseln, ohne Sauerei schlauchlos zu werden und zu bleiben, Bremsbeläge zu bewerten und auszutauschen, die Bremsen wieder einzustellen, Kette, Kassette, Schaltwerk und Kurbel sauber und geschmeidig zu halten. Schrauben macht ebenfalls Freude.

Auf den häufiger befahrenen Strecken, insbesondere den Steigungen, werden schnell Verbesserungen bemerkbar. Die Gänge, in denen wir die kurzen Anstiege bei uns in der Gegend bewältigen, werden immer größer. Die Abfahrten werden immer rasanter. Ich lerne, dass eine variable Sattelstütze ein echtes Goldstück ist und auf keinen Fall fehlen darf. 
Ach ja, der Gerlfanger Berg. Die "Würge"-Strecke von damals ist heute eher was zum Warmwerden. Mit einer durchschnittlichen Steigung von nicht mal 4%, in Spitzen geht es mal kurz auf 7-8%, stellt sie keine Herausforderung dar.

Zuletzt ist da noch das Ding mit dem schmerzenden Popo. Das in den Griff zu bekommen, ist eine Wissenschaft für sich. Nach meinem Empfinden kann es nie ganz abgestellt werden. Frau muss einfach nur lang genug fahren. Irgendwann geht es los. Es gibt ein paar grundlegende Dinge, die getan werden können, um die Schmerzen hinauszuzögern: Die Sattelbreite und -form, eine auf Sattel und Popo abgestimmte Radhose (die Polsterungen sind ähnlich vielfältig, wie die Sättel selbst) und natürlich eine möglichst optimale, auf das eigene Wohlgefühl abgestimmte Sitzgeometrie. Die hat relativ viel mit den Rahmenabmessungen zu tun. Die meisten Radhersteller liefern in nicht genormten T-Shirt-Größen. D.h. alle sind anders. Hier hilft nur beraten lassen und ausprobieren. Mittels Distanzringen, Vorbauanpassungen, Sattelbefestigungen kann feinjustiert werden. Es geht tatsächlich um Millimeter. Beim Thema Sattel ist der erste Schritt, seinen Sitzbeinknochenabstand zu kennen. Der ist relativ einfach mittels einem Stück Pappe und einer festen Sitzunterlage zu ermitteln. Es gibt Anleitungen im Internet. Damit lässt sich dann zumindest eine günstige Sattelbreite finden. Tendenziell erscheinen weiche, gut gepolsterte Sättel als sehr angenehm. Auf längeren Strecken verschlimmern sie das Problem jedoch enorm. Härter erscheinende, schmälere Sättel sind auf Dauer die bessere Wahl. Kommt natürlich drauf an, was Frau mit dem Rad vor hat. Vielleicht ist ein Hollandrad die optimale Wahl. Meine ist es nicht. Ich sitze auf einem schmalen, harten, leicht nach vorne geneigten Sattel, der einige Zentimeter höher als der Lenker ist und komme damit gut zurecht. 

Fazit: Radfahren macht Spaß, funktioniert mit verhältnismäßig wenig Aufwand von zu Hause aus und liefert Ausdauerstrom für unsere Bergtouren.​ Wechselwirkungen mit meinem Anderssein gibt es relativ wenig. Es passieren natürlich Dinge, wie "es gibt keine passenden Rahmen für Frauen in der Größe, die ich benötige", oder "schöne Radlhandschuhe oder Radlschuhe gibt es in meiner Größe nicht", oder "bei der stromlinienförmig anliegenden Windjacke passt leider nur das Herrenmodell, weil große Damengrößen für Dicke aber nicht für Große geschnitten sind".  Nun. Manche der Themen treffen mich generell in allen Lebensbereichen. Ich lebe damit. Was mir besonders gut gefällt: Das Tragen kurzer Röcke mit langen, gestählten Beinen macht mir diebische Freude.

Meine ersten beiden Geschichten rund ums Radfahren veröffentlichte ich über jeweils einen Blog-Beitrag:

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