Findungsphase und Richtungswechsel
Findungsphase
2000 - 2008
Ausbildung fertig. Das Arbeitsleben steht vor der Tür. Phase 2 meiner Wildwasserkarriere beginnt, Heiraten, Kinder und Haus bauen wird ein Thema. Aber schön der Reihe nach.
Wie bereits erwähnt, fand ich einen Job in einem IT-Beratungshaus. Das Einkommen war im Vergleich zu meinen Komilitonen eher bescheiden, doch es ließ sich davon leben. Mangelndes Vertrauen zu mir selbst und meinen Fähigkeiten, ließen mich auch in diesem Punkt sehr -sagen wir- zurückhaltend sein. Doch ich lebte ja nach wie vor mit meiner Freundin zusammen und gemeinsam ging es ganz gut. Einen Haken hatte der Job allerdings: Anzug und Krawatte waren beim Kundenkontakt Pflicht. Blöd, wenn man lieber Kostüm oder Kleid tragen würde.
Obwohl nun in meiner Beziehung ganz klar kommuniziert gewesen ist, dass ich eine Frau bin, drängte man mich Monate, gar Jahre dazu, der Hochzeit zuzustimmen. Ich empfinde das Heiraten heute noch als eine sehr altbackene, überholte Zeremonie um eine überholte Form des Zusammenlebens zu erzwingen. In vorhandenem, konservativen Umfeld ließ ich mich letztendlich dazu breit schlagen. Inzwischen habe ich herausgefunden, dass ich nicht die einzige bin, die so ist wie ich und dass es das auch andersherum oder auch ohne eines von beiden gibt. Spannend. Das hat mein Leben noch nicht bahnbrechend verändert. Obgleich es mir Gewissheit verschaffte, dass ich nicht pervers bin, sondern einfach nur eine Frau im falschen Körper.
Das Wildwasserpaddeln kam mit meiner neu gewonnenen eigenständigen Mobilität wieder in mein Leben. Allerdings mit einer anderen Qualität, wie damals. Ich trug plötzlich Verantwortung. Ich paddelte nicht mehr nur hinterher, sondern voraus. Unterbewusst, so glaube ich heute, erlangte ich dadurch etwas mehr Selbstvertrauen in allen Dingen, die ich so tat.
Im Job lief es so lala. Tag ein, Tag aus meistens die gleiche Chose. Führungskraft konnte ich nicht werden. Das war mir schnell klar. Mit nicht vorhandener Präsenz und natürlicher Autorität, selbst beim Getränkeholen auf Festen wurde ich ständig übersehen, hielt ich eine Karriere im Management für undurchführbar. Also blieb ich Indianer. Oder besser gesagt, eine Squaw. Aber das wusste ja zu diesem Zeitpunkt kaum jemand. Außer meiner damaligen Frau, die das allerdings immer noch verdrängte. Die Kraft, mich gegen alle Grenzen durchzusetzen, brachte ich noch nicht auf. Immerhin war ich mir inzwischen sehr sicher, dass ich transident bin. Damit lüftete sich für mich der Schleier der Perversität. Für meine damalige Frau hat sich nichts gelüftet.
In dieser Zeit entdeckte ich das Laufen für mich. Die Jahre davor bin ich immer mal wieder ein wenig durch den Wald gestolpert, doch ein bestimmter Auslöser weckte meinen Ehrgeiz, Marathon zu laufen. Die Notwendigkeit, für so eine große Distanz trainieren zu müssen, verschaffte mir sehr viel Zeit außerhalb von Familie und Beruf, um über mich und meine Probleme nachzudenken. Die Frau in mir trat wegen der teilweise exzessiven Lauferei über größere Zeiträume etwas in den Hintergrund. Einen Moment hatte ich sogar das Gefühl, mein als Problem empfundenes Anderssein damit lösen zu können. Ein guter Witz.
Nach 4 Marathonläufen, einigen Halbmarathons und vielen Tausend Kilometern Trainingsstrecke bei Wind und Wetter, sommers wie winters, bin ich wieder auf dem Boden der Realität angekommen. Ich bin immer noch eine Frau.
Zu guter letzt musste dann noch ein Haus gebaut und Kinder gemacht werden. Letzteres gestaltete sich schwierig, da ich mehr oder weniger unfruchtbar bin, wie sich heraus stellte. Ich für meinen Teil hätte es damit auf sich beruhen lassen, doch gegen den Kinderwunsch einer Frau kommt man nicht an. Ich gab wider besseren Wissens nach. Dank moderner medizinischer Technik wurde im Juni 2008 meine erste Tochter geboren. Zu dem Zeitpunkt, verbunden mit einem Projektwechsel zu einem weit entfernten Kunden, war die Beziehung bereits am Kriseln. Kinder helfen nicht, wenn es schon vorher nicht stimmt. Ich habe versucht, auf die Dinge, die nicht passen, hinzuweisen. Drückte klar aus, was mir fehlt, doch Friede, Freude, Eierkuchen war wichtiger. Hauptsache, nach draußen passt alles.
Schade. Das Ende ist eingeläutet.
Richtungsänderung
2008 - 2013
Wie im vorherigen Abschnitt ausgeführt, bin ich über mehrere Jahre relativ viel in Laufschuhen unterwegs gewesen. Bis in den Frühling 2011 nahm ich regelmäßig an Laufveranstaltungen teil und trainierte 2-5 mal pro Woche dafür.
Damit schaffte ich weitere Distanz zwischen mir und meiner damaligen Frau, die mein Tun zunehmend verurteilte. Die Woche über war ich von Sonntagabend bis Donnerstagnacht beruflich unterwegs. An den Wochenenden bin ich allerdings weiter gelaufen, weil das notwendige Pensum in der Woche nicht zu schaffen war. Ein Konflikt. Ich begann damit, in die Nacht hinein oder heraus zu laufen, um tagsüber für die Familie verfügbar zu sein. Das wurde noch argwöhnischer beäugt und löste den Konflikt nicht.
Mit der Geburt des Kindes trat in meiner Wahrnehmung eine massive Wesensveränderung bei meiner damaligen Frau ein. Wir taten uns vorher schon schwer damit, miteinander zu reden. Ab da erschien es mir unmöglich. Jedes Wort, jeder Satz wurde in beiden Richtungen missverstanden. Noch mehr Distanz. Von beiden Seiten verursacht. Beide Seiten unternahmen nichts, um das zu verändern.
Unter der Woche, fern der Familie, genoß ich meine neu gewonnene Freiheit. Die meisten Menschen in meinem unmittelbaren Umfeld nahmen an, ich führe nur dorthin, um meinen Freizeitaktivitäten nachzukommen. Eine falsche Annahme. Was viele nicht sahen, ich schaffte alles ran, was bei meiner Familie für ein entspanntes Leben sorgte. Niemand außer mir, ist arbeiten gegangen. Ich hatte viel Zeit zum Laufen und Paddeln. Ich begann in dieser Zeit auch zu Klettern, wofür ich eine neue Leidenschaft entwickelte. Doch ich arbeitete auch 10-12 Stunden pro Tag. Über Jahre. Und pendelte jede Woche über 1000km mit Flugzeug, Bahn und später überwiegend Auto. Das vergessen manche Menschen heute.
Einsame Abende im Hotel ließen mir als Frau ebenfalls wieder Zeit. Das missfiel mir. Ich begann dagegen anzugehen. Unter anderem dadurch, dass ich Bestätigung als Mann suchte. Etwas, was ich zu Hause seit Jahren nicht mehr bekommen konnte. Affären wurden geboren.
Und dann passiert es: Nach ein paar flüchtigen Bekanntschaften läuft mir die Frau meines Lebens über den Weg. Es hat gefunkt. Wir beide lebten in mehr oder weniger toten Beziehungen und ließen die Veränderung zu, weil wir es beide wollten. Ist klar, was folgen muss. Sehr viel entscheidungsfreudiger als ich, zog sie kurze Zeit später bei ihrem Mann aus. Meiner damaligen Frau konnte ich natürlich auch nichts vormachen und stand eines Abends nach 500km Fahrt vor dem Haus, das ich plante und baute, und die Schlösser waren ausgetauscht. Fast 20 Jahre Beziehung, ein schlechtes Gewissen, der Wunsch nach Schadensbegrenzung, das Verantwortungsbewusstein gegenüber meinen Kindern -man stelle sich vor, ich habe mich ein zweites Mal für eine Insemination breitschlagen lassen, was zu meiner zweiten wundervollen Tochter führte-, mein über die Maßen entwickelter Zwang, es immer allen Recht machen zu müssen, führte dazu, dass ich über viel zu lange Zeit die unausweichliche Entscheidung zur Trennung hinaus zögerte. Heute leide ich unter den Folgen. An der Stelle ein Tipp von mir: Der Bauch weiß in der Regel sehr schnell, wo der Weg hin führt. Zögere nicht. Tue es gleich. Spart viele Tränen, Anfeindungen, eskalierende Konflikte. Der emotionale Schaden kann nicht von außen repariert werden. Punkt.
Und dann ist da die neue, heranwachsende Beziehung. Am Anfang ist alles aufregend, spannend und voller Abenteuer. Das Gras auf der anderen Seite ist saftig grün, steht meterhoch und ich komme aus der Wüste. Das war meine Situation. Monatelang schweben wir auf Wolken. Es gibt zwar viel Unsicherheit und viele Tränen an der Trennungsfront, doch in meinem neuen Leben läuft alles super. Tja, jetzt ist da aber noch etwas anderes. Ich schätze, meine damalige Frau freute sich auf den Moment, an dem die Frau in mir sich nicht mehr verheimlichen lässt und die neue Beziehung zum Scheitern bringt. Das war in der Tat ein Sprungbrett ins Ungewisse.
Analog zu meiner vorherigen Beziehung auch, kam über kurz oder lang meine wahre Identität zum Vorschein. Wie üblich, anfangs sehr zögerlich. Dann fahrtaufnehmend, wenn es zugelassen wurde. Und zu guter Letzt blieb auch hier nur die Offenbarung "ich bin eine Frau". So, wie etwa 15 Jahre vorher. Dieses Mal jedoch gab es mehrere Unterschiede. Ich war reifer und gefestigter, hatte die Sicherheit zu Wissen, dass ich weder pervers bin noch einem Fetisch unterliege und -ganz wichtig- ich hatte eine Partnerin an meiner Seite, die sich nicht vor der Veränderung drückt, sondern sich damit auseinandersetzt. Noch mehr: Sie suchte aktiv nach Lösungen für mich, um mir als Frau möglichst viel Freiraum zu schaffen und mich so leben zu lassen, wie ich es mir wünschte. Bemerkenswert.
Parallel zu diesen Fragen und der Trennung/Scheidung, entwickelte sich unsere gemeinsame Leidenschaft fürs Klettern, später das Bergsteigen und letztendlich auch der Königsdisziplin im alpinen Sport, dem Skibergsteigen. Die Touren wurden häufiger, länger, herausfordernder, vielseitiger, usw. Von anderer Stelle wurde mir vorgeworfen, ich müsse meine innere Leere durch das Betreiben von Extremsportarten ausfüllen. Das sagen Menschen, die keine Leidenschaften besitzen und sich in der Opferrolle suhlen. Nicht mein Problem.
Am Ende steht die Scheidung.