Flugreise ins Gsieser Tal, 10.-13.10.2024
Die Frage, ob wir nach Südtirol fahren, auch wenn das NOVA Hike&Fly Testival abgesagt wird, stellte sich irgendwie nicht. Die Ferienwohnung, die wir in St. Magdalena gebucht hatten als der Termin für die Veranstaltung feststand, war sowieso nicht mehr ohne volle Kosten stornierbar und nachdem die trockenen Fenster in der Prognose immer größer und der vorhergesagte Wind immer schwächer wurde, war uns klar, dass wir etwas finden werden, was wir an diesem langen Wochenende unternehmen können. Es hätte uns schon interessiert, mal einen Schirm eines anderen Herstellers zu fliegen, den Ion 7 light zum Beispiel, was wir uns im vergangenen Jahr noch nicht so richtig getraut hatten, doch unser Herz hängt nicht dran. Mit dem im Sommer neu erworbenen Advance Theta bleiben in Sachen B-Schirm keine Wünsche offen und auch unser Advance Pi3, auf dem wir gelernt haben, war mit im Gepäck, weil er einfach doch nochmal fast ein Kilo leichter ist als der Theta und uns sicher für die folgenden Bergabenteuer mit Schirm ein hervorragender Begleiter sein wird. Dann machen wir aus der großen Veranstaltung eben eine kleine private und im Gsieser Tal waren wir bis dahin auch noch nie.
Die Anfahrt donnerstags gestaltet sich etwas nervig, denn die Brennerautobahn ist im Moment eine einzige Baustelle, in der es in beiden Richtungen mehrmals von drei auf eine Spur zusammengeht und dann ist bei Brixen irgendwann am Tag auch noch ein Lastwagenunfall passiert, was dazu führte, dass wir praktisch von der Mautstelle in Matrei bis hinter Sterzing im Stau standen, wobei richtig schlimm hat’s die LKW-Fahrer getroffen, die von ihrer Spur nicht runter dürfen und demzufolge solange stehen mussten, bis fertig geräumt war. Mehr als 30km Stillstand ohne zu wissen, wann es vielleicht mal weitergeht. Was über diesen Pass täglich drüber läuft, ist der absolute Wahnsinn. Eine sinnvolle Ausweichmöglichkeit existiert nicht, weder für den Schwerverkehr noch für die Massen an Touristen. Auch wir verbringen deutlich mehr stehend als fahrend einen großen Teil des Nachmittags auf dieser Straße, bis es hinter der Mautstelle in Sterzing dann endlich wieder anfing zu rollen. Wir hören zwei Podcast-Folgen von Ulligunde und haben den neuen Kluftinger als Hörbuch am Start, womit die Zeit wenigstens nicht ganz so zäh vergeht.
Doch am Ende des Tages erreichen wir unsere Unterkunft, lernen wieder mal supernette Menschen kennen und erfahren von unserem Vermieter, dass er früher auch geflogen ist und sein Bruder das immer noch tut. Schwupps, kommen wir ins Gespräch.
Die kleine Ferienwohnung unterm Dach eines rund 500 Jahre alten Bauernhauses ist im Vergleich zu unseren bisherigen Erfahrungen ein Traum. Alles wirkt neu und hochwertig und es gibt sogar eine eigene Infrarotkabine. Wir zaubern uns etwas Leckeres zu futtern und dann gilt es natürlich herauszufinden, was am nächsten Tag geht. Am liebsten natürlich fliegen, denn dafür sind wir da, doch für den Freitag ist noch etwas Nordföhn vorhergesagt, der sich im Tagesverlauf jedoch abschwächen soll und den wir am nächsten Morgen nach den nächtlichen Wetterläufen nochmal prüfen müssen. Von der Windrichtung her wird’s im Gsieser Tal eher nix, da die Startplätze dort eher für südliche Richtungen taugen, zumindest die, die BurnAir kennt, weswegen wir uns relativ schnell einig sind, es am Kronplatz zu versuchen, den wir bereits im Januar schonmal „beflogen“ haben und uns ein wenig auskennen. Weil die relative Höhe am Kronplatz mit über 1300 Metern nicht unbedingt zum Hike&Fly, sondern eher zum Bahnfahren einlädt und die Bergfahrt mit der Seilbahn nach unserem Empfinden mit fast 30€ pro Nase nicht das günstigste Vergnügen ist, steht nach dem Fliegen ein bisschen Sightseeing in Bruneck auf der Ideenliste.
Der nächste Morgen. Der Wind passt immer noch für einen der nördlichen Startplätze am Kronplatz und wir bleiben bei dem Plan, es dort zu versuchen, obwohl im Gsieser Tal die Sonne scheint, zeitgleich der Wind dort immer noch nicht zum Fliegen taugt. Eine halbe Stunde später erreichen wir den großen Parkplatz an der Seilbahn in Reischach, über uns eine dicke Nebeldecke, die den Eindruck erweckt, heute am Berg wohnen zu bleiben. Die Webcam oben am Gipfel zeigt herrlichen Sonnenschein oberhalb der Nebelschicht, die zwar über Bruneck ein größeres Loch aufweist, an den Berghängen jedoch ein sehr dichtes und düsteres Bild abgibt. Erstmal Landeplatz anschauen, der im Sommer direkt unterhalb des Parkplatzes reichlich Platz bietet, sich bei Bergwind allerdings im Lee der Baumreihe zwischen Park- und Landeplatz befindet. Alternativ kann wohl auch der Winterlandeplatz ein Stück neben der äußersten Talstation einer der Seilbahnen benutzt werden. Das ändert aber nix an der dicken Nebeldecke über uns. Es ist kalt. Wir setzen uns wieder ins Auto, um zu besprechen, was wir nun mit der Situation anfangen. Gleich nach Bruneck fahren? Wäre irgendwie schade. Trotz des Nebels rauffahren und oben bisschen rumlaufen? Das Ticket ist exorbitant teuer. Während wir so vor uns hindenken, reißt ein erstes Loch auf und es dauert keine Minute, da kommt bereits der erste Gleitschirm durchgehuscht. Kaum zu glauben. Alle Fragen sind beantwortet, Flugzeug unter den Arm geklemmt, Ticket gekauft und in die Bahn gehockt. Der Mensch an der Kasse weißt uns daraufhin, dass eine Tageskarte sich bereits ab der zweiten Fahrt lohnt, doch wir lehnen ab, bedanken uns, es soll nur ein Flug werden. Auf dem Weg nach oben kann Frau zuschauen, wie sich der Nebel immer weiter auflöst und immer mehr Schirme in der Luft auftauchen. Oben angekommen erwartet uns strahlender Sonnenschein und die nächste Aufgabe besteht lediglich darin, einen geeigneten Startplatz zu finden, denn der Wind ist etwas unentschlossen, ist mal mehr auf Nord, dann mal mehr auf West. Als erstes steuern wir den Nord-Startplatz an, denn von der Bahn aus haben wir bereits gesehen, dass dort ein paar Pilot:innen gestartet sind. Beim Eintreffen bemerken wir jedoch, dass der Wind ziemlich auf West steht, also sind wir zum Nordwest-Startplatz umgezogen, den wir bereits kennen, denn wir sind im Januar schonmal hier geflogen. Dort startet auch ein Pilot, doch als wir fertig umgezogen sind, die Schirme zum Auslegen unterm Arm klemmen haben, sieht die Welt schon wieder anders aus. Wieder zurück zum Nord-Startplatz. Hier ist der Wind inzwischen fast ganz eingeschlafen, aber das ist ja auch in Ordnung. Wir legen aus und starten ganz entspannt, wobei die einzige Herausforderung darin besteht, unmittelbar nach dem Abheben nicht in die tiefergelegene Schneekanone hineinzufliegen, doch die anfänglichen Bedenken sind unbegründet.
Astrid: Naja, „unbegründet“ ist relativ. Als sich die Schneekanone in Kopfhöhe neben mir vorbei bewegt hat, hab‘ ich erst mal kurz drüber nachgedacht, wie breit mein Schirm eigentlich ist und dass ich grad froh bin, dass die Leinen sich nach unten zur Pilotin hin verjüngen. In der Luft wirkte es verdammt nah. Aber ist gut gegangen.
Aufgrund des großen relativen Höhenunterschieds von mehr als 1300 Höhenmeter dauert selbst ein Gleitflug mit dem Theta etwa 20 Minuten und der direkte Vergleich, den wir im vergangenen Januar mit dem Pi3 machen konnten, wo ein Gleitflug etwa 6 Minuten kürzer war, zeigt, dass die Entscheidung, auf einen B-Schirm umzusteigen, um überhaupt mal eine Chance zu haben, mehr Airtime auch bei wenig bis keinem Auftrieb zu generieren, genau richtig war. Die Luft ist ruhig, keine Thermik, keine Aufwinde an den Berghängen, ein Flug zum Entspannen. Das ist entgegen vieler Meinungen anderer Pilot:innen eine tolle Sache, ein Privileg, so einfach fliegen zu dürfen. Häufig werden ruhige Gleitflüge von anderen als nicht lohnend dargestellt, was ich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen kann. Ich genieße solche Flüge, gerade wenn so große Höhenunterschiede zur Verfügung stehen, lasse alles los, schaue mit einem Blick nach oben gerne meinem Schirm zu, wie er da so einfach vor sich hinfliegt, sehe mir die Umgebung an, ganz ohne Fliegestress und freue mich jedes Mal, wie ein Schnitzel, dass ich bzw. wir das einfach so tun können. Traumhaft schön. Als die Höhe so langsam ausgeht und landen angesagt ist, fliege ich noch ein, zwei Mal vor und zurück, um zu wissen, wo der Wind herkommt, denn der Windsack, der zwischen den Bäumen hängt, ist kaum zu sehen und zeigt nicht zuverlässig an. Wir landen beide fein und irgendwie ist fliegen in meinem Kopf für heute abgeschlossen und ich bin in Gedanken beim Stadtbummel in Bruneck. Das geht nicht allen Teilnehmerinnen so. Zurück am Auto, mit Blick auf die Uhr und in die Luft, stellt Astrid die Frage, ob wir nochmal rauf wollen. Wir beobachten ein paar Schirme, die offensichtlich ein wenig Thermik erwischt haben, denn die Sonne scheint nun am frühen Nachmittag ganz ordentlich und obwohl mir die spontane Planänderung nicht so leicht fällt, hat Astrid selbstredend recht, dass wir so eine Gelegenheit so spät im Jahr keinesfalls verstreichen lassen sollten. Scheiß auf die teure Bahnfahrt.
Der Mensch an der Kasse muss grinsen als er uns wieder vor sich hat und sein Rat sich bestätigt, bei mehr als einer Auffahrt lieber eine Tageskarte zu kaufen. Wir kommen ein wenig ins Gespräch und ja, natürlich lag er richtig, wir müssen selbst lachen. Am Ende lässt er im Rahmen seiner Möglichkeiten sogar noch ein wenig am Preis nach, was voll nett und nicht selbstverständlich ist, sodass wir etwa beim Preis einer Tageskarte pro Nase in Summe landen. Auch ein Grund, warum wir so gerne in Südtirol unterwegs sind: Die Menschen dort sind fast immer ausnehmend freundlich.
Während der Fahrt nach oben stellen wir fest, dass die beobachteten Thermikflieger alle wieder mehrere Etagen tiefer unterwegs sind. Macht überhaupt nix. Den zweiten Flug starten wir am Nordwest-Startplatz, wo der Wind besser ansteht, kommen gut raus und es ist einfach wieder nur traumhaft. Übrigens müssen wir nirgendwo warten oder anstehen zum Starten, denn die Menge der fliegenden Menschen ist sehr überschaubar und die Startplätze so groß, dass immer mindestens 2-3 gleichzeitig auslegen können, ohne dass man sich behindert. Unterwegs gibt’s den einen oder anderen Meter steigen, weswegen der Flug etwas länger dauert und ich entscheide mich, mal etwas weiter in der Gegend herumzufliegen, was mein Gleitbereich so hergibt, und nicht wieder sofort dem Fokus Landeplatz zu verfallen. Das hat sich beim Fliegen mit dem Pi3 so ein bisschen eingeschlichen, weil dieser Schirm halt auch einfach nicht dafür gemacht ist, lange Strecken zu fliegen, sondern primär eine Abstiegshilfe beim Bergsteigen sein soll. Dafür haben wir ihn ja auch eingekauft. Mit dem Theta sieht die Welt anders aus. Er sinkt langsamer und fliegt schneller, beschleunigt in ruhiger Luft sind schnell 50km/h erreicht.
Während unseres Fluges beobachten wir beide eine Gruppe, die mit sehr kleinen Schirmen à la Moustache offensichtlich am Trainieren sind. Sie schießen regelrecht in Bodennähe entlang der schwarzen Pisten zwischen den Bäumen hindurch nach unten, machen seitliche Loopings am laufenden Band, fliegen teilweise unter den Seilbahnen durch und gehen nach meinem Empfinden dabei hohe Risiken ein. Alles Jungs. Testosteron ist schon eine schlimme Sache. Jüngst ist bei so etwas wieder ein junger Mensch gestorben. Mit rund 100 Klamotten die Kurve nicht bekommen und in die Bäume geknallt. Tot.
Ich mag’s da lieber, wenn etwas Luft unter meinem Popo und die Fahrt nicht ganz so schnell ist. Es gibt Menschen, die das als fade bezeichnen. Ich find’s toll und als meine Füße den Boden des Landeplatzes berühren, stellt sich eine tiefe Zufriedenheit und Gelassenheit ein und auch Astrid hat ein breites Grinsen im Gesicht als wir uns zum Zusammenlegen treffen. Der Tag hat bis dahin schon 100% mehr geboten, als wir uns morgens erhofft hatten. Was will Frau mehr.
Der Stadtbummel fällt aus, da haben wir beide keine Lust mehr dazu, stattdessen kaufen wir unterwegs noch ein, was wir an Futter brauchen und tuckern zurück ins Gsieser Tal zu unserer FeWo, wo wir es uns beim Landebier gemütlich machen, Pasta Ragôut kochen und ich noch ein wenig auf meiner Handpan klimpern kann. Das Ding hab‘ ich übrigens auch übers Fliegen kennengelernt und seit ich spiele, muss sie überall hin mit. Eine einfache D-Kurd 8+1, falls das jemanden interessiert.
Die Prognose für den nächsten Tag sagt, wir gehen zu Fuß an der FeWo mit unserem Flugzeug auf dem Rücken los und zum Startplatz oberhalb der Uwaldalm hoch. An diesem Abend lernen wir außerdem, dass samstags Almabtrieb ist, was uns jedoch nicht weiter berühren sollte.
Am nächsten Morgen bestätigt unsere Fliege-App, dass wir unseren Plan umsetzen können und just als wir die Tür hinter uns zuziehen, sehen wir 2-3 Schirme in der Luft und nach einer Inspektion eines möglichen Landeplatzes auf dem Weg, treffen wir die kleine Gruppe Piloten, die alle neben dem aufgebauten Festplatz für den Almabtrieb auf einer handtuchgroßen Wiese gelandet sind. Wir schnacken kurz, der Wind oben passt und sollte erstmal auch so bleiben, nur wenn wir später landen, müssen wir schauen, dass wir nicht gerade zwischen den Kühen aufsetzen, weil die sich hier später sammeln werden, so einer der drei. Da wir uns bereits einen Landeplatz ohne Umzäunung etwas abseits ausgesucht hatten, sollte der Almabtrieb für uns keine Rolle spielen. Der Aufstieg erfolgt bis zur Uwaldalm komplett auf einem Forstweg, was etwas langatmig ist, da die Höhenmeter auf einem befahrbaren Weg nur sehr langsam purzeln, doch andererseits ist’s auch wurscht, denn außer runterfliegen haben wir nichts mehr vor für den Tag. Unterwegs kommen wir an einem Stück vorbei, wo aus Holzbohlen eine Art Bande am Wegesrand aufgebaut wurde, was sehr nach Rodelbahn im Winter aussieht. Wir werden später unseren Vermieter mal fragen, ob wir da richtig liegen. Ab der Alm setzen wir unseren Weg auf einem Trampelpfad fort, es sind von dort schon noch etwa 200 Höhenmeter, doch der Windsack am Startplatz ist bereits zu sehen und wir nehmen mit jedem Meter nach oben wahr, dass der Wind teilweise ganz ordentlich bläst, was mich sofort wieder zweifeln lässt, ob starten für mich möglich ist. Die letzte Wiese queren wir ein Stück, suchen uns einen Platz aus, wo wir auslegen können, doch nach kurzer Inspektion durch Astrid unmittelbar in der Nähe der Windfahne, entscheiden wir, zum Starten dorthin umzuziehen, denn die Wiese um die Fahne herum ist etwas flacher und mit weniger Gestrüpp angenehmer. Bevor wir uns für den Start fertigmachen, halten wir mal kurz inne, strecken die Beine aus, essen und trinken und beobachten, wie sich der Wind so verhält. Prinzipiell kommt der Wind den Hang vor uns hinauf und ist fürs Starten geeignet, die teilweise recht starken Böen wechseln sich immer auch wieder mit ruhigeren Phasen ab, wobei wir etwas aufpassen müssen, denn der Startplatz liegt auf etwa 2200m MSL und der überregionale Wind pfeift nur wenige hundert Meter über uns mit mehr als 35km/h aus West, also quer zur Startrichtung, allerdings gibt es um uns herum keine Kante in Form eines Grates oder so, was ein starkes Lee zur Folge hätte. Also erstmal alles gut.
Für diesen Flug griffen wir wieder auf unsere Pi3’s zurück, denn es war von vornherein nicht mit Thermik oder Hangsoaring zu rechnen, weswegen wir keinen Grund sahen, den schwereren Theta den Berg hinauf zu tragen.
Astrid: Nach der kurzen Pause beschließen wir, dass es gut gehen könnte und wir die Schirmchen mal aufziehen. Also fertig machen, Partnerinnencheck und Schirme direkt nebeneinander auslegen. Ich lasse Milla den Vortritt. Mein Plan ist, direkt nach ihr rückwärts auf zu ziehen und fast parallel zu ihr raus zu starten. So können wir uns in der Luft auf ungefähr gleicher Höhe begegnen, was immer wunderschöne Momente sind. Milla zieht auf, stabilisiert ihren Schirm, dreht sich aus und hebt nach einem Schritt ab. Fein. Ich beobachte das aus dem Augenwinkel und im Moment ihres Abhebens ziehe auch ich den Schirm auf. Ich kriege ihn stabilisiert, drehe mich aus und just in dem Moment, in dem ich der Meinung bin, dass alles fein ist, zieht der kleine Pi plötzlich nach rechts weg. „Na gut, dann eben erst mal unterlaufen und neu stabilisieren“, denk ich beim seitwärts gehen noch so, doch da ist es auch schon zu spät. Eine Bö dreht mir den Schirm weg, er dreht sich einmal komplett um die eigene Achse und landet auf der Eintrittskante hinter mir auf dem Boden. Na priml. Sofort steigt der Puls und das Gedankenkarussell dreht sich… Milla ist schon gestartet, ich steh hier mutterseelenalleine auf über zweitausend Meter, der Wind wird immer stärker…das kann ja heiter werden… Seit mir mal ein Typ am Startplatz in genau so einer Situation das Gefühl gegeben hat, zu blöd zum Starten zu sein, macht mich sowas nervös. Doch da meldet sich zum Glück die Stimme in meinem Hinterkopf und sagt mir, dass ich jetzt erst mal durchschnaufen soll. Atmen. Atmen. Atmen. Also mach ich genau das. Ich atme erst mal. Und schau mal nach Milla. Die hält sich mit ihrem Schirm im Hangaufwind nur knapp unterhalb des Startplatzes und schaut zu mir her. Das beruhigt mich. Ich bin nicht alleine. Und ich kann das. Ich weiß das, ich kann das. Also den Schirm wieder umdrehen (Notiz an mich selbst: beim nächsten Groundhandeln so lang üben, bis ich ihn mit dem Wind gedreht kriege und ihn nicht wie so ein Newbie über den Startplatz zerren muss und mich dabei noch mit den Füßen in den Leinen verheddere…), wieder fein auslegen. Dann erst nochmal atmen. Konzentrieren. Und dann Aufziehen, Stabilisieren, Ausdrehen und: los. Ääh…nix geht los. Too much wind. Ich komme nicht vorwärts. Sofort denk ich an Fluglehrer Mops, der mir in einer ähnlichen Situation mal sagte: „mach halt die Bremse ganz auf, dann fliegt er auch vorwärts.“ Problem nur heute: ich hab‘ die Bremse schon ganz auf. Ich lehne mich in die Tragegurte. Und es tut sich: nix. Na priml. Fast zieht mich der Schirm rückwärts. Na mega priml. Komm ich hier heute doch nicht weg? Und genau in dem Moment, in dem ich das denke, lässt die Windstärke ein klitzekleines bisschen nach. Ich lehne mich nochmal nach vorne in die Tragegurte, vergewissere mich, dass ich die Bremse wirklich ganz, ganz offen hab und dann passiert tatsächlich was. Doch statt nach vorne, geht es nur nach oben. Na priml. Gefühlt hänge ich 5 Meter über dem brettebenen Startplatz und hab Sorge, dass mir gleich irgendwas in einer Bö einklappt und ich ungebremst wieder auf dem Startplatz einschlage. Großes Kino. Doch dann geht es endlich vorwärts über die Hangkante hinweg und der Aufwind trägt mich so hoch, dass ich weit genug von allem weg bin, was sich ungut anfühlt. Und zack ist der Schreck weg und der Spaß da. Hangsoaren. I like. Doch wo ist eigentlich Milla? Ich suche das Tal ab und sehe sie ein gutes Stück tiefer über das Tal hinaus fliegen. Ich statte den Kühen auf der Alm und der Almhütte noch einen kurzen Überflug-Besuch ab und mache mich dann auch Richtung Tal raus. Denn die Luft ist verdammt unruhig. Es ruckelt und zuckelt die ganze Zeit an meinem Gurtzeug und ich hab‘ gefühlt alle Hände und Hüften voll zu tun, um diese ganzen Luftbewegungen aus zu gleichen. Mit so unruhiger Luft hatte ich heute nicht gerechnet. Haben wir die Bedingungen etwa falsch eingeschätzt? „Naja, ist nicht weiter tragisch, wir können’s ja eh“, denke ich gerade, als meine Aufmerksamkeit von etwas anderem abgelenkt wird: Im Tal bietet sich ein aus unserer Perspektive zauberhaftes Schauspiel. Auf allen Forstwegen des Talschlusses bewegen sich in diesem Moment die Kuhherden in Richtung des Ortes. Wie Perlen auf Schnüren aufgereiht trottet eine Kuh der anderen hinterher und ein kuhglockenbimmelnder Sternmarsch von hunderten Kühen durchzieht das ganze Tal. So einen Anblick hat frau auch nicht alle Tage. Und im nächsten Moment muss ich mich dann auch schon wieder auf etwas anderes konzentrieren: die Landung. Am Dorf-Schlepplift zeigt ein Windsack sehr deutlich Talwind an. Ich beobachte Milla, die ihre Landeeinteilung entsprechend fliegt und nehme wahr, dass die Landewiese noch anspruchsvoller ist, als ich es schon befürchtet hatte. Sie ist zwar riesig, aber sie ist in zwei Richtungen abschüssig: nach Süden und nach Osten. Und das müssen wir irgendwie einkalkulieren. Während ich also beim Abachtern hangseits schon fast das Gefühl habe, gleich in den Hang ein zu schlagen, bin ich bei der nächsten Kurve wieder 60 Meter über Grund und nun folgt der Endanflug parallel zur wieder abschüssigen Wiese. Die ist zum Glück lang genug und wir kommen beide heil runter. Immer wieder spannend.
Fun fact: wenige Tage nach diesem Flug entsteht zufällig in unserer Allgäuer Pilotinnen WhatsApp Gruppe ein Erlebnis- und Informationsaustausch zu leichten Bergschirmen, so wie unseren Pi3. Mehrere Pilotinnen äußern, dass sie sich unter diesen unruhigen und kippeligen Leichtschirmen nicht wohl fühlen und eine Fluglehrerin schreibt sehr deutlich, dass das halt das Feature ist, dass frau aufgrund der kurzen Leinen bei dieser Schirmart in Kauf nehmen muss. Und da fiel es uns beiden wie Schuppen aus den Haaren: wir hatten die Bedingungen an der Uwaldalm nicht falsch eingeschätzt, sondern wir hatten nach dem Sommer, in dem wir ausschließlich mit dem Theta geflogen waren, schlichtweg vergessen, wie unruhig es unter dem Pi ist und schon immer war. Der Theta schluckt viel mehr Turbulenzen einfach weg.
Nachdem wir die Schirme zusammen gepackt und uns gegen einen Besuch im Festzelt des Almabtriebs entschieden haben, wackeln wir gemütlich zurück zur FeWo. Es ist erst kurz nach Mittag und der Tag noch jung. Irgendwie fühle ich mich noch nicht ausgelastet. Bevor ich den Tag mit Handydaddeln vergeude, mag ich lieber nochmal raus. Also nötige ich Milla zu einem kleinen Trail-Erkundungslauf zum Talschluss. Einfach mal rein laufen und wenn wir keinen Bock mehr haben, dann drehen wir wieder um und laufen wieder raus. Gesagt, getan. Denn es könnte ja gut werden, Und es wurde gut. Anstrengend, aber gut. Das leckere Abendfutter will ja schließlich verdient sein, bevor wir uns die Infrarotkabine und eine heiße Dusche gönnen.
Für den Sonntag sind die Windverhältnisse schwer ein zu schätzen. Gsieser Tal könnte gehen. Aber nochmal zur Uwaldalm rauf? Eher nein. Am Kronplatz soll er aus Süd kommen. Was zwar geht, aber suboptimal ist, wenn frau das Auto am nördlichen Landeplatz stehen hat. Also kommt eine ganz andere Idee zum Tragen: unsere Flugschule bietet regelmäßig Höhenkurse in Südtirol an. Ganz in der Nähe von Brixen, wo wir auf dem Heimweg an diesem Tag eh vorbei kommen. Also schauen wir mal, wo genau denn der vom Hörensagen bekannte Startplatz Rodeneck liegt und sehen: passt ideal. Liegt für uns auf dem Weg und der Wind wird perfekt werden.
Also packen wir Samstagabend alles zusammen und richten uns für einen weiteren Hike&Fly am Sonntag auf dem Weg nach Hause.
Nach dem Frühstück verabschieden wir uns von den Vermietern und kommen dabei noch etwas ins Gespräch. Aus dem Gespräch wird dann gleich die nächste Reservierung der Wohnung für ein Winterabenteuer in Südtirol. Wir kommen wieder. Weil’s so schön war.
Nach 45 Minuten Fahrt kommen wir am Landeplatz Rodeneck an. Der in der Karte ausgewiesene Parkplatz entpuppt sich als nicht park-geeignet, aber für ein kleines Trinkgeld lässt uns die Wirtin des Hotels neben dem Landeplatz auf deren Parkplatz parken. Die Südtiroler sind echt freundliche Menschen. Also die Rucksäcke schultern und rauf zum Startplatz. Mehrere Flugschulen sind da, die ihre Teilnehmer*innen mit Bussen shutteln, aber wir wollen zu Fuß gehen, auch wenn wir uns keinen allzu schönen Weg versprechen. Es soll wohl viel über die Fahrstraße gehen.
Das tut es dann zu Beginn auch, doch bald schon geht es über einen richtig schönen Weg durch den Wald hoch. Wir begegnen nur einem Wanderer und sind schwuppdiwupp am Startplatz angekommen.
Es sind einige Flugschüler da, aber der Betrieb hält sich noch in Grenzen. Wir legen uns erst mal trocken und schauen uns das Treiben an. Essen und Trinken und dann langsam mal fertig machen. Denn wir wollen ja heute noch nach Hause und denken jetzt schon mit Sorge an dem unvermeidlichen Stau am Brenner.
Also auslegen, aufziehen und los. Ein schöner ruhiger Flug mit den Thetas, wir geben uns keine sonderliche Mühe irgendwo am Hang aufsteigende Luft zu finden. Als wir schon in der Nähe des Landeplatzes sind, lässt sich das Steigen dann jedoch gar nicht mehr vermeiden. Über den sonnenbeschienenen dunklen Hausdächern des Dorfes geht es zart nach oben. Wir machen uns beide einen Spaß draus, hier noch eine ganze Weile ohne Höhenverlust oder Höhengewinn circa 150 Meter über Grund und 200 Meter neben dem Landeplatz zu kreisen, während ein Flugschüler nach dem nächsten zum Landeplatz geradeaus an uns vorbei fliegt. Als dann endlich mal keiner mehr angeflogen kommt, biege ich zum Landeplatz ab, fliege noch eine 90 Grad Kurve nach links in den Endanflug und setze schön vor den Augen der Flugschüler*innen wie eine Feder auf. Milla macht das Gleiche direkt hinter mir und wir sind recht happy, wie fein das lief.
Zur Belohnung gönnen wir uns dann noch im Hotel, bei dem unser Auto steht, lecker Topfenstrudel und Kaffee (diese Südtiroler sind echt ein nettes Völkchen…) und dann beginnt die zähe Fahrt nach Hause. Die sehr zähe Fahrt. Die so zähe Fahrt, dass wir irgendwann Sorge haben, nicht mehr rechtzeitig zu den Öffnungszeiten in den Wangerstuben an zu kommen. Und was wäre ein langes Wochenende ohne Abschluss im Dorfgasthof? Als wir noch ca. 45 Minuten Fahrt vor uns haben, rufen wir im Gasthof an, um uns an zu kündigen und zu fragen, ob wir kurz nach 8 denn noch was zu essen kriegen würden? Klar. Kriegen wir. Zwei Cordon Bleu mit Pommes, ein kleiner gemischter Salat. Und zwei Bier. So wie immer. Lange sitzen wir an dem Abend noch mit dem Juniorwirt zusammen und quatschen. Diese Oberostendorfer Wirtsleut sind schon ein ganz schön nettes Völkchen. So gehen die voll schönen NOVA Hike&Flay Days mit nur zwei Advance fliegenden Teilnehmerinnen hübsch zu Ende.