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Per Flugauftrag das erste Mal alleine fliegen, Mai und Juni 2022

Wie in meinem Artikel zu unserer letzten Alpinschulung beschrieben, war eben dieser gebuchte Kurs in vielerlei Hinsicht sehr enttäuschend verlaufen und musste dann auch noch wegen der anhaltenden Schlechtwetterphase mittendrin abgebrochen werden. Damit war für uns zunächst unklar, wie das Kapitel Gleitschirmfliegen überhaupt weitergehen soll. Weitere Kurse zu festen Terminen Monate im Voraus zu buchen, erschien nach unseren bisherigen Erfahrungen als völlig sinnlos, insbesondere unter der Prämisse, dass wir trotz Rund-um-Sorglos-Paket ab nun doch unsere Flüge in Form von Kursgebühren zahlen müssten. Mal abgesehen davon, dass wir auf die Auswahl der Fluglehrer keinen Einfluss haben und auf missgelaunte und unmotiviert wirkende Exemplare stoßen könnten, wie es bereits passiert ist.
Wir entschieden uns relativ schnell dazu, das Angebot der Flugschule in Anspruch zu nehmen, per sogenanntem Flugauftrag für ein bestimmtes Fluggebiet unsere fehlenden Flüge in Eigenregie zu erfliegen. Das ist die einzige Möglichkeit, wie wir es vielleicht doch noch schaffen, dieses Jahr zu einem Abschluss der Ausbildungsphase für den A-Schein zu kommen. Etwas zögerlich erteilte uns die Flugschule den Auftrag fürs Fluggebiet rund um den Hündlekopf in Oberstaufen. Ab jetzt lag der Fortgang damit in unseren eigenen Händen und die Herausforderung, alleine fliegen zu gehen, ohne Fluglehrer im Ohr und mit niemandem, der einem sagt, ob’s von den Bedingungen her passt, kommt dann natürlich ebenfalls mit. Andererseits sagte ich mir, wenn alle unsere Flüge, und das waren bereits über 40, allen Anforderungen genügen würden, um zu Prüfung zugelassen zu werden, würde man uns auch alleine auf die Menschheit loslassen.
Ob wir uns trauen, tatsächlich ohne Unterstützung abzuheben, dürfen wir Mitte Mai ausprobieren, denn es kommt ein Sonntag vorbei, an dem laut der einschlägigen Wetter- und Windprognoseseiten die Verhältnisse für den Hündlekopf passen könnten. Wir brechen früh auf, wollen mit Start der Bahn in einer Gondel sitzen und müssen davor erstmal den Landeplatz inspizieren, unseren Peilpunkt ablegen und insgesamt versuchen wahrzunehmen, ob die Prognosen sich mit den vorgefundenen Bedingungen decken. Das ist ja nicht immer selbstverständlich. Als Peilpunkt brachten wir uns eine orangefarbene Windfahne mit, die wir mit einem Stein beschwert auf der Landewiese platzierten. Ziel ist es, möglichst Prüfungsbedingungen herzustellen und nicht irgendwo runterzukommen, wie es später wohl eher der Fall sein wird.
Am Parkplatz der Hündlebahn angekommen weht ein deutlich spürbarer Wind, wobei die Böen laut Vorhersage nicht stärker werden sollten als etwa 20km/h, was fürs Landen ja nicht so schlecht ist. Am Landeplatz fühlt es sich ähnlich an und die Windrichtung scheint ebenfalls stabil zu sein. Entscheidung mit Bauchkribbeln: Wir fahren hoch und sehen uns den Startplatz an, von dem ich annahm, dass wir sicher nicht die einzigen sein werden, wenn die Bedingungen gut sind. Gut ist an der Stelle jedoch relativ, denn überraschenderweise sind wir völlig alleine. Mir persönlich ist es so lieber und ich vermute, die fehlende Thermik ist der Grund dafür, dass wir den ganzen Vormittag auch alleine bleiben, denn ein einfacher Abgleiter dauert hier um die 3 Minuten, was eingefleischte Pilot:innen wohl eher als langweilig empfinden werden. Mir hingegen ist nicht langweilig. Ganz im Gegenteil. Die Bedingungen am Startplatz empfinden wir ebenfalls als genau passend für uns mit einem leichten Wind von etwa 5-7km/h von vorne, was Ideal ist. Weil Astrid in den letzten Kursen immer mal wieder mit ihren Starts haderte, wobei uns die Ursache bekannt ist und sie sich inzwischen sehr verbessert hat, entscheiden wir, dass sie zuerst startet, um später nicht alleine oben zu stehen und ich ihr mit angemessenem Abstand folge, damit wir uns beim Landen nicht ins Gehege kommen. Die Spannung steigt, wir legen unsere Schirme aus. Mit einer Art pedantischer Gelassenheit versuche ich, die Nervosität während den inzwischen fast zur Routine gewordenen Handgriffen klein zu halten, was mir, glaube ich, ganz gut gelingt. Ähnlich, wie an Kletterstellen, die wir ungesichert gehen, blende ich alles aus, was mich stören könnte, bis ich alles erledigt habe. Es gibt keinen Raum für Schlampereien, denn es ist niemand mehr da, der im Zweifel eingreifen würde. Der Schirm muss ordentlich liegen, die Leinen müssen zweifelsfrei sortiert sein, die Tragegurte müssen korrekt eingehängt sein, das Gurtzeug muss vollständig geschlossen sein. Bevor ich mich umdrehe, gehe ich alle Punkte nochmal durch, bis rauf zum Helm ist alles Paletti. Etwa zur gleichen Zeit wird Astrid fertig und wir stehen beide Startbereit da. Ein Meilenstein in unserer Fliegerinnenkarriere liegt unmittelbar vor uns und wir sind beide ziemlich aufgeregt und angespannt. Gleichzeitig sind wir uns sicher, dass wir es können und keine groben Fehler bis dahin gemacht haben, auch wenn sonst niemand da ist, was mir immer noch etwas komisch vorkommt. Herzklopfen. Wie vereinbart, zieht Astrid als erste auf. Völlig ruhig. Die Kappe kommt rauf, sie bremst korrekt an, Kappe ist offen, alle Leinen sind frei, sie trifft die Startentscheidung, beschleunigt, hebt ab und fliegt raus. Ein Moment, den es nur einmal im Leben gibt. Es gelingt. Ein guter Start ins selbständige Fliegen.
Ich sehe ihr eine Weile hinterher, befinde, dass ihr Flug ganz unaufgeregt ist und als sie über die Seilbahn drüber in Richtung Position fliegt, entschließe ich mich, es ihr gleich zu tun. Jetzt klopft das Herz so richtig bis unter die Kinnlade, doch ich bin innerlich sehr zuversichtlich, dass ich das genauso gut hinbekomme, denn bei allen letzten Flügen in den Kursen hatte ich keinen einzigen Abbruch und die Bedingungen sowie das Startgelände waren nicht überall so lieb wie jetzt und hier. Ich gebe Impuls auf die Leinen, die Kappe steigt, ich bremse an, schaue nach oben und bin ziemlich sicher, dass alles offen und frei ist, bevor ich meine Startentscheidung treffe, beschleunige und sich der Boden unter meinen Füßen entfernt. Ich fliege. Die Nervosität legt sich augenblicklich etwas und ich halte Ausschau nach Astrid, die bereits in der Position am Kurven ist und sich damit ihrer Landeeinteilung befindet. Ich überfliege recht früh mit ausreichender Höhe die Seilbahn und fliege dann einfach geradeaus auf die Position zu. Wie gesagt, viel Zeit bleibt bei dem kleinen Höhenunterschied zwischen Start- und Landeplatz nicht, wenn keine Aufwinde oder Thermiken vorhanden sind. Die Prioritäten bei diesen ersten Alleinflügen liegen abgesehen davon lediglich darauf, die Bedingungen richtig einzuschätzen, sicher zu starten und zu landen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Kein Schnickschnack. Ich kann für mich sagen, dass ich es als befreiend empfand, keinen mehr im Ohr zu haben, der mir von unten sagt, was ich oben tun soll, was nicht selten in keiner Weise zusammenpasste und bei mir für unkontrollierte Popolandungen auf den umliegenden Wiesen sorgte, weil ich immer fest daran glaubte, dass der Mensch unten genau weiß, was ich tun soll. Bei diesen Gelegenheiten lernte ich, dass ich meinem Gefühl für Höhe und Timing beim Landen vertrauen kann, was ich jetzt unter Beweis zu stellen habe, denn alles andere wäre ziemlich blöd. Astrid landet derweil gegen den Ostwind ganz sanft in der Nähe des Peilpunktes. Zucker, hätte Hristo gesagt.
Als ich in der Position den ersten Vollkreis geflogen bin, habe ich ihn geistig im Ohr als er sagt, wenn du in der Position mit Blick auf den Peilpunkt darüber nachdenkst, ob sich wohl noch ein Vollkreis ausgeht, dann fliege ihn nicht mehr und nutze im Zweifel andere Techniken, um Höhe abzubauen. Nach einem Kreis verlasse ich deswegen die Position wieder und fliege einen etwas längeren Gegenanflug, biege in den Queranflug ein, fliege ein Stück an der Parkplatzkante entlang und leite dann die letzte Kurve nach links in den Endanflug ein. Ich bin noch ein klitzekleines Bisschen zu hoch, weswegen ich bereits im Queranflug aus dem Gurtzeug herauskam, um meinen Windwiederstand zu vergrößern. Im Queranflug hilft das noch nicht so viel, doch sobald ich gegen den Wind in den Endanflug gehe, macht es schon einen Unterschied. Der für mich schwierigste Moment ist immer der zu entscheiden, wann ein guter Zeitpunkt zum Abfangen ist. Es heißt zwar, man solle weit schauen und nicht gerade nach unten starren, weil man so die Höhe erst recht nicht einschätzen kann, doch ich komme für mich immer mehr dahin, dass eine Kombination aus beidem für mich zu guten Ergebnissen führt. Also blicke ich erstmal weit, suche mir eine Kante am Horizont, der ich mich immer weiter von oben nähere, prüfe jedoch gleichzeitig immer wieder mal mit Blick nach unten, ob sozusagen Weit und Nah zusammenpassen. Sobald ich den Eindruck gewinne, ich berühre gleich das Gras mit den Schuhen, ziehe ich die Bremsen gleichmäßig, je nach Wind mal mehr mal weniger schnell auf Bauchhöhe hinunter. Manchmal gibt’s nochmal ein klein wenig Auftrieb, manchmal gleite ich parallel bei sinkender Geschwindigkeit, dann bremse ich ganz durch, setze sanft auf und gehe nur noch ein paar Schritte aus, bis der Schirm hinter mir herunterfällt. Das Timing ist absolut entscheidend. Es gelingt mir. Ich bin zwar einige Meter über den Peilpunkt hinausgeflogen, doch es ist alles noch im grünen Bereich.
Die Freude ist riesengroß. Wir haben beide ein breites Grinsen im Gesicht. Das erste Mal alleine fliegen war perfekt verlaufen. Wir reflektieren kritisch unsere Erlebnisse und befanden, dass wir keine Unsicherheiten hatten, was Start, Flug oder Landung anging. Diese Hürde ist genommen. Packen, Bussi, drücken und dann gleich wieder rauf. Nochmal. Solange die Bedingungen so bleiben, nutzen wir die Zeit, denn die Grenzen, in denen wir das tun können, sind sehr eng gesteckt, zumal wir auf keinen Fall irgendein unnötiges Risiko eingehen wollen. Später dreht der Wind am Startplatz zu weit nach Osten, was bedeuten würde, wir müssten in Richtung der Seilbahnstützen starten. Das war der Moment, an dem wir uns einig gewesen sind, dass es gut ist für diesen Tag.

Mit zwei weiteren Terminen dieser Art, an denen die Bedingungen etwas länger gut waren, konnten wir unsere notwendigen Flüge komplettieren. Am letzten Termin fand sich sogar einer unserer Fluglehrer ein, der an diesem Tag frei hatte und einfach ein wenig fliegen wollte, bevor er in den nächsten Kurs nach Südtirol fährt. Er hat einfach nochmal einen Blick auf unser Tun geworfen, ohne dass wir darum gebeten hätten, denn wir wollten ihn schließlich nicht nerven, und fand ebenfalls, dass es insgesamt ganz gut aussieht.
Und nun sind wir für die nächste Prüfung im Allgäu angemeldet. Wird sicher wieder spannend und aufregend, doch wenn wir so fliegen, wie wir es jetzt getan haben, dürfte es klappen. Ich halte es sogar für vorteilhaft, vorher schonmal alleine geflogen zu sein und das nicht erst in der Prüfung ausprobieren zu müssen. Der Nachteil wird sein, dass wir möglicherweise in einem uns unbekannten Gebiet Prüfung fliegen müssen. Wir finden das heraus.

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