Wörner, 2474m, 21.8.2020
Den Wörnergrat zu machen kam, wie so häufig, sehr spontan vorbei. Der ursprüngliche Plan für dieses Wochenende, das wir um einen freien Freitag und einen freien Montag verlängerten, bestand darin, das Finsteraarhorn im Berner Oberland erneut zu versuchen. Für diese Tour sind jedoch 3 Tage stabiles, klares Wetter ohne Niederschlag und Nebel ein Muss, weil die Wege im Aletschgebiet so unglaublich lang sind. Wir freuten uns schon lange darauf, diesen Berg endlich wieder besuchen zu dürfen. Blöderweise manifestierte sich mitten im Wochenende ein Sauwettertag mit Neuschnee. Wir überlegten lange, ob wir trotzdem die Tour angehen und einfach den Tag auf der Hütte aussitzen sollen. Doch 3 Übernachtungen zu zweit auf einer schweizer Berghütte für wahrscheinlich um die 700 CHF mit nur einer sehr kleinen Chance zum Gipfel gehen zu können, weil es ziemlich sicher schneit oder der Gipfelgrat vereist ist, war es uns nicht wert. Noch die Hüttenabstiegshorrorskitour vom Adamello bei Schneefall und Nebel im Kopf, hisste ich für dieses Vorhaben die weiße Fahne. Vielleicht bin ich zu pessimistisch, doch der Aufwand, um eine Bergfahrt diesen Kalibers erfolgreich zu unternehmen, ist für uns gigantisch. Da muss einfach alles stimmen. Und zu allererst das Wetter. Ich bin traurig, doch ich bin überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war.
4 Tage frei. Ein neuer Plan muss her, der die freie Zeit möglichst gut mit Rücksicht auf die Wetterlage füllt. Wir kommen schnell drauf, zwei Bergfahrten zu unternehmen und bei der Gelegenheit warf meine Lieblingsbergsteigerin den Wörner für freitags mit den Worten in den Ring: "Dann machen wir mal ein paar Höhenmeter." Für Sonntag und Montag zogen wir die geplante Sustenhorn-Tour vor. Die geht gut in zwei Tagen. Damit die Anfahrt nicht gar so weit ist, verabredeten wir uns für Samstag bereits in der Schweiz, um sehr gute Freunde zu besuchen, die wir lange nicht gesehen hatten. Meine Frau stornierte die Reservierung auf der Finsteraarhornhütte per Telefon und ließ gleich wieder eine neue Reservierung da, denn der Platz der Sustenhornbesteigung wurde frei. Diese hatten wir eigentlich in unserer Urlaubswoche im September nach dem Zinalrothorn geplant. Und so fand sich alles. Noch am Donnerstagabend tuckerten wir ins Karwendel. Um uns einen frühen Start zum Wörner möglich zu machen, ohne morgens um 4 daheim losfahren zu müssen, unterstützten wir die Hotelbranche in Scharnitz. In Mittenwald war nichts mehr zu einem vernünftigen Preis zu bekommen. In Scharnitz schon. Der Frankenhof. Sehr zu empfehlen. Wir durften sogar eine halbe Stunde vor der Zeit morgens frühstücken, damit wir zeitig starten konnten. Abends lesen wir diverse Wegbeschreibungen zum Wörnergrat. Bis auf eine Kletterstelle, die kaum den II. Grat erreicht, handelt es sich wohl eher um einen anspruchsvollen Wanderweg. Wir entscheiden, seilfrei zu gehen und lassen Seil, Gurt und Absicherungsmaterial unten.
Das Ding mit den Höhenmetern. Gestartet sind wir gegen 8 Uhr am Parkplatz bei der Edelweißkaserne auf etwa 915m. Bis zum Gipfel des Wörner über die Hochlandhütte sind mit allen Auf- und Abstiegen fast 1600 Höhenmeter zurück zu legen. Das ist nicht so wenig für solche Hobbywandererinnen, wie wir es sind. Es ist recht kühl. Das ist gut. Und das bleibt bis kurz vor den Wörnersattel auch so, weil die Sonne erst später in die Westseite reinscheinen kann. Wir folgen dem Wegweiser zur Hochlandhütte. Der sagt, man bräuchte 2:45h für die rund 700 Hm. Bis zum Wörnersattel auf 1989m sollen es etwa 3:30h sein. Wie wir das hinbekommen haben, weiß ich nicht. Besonders schnell stapften wir bewusst nicht, immer im Hinterkopf, dass wir mit unseren Körnern sparsam sein müssen. Doch nach 1:20h waren wir an der Hochlandhütte und nach 2:10h am Wörnersattel. Etwa 1070 Höhenmeter später. Fein, dachte ich überrascht. Ich bin nicht außer Puste und trotzdem haben wir uns einen kleinen Puffer erlaufen. Ab dem Wörnersattel beginnt der Teil, weswegen wir hier sind. Mehr oder weniger kraxelnd soll es nun knapp 500 Höhenmeter bis zum Gipfel hinauf gehen. 2 Stunden werden üblicherweise veranschlagt. Der Blick nach oben flößt ein wenig Respekt ein. Ein Weg durch die Felsen ist von unten nicht zu erkennen. Uns überholt ein Alleingänger, der wohl den gleichen Weg hat, wie wir. Helm auf und los. Am Einstieg hängt ein Schild. Er ist nicht zu verfehlen. Des Weiteren ist der Weg inzwischen ganz gut markiert. Gegen die Sonne sind die roten Punkte nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen, doch es gibt sie. Am Einstieg müssen die Hände zu Hilfe genommen werden, danach zieht der Weg in steilen, schottrigen Kehren nach oben. Es liegt sehr viel loses Zeug rum. Immer schön aufpassen lautet die Devise. Wirklich schwierig ist der Weg nicht. Die Hände müssen im weiteren Verlauf auch immer mal wieder ran. Von richtigem Klettern sind wir noch ein Stück entfernt, wenngleich durchwegs immer Absturzgefahr besteht. Von exponiert will ich an der Stelle jedoch nicht sprechen. Was exponiert bedeutet, ist recht individuell, wie ich an anderer Stelle schon mal schrieb. Wir befanden uns auf dem gesamten Pfad nach oben in unserer Komfortzone. Nichts desto trotz zieht sich der Weg ziemlich hin. Inzwischen scheint auch die Sonne genau rein und die Hitze nimmt zu.
Auf ca. 2300m beginnt eine längere Querung mit einigem Auf und Ab nach Süden durch die Westflanke auf ausgetretenem Weg. Deren Ende ist deutlichst mit einem roten Pfeil nach oben markiert. Weiter geradeaus laufen ist hier keine gute Idee. Doch, wie gesagt, der Abzweig ist nicht zu verfehlen. Es folgt die Schlüsselstelle was die Kletterei angeht. Auf den nächsten Metern fühlt es sich ein wenig nach richtigem Klettern an. Ob es schon II ist? Keine Ahnung. Es macht Spaß und geht problemlos mit Bergstiefeln. Von diesem Punkt an bis zum Gipfel muss frau dann auch tatsächlich mehr klettern. Es ist kein Wanderweg mehr. Wir lassen ein paar wenige Menschen durch, die uns entgegen kommen. Zwischendurch überholt uns eine ganz nette Bergsteigerin, die sogar noch bis zu dem Alleingänger aufschließt, bevor beide den Gipfel erreichen. Kurz danach treffen wir ebenfalls dort ein und sind mit den anderen beiden alleine oben. Es weht eine angenehm kühle Brise. Für die Kraxelei brauchten wir etwa 1,5 Stunden. D.h. nach in Summe netto etwa 3:45h ab Parkplatz hatten wir die knapp 1600 Höhenmeter nach oben hinter uns gelassen. Mir geht es ganz gut bis auf die üblichen Problemchen mit meinen Füßen. Ein großer Onkel zickt ein wenig. Ich verpasse ihm ein Blasenpflaster. Kommt vom Klettern auf Zehenspitzen und wird mir auf dem Abstieg viel Freude bereiten. Aber jetzt sind wir erstmal oben und genießen den Moment. Die Fernsicht ist außerordentlich gut an diesem Tag. Wir entdecken ein paar alte Bekannte in der Ferne und stellen fest, dass wir schon wieder ein erstes Mal haben. Unser erster Berg im Karwendel ist bestiegen. Gipfelfoto mit Manni. Essen und trinken.
Auf dem Weg nach unten bekomme ich ein paar Probleme mit Krämpfen in Waden und Fußgelenken. Schwierigkeiten, die mich auch schon ein paar Jahre begleiten und für die ich bisher keine Lösung gefunden habe. Das einzige, was ein wenig zu helfen scheint, ist regelmäßig Futter und Trinken oben rein zu tun. Aber das braucht immer ein wenig Zeit, bis es ankommt. Die Hitze beginnt, mich zudem zu quälen. Ich mache mir Sorgen, ob der Getränkevorrat bis unten reicht. Wohlweislich hatte jede von uns noch eine Zusatztrinkflasche im Gepäck. Aber auch das ist endlich. Der Hinweis in der Literatur "nur für konditionsstarke" bekommt seine Berechtigung. Mit etwas Massage, Schimpfen und Zähne beißen erreichen wir fast 2 Stunden später auf dem Wörnersattel ebenen Boden. Das letzte Stück die schottrigen Serpentinen runter sind ziemlich nervig gewesen. Mein Mund fühlt sich an, als sei er innen mit Schmirgelpapier ausgekleidet. Wir entscheiden, entgegen dem ursprünglichen Plan, keinen Rundweg zu gehen, bei dem wir über die Rehbergalm abgestiegen wären. Die ist nämlich nicht bewirtschaftet. Ein Hinweis an die Menschen, die den Wörner als Rundweg machen wollen: Steigt über die Rehbergalm auf und über die Hochlandhütte ab. Dann kommt nämlich auf dem Rückweg ein Zapfhahn vorbei. Also auf zur Hochlandhütte. Dann sind Auf- und Abstiegsweg eben gleich. Dadurch schaffen wir es, uns auf der Hütte mit kühlen Getränken zu erfrischen und trotzdem noch genug zu trinken für den restlichen Abstieg zu haben.
Dort angekommen, läuft eine große Coke und direkt im Anschluss noch eine große Schorle rein. Wir ziehen die Schuhe aus und lassen Füße und Socken trocknen. Es ist überraschend wenig los. Macht nix. Ein kleiner Plausch mit der Wirtin. Ich genieße es, einfach nur im Schatten da sitzen zu dürfen. Meine Füße machen weniger Probleme, als ich dachte. Der Flüssigkeitsspeicher ist aufgefüllt. Alles gut. Irgendwas zwischen 800 und 900 Höhenmeter sind wir schon abgestiegen. Bis zum Parkplatz sind es auf gutem Weg nur noch rund 700. Und etwas schattiger als oben ist es auch. Wir wackeln los, gehen halbwegs gemütlich, schaufeln uns an einem Bach eine handvoll Wasser ins Gesicht und nach rund 1:20h ist das Stück auch geschafft. Es ist kurz vor 18 Uhr als wir das Auto erreichen. Brutto waren wir also um die 10 Stunden unterwegs. Netto, d.h. abzüglich der meisten Pausen und der Rast an der Hochlandhütte, sind es etwa 7:45 Stunden gewesen. Eine, wie ich finde, ganz gute Zeit. Kaputt gemacht haben wir uns nicht. Schließlich steht eine weitere Tour auf über 3000 Meter für das Wochenende noch an.