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Flugwochenenden in Saalfelden und Interlaken, 08.-11.06.2023 und 16.-18.06.2023

Seit wir Heidi kennengelernt haben, ist sie bei fast jedem Flug dabei, insbesondere dann, wenn wir am Startplatz stehen und abwarten, dass der Rückenwind nachlässt oder sich gar in Wind von vorne verwandelt. Als der Wind damals am Startplatz leicht von hinten kam, meinte sie in ihrem Schweizer Dialekt, dass sie schon weiß, dass die Deutschen nicht so gerne bei Rückenwind starten und fragte Astrid, die startbereit da stand, sich wegen des Wind von hinten aber nicht traute aufzuziehen: „Astrid, kannst du schnell laufen? Dann lauf.“
Sie ist dann auch gestartet und alles war gut, obwohl es gegen alles sprach, was uns in der Flugschule eingebläut wurde.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, sei an der Stelle angemerkt, dass wir über einen vielleicht geländebedingten Rückenwind von maximal 2-3 km/h reden. Wir standen definitiv nicht im Lee eines überregionalen Windes, der über die Kante pfeift, oder sowas. Das wäre wirklich gefährlich. Kopf einschalten ist schon wichtig.

Jedenfalls finden wir Heidi total nett und lernen, dass sie aus Interlaken kommt und als angehende Fluglehrerin arbeitet. Wir tauschen Nummern aus, bleiben in Kontakt und verabreden uns zum Fliegen in Interlaken, sobald sich was zusammengeht. Das dauert ein Weilchen, denn zu den Zeiten, an denen wir fliegen gehen könnten, macht uns das Wetter mehr oder weniger das ganze Frühjahr hindurch einen Strich durch die Rechnung. Nur an ganz vereinzelten Tagen mit wochenlangen Abständen dazwischen erwischen wir mal ein Fenster für den einen oder anderen Abgleiter. Bisschen mager.

Im Juni wird dann endlich das Wetter besser und fliegbarer, weswegen wir das Fronleichnams-Wochenende bei Alex und Manuel in Saalfelden zum Fliegen verbrachten. Die haben nämlich auch superschöne Fluggebiete direkt vor der Haustür und wir lernen in einigen Hike&Flies den Biberg kennen, die Schwalbenwand und ein drittes Hangsoaring-Gebiet, dessen Name ich hier nicht nennen will, weil nur Pilot:innen dort fliegen dürfen, die im ortsansässigen Verein sind und wir zumindest in Begleitung solcher Menschen unterwegs waren. Dort haben Astrid und ich unsere bisher längsten Flüge gemacht. Meine Hürde dabei war eigentlich nur, mich zu trauen zu starten, denn der Talwind hat schon ordentlich Gas gegeben und kam auch nicht ganz aus der idealen Richtung, doch nach dem Aufziehen ging’s fast wie im Fahrstuhl nach oben, aber ganz sanft, meistens mit weniger als 1m/s. Die Landung hab‘ ich ein wenig verkackt, denn zum einen bin ich zwar knapp aber doch auf einem verbotenen Terrain gelandet und außerdem stand das Gras so hoch, dass kaum abzuschätzen war, wann der Boden da ist. Egal, ging gut, zum Thema landen werde ich von Heidi dann eine Woche später was lernen. Die Tage in Saalfelden haben jedenfalls super viel Spaß gemacht.
Dort hatte ich Gelegenheit, Manuels Leichtgurtzeug mal zu fliegen. Da löffeln Astrid und ich ja schon länger dran rum, wobei die Schwierigkeit darin besteht, eines zu finden, dass auch passt, denn die meisten sind nur in einer Einheitsgröße zu haben. Mein Thema ist die Länge meiner Beine, was dazu führt, dass ich in fast allen Leichtgurtzeugen, in denen ich bisher saß, das Gefühl hatte, vorne auf der Kante zu klemmen, weil die Beinauflage immer schon in der Mitte meiner Oberschenkel zu Ende war. Fühlt sich in der Luft nicht besonders angenehm an, wie ich von meinem ebenfalls zu kurzen Advance Easiness schon weiß. Sehr lässig fand ich, dass ich meinen 25er Pi3, Leichtgurtzeug mit Protektor und Retter und Wechselkleidung zusammen in meinen 38 Liter Hochtourenrucksack bekommen habe. Der lässt sich wesentlich besser tragen als das Wendegurtzeug, dass ich bisher benutzte. Dass Manuels Gurtzeug für mich nix ist, wusste ich ziemlich schnell, denn auch dort ist der Sitz zu kurz und das gibt’s nur in einer Einheitsgröße. Aber trotzdem eine gute Erfahrung. Sonntags war dann der Wind nicht mehr gut und wir nutzten die Gelegenheit, auf dem Heimweg auf dem Testival in Kössen vorbei zu schauen, mit dem Ziel, weitere Leichtgurtzeuge einer Sitzprobe zu unterziehen, wie wir es im Januar schonmal auf der Thermikmesse in Stuttgart machten. Witzigerweise treffen wir Claude von Neo wieder, die wir bereits vom Frauenfliegen in Lenk und von der Thermikmesse kennen und obwohl ich in Stuttgart bereits im Neo String in mehreren Größen saß und mich darin nicht so richtig zu Hause fühlte, war das Gefühl jetzt ganz anders. Selbst in M saß das Gurtzeug besser als alles andere, was ich bisher ausprobierte. In „L“ war es grad verliehen, deswegen war Probesitzen nicht möglich, doch ich ahnte, dass das ganz gut werden könnte. Im Anschluss daran fuhren wir bei einem weiteren Laden für Gleitschirmzeug in Kössen vorbei, dessen Besitzerin Alex und Manuel kennen. Hier, endlich, gab’s auch das neue Advance Strapless zum Probesitzen, auf das wir schon seit der Messe gewartet haben, denn dafür soll in Kürze auch ein Protektor verfügbar sein. Astrid fühlte sich darin gleich wohl und zwar mindestens genauso, wie im Neo String, für mich jedoch sind auch dort die Beinauflagen zu kurz und auch zu eng. Advance wird’s für mich also nicht.

Kurzum, zu Hause angekommen, drückte ich für zwei Neo Strings, zwei passende Protektoren, zwei Beschleuniger und zwei Frontcontainer für den Rettungsschirm auf den Knopf. Die Sachen kamen dann auch noch rechtzeitig vor unserer Fahrt zu Heidi nach Interlaken und ich stellte bereits zu Hause, nachdem ich mich im Carport aufhängte, fest, das Neo String in L ist genau richtig für mich. Einzige Schwierigkeit jetzt: Der Rettungsschirm muss aus dem Easiness in den Frontcontainer umgebaut werden. Mmmhhh…. Ist das kompliziert, brauchen wir da einen Fachmann/eine Fachfrau oder schaffen wir das auch selbst?
Ich recherchiere, finde bei Advance eine detaillierte Anleitung, wie der Retter in den Frontcontainer zu packen ist, lerne, dass ich die Innencontainer wieder brauche, mit denen unsere Rettungsschirme ausgeliefert wurden und die ich natürlich noch zur Hand habe und dass alles kein Hexenwerk ist. Die Retter wurden damals von jemandem aus unserer Flugschule aus dem mitgelieferten Innencontainer in den zum Gurtzeug passenden um- und eingebaut und die K-Prüfung besteht eigentlich nur daraus, zu überprüfen, dass der Schirm im Gurt sitzend auch ausgelöst werden kann. Schaffen wir.
Noch am gleichen Abend sind beide Retter in den Frontcontainern verstaut, jede hat ihren eigenen selbst umgepackt, und wir führen eine K-Prüfung durch, die wir auch dokumentieren. Auslösen geht. Na dann, auf in die Schweiz zum Fliegen. Wir haben eine kleine, zwar etwas alt wirkende, aber ansonsten gut ausgestattete und saubere und für Euro-Gehaltsempfängerinnen bezahlbare Ferienwohnung in der Nähe des Landeplatzes am Thuner See in Interlaken, die nicht ganz leicht zu finden war. Was in der Schweiz teilweise an Preisen für die letzten heruntergekommenen FeWos aufgerufen wird, ist echt abgefahren. In Lenk sind wir im Herbst davor auf so ein unterirdisches Exemplar hereingefallen. Aber jetzt ist alles gut. Für Samstagmorgen sind wir mit Heidi und ihrer Freundin Ulla recht früh für einen Hike&Fly verabredet, denn wir müssen zusehen, dass wir bis Mittag wieder gelandet sind, sagt Heidi. Der überregionale Nordwest-Wind und die mit der Sonneneinstrahlung entstehenden Talwinde addieren sich im Laufe des Tages und dann wird fliegen sehr ungemütlich bis unmöglich und so sitzen wir alle vier morgens um 7 Uhr im Auto mit dem Ziel Brienz. Ulla ist auch eine schlimm Nette. Das wird Spaß machen.

Wir steuern als erstes den Landeplatz Lauenen an, um uns einen Überblick zu verschaffen, wo wir später aus der Luft hin müssen und Heidi macht noch eine kurze Landeplatzeinweisung, bevor wir das Auto etwas entfernt auf einen Wanderparkplatz stellen und von dort zu Fuß die knapp 1000 Höhenmeter Anstieg zum Startplatz Hofstetter Gummen beginnen. Unterwegs ist viel Zeit, schön zu quatschen, mir macht es immer eine riesige Freude, unter Frauen als Frau akzeptiert zu werden, was nicht selbstverständlich ist. Den meisten Menschen sehe ich an, wenn sie mich nicht so akzeptieren, wie ich bin und dann habe ich wenig Lust, mit solchen Menschen auch nur eine Sekunde meiner freien Zeit zu verbringen. Kommt zum Glück nicht so oft vor. Heute brauche ich mir über solche Dinge meinen Kopf nicht zu zerbrechen, Heidi und Ulla sind völlig tiefenentspannt. Wir steigen gemeinsam zum Startplatz auf, wo wir noch zwei andere Piloten treffen, rasten ein wenig, richten unser Zeug zum Starten her. Ich werde das erste Mal mit der neuen Ausrüstung fliegen, die Bedingungen passen als wir gegen viertel nach elf nacheinander aufziehen und starten. Naja, bis auf mich natürlich. Ich muss zwangsweise den Start abbrechen, denn ich stolpere beim Ausdrehen über einen Graspuschel und ich bin mir ehrlich gesagt im Nachhinein auch nicht sicher, ob ich meinen Schirm überhaupt richtig herum eingehängt hatte. Als mir Ulla beim Auslegen hilft, stehe ich auf einmal da und die Tragegurte sind genau verkehrt herum, nämlich fürs Linksausdrehen, eingehängt, was ich normalerweise nicht absichtlich tue. Es könnte sein, dass sich alles einmal nach dem Abkippen der Kappe gedreht hat, ist aber unwahrscheinlich. Ich denke eher, es war einfach mein Fehler. Peinlich. Ich korrigiere das, ziehe anschließend vorwärts auf, weil auch der Wind nachgelassen hat und fliege weg. Das schöne, wenn Frau mit Frauen fliegen geht, es gibt normalerweise kein blödes Gerede. Man hilft sich einfach, damit alle ihr Ziel erreichen, Diskussionen und Belehrungen braucht’s an der Stelle nicht. Wäre mir so etwas am Tegelberg passiert (und das ist es tatsächlich schon), hätte ich sofort von den Schlange stehenden Testos deren Belehrungen und unsinnige Kommentare an den Kopf geworfen bekommen. Nur geholfen hätte keiner.

So, ich fliege. Thermik und Aufwind erwische ich wenig bis gar nicht und so ist schnell klar, dass es ein Abgleiter wird. Deswegen schaue ich gleich, ob ich den Landeplatz von oben entdecken kann und ja, ich finde ihn. Zwischenzeitlich versuche ich herauszufinden, wie es mir mit dem Leichtgurtzeug geht und ich muss sagen, der Kontakt zum Schirm ist viel direkter als beim Easiness. Ich rutsche allerdings nicht von selbst ganz rein, sondern ich muss die Beinauflagen von Hand etwas vorziehen, was aber auch bei dem leichten Fetzen Dyneema-Tuch nicht verwundert. Nur mit meinem Frontcontainer habe ich ein Thema bzw. mit dem Vario, dass dort jetzt statt auf meinem Bein seinen Platz gefunden hat. Es ist vollständig zu meinem Körper hingewandt, so dass ich es nicht ablesen kann. Da muss ich nochmal was dran ändern. Für den Moment hebe ich den Container einfach an und kippe ihn ein wenig nach hinten, womit es für diesen Flug erstmal geht. Ansonst ist alles tipptopp. Ich fliege überm Landeplatz meine Einteilung und komme perfekt runter, allerdings mache ich wieder den gleichen Fehler, wie so oft: Mein Kopf weigert sich zu laufen, weil er denkt, ich bin viel zu schnell über Grund und weil das noch nicht dämlich genug ist, gibt er mir auch noch vor, ich müsse mit beiden Füßen gleichzeitig aufsetzen, um den Stoß abfangen zu können. Tja, so wird die bis dahin perfekte Landung am Ende doch wieder ein Stolperer, der von Astrid gefilmt wurde. Das passiert mir ziemlich oft, gerade bei Nullwindlandungen, wie heute. Ist mir peinlich, aber ich weiß auch nicht, was genau ich anders machen muss.
Nachdem alle gelandet und die Schirme zusammengepackt sind, sitzen wir im Gras, es ist kurz vor Mittag, dösen vor uns hin und Astrid spricht nochmal das Thema Landung an. Ich versuche zu erklären, warum das fast immer Sch… läuft bei mir und dass ich es nicht auf die Kette bringe, die Ursache abzustellen. Heidi schaut sich daraufhin mal das Video an und gibt mir gleich eine Rückmeldung dazu, was da schiefläuft. Unmittelbar vor dem Aufsetzen schaue ich nur nach unten, was es schwierig macht, die Höhe tatsächlich korrekt einzuschätzen. Es ist besser, sich weiter vorne einen Bezugspunkt zu suchen. Und dann hebe ich zeitgleich die Beine hoch, weil ich ja die Geschwindigkeit, so mein Kopf, nicht laufen kann. Das ist Käse. Ich bin nicht genug im Gurtzeug aufgerichtet, um überhaupt laufen zu können, sagt Heidi. Ich muss weiter raus aus dem Gurtzeug, mich ganz gerade, eher sogar nach vorne gebeugt, laufbereit machen. Dann wird das gut, denn der Rest passt einwandfrei. In dem Moment, in dem ich aufsetze, bremse ich ja auch meinen Schirm durch, der praktisch mit mir stehenbleibt. Da wird sonst nix passieren. Ich speichere das und werde versuchen, es beim nächsten Mal anzuwenden.

Als wir noch so dasitzen, merken wir alle, wie der Talwind einsetzt und schnell stärker wird, womit fliegen für heute zu Ende ist. Wir entscheiden, dass es Zeit für ein mittägliches Picknick am Brienzer See ist, in den Frau natürlich auch reinhüpfen darf, wenn sie Lust dazu hat. Heidi warnt allerdings, dass der noch ziemlich kalt ist. Höchstens 18°. Wir brauchen erstmal einen Supermarkt, Futter fürs Picknick muss besorgt werden und ein paar Schweizer Franken brauchen wir auch noch, um die FeWo am Abend vor der Abreise zahlen zu können. Auf nach Brienz in den Coop, dann an den Badestrand, Decke raus, Badeanzug an, die Sonne brennt ganz gut runter. Heidi hüpft als erste ins Wasser ohne lange zu fackeln. Ich hüpfe hinterher und merke dabei, wie arschkalt es wirklich ist. 18° ist definitiv schöngeredet. Ulla und Astrid können sich für so etwas nicht überwinden, was wahrscheinlich vernünftig ist. Als mein Gehirn wieder Körpertemperatur hat, meldet sich der Hunger. So einen gechillten Nachmittag im Kreis mit lieben Menschen mit ganz leckerem Fingerfood und anschließend einfach in der Sonne liegen und nichts tun, hatte ich schon lange nicht mehr und es tut richtig gut. Der Wind frischt ordentlich auf, was in der prallen Sonne ganz angenehm ist, aber sicher nicht zum Fliegen taugt. Alles richtig gemacht. Es ist auch nicht abzusehen, dass der Wind nochmal nachlässt für einen abendlichen Flug, weswegen wir einfach die Zeit dahinfließen lassen. Als es uns in der Sonne zu heiß wird, beschließen wir, dass Espresso und/oder Cappuccino jetzt nice wären. Während wir uns umziehen und einpacken kommt völlig überraschend Judith um die Ecke, die mit ihren Kindern heute einen Ausflug machte, und den Tag ebenfalls am Brienzer See ausklingen lassen mag. Sie kennen wir auch vom Frauenfliegenfest, dass sie maßgeblich mitorganisiert hat, und sie hatte mir damals erzählt, dass sie sich den Podcast mit mir bei Ulligunde angehört hat, was sie sehr beeindruckte. Ich erzähle in der Geschichte zum Frauenfliegenfest darüber, denn ich bekomme daraufhin dort die Wandertrophäe in Form eines selbstgenähten, bunten Rocks von ihr verliehen.
Wir schnacken ein wenig, drücken uns zum Abschied und dann auf an den Thuner See ins Strandcafé.

Auf dem Weg dorthin kommen wir am Landeplatz Lehn in Interlaken, der zum See hin liegt, vorbei, wo wir Gelegenheit haben, jemanden beim Rückwärtsfliegen zu beobachten. Der Wind ist so stark und dessen Schirm so langsam, dass die Fahrt nicht mehr vorwärts geht und er so auch landen muss. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das im Sinne des Erfinders ist, doch ich bewerte es nicht. Vielleicht ist er der superdooper Heldenpilot, für den das normal ist und kein Problem darstellt. Ich würd’s nicht tun. Deswegen bin ich auf dem Weg ins Strandcafé und nicht in der Luft um diese Zeit.
Ja, die Zeit, die ist schon etwas fortgeschritten als wir am Tisch Platz nehmen und für mich ist es schon etwas spät, noch Kaffee zu trinken, sonst ist die Nacht so kurz. Frau wird eben nicht jünger. Ich beschließe, dass es auch fein wäre, ein Landebier zu nehmen, denn immerhin sind wir schön geflogen, heil gelandet und ich bin mit meinem neuen Equipment sehr zufrieden. Der Tag mit den Mädels war wunderschön und meiner Seele tut es wahnsinnig gut, in so eine Gruppe integriert zu sein, in der mich niemand komisch ansieht oder Vorbehalte hat, weil ich ein wenig anders bin. Das führe ich mir oft vor Augen, um trotz aller Unzulänglichkeiten auch die guten Dinge wertzuschätzen.
Wir lernen noch Ullas Lebensgefährten/Mann kennen, der kurz vorbeischaut. Er arbeitet als Fluglehrer in einer Flugschule und stand den ganzen Tag auf dem Landeplatz, um seine Schüler:innen zu betreuen. Ein anstrengender Job.

Am Abend leistet uns Heidi Gesellschaft in unserer kleinen FeWo, wir kochen und essen zusammen. Ulla haben wir zuvor am Bahnhof abgesetzt, sie nahm den Zug nach Hause, weil sie bereits anderweitig verplant war.
Wir reden über allerlei was in den 4 Wänden der FeWo bleibt und natürlich muss ein Plan für den nächsten Tag, den Sonntag, gemacht werden. Die Windlage wird sich ändern, der überregionale Wind dreht mehr auf Südwest, womit der Talwind dann nicht mehr ganz so krass wird, wie heute. Heidi schlägt vor, vom Niederhorn zu fliegen, einem touristisch erschlossenen Aussichtsberg am Nordostende des Thuner Sees, auf den wir die Bahn nehmen können. Die Höhendifferenz ist mit über 1400m ganz ordentlich, weswegen wir es uns sparen wollen, dort zu Fuß hochzulaufen, was uns außerdem einige Zeit kosten würde, die wir eventuell für einen zweiten Flug nutzen könnten. Den Transfer vom Landeplatz zur Talstation können wir mit Öffis überbrücken, die wir mit unserer Gästekarte aus der FeWo kostenfrei nutzen dürfen, Treffpunkt ist also am nächsten Morgen der Landeplatz Lehn, wo die Autos dann auch stehenbleiben können.

Gegen 8 Uhr morgens am Sonntag stellen wir unser Auto auf dem Parkplatz am Landeplatz ab, schauen uns dort die angeschlagenen Hinweise bezüglich Landeplatzgebühren, etc. an als uns ein Mensch anspricht, der wohl mit dem Flugbetrieb heute dort zu tun hat. Es sind nämlich zufällig heute auch die Schweizer Meisterschaften im Deltafliegen (bei uns sagt man Drachenfliegen dazu). Er erzählt uns, dass gestern hier auf dem Landeplatz ein tödlicher Unfall passiert ist und mir bleibt erstmal kurz das Herz stehen. Ja, es war wohl eine Kaltwindböe meint er, die vom See herkam und einem Piloten 30m überm Boden während der Landeeinteilung den Schirm in Bruchteilen von Sekunden zusammenfaltete und ihm keine Chance mehr blieb, noch irgendetwas zu unternehmen. Nicht gerade die passende Geschichte, wenn wir hier heute fliegen wollen. Dann ist mir was eingefallen und ich fragte nach, wann genau das denn passiert sei. Gegen 15Uhr am Nachmittag meint er daraufhin. Damit ist mein Fragezeichen, wie das sein konnte, erloschen. Wir erinnern uns, Heidi hat gesagt, sieh zu, dass du bis Mittag gelandet bist, der Wind wird abartig und wir haben nachmittags wahrscheinlich zwischen 16 und 17 Uhr genau hier jemanden rückwärts fliegen sehen. Die wahrscheinliche Fehlerursache könnte eine Unterschätzung der Verhältnisse gewesen sein. Mir tut’s trotzdem leid, dass das passiert ist. Hinterher sind immer alle schlau.
Es bedeutet, den nötigen Respekt vorm Fliegen aufrechtzuerhalten und immer kritisch zu bleiben, wenn’s um fragwürdige Bedingungen geht. Sehr häufig hat der Bauch recht und es lohnt sich, auf ihn zu hören.
Heidi trifft ein, wir reden kurz über den Vorfall, dann machen wir eine Landeplatzbesichtigung mit einer Einweisung, wie hier bei Berg- oder Talwind gelandet werden sollte. Ich merke an, dass hier heute sehr viele Drachenpilot:innen unterwegs sein werden, vor denen ich immer ziemlichen Respekt habe. Die sind schnell und deren Sicht nach oben existiert praktisch nicht. Darüber bräuchte ich mir heute Vormittag keine Sorgen zu machen. Die haben im Rahmen der Meisterschaft eine gewisse Strecke zurückzulegen und die meisten werden erst später am Nachmittag zum Landen kommen. Das passt so.
Dann ab zur Bushaltestelle, kurz warten, einsteigen und bis zur Haltestelle Beatenbucht mitfahren, von wo aus zuerst eine Zahnradbahn und nach einem Umstieg eine Seilbahn bis rauf zum Niederhorn fährt, wo es zufällig auch ein Café/Restaurant gibt. In der Gondel wundern sich einige Passagiere, was wir wohl vorhaben. Heidis Rucksack sieht man schon an, dass es wohl zum Fliegen geht, doch Astrid und ich haben alles Nötige in einem relativ kleinen Hochtourenrucksack untergebracht, was die Gäste zum Staunen bringt, wie klein und leicht das nötige Equipment sein kann. Oben angekommen, kehren wir zunächst ein, um ein kleines zweites Frühstück mit Kaffee und Croissant in der Sonne zu genießen. Wir haben es nicht eilig. Von dort gehen wir ein Stück quer an der Bergstation vorbei rüber zum Startplatz, der für mich überraschend völlig leer ist. Außer uns sind keine anderen Pilot:innen da, was für einen deutschen Startplatz zu dem auch noch eine Bahn fährt, absolut undenkbar wäre. Schön für uns, kein Stress, keine Hektik. Ein paar wandernde Touristen werden auf uns aufmerksam und schauen zu, als wir uns zum Starten fertigmachen. Heidi gibt uns zuvor noch ein paar Infos zu den Besonderheiten wie Wind, Geländekanten, wo wir eventuell Thermik oder Aufwind erwischen können, beim aktuell noch vorherrschenden Bergwind und dann starte ich als erste in Richtung Thuner See. Astrid folgt und Heidi zieht als letzte auf, unter anderem deswegen, weil sie versuchen will, das eine oder andere Foto von uns beiden während des Fluges zu schießen. Lange vor dem See drehe ich nach links ab und steuere die Flächen an, von denen ich mir etwas Auftrieb verspreche, doch noch ist es nicht warm genug für Thermik. Lediglich der merklich schwächer werdende Bergwind lässt mich am letzten Hang vor dem Landeplatz ein klitzekleines Bisschen steigen. Immerhin. Um keinen Stress mit der restlichen Höhe fürs Landen zu bekommen, fliege ich relativ früh aus dem Hang in Richtung Landeplatz, erinnere mich an die Landevolte bei Bergwind, teile mir das Gelände unter mir entsprechend ein, baue über einige Positionskreise die Höhe soweit ab, dass ich meine gedachte Einteilung dann abfliegen kann, wobei mir mein Vario nach den Vollkreisen auch die Windrichtung bestätigt, und komme genau richtig in den Endanflug gegen den Wind. In dem Moment hebt das Quatschi in meinem Kopf den Zeigefinger und teilt mir mit, ich solle mich an Heidis Worte erinnern: Ganz aus dem Gurtzeug, ein Bein eher nach hinten und nicht nur nach unten starren. Also, ganz aufrichten, ich muss ein wenig nachhelfen, bis ich wirklich senkrecht im Gurtzeug hänge, was sich irgendwie schon viel besser fürs Aufsetzen anfühlt, als sonst, dann Punkt am Horizont finden für die Höhe, Kopf ausmachen, der mir schon wieder einreden will, ich könne die Geschwindigkeit nicht erlaufen, ein Bein nach hinten, wodurch ich schon in eine leichte Vorlage im Gurtzeug komme und dann ist der Boden da. Ich bremse an (flairen in Fachkreisen), passt, ich setze mit 2-3 leichten Laufschritten auf und stehe praktisch sofort als ich den Schirm durchbremse. Bilderbuchlandung, obwohl ebenfalls fast Nullwind. Danke Heidi.
Astrid ist ein wenig verpeilt ob ihrer Landevolte, ich schaue ihr von unten zu und bin nicht ganz sicher, ob sie absichtlich mit dem Wind landen möchte. Wohl eher kaum. Dann bemerkt sie es selbst, korrigiert im letzten Moment und kommt dann auch richtig herum rein. Sie ist häufig verwirrt bei neuen Landeplätzen und ist etwas vergesslich bezüglich der besprochenen Landevolten, sagt sie selbst, aber bisher hat sie die Kurve immer noch irgendwie bekommen. Passiert normalerweise auch nur genau einmal. Dann kommt Heidi eingeschwebt, die mit einem Fußschlenzer über die Wiese beim Flairen anschließend sanft aufsetzt. Wir haben alle drei ein breites Grinsen im Gesicht, denn der Flug war superschön und wegen der Höhe auch per Abgleiter nicht sooo kurz. Heidi hat meine Landung aus der Luft bereits begutachtet und wir sind uns einig, das war ein Schritt in die richtige Richtung.

Pause. Es ist etwa 10:30Uhr. Nachdem wir unser Flugzeug wieder zusammengepackt und im Rucksack verstaut haben, futtern wir unsere vorbereitete Stulle, schauen ein wenig anderen beim Landen zu, Heidi trifft den einen oder anderen bekannten Menschen, quatscht mit den Leuten. Netzwerken ist ja auch wichtig. Anschließend schlägt sie vor, noch einen kleinen Hike&Fly anzuhängen, gleich hier vom Landeplatz weg zum Startplatz Luegibrüggli etwa 500 Höhenmeter. Das nehmen wir gerne und machen uns sofort nochmal zusammen auf den Weg am angrenzenden Campingplatz vorbei hinauf durch den Wald auf einem schönen Pfad. Wir gehen gemütlich, nutzen die Zeit, um zu plaudern, die Sonne scheint schön und kaum merkend, wie die Zeit vergeht, gehen wir schon den letzten Hang zum Startplatz hinauf. Auch hier setzen wir uns erstmal noch, schauen uns die Gegend an, Heidi erzählt nochmal was über die Geländekanten, die vom moderaten Wind angeströmt sind und was uns dort möglicherweise auf dem Weg zum See erwartet. Mit der Erwärmung hat auch das lokale Windsystem auf den Talwind umgestellt, was später fürs Landen wichtig ist und die eine oder andere Geländekante sollte nun nicht mehr hinterflogen werden, wegen des Lees. Alles fein. Im Hintergrund hier fast immer sichtbar ist übrigens die Eiger Nordwand sowie manchmal auch Mönch und Jungfrau. Alle diese Berge sind noch offen, d.h. wir sind noch nicht dort hochgestiegen, wobei das beim Eiger wohl auch nicht passieren wird, denn selbst der Normalweg über den Mittellegigrat ist sicher eine Nummer zu schwer für uns.
Jetzt aber erstmal Konzentration aufs Starten. Nachdem wir alle fertig hergerichtet und startbereit sind, ziehe ich wieder als erste auf und mache mich auf den Weg, um den Thuner See zu überfliegen. Astrid hadert ein wenig damit, über Wasser zu fliegen, weil ihr Kopfkino bei so etwas keine Ruhe gibt, was nicht rational zu erklären ist, denn in den See fallen tun wir nicht. Als ich das Ufer erreiche und kurz an der Felskante davor durchgeschüttelt wurde, bin ich etwa 400 Meter überm Wasser, das schön blau schimmert, kleine Boote und auch Passagierschiffe sind darauf unterwegs, die Luft überm See ist ruhig. Ein Traum. Heidi schießt ein paar Bilder von Astrid und mir, wie wir in dieser Wahnsinnskulisse rumfliegen, mit dem blauen See und der Eiger Nordwand im Hintergrund. Der relativ kleine Höhenunterschied lässt bloß wenig Raum fürs Träumen und ich schaue rechtzeitig, ob ich den Landeplatz finde und wie ich nun beim gedrehten Wind im Vergleich zum Vormittag meine Landeeinteilung gestalte. Auf dem Weg drehe ich zwei drei Vollkreise, damit auch mein Vario Bescheid weiß, wo der Wind herkommt und muss so keine weitere Höhe mehr abbauen als ich an einer Kante des Landeplatzes vorbeikomme. Ein etwas verlängerter Gegen- und Queranflug genügen, um genau passend in den Endanflug einzubiegen, bei dem sofort mein Quatschi im Kopf wieder anklopft und mich an Heidis Empfehlungen erinnert. Ganz aus dem Gurtzeug, Bein etwas nach hinten, das Timing fürs Flairen passt, ich setze sanft etwas rechts versetzt vom Peilpunkt auf, weil ich schon mitbekommen habe, dass Astrid ihre Landevolte dieses Mal richtig rumgeflogen hat und direkt hinter mir ist und ich ihr den notwendigen Platz lassen will. Super. Meine Landung war perfekt. Ich bin ein bisschen stolz drauf, dass ich das nach einer kleinen Analyse, bei der es im Prinzip um Kleinigkeiten ging, so gut umgesetzt habe. Das stimmt mich zuversichtlich, dass Popolandungen jetzt weniger häufig passieren werden. Mit dem neuen Leichtgurtzeug bin ich happy und nachdem ich mein Vario nicht mitten auf den Frontcontainer tesselte, sondern mehr zur vorderen Kante hin platzierte, kann ich es auch gut ablesen.
Heidi landet kurz nach uns und wieder haben wir alle ein breites Grinsen im Gesicht. So ein feiner Flugtag. Inzwischen sind auch die ersten Drachen gelandet, doch die meisten werden noch ein wenig auf sich warten lassen. Der befürchtete Landebetrieb blieb aus.

Leider war das der letzte Flug für heute, denn Astrid und ich müssen uns irgendwann auf den langen Heimweg machen, was uns aber nicht davon abhält, uns noch ein wenig zusammenzusetzen, noch etwas zu trinken und einen ganz netten Bekannten von Heidi kennenzulernen, der sich zu uns gesellte. Dann geht’s auf in Richtung Holzhütte. Diese beiden Flugtage möchten auf jeden Fall wiederholt werden. Es ist so fein und gechillt mit Heidi fliegen zu gehen, eine wahre Freude. Die nächsten Wochen wird sich nicht so viel mit Fliegen ausgehen, denn Bergsteigen steht auf dem Programm. Es geht mit einer erneuten Weissmies-Tour zur Akklimatisation los, woran sich unmittelbar das erste Highlight des Jahres anschließen soll: Der Piz Bernina über den Bianco-Grat. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich dran denke.

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