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Grundkurs Gleitschirmfliegen, 17.04.-20.04.2021, Paragliding Academy, Oberstaufen

Im Startartikel zum Thema Fliegen habe ich es bereits erwähnt. Der Gedanke geisterte schon länger durch unsere Gehirne. Doch es gibt einen Unterschied zwischen Wissen und Tun. Das als Eingesperrt sein empfundene Gefühl, wenn alle geplanten Bergtouren dieses Frühjahr schon wieder ausfallen, bringt uns schnell zum Tun. Fliegen lernen fällt in den Bereich der Erwachsenenbildung und ist demnach mit berufsbedingten Unternehmungen gleichgestellt. Innerhalb einer vergleichsweise kurzen Entscheidungsphase, fällt die Wahl auf "wir tun's" und die Paragliding Academy und deren Angebot, das Rundum-Sorglos-Paket Hike&Fly. Auf den ersten Blick bleibt mir kurz die Luft weg, denn ich habe keine kleinen Bausparer mehr, die ich kündigen könnte. Bei genauerer Betrachtung und dem Vergleich mit anderen Schulen relativiert sich der Preis jedoch. Klar ist es nicht "billig", doch das wollen wir ja auch nicht. Die "Billig, will ich"-Mentalität in D geht mir zudem auf die Nerven. Ich will ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und Menschen, mit denen ich kann. Mein erster Schritt: Ich schreibe Chris Geist, den Chef, an, frage nach Terminen und kläre über Milla auf. Wenn ich die Gelegenheit dazu bekomme, mache ich das gerne. Fremde Menschen, die mich nicht kennen, können sich auf mich einstellen und ich erfahre in der Regel extrem schnell, ob Menschen wie ich akzeptiert werden. Hier ist alles cool.

Es kommt sehr schnell, noch vor Terminbestätigung, die Frage von Chris zurück, welcher Schirm es werden soll? Er schlägt einige vor, nachdem ich unsere Körpergewichte durchgegeben hatte. Es wäre notwendig, schnell zu sein, wenn es ein Schirm werden soll, der nicht bei ihnen verfügbar ist. Die Hersteller hätten wochen- und teils monatelange Lieferzeiten. Wir recherchieren selbst ein wenig und sind uns schnell einig, dass wir beide den Advance Pi3 haben wollen. Einer der leichtesten Anfängerinnenschirme mit den besten Rezensionen. Der würde uns bis zum Start des Grundkurses nicht mehr erreichen, doch hier konnten wir zunächst auf einen Leihschirm ausweichen. Passende Gurtzeuge fanden wir bei einem Termin in der Paragliding Academy, bestens beraten und mit viel Geduld. Einen Rettungsschirm brauchen wir erst für die Höhenschulung. Im Grundkurs ist das noch überflüssiger Balast. Alles eingetütet und bezahlt werde ich bei heranrückendem Starttermin für den Grundkurs am 17.04.2021 immer aufgeregter. Im Nachhinein betrachtet stelle ich für mich selbst fest, dass ich eine relativ hohe Erwartungshaltung an mich hatte, was den Lernfortschritt angeht. Sieht ja bei anderen immer sehr leicht aus, wie das so funktioniert. Zack, Schirm aufgezogen, abgeflogen, fertig. Mmmhhh.... der Schirm wird mich Demut lehren.

Tag 1:
Es ist Samstag. Treffpunkt ist der Parkplatz an der Hündlebergbahn. Wir beginnen mit einem Corona-Selbsttest für alle. Es ist bewölkt. Die Fahnen am Parkplatz flattern ganz ordentlich im Wind. Ich denke mir noch nichts dabei. Sie werden wissen, was sie tun. Die gute Nachricht: Alle negativ. Wir starten zur ersten Übungswiese. Dort eingetroffen, bin ich etwas überrascht ob der Tatsache, dass erst vor wenigen Tagen hier jemand Mist im flachen Teil ausgefahren hat. Dieser jemand ist auch in diesem Moment aktiv und fährt den kleinen Hang über uns ab. Hristo, einer der beiden Fluglehrer, läuft zu ihm und sie einigen sich, dass der Bauer unseren Übungshang für diesen Tag ausspart. Astrid und ich tragen auf Anweisung derweil unser Geraffel Richtung Übungshang. Es folgt eine Einweisung, wie das mit dem Auslegen, mit dem Leinen sortieren und dem Einhängen so geht. Ziel für heute soll sein, alle können ihre Schirme aufziehen und mit ihnen über sich den kleinen Hang hinunter spazieren. Nicht mehr und nicht weniger. Oben und unten stellte Christian, der zweite Fluglehrer, Windsäcke auf, die immer wieder waagerecht in der Luft standen. Und dann beginnt das Drama "Milla und ihr Gleitschirm".

Bereits beim Versuch, das Ding einfach nur flach auf die Wiese zu legen, verliere ich fast die Nerven. Ein ewiges Gerenne, weil der Wind permanent irgendeinen Zipfel zu fassen bekommt und nichts so liegen bleibt, wie ich das will. Bis ich dazu komme, Leinen zu sortieren, unternahmen andere bereits erste Gehversuche. Ich wurschtelte mit meinen Leinen rum, immer wieder vom Wind in meinem Schirm unterbrochen. Der Schweiß tropft. Ich ziehe was aus. Husch... Wind rein. Alles wieder von vorne. Ich brauche ungelogen eine dreiviertel Stunde bis ich soweit bin und das erste Mal in meinem Leben versuche, einen Gleitschirm über mich zu bekommen. Das scheitert grandios. Ich weiß gar nicht, was eigentlich passiert, wundere mich lediglich über die enorme Kraft, die der gesamte Versuchsaufbau plötzlich inne hat. Und dann ist es auch schon vorbei. Das Gefriggel am Boden geht wieder los. Mehr brachte ich am gesamten Vormittag nicht zu Stande.
Die Fluglehrer entscheiden indes, dass zu viel böiger Wind weht. Die Schirme vorwärts aufzuziehen und mit ihnen durchs Feld zu gehen, wird für uns Anfänger:innen ein unlösbares Problem. Wir ziehen in den flachen Teil um, wo der schöne Mist mit Stroh drin großflächig verteilt ist. Christian zeigt, wie die Standardmethode des Rückwärtsaufziehens funktioniert. Neues Ziel: Jeweils zu zweit soll eine rückwärts aufziehen und dann versuchen, den Schirm über sich zu halten. Die andere soll direkt an der Frau mit Schirm bleiben, um ein ungewolltes Abheben zu unterbinden. Die Böen waren so stark, dass ein Abheben für Anfänger:innen nicht zu vermeiden gewesen ist. Ein neuer Kampf beginnt. Milla ist der Verzweiflung nahe. Es gelingt nix. Schon mit der seitenverkehrten Steuerleine tue ich mich so schwer, dass die ersten wahrscheinlich 10 Versuche sofort mit völlig verwickeltem und verdrehtem Zeug am Boden enden. In den Leinen hängt zudem ständig Mist und Stroh. Ein einziges Mal schaffe ich es, für ein paar Sekunden unter dem Schirm zu bleiben und ansatzweise so etwas wie Steuern zu versuchen. Ich nehme zwar wahr, dass alle zu tun haben und einige auch tatsächlich quer durch den Acker gezogen werden, weil ihr Security-Mate nur blöd in der Gegend rum guckt, doch mein Gehirn gibt mir vor, ich könne noch viel weniger. Immerhin passt Astrid sehr viel engagierter auf mich auf und hilft ganz tatkräftig beim Schirmzurechtlegen als ich das bei anderen beobachte. Wir tauschen. Astrid ist am Schirm, ich halte sie am Gurtzeug und passe auf, dass sie in keine Gräben läuft und nicht stolpert. Ihr gelingt es deutlich häufiger, den Schirm oben zu halten. Teilweise sogar so lange, dass wir an den Rändern der Übungsfläche den Schirm aktiv zum Boden bringen müssen. Ich freue mich für sie. Mir wird wieder bewusst, wieviel Bewegungserfahrung ich in meinen jungen Jahren durch Nichtstun verpasst habe. Ein Nachteil, der nie wieder aufgeholt werden kann.
Nachdem der Wind noch weiter aufgefrischt hatte, hauen die Fluglehrer Hristo und Christian einen Pflock für heute rein und brechen ab. Wir lernen noch, wie ein Schirm zusammengelegt wird (viele Hände sind nötig und der Windschatten des Flugschulbusses) und machen noch ein wenig Theorie im Windschatten des Bauernhauses in der Nähe. Beide betonen, wir sollen uns nicht von den Ergebnissen heute entmutigen lassen. Wir hätten alle für diese Verhältnisse einen super Job für den ersten Tag gemacht. Meine Zweifel werden davon nicht ausgeräumt. Ich bin mit mir selbst nicht zufrieden und suche die Ursachen für alle Missgeschicke des Tages bei mir. Zu hoch gegriffen. Wird wohl nix mit Fliegen.

Tag 2:
Glaubt frau der Wettervorhersage, sollte es am frühen Vormittag dieses Sonntags zu regnen beginnen und nicht mehr aufhören. Wir brechen trotzdem zu einem anderen Übungsgelände auf. Noch ist es zumindest von oben trocken. Zum Übungsgelände müssen wir mit dem Flugschulbus shuttlen. Es gibt zu wenig Platz zum Parken. Als ich dort eintreffe, stelle ich fest, dass es schlimm matschig am Hang ist. Na, das wird lustig. Ich bin ein kleines Bisschen froh, dass ich den Leihschirm dreckig mache und nicht meinen schönen weißen neuen Pi3. Das Drama des Vortages setzt sich fort. Zunächst beginnen wir mit der eigentlichen Übung des Vortages auf etwa halber Hanghöhe. Schirm aufziehen, stabilisieren und spazieren führen. Milla schafft bis Mittag keine dieser Anforderungen. Aufziehen im Sinne von, ja, der Schirm kommt zumindest vom Boden hoch, gelingt irgendwann mal. Doch ich habe keinen blassen Schimmer, wo der Schirm ist, was ich in welcher Intensität tun sollte, wo und in welcher Haltung sich mein Körper befindet und schon gar nicht, was meine Hände in der Zeit tun. Die Fluglehrer geben sich über Funk alle Mühe, alle diese Fragestellungen in den wenigen Sekunden des Versuchs zu klären. Doch ich kann wenig bis nichts davon umsetzen. Bums. Die Kappe knallt vor mir in die Wiese. Ah, jetzt geht's. Ähm, nö, die Kappe haut zu einer Seite ab, Milla läuft stur weiter. Kappe kippt seitlich auf den Boden. Nächster Versuch. Milla kommt ein kleines Stück weiter, hängt, wie ein alter Sack nach hinten, rutscht durch die aufgeweichte Wiese, Kappe fällt genauso schnell hinten wieder runter, wie sie hochgekommen ist. Priml. Bei einem Versuch, zieht mich der Schirm zu guter Letzt noch ein Stück durch den Acker. Matsche von Kopf bis Fuß. Alles Mist.
Astrid stellt sich da ganz anders an. Sie hat zwar auch einige Fehlversuche, hat jedoch zunehmend das Geschehen unter Kontrolle. Sie wird als eine der ersten angewiesen, von ganz oben am Hang ihre Versuche zu starten. Ehe ich mich versehe, macht sie als eine der ersten ihren ersten Hüpfer. Ich freue mich für sie, bin selbst dadurch noch etwas mehr deprimiert. Das Problem bei ihrem ersten Hüpfer: Sie ist so darüber erschrocken, dass der Boden unter den Füßen weg ging, dass sie sofort beide Steuerleinen ganz nach unten zog. Ein fataler Fehler. Der vergrößerte Widerstand an der Kappe lässt den Schirm ein Stück steigen und auf Null bremsen, bevor er mit samt Astrid wie ein Stein zu Boden fällt. Eine nicht ganz ungefährliche Situation. Sie hatte Glück, dass sie nicht viel mehr als einen Meter in die Luft ging.
Beim nächsten Versuch hat sie es besser gemacht. Hebt ab, fliegt, landet. Immer mehr aus der Gruppe schaffen das. Nur Milla nicht. Die hat es zwischenzeitlich nochmal durch den Acker gezogen. Die Windverhältnisse sind auch an diesem Tag wirklich nicht ideal. Andere zeigen mir, dass sie damit besser zurecht kommen. Gut, hilft nix. Nochmal in den halben Hang einen möglichst bewachsenen Flecken finden. Nochmal auslegen, Leinen sortieren. Der Erwartungsdruck, den ich in mir für mich selbst aufbaue, bekommt erneut einen Schlag ins Gesicht. Als wir am Nachmittag zusammenpacken, ist mir genau ein einziger Minihüpfer gelungen. Lustigerweise hatte ich unmittelbar vorher ein kurzes Gespräch mit dem Chef persönlich. Er half mir sogar beim Auslegen. Wirklich ein netter Mensch. Ich bin von oben bis unten mit Matsche verschmiert. Bevor wir zurück shuttlen, gibt es in der Wiese noch ein wenig Theorieunterricht. Geregnet hat es übrigens den ganzen Tag nicht. Erst später am Abend fielen ein paar Tropfen. Auf dem Rückweg in unsere Unterkunft lasse ich meine Zweifel raus. Ich gehe davon aus, ich werde das nicht lernen. Astrid erinnert mich an unseren Tiefschneekurs vor einigen Jahren. Milla liegt 3 volle Tage im Schnee rum. Am vierten Tag macht es "Klick". Milla fährt Ski. Die Alternative für den Kurs ist einfach, sagt Astrid: Wir brechen das einfach an der Stelle ab, hauen ein Ei drüber und gehen weiter zu Fuß von den Bergen runter. Diese Enttäuschung will ich ihr nicht antun. Ich werde es weiter versuchen.

Tag 3:
Hey, ab und zu scheint an diesem Tag sogar die Sonne. Wir sind zum sogenannten Finkennest gefahren. Ein Hang, der für ein etwas weiteres Windrichtungsprektrum geeignet ist. Kein Matsch. Der Wind wechselt immer mal wieder und kleinere Böen gibt es auch. Insgesamt aber schon viel besser als die letzten beiden Tage. Ansage der Fluglehrer, die uns ins Gelände einweisen: Wir sollen nach Möglichkeit nicht ins Feld des angrenzenden Bauernhofes fliegen. Der Bauer am unteren Ende der Übungsgeländes möchte das nicht. Wir hätten aber Glück, denn im Sommer markiert er seine Grenze mit Stacheldraht und Weidevieh, was zu diesem Zeitpunkt noch nicht da war. Wir beginnen das Spiel des Vortages. Ich nehme wahr, dass viel Testosteron in der Luft ist. Die überwiegend männlichen Kursteilnehmer wollen nach den Erfahrungen des Vortages unbedingt fliegen. Rücksichtslosigkeit breitet sich am Startplatz aus. Alle wollen vorne sein, wollen möglichst viele Starts versuchen und als der erste dann tatsächlich fliegt, sind alle ethischen und moralischen Grenzen aufgeweicht. Das geht soweit, dass die Fluglehrer einschreiten müssen. Einer ist so besessen, endlich abzuheben, dass er alle Vorsicht fahren lässt und geradewegs versucht, in einen Baum bzw. in den angrenzenden Bauernhof zu starten. Auf den letzten Drücker hebt er ab und kann ausweichen. Auszeit. Es folgt die Anweisung, alle treffen sich zu einem Sit-in. Es werden klare Worte gesprochen, was das für eine miserable Aktion war.
Meine Startversuche an diesem Tag sind immer noch auf dem gleichen schlechten Niveau, wie die letzten beiden Tage. Ich habe das Gefühl, alle um mich herum machen Fortschritte und heben immer wieder mal ab. Nur ich nicht. Kappe fällt nach hinten, Kappe fällt nach vorne, zur Seite, Milla läuft in Rücklage, zappelt mit den Armen, der Schirm weiß nicht, was er tun soll und landet einfach ohne mich. Und so weiter. Ich bin den Tränen nahe und ärgere mich über mich selbst. Die Fluglehrer, insbesondere Hristo, geben sich viel Mühe, besprechen meine Fehler immer häufiger mit mir im Einzelgespräch. Das tun sie auch mit anderen, da es immer größere Unterschiede im Könnensstand gibt. Ich merke, dass meine mentale Grenze bald erreicht ist. Es geht irgendwie nicht weiter. Gleichzeitig macht mir die gefühlte Rücksichtslosigkeit anderer Teilnehmer immer mehr zu schaffen. Ich ziehe mich auf die äußeren Positionen zurück, wo der Wind immer weniger gut anströmt, weil mir das Gehakel mit den anderen auf die Nerven geht. Doch von dort aus gelingt noch weniger. Hristo fällt das irgendwann auf und delegiert mich vor allen anderen an die günstigste Position. Ist mir peinlich. Hristo besteht darauf. Und hier, endlich, starte ich das erste Mal vernünftig, fliege ein kleines Stück und lande, ohne mich abzulegen. Es folgen weitere Fehlversuche. Nur ein kleiner Hüpfer geht noch an diesem Tag. Milla ist mit Fliegen fertig. Eine harte Erkenntnis. Hatte ich mir alles viel einfacher vorgestellt. Doch es soll wohl nicht sein. Wir setzen uns noch eine Weile in die Wiese zum Theorieunterricht. Mein gefühlt letzter Tag in Sachen Gleitschirmfliegen geht zu ende. Innerlich bin ich zerrissen. Schließlich will ich Astrids Traum nicht platzen lassen. Bei ihr ist es super gelaufen. Sie hat mehrere kleine Flüge machen können.
Zurück in der Unterkunft sprechen wir darüber. Mit dem Umstand, sie enttäuschen zu müssen, komme ich nicht klar. Ich weiß keine Ausfahrt aus der Situation. Ich schlage vor, dass sie einfach alleine zum Fliegen geht. Kommt für sie natürlich nicht in Frage. Wir machen an dem Abend eine ziemlich lange Videoschaltung zu Alex und Manuel, die ja auch mitten in der Ausbildung stecken. Dass nicht alles gleich so funktioniert, wie ich mir das vorstelle, sei für sie völlig ok. Ich werde das schon noch lernen. Ich solle mir keine Sorgen machen. Bei ihnen ist auch nicht alles gleich von Anfang an glatt gelaufen. Wir bekommen halt immer nur die Dinge mit, die prima waren. Aufnahmen von gescheiterten Versuchen zeigt halt niemand.
Ich tue noch etwas: Ich sehe mir genauestens Videos von perfekten Starts an. Beim Skifahren hat mir das auch geholfen. Ich denke außerdem über meine Einstellung zu der Sache nach. In mir kommt eine kleine Erkenntnis hoch, dass ich mir mit meinen Erwartungshaltungen an mich selbst schlichtweg selbst im Weg stehe. Darüber hatte ulligunde mal was geschrieben (https://ulligunde.com), worin ich mich sofort wieder erkannt hatte. Es gibt ja nix zu verlieren. Ich werde den letzten Tag des Grundkurses noch machen und dann die Karten neu mischen.

Tag 4:
Wir sind wieder an dem Übungshang von Tag 2. Im Flugschulbus bereits nehme ich mir vor, mich nicht über den Matsch zu ärgern und die Sache gemütlich angehen zu lassen. Kein Druck. Was geht, geht. Was nicht geht, geht halt nicht. That's it. Am Übungsgelände angekommen, steige ich aus dem Bus, nehme mein Zeug auf und steige ganz langsam mit kleinen Schritten den Hang hinauf. Bereits dabei bemerke ich, dass es überhaupt nicht mehr so matschig ist. Die Sonne kommt raus. Der Wind ist kaum spürbar. Eine Kursteilnehmerin -die einzige andere Frau außer uns beiden- ist schon oben. Ich blicke immer wieder mal zu ihr hin. Als sie startfertig ist, zieht sie auf, läuft, hebt ab, fliegt. Ich bin überrascht. Die vergangenen Tage sah das bei ihr ganz anders aus. Wenig später bin ich als eine der ersten an diesem Tag dran. Der Schirm ist ausgelegt, die Leinen sortiert. Mein Gurtzeug ist geschlossen, ebenso mein Helm. Der Wind steht gut. Wenn ich soweit wäre, könne ich starten, höre ich im Funkgerät. Ich gebe Impuls auf die Leinen, die Kappe kommt hoch, ich ziehe im richtigen Moment in der richtigen Dosierung die Bremsen, die Kappe kommt über mich, bleibt stabil stehen. Das hat es die letzten 3 Tage kein einziges Mal gegeben. Ich beschleunige, hebe ab und fliege. Als hätte ich noch nie etwas anderes getan. Irre. Die Landung nach einer Linkskurve ist butterweich. Ich gehe wenige Schritte aus, drehe mich um, die Kappe sinkt hinter mir ordentlich ausgebreitet zu Boden. Schon bereit für den nächsten Start. Bin kurz fassungslos. Es geht einfach. Offensichtlich geht es der ganzen Gruppe so. Einer und eine nach dem oder der anderen startet, fliegt, landet. Es gibt praktisch keine Ausfälle. Unglaublich. Ich packe meinen Schirm zu einer ordentlichen Tulpe zusammen und steige wieder ganz gemächlich den Hang hinauf. Bis oben hin. Der Wind hat etwas gedreht. Ich lege meinen Schirm erneut aus, sortiere die Leinen, was mir viel besser von der Hand geht als in den letzten Tagen, bin schon eingehängt und muss nichts weiter tun. Als das Startsignal durchs Funkgerät kommt, starte ich einfach, hebe ab, fliege eine Kurve in die andere Richtung, lande gegen den Wind butterweich. Fertig. Auf diese Weise schaffe ich an diesem Flugtag mit ausgeprägter Langsamkeit und Gelassenheit 10 Flüge. Kein einziger Fehlstart, keine harten Landungen. Zwischendurch sehe ich Astrid zu. Sie hat Talent zum Fliegen. Bei ihr schaut das sehr entspannt und kontrolliert aus. Fein. Hätte ich im Leben nicht gedacht, dass der letzte Tag so ein Erfolg werden könnte. Gegen Mittag gibt es lange Phasen in denen der Wind von hinten anweht. Alle bleiben ruhig. Das Testosteron ist verschwunden. Alle sind viel gelassener als gestern. Essen, Trinken, Quatschen, Sonne genießen. Am Ende geht sich noch der eine oder andere Flug aus. Weil die Rettungsschirme noch in die Gurtzeuge eingebaut werden müssen, hören wir zeitig auf. Bei mir bleibt ein sehr positives Gefühl zurück und ich glaube, das könnte doch noch was werden.

Für die meisten anderen in der Gruppe schließt sich am nächsten Tag die Höhenschulung an. Deswegen mussten alle Retter eingebaut sein. Für Astrid und mich folgt eine längere Pause. Wegen der verfügbaren Termine und der Kinderwochenenden beginnt unsere Höhenschulung erst Ende Mai. Rückwirkend betrachtet gar nicht so schlecht, denn die Bergbahnen fahren mit großer Wahrscheinlichkeit bis dahin wieder und eröffnen etwas mehr Möglichkeiten. Gerade, was die Flüge über 500m über Grund angeht.
Ich bin heile froh, dass ich diese Kurve bekommen habe und freue mich auf viel Luft unterm Popo. Bis dahin werden wir einiges an Theorie lernen (müssen). In der Höhenschulung findet neben viel Fliegen, vielen Stunden Theorieunterricht auch die theoretische Prüfung statt. Zeit zum Lernen bleibt in diesen Tagen wenig.

Weil ich danach gefragt wurde, ob meine Transidentität ein Problem in der Schule oder der Gruppe gewesen wäre, hier noch eine Antwort für alle darauf: Nein. Überhaupt kein kleines Bisschen. Die Fluglehrer waren entspannt, die meisten Teilnehmer:innen auch. Niemand sah mich schief an oder war gar respektlos. Manche Menschen sind zurückhaltender als andere, die vielleicht mit angemessener Neugier fragen. Doch das ist normal. Alles gut. Dafür, dass ich es den Menschen um mich herum in Berg- und Sportklamotten nicht gerade leicht mache, mich als Frau wahrzunehmen, hat es außerordentlich gut funktioniert.

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