Der Traum der Milla vom Fliegen
Es ist noch gar nicht so lange her, dass es Menschen tatsächlich gelungen ist, wenigstens vom Boden abzuheben. Das war am 4. Juni 1783. Seither hat es die Menschheit zumindest technisch bis zum Mars geschafft. Schon grandios irgendwie. Ganz so spektakulär gehe ich das Thema fliegen, vor dem ich sehr viel Respekt habe, nicht an. Einfache, moderne und bezahlbare Arten, sich in die Luft zu erheben, gibt es seit einigen Jahren in mehreren Varianten, vom Drachen bis zum Ultraleichtflugzeug. Mit dem mittelfristigen Ziel vor Augen, beim Bergsteigen den eigenen Schirm mitnehmen und mir das Absteigen erleichtern zu können, kommt eigentlich nur das Gleitschirmfliegen in Frage.
Seit einigen Jahren redeten meine Frau und ich davon. Doch irgendwie schien so ein Projekt als zu weit weg, zu teuer, zu kompliziert, noch eine aufwändige Freizeitgestaltungsmöglichkeit mehr, und und und. Ausreden gibt es ja immer genug. Nachdem im Frühjahr 2021 erneut jegliche skibergsteigerische Aktivität wegen der Pandemie den Bach runter ging, musste ein Licht am Ende des Tunnels her, um dem Wahnsinn zu entgehen. Begonnen hat es mit einem Schnuppertag bei einer Gleitschirmschule in der Nähe von Salzburg, an dem Astrid und ich gar nicht teilnahmen. Unsere liebe Freundin Alex hat diesen Tag organisiert, doch ohne Teil des Pandemieproblems zu werden, war eine Fahrt über die Grenze zu diesem Zeitpunkt für uns nicht möglich. Und so nahmen Alex und Manuel alleine Teil. Ganz gespannt auf deren Schilderungen blieben wir etwas traurig zu Hause. Das Feedback ließ nicht lange auf sich warten. Nackte Begeisterung. Noch am Schnuppertag meldeten sich die beiden zur Ausbildung zum Piloten/zur Pilotin an. Ob dieser spontanen Entscheidung war ich erstmal überrascht. Muss wohl echt der Hammer gewesen sein. Ein kleines Video von beiden bei ihren ersten Hüpfern kam noch oben drauf.
Da lag der Ball wieder in unserem Spielfeld. Ich konnte mir sowas wirklich nicht vorstellen. Milla fliegt. Das war in meinem Kopf Lichtjahre weg. Dieser Gedanke schien eher aus einem Douglas Adams Klassiker zu stammen. Astrid sprach hingegen laut aus, was sie darüber denkt und kommt ohne Umschweife zum vorgenannten Licht am Ende des Tunnels:
Sie will fliegen lernen. Wenn alles andere nun schon wieder ins Wasser gefallen ist, möchte sie sich auf etwas freuen können. Upsi. Sogleich geht die Recherche los, welche Schule in Frage kommt. Das Allgäu ist voll davon. Derweil diskutiere ich noch mit meinem Quatschi im Kopf, in welche Lage mich das bringt und ob ich das wirklich will. Das mit dem Wollen kann ich entscheiden, wenn ich weiß, wovon die Rede ist. Ich gehe davon aus, dazu bleibt mir Zeit, bis ich erfahren habe, wie sich so etwas anfühlt. Gelegenheiten und Abenteuer. Tun oder lassen? Dazu habe ich die klare Meinung: Tun. Es gibt wenig Schlimmeres als verpassten Gelegenheiten hinterher zu weinen. Lieber aktiv eine Entscheidung treffen und aktiv mit den Konsequenzen umgehen, als butterweich, farblos durchs Leben treiben. Ich habe in meinem Leben schon zu viele Angelegenheiten auf die lange Bank geschoben, die mir heute böse anhängen. Also fliegen.
Die Pandemie gibt vor, dass nur eine Schule in unserer Umgebung in Frage kommt. So ganz in der näheren Umgebung, also irgendwo zwischen zu Hause und Tegelberg, wurde es dann aber nicht. Die Schulen auf dieser Achse machten für unseren Geschmack einen etwas altbackenen Eindruck. Im Oberallgäu fanden wir die Paragliding Academy (externer Link), deren Auftritt im Internet und deren externe Infos über den Chef, dessen Fluglehrer:innen und deren Angeboten uns gefallen haben. Ohne je einen Gleitschirm aus der Nähe gesehen zu haben, buchten wir zweimal das Rundum-Sorglos Hike&Fly-Paket (externer Link): "Lerne gleich auf der eigenen Ausrüstung." Ausprobieren und dann entscheiden fällt aus. Das Abenteuer beginnt sofort. Wir stimmen ab, zu welchen Schulungsterminen noch was frei ist und wo wir nicht mit den Kinderwochenenden kollidieren und drücken uns die Daumen, dass weder Pandemie noch Wetter uns einen Strich durch die Rechnung machen, denn Zeit und Termine sind unsere knappsten Güter. Mir ist bewusst, dass Fliegen nicht nur ein Hobby sein darf, wenn wir das Ziel ernsthaft verfolgen, zum Bergsteigen auch den Schirm mit zu nehmen, um -passende Bedingungen vorausgesetzt- abgleiten zu können. So etwas geht nicht, wenn frau zweimal im Jahr vom Hausberg startet. Eine Herausforderung.