top of page

Fliegeurlaub in Slowenien, 27.10.-03.11.2024

Nach der Woche mit meinen Mädels in den Herbstferien, die wir im Saarland verbrachten, legten wir samstags einen Tag Zwischenstopp zu Hause ein, um das nötigste durch die Waschmaschine zu schleusen, einen Plan für die folgende Woche zu schmieden und einzukaufen, was wir brauchen, um die ersten Tage, wo auch immer es hingeht, autark zu sein. Dass es am Ende nach Slowenien gehen soll, stand schon fest, da die Wettervorhersagen aufgrund eines stabilen Hochdruckgebiets für die ganze Woche bereits eine sehr hohe Eintretenswahrscheinlichkeit auswiesen, doch der Weg ist so weit, dass wir uns dazu entschieden hatten, mindestens auf dem Hinweg irgendwo auf halber Strecke fliegen zu gehen und eine Nacht dort zu bleiben. Weil auch unsere Freunde Lotte und Stefan in dieser Woche frei hatten, verabredeten wir uns zu einem gemeinsamen Flugtag. Der erste Wurf fiel auf den Bischling, an dem wir im Januar schon geflogen sind und für den samstags die Vorhersage für Sonntag optimale Flugbedingungen bescheinigte. Passt uns gut, ist tatsächlich praktisch genau in der Hälfte und nur ein sehr kleiner Umweg von der Tauernautobahn aus. Sonntagsmorgens um 5 Uhr in der Früh kommt eine Nachricht von den beiden, dass Bischling jetzt doch nicht mehr gut ist und sie als neues Ziel Hinterstoder ansteuern wollen. Hinter….was? Nie gehört. Wo ist das? Ist das noch in Europa? Liegt es irgendwie auf dem Weg nach Slowenien? Wir recherchieren, finden das Fluggebiet und ja, wahrscheinlich ist’s zum Fliegen dort sonntags jetzt besser als am Bischling, allerdings verlängert sich die Reise dorthin um etwa eine Stunde und von dort weiter ebenfalls um etwa eine Stunde. Aber egal, wenn fliegen geht, dann nehmen wir das in Kauf. Außerdem, Bingo, an diesem Sonntag wurde auf die Winterzeit umgestellt, was uns eine Stunde mehr Zeit an diesem Tag verschafft. Das ist Karma. Auf nach Hinterstoder, ein kleines Dorf, das in der Region Pyhrn/Priel zu finden und im Winter ein gutbesuchtes Skigebiet ist und natürlich in Österreich liegt. By the way, Thema Bergtour: Der große Priel mit dem gigantischen roten Kreuz auf dem Gipfel ist auch noch offen.

Bepackt wie die Esel, mit mehreren Gleitschirmen, Gurtzeugen, Rettern, Futter für ein paar Tage, der Handpan, einem kalten Landebier und den Rädern hinten drauf, starten wir so früh, dass wir bis kurz nach Mittag dort sein und mit etwas Glück sogar die Nachmittags-Thermik noch erwischen zu können, denn die Sonne scheint den ganzen Tag, der Wind ist moderat vorhergesagt, die Basis soll auf über 2500m liegen. Was ist die Basis werden sich vielleicht manche fragen? Nun, das ist der Bereich in der Luft, bis wohin Luft aufsteigt, ohne dass aufgrund der Ausdehnung und Abkühlung der Luft beim Aufstieg Kondensat ausfällt. Stichwort trockenadiabatischer Temperaturgradient. Da Luft abhängig von der Temperatur nur eine bestimmte Menge Wasser aufnehmen kann, beginnt das Wasser als Kondensat auszufallen, wenn die Sättigungsgrenze überschritten wird, es bilden sich Wolken, es ist fühlbar Feuchtigkeit in der Luft. Stichwort feuchtadiabatischer Temperaturgradient. Die Stelle, an der der Übergang zwischen trockenadiabatisch und feuchtadiabatisch stattfindet, die Unterkante der Wolken, wird als Basis bezeichnet. Aber genug davon. Die wichtige Botschaft ist, bis dahin ist fliegen in der Thermik (das ist die trockenadiabatisch aufsteigende Luftmasse) cool.
Auf dem Weg nach Hinterstoder bucht uns Astrid ein Zimmerchen im Explorer-Hotel direkt an der Talstation der Bergbahn, wo wir das Auto einfach stehen lassen können und zu unserer Überraschung enthält die Buchung eine Gästekarte, mit der an beiden Tagen die Bahn kostenlos benutzt werden kann. Das ist irre, wie wir später bemerken, denn wir nutzen die Bahn an beiden Tagen zu zweit, womit die Übernachtung praktisch nichts mehr kostet.
In Hinterstoder angekommen, sehen wir uns als erstes den etwas von Bahn und Hotel entfernten Landeplatz an, der im ersten Moment etwas spooky wirkt, da mitten im Ort, ringsum bebaut und dadurch klein erscheint. Doch als dann grade jemand zum Landen kam und wir damit einen Bezug zu den Dimensionen haben, sind wir entspannt. Es wären schon sehr grobe Schnitzer nötig, um diese Wiese nicht irgendwie zu treffen. Wir stellen das Auto am Hotel ab, Astrid besorgt die bereits für uns vorbereiteten Gästekarten, zwischendurch geben wir ein Lebenszeichen an die anderen beiden und lernen, dass Lotte oben am Startplatz auf uns wartet, Stefan sich gerade auf seinem ersten Flug befindet und die Bedingungen bezüglich des Windes sich leider nicht so entwickelt haben, wie die Prognose es prophezeite, weswegen Lotte auch noch nicht gestartet ist. Gut, müssen wir sehen, wenn wir oben sind. Immerhin können wir mit den Gästekarten einfach in die Bahn einsteigen, den Theta im Gepäck, und erstmal rauffahren, um uns selbst ein Bild zu machen. Bis zur Mittelstation auf einem großen Plateau fährt eine Gondel, dort steigen wir mit einem kleinen Fußmarsch verbunden um in eine Sesselbahn, die uns ganz rauf bringt. Am Ausstieg kommt uns schon die liebe Lotte mit einer herzlichen Begrüßung entgegen. Wir inspizieren gemeinsam den Nordstartplatz, von dem aus eigentlich hätte gestartet werden können, doch die Windanzeiger sagen etwas anderes: Ost-Südost. Es gibt Menschen, die starten, auch Stefan ist in einer guten Phase hier raus, doch ohne überheblich klingen zu wollen, die meisten, die dann auch abheben, haben nur Glück und meines, das weiß mein Bauch sofort, werde ich hier nicht herausfordern. Auf irgendeine mir nicht bekannte Weise erhalten wir die Information, dass es am Weststartplatz gehen könnte, weil dort nun immer mehr die Sonne reinscheint und dadurch ablösende Thermiken und teilweise der Talwind für startbare Verhältnisse trotz des eigentlich vorherrschenden Rückenwindes sorgen könnten. Wir wechseln die Location, Zeitnot haben wir nicht, es ist erst gegen 13 Uhr. Am Startplatz angekommen, ist nicht schwer zu erkennen, dass auch dort nichts passt. Alle Windfahnen zeigen Rückenwind an, je weiter unten am Startplatz, desto weniger, aber ohne Interpretationsspielraum. Weil die Sonne im weiteren Tagesverlauf immer weiter in den Hang vor dem Weststartplatz reinscheinen wird, besteht eine kleine Hoffnung, dass der dadurch entstehende Aufwind die Lage ändern könnte. Wir warten. In der Zwischenzeit kommt auch Stefan wieder hoch und wir sitzen zu viert im Gras und quatschen ein wenig, während wir die Gelegenheit bekommen mit anzusehen, was Testosteron aus Menschen macht. Es ist tatsächlich leider so, dass es einige männlich Identifizierte gibt, denen die Windrichtung offensichtlich egal zu sein scheint und entgegen jeglicher Vernunft versuchen, ihre Schirme irgendwie mit Gewalt in die Luft zu zerren, ohne Rücksicht auf andere Piloten oder die Situation im Allgemeinen. Geht natürlich in 9 von 10 Fällen schief und die verbleibenden 10% haben einfach Dusel. Ist mir unbegreiflich und auf jeden Fall nicht zum Nachahmen empfohlen.

Etwa zwei Stunden werden wir auf die Probe gestellt, ob unsere Theorie mit Sonne und Geduld vielleicht aufgeht, außerdem haben wir als relativ harte Wartekriterien die Uhrzeit der letzten Talfahrt im Nacken und durch die Zeitumstellung die ab jetzt früher einsetzende Dämmerung. Dann nehmen wir wahr, dass sich etwas verändert. Es kommen immer wieder Phasen vorbei, wo entweder kein Wind weht oder er von vorne kommt. Letzteres passiert immer häufiger und das ist das Startsignal für alle, die bereits lange warten, so wie wir und schlagartig ist die Zuversicht zurück, dass gestartet werden kann. Wir machen uns fertig, reihen uns ein in die Warteschlange bis Astrid dann als erste aus unserer Gruppe starten kann. Ich habe derweil auf die Startvorbereitungen eines äußerst unsicher wirkenden Flugschülers gewartet, was unser aller Geduld sehr strapaziert hat, doch es geht fair zu, niemand mosert oder drängt ihn, doch als er dann endlich aufzieht und trotz Fluglehrerbegleitung am Funk abbrechen muss, springe ich ohne lange zu diskutieren in die Lücke, es ist alles für meinen Start vorbereitet, ich brauche nur ganz wenige Minuten bis ich die Kappe über mir habe und gegen halb vier starte. Sofort halte ich Ausschau nach Astrid, sie fliegt den einzigen anderen Theta, finde sie über einer kleinen vorgelagerten Geländekante, wo auch andere offensichtlich Steigen haben und reihe mich dort ein. Es geht tatsächlich nach oben, ganz unerwartet, nicht weit, aber immerhin nicht nur runter. Wegen der Zeitumstellung fühlt es sich schon wie die einsetzende Dämmerung an, es ist ein wenig diesig und kühl, doch wir nehmen jede Minute mit, die wir bekommen können. Lange hält dieser Zustand nicht an und ich merke bald, dass das Steigen endlich ist, die Sonne nicht mehr genug Kraft hat und die Bäume unter mir mit jeder Kurve näher kommen bis ich am Ende entscheide, kein Risiko einzugehen und mich in Richtung Landeplatz auf den Weg mache. Der große Höhenunterschied erlaubt es mir, ein bisschen Strecke durchs Tal zu machen, nachdem ich die Landewiese gesichtet und eine Idee davon hatte, wie ich später meine Landeeinteilung fliege. Das klappt mit kleinen Korrekturen hervorragend, ich lande sicher auf der offiziellen Landewiese auf meinen Füßen, so wie auch alle anderen aus unserem Grüppchen. Sehr fein. Wir sind happy, dass wir doch noch starten und einen so unerwartet schönen und relativ langen Flug hatten. Der Betrieb am Landeplatz nimmt raketenartig zu, denn natürlich haben alle das gleiche Thema mit dem nicht mehr vorhandenen Auftrieb. Noch ein Bier am Landeplatz, dann suchen wir uns ein Gasthaus auf dem Weg zum Hotel, finden eines und lassen bei leckerem Essen den Tag ausklingen, der inzwischen zur Nacht übergegangen ist.

Am nächsten Morgen sind wir mit Lotte und Stefan verabredet, um nur das erste Stück mit der Bahn hochzufahren und die zweite Strecke, wo wir am Vortag den Sessellift genommen hatten, die restlichen etwa 430 Höhenmeter, zu Fuß zu machen. Es ist Montag, der Parkplatz an der Talstation ist fast leer, auch oben sind kaum Menschen unterwegs. So gefällt mir das. Nach einer guten Stunde gemütlichen Aufstiegs erreichen wir den Nordstartplatz, eine lange Wiese, die später im Jahr zu einer Skipiste dazu gehört, der Wind steht perfekt an und außer uns ist weniger als eine Handvoll Pilot:innen anwesend. Wir machen uns fertig, legen unsere Schirme alle hintereinander aus, sodass Lotte als erste startet, dann ich, dann Astrid und zuletzt Stefan. Es ist zwar schon 11 Uhr als ich starte, doch die Luft ist kühl, der Wind schwach, Zeit, einen wunderschönen Gleitflug mit dem Großen Priel als Kulisse zu genießen. Nach der Landung beschließen wir mit Lotte und Stefan die gemeinsame Zeit gegen Mittag bei Kaffee und Kuchen, bevor Astrid und ich unsere Fahrt nach Slowenien fortsetzen. Es war eine große Freude, dieses feine Fluggebiet in Hinterstoder kennenlernen zu dürfen und ich gehe davon aus, dass wir nicht das letzte Mal dort gewesen sind.

Auf geht’s nach Slowenien. Leider bremsen uns Unfälle und Dauerbaustellen derart aus, dass es bereits dunkel ist als wir von Österreich über Tarvisio einen italienischen Zipfel querend über die Grenze nach Slowenien einreisen und bei Nacht die kurvige, enge Straße nach Bovec und weiter nach Kobarid hinunter tingeln, um im weiteren Verlauf unterm Berg Stol wieder das Tal bis Potoki hinaufzufahren, wo wir überraschender Weise sofort den Abzweig zu unserer Ferienwohnung fanden. Die liegt nämlich abseits vom Ort nahe an einem kleinen Bach und ist über eine sehr kleine unscheinbare Straße bzw. später Schotterweg zu erreichen. Wir werden sehr herzlich von Sandi, unserem Vermieter, empfangen, der alles zeigt und erklärt und mir fällt auf, obwohl er wahrscheinlich 10 Jahre älter sein kann als ich, spricht er soviel Englisch, dass wir sehr gut zurechtkommen. Ich bin beeindruckt. Bevor wir jedoch ausladen und ans Essenmachen denken können, muss ein Schnaps rein. Sandi besteht darauf. Er brennt selbst. Wir wehren uns nicht und ich bin erneut beeindruckt, wie lecker der Schnaps ist, aromatisch, nicht zu viel Alkohol, wirklich tipptopp, wenngleich wir nicht zusammenkommen was das verwendete Obst angeht. Da sind die Grenzen unser aller Sprach- und Florakenntnisse erreicht. Während wir Futter machen, schmieden wir Pläne für den ersten Tag. Wir wollen es gemütlich angehen lassen, müssen ein bisschen einkaufen, wollen die Landeplätze in der Gegend mal anschauen und ein wenig die Sonne genießen, denn wir werden die ganze Woche ein stabiles Hochdruckgebiet haben. Soweit wir das beurteilen können, soll es auch erst am zweiten Tag zum Fliegen taugen. Keine Eile also. Gesagt, getan, der nächste Tag beginnt damit, dass wir über Robič, wo der nächstgelegene ausgewiesene Landeplatz ist, den wir schonmal in Augenschein nehmen, weiter nach Kobarid zum Tanken fahren, denn an der Tankstelle liegt auch gleich der nächste Landeplatz. Weil an diesem Dienstag in Kobarid kein Supermarkt geöffnet hat, was ich seltsam fand, fuhren wir einfach weiter nach Tolmin, um auch dort den Landeplatz anzuschauen und wo es eine Möglichkeit zum Einkaufen gab. Irgendetwas kommt mir merkwürdig vor. Die Sonne scheint, es ist warm, der leicht morgendliche Nebel hat sich schnell verzogen, fast Windstille, doch es ist kein einziger Schirm in der Luft. Schon den ganzen Tag nicht.
Zurück an der FeWo machen wir uns mit dem Fahrrad auf den Weg, noch den letzten, weiter oben im Tal gelegenen Landeplatz in Podbela anzuschauen, um für alle Eventualitäten beim Fliegen gerüstet zu sein. Für den nächsten Tag schaut es auf jeden Fall nach fliegen am Stol aus und jetzt kennen wir 4 verschiedene offizielle Landemöglichkeiten im Tal. Abends kochen wir lecker und schmieden einen Plan für den nächsten Tag. Zu dieser Planung gehörte, ich weiß gar nicht mehr, wie wir darauf gekommen sind, dass wir uns überlegen, wie wir fliegen wollen, wenn Starten am Stol möglich ist, denn wir sind in einem richtigen Streckenfluggebiet, der Startplatz liegt mitten in einem langen Grat etwas unterhalb des Gipfels und wenn die Prognose halbwegs eintritt, müsste es möglich sein, nach dem Start Richtung Gipfel den Grat hinauf zu fliegen und von dort zurück über den Startplatz in Richtung Kobarid. Eine kleine Übung für unseren B-Schein, mit der Möglichkeit, von jedem Punkt aus sicher einen der inspizierten Landeplätze zu erreichen. Also nach dem Start rechts abbiegen.

Mittwoch, 30. Oktober. Pünktlich um 8Uhr gehen wir zu Fuß mit unseren Flugzeugen auf dem Rücken los und treffen Sandi, der ganz neugierig wissen will, was wir heute vorhaben. Wir erklären ihm, dass wir nun zu Fuß bis kurz unter den Gipfel des Stol zum offiziellen Startplatz gehen, dort starten und in Robič landen wollen und dass wir auch zu Fuß vom Landeplatz zurück zur Ferienwohnung kommen. Er ist etwas überrascht, ob der Weglänge, die wir uns vorgenommen haben, gibt uns aber noch den Hinweis mit auf den Weg, dass wir in der oberhalb gelegenen Ortschaft Potoki Ausschau nach einem markierten Wanderweg halten sollen. Das Schild haben wir bereits gesehen, der Weg ist auf unseren Karten drauf, wir bedanken uns jedoch, weil er auch hätte nichts sagen können. So isses besser. Der kleine Fahrweg vorbei an einer Herde Schafe in den Ort hinein ist schnell zurückgelegt, wir erkennen gleich auch die richtige Stelle, wo der Weg den Hang hinauf losgeht, biegen ein und dann beginnt ein kleines Martyrium. Es ist abartig steil, erst ein kurzes Stück Asphaltweg, dann geht’s in den Wald, Markierungen existieren, doch wir sehen dem Weg an, dass er nur selten begangen wird, denn an mancher Stelle muss Frau schon sehr genau hinsehen, um einen Pfad zu erkennen, was uns mehr als einmal nicht gelingt. Kleine Verhauer inklusive und teilweise urwaldartige Bedingungen mit tiefhängenden Ästen, Dornengewächsen und -ich glaube- einer Art Wachholderbeer-Nadelholz. Hat auf jeden Fall ziemlich gepiekst. Die Steilheit nimmt nach oben hin zu, die Schritte werden immer kleiner, der Schweiß tropft und mein Quatschi sagt, den Weg gehe ich auf gar keinen Fall ein zweites Mal hoch. So legen wir etwa 900 Höhenmeter zurück und sind erleichtert als nach kurzer Orientierungslosigkeit endlich das obere Ende in Form eines Bergrückens in Sicht kommt, wir aus dem Wald herauskrabbeln und der weitere Weg über eine holprige Forststraße führt. Erstmal Pause, ich bin platt, essen, trinken, mal hinsetzen. Die gute Nachricht: Auf so steilen Anstiegen purzeln die Höhenmeter relativ schnell, so lange Frau dazu in der Lage ist, weiterzugehen. Und noch eine gute Nachricht: Offensichtlich sind wir dazu in der Lage und offensichtlich erholen wir uns relativ schnell und können nach wenigen Minuten weitergehen. Es liegt noch jede Menge Weg vor uns, der zwar einfach zu begehen und lange nicht mehr so steil ist, sich aber gefühlt endlos den Grat entlang hinzieht. Außer einer Herde Kühe treffen wir nur zwei Menschen, die uns im Auto entgegenkommen und sehr freundlich grüßen bis wir den Startplatz erreichen. Wir sind völlig alleine. Unterwegs bekommt Astrid eine Kurznachricht auf ihr Telefon. Der Sohn des Vermieters. Wir sollen uns bitte melden, wenn wir gelandet sind, Sandi, sein Papa, kommt uns abholen, egal, wo wir dann sind. Wie lieb. Sie machen sich Sorgen um uns.
Startplatz Stol. Im Grunde sind es zwei Startplätze, einer oberhalb der Forststraße mit einer Trockentoilette drauf, was ich super finde, denn es bewahrt hoffentlich die Gegend davor, vollgeschissen zu werden, wie es so oft in der Peripherie anderer Startplätze vorzufinden ist, sowie einem Drahtzaun am unteren Ende und einer unterhalb besagter Forststraße. Beide sind perfekt und großzügig zum Starten, allerdings stehen oben das struppige Gras und diverse andere Pflanzen recht hoch, was immer ein bisschen blöd mit den dünnen Leinen unserer Schirme ist. Deswegen entscheiden wir uns für den unteren Startplatz, wo das Gras kurz ist. Viehkacke gibt es überall, dass macht keinen Unterschied, ist jedoch alles trocken und damit kein Problem. Eine kleine Überraschung auf den ersten Blick ist der relativ starke Wind, der entgegen der Nullwindprognose hier weht. Auf den zweiten Blick ist’s keine Überraschung, denn die Sonne scheint bereits viele Stunden auf den Starthang, was sowohl Boden als auch Luft erwärmt hat und damit für aufsteigende Luft sorgt. Was wir also hier als Wind spüren, sind thermische Ablösungen, die mitunter heftig sind, doch es kommen immer auch längere ruhigere Phase vorbei, unser Start ist nicht gefährdet. Wir lassen uns Zeit, das übliche Spiel, trockenlegen, trinken, unsere Flugsachen vorbereiten und für den Flug warm anziehen. Ähnlich, wie in anderen Fluggebieten, so ist es hier Pflicht, eine Gebühr in Form einer Vignette zu zahlen, die auch online erworben werden kann. Es gibt sie für einen oder mehrere Tage und wir beschließen, erstmal je eine für heute einzukaufen, was sich jedoch mangels mobilem Datennetz als schwieriges Unterfangen darstellt. In der Nähe der Trockentoilette gibt’s ein schwaches Signal und mit etwas Geduld klappt es irgendwann, die Tickets zu kaufen.
Wir sprechen unseren Fliegeplan durch, den wir am Abend davor überlegt hatten und wir wollen beide wissen, ob unsere Überlegungen umsetzbar sind. Wir legen aus. Entgegen der üblichen Vorgehensweise ziehe ich meinen Schirm nicht ganz auseinander, um zu verhindern, dass er von irgendwelchen Böen mitgerissen wird, sondern nur soweit, dass meine vordersten Leinen frei sind. Weil wir beim Einpacken immer sehr penibel darauf achten, dass die Leinen sortiert sind und keine Öhrchen machen, müsste alles passen, wenn eine Leinenreihe frei ist. Auf diese Weise kann ich mich in die Tragegurte einhängen und startbereit, die Steuerleinen in den Händen, den Schirm mit Hilfe des Windes auslegen, dabei etwas Zug auf den A-Leinen halten und so dafür sorgen, dass die Kappe auch bei mehr Wind ruhig am Boden bleibt. Astrid startet als erste. Es geht etwas turbulent zu, als sie den Schirm über sich hat, doch sie bekommt alles in den Griff und fliegt los. Als ihre Füße vom Boden weg sind, ziehe ich ebenfalls rückwärts auf, stabilisiere und hebe praktisch am Platz ab. Hey, wir fliegen. Sehr geil. Astrid ist rechts abgebogen, wie besprochen, und hat an einer der erste Geländekanten, an der sie vorbeikommt, einen krassen Heber, doch sie fliegt weiter geradeaus am Hang entlang in Richtung Gipfel. Als ich an diese Stelle komme, hebt’s mich auch ordentlich hoch und ich überlege mir, dass es klug sein könnte, erst hier Höhe zu gewinnen, bevor ich unseren Plan weiter umsetze, denn Astrid hat auf ihrem weiteren Weg kein Steigen mehr, wie ich beobachte. Ich drehe um, steige weiter, nach der 3. oder 4. Kurve bin ich höher als der Startplatz, den ich anschließend überfliege, wobei es ziemlich unruhig in der Luft wird. Währenddessen behalte ich Astrid im Auge, die inzwischen ebenfalls umgedreht ist und zurückkommt, weil sie entgegen ihrer Annahme weiter hinten am Gipfelhang keinen Auftrieb mehr hatte. Sie ist bereits sehr tief, aus meiner Perspektive sieht es so aus, als berühre sie bald die Bäume, was aber Unsinn ist. Sie kommt zur ersten Rippe zurück und versucht es dort erneut, allerdings sind die Thermiken weiter unten sehr viel schwächer als oben. Ich habe inzwischen den Startplatz mit mehr als 200m überhöht, doch ich finde es genau über dem Grat extrem ungemütlich. Offensichtlich kreuzen sich hier zwei Luftmassen und sobald ich hineinfliege, bricht ein kleiner Sturm in meinem Fluggerät los, den ich mir dann irgendwann nicht mehr suche und etwas weiter vor dem Grat auf der Landeplatzseite bleibe. Astrid kämpft um jeden Meter, doch es geht nicht wirklich hoch. Es ist eher so, dass das Steigen gerade genügt, um den Höhenverlust beim Kurvenfliegen auszugleichen. Mehr nicht. Wir hatten vor dem Start vereinbart, dass wir zusammenbleiben, denn keine von uns hat Lust, irgendwo alleine landen gehen zu müssen. Mein Bauch sagt irgendwann, dass es für Astrid Zeit wird, sich in Richtung Landeplatz Robič zu orientieren bevor ihr die Höhe für die etwa 3km Strecke dorthin ausgeht und just in diesem Moment dreht sie vom Hang weg, biegt in Richtung Talmitte ab und steuert den Landeplatz an. Für mich das Signal, nicht weiter aufzudrehen. Wir haben zwar Funk dabei, doch ihre Flugentscheidung, der sofort Taten folgen, sind nach unserer Absprache eindeutig. Deswegen zeige ich ihr durch meine nächste Flugentscheidung, dass ich folgen werde, indem ich meinen Bart verlasse und meinen Flug am Grat entlang in Richtung Kobarid fortsetze, womit ich für sie sichtbar in die gleiche Richtung fliege, wie sie, bloß ein paar Etagen höher. Wir besprechen das später nachdem wir beide gelandet sind und sie bestätigt, dass sie das genauso wahrgenommen hat. Wir lassen uns nicht gegenseitig allein. Manche finden das übertrieben, doch wir haben viele Verhaltensweise aus der Bergsteigerei beim Fliegen übernommen, weil sie sich bewährt haben. Auch so etwas, wie einen Partnercheck vor dem Start. In Fluggebieten, wo ein erneutes Starten möglich ist, weil z.B. eine Bahn fährt, gilt bei uns die Regel, flieg, wenn du fliegen kannst. Wer absäuft, kommt einfach wieder hoch. Doch das gilt hier nicht, weil es dazu keine Möglichkeit gibt. Unterwegs habe ich immer gerade so viel Steigen, dass ich ein klein wenig vor und oberhalb der an sich fallenden Kante bleibe und so mehr als die Hälfte der Strecke nach Kobarid zurücklege, unterwegs Astrids Landung in Robič beobachte und als ich selbst irgendwann auch kein Steigen mehr habe, zum Landeplatz abbiege. Beim Landen ist hier auf zwei Stromleitungen zu achten und was die Sache nicht einfacher macht ist, dass bei Berg- oder Talwind der Endanflug entlang der sehr kurzen Seite der rechteckigen Wiese erfolgen sollte. Ich habe Glück, denn als ich die im Schatten stehende und dadurch schlecht sichtbare Windfahne endlich erkenne, zeigt sie Talwind aus einem Seitental kommend an und damit steht mir quasi die lange Seite der Wiese zur Verfügung. Weil die Wiese um diese Jahreszeit praktisch den ganzen Tag im Schatten liegt, das haben wir tags zuvor bereits bei der Besichtigung bemerkt, ist sie sehr nass und mit extrem vielen kleinen, wahrscheinlich von Regenwürmern aufgeworfenen und sehr matschigen Erdanhäufungen übersäht. Hier landen bedeutet, der Schirm ist nass und dreckig. Bäh. Ich versuche, möglichst nahe der Straße aufzusetzen, was auch gelingt, doch dass der Schirm in den Matsch fällt, ist kaum zu vermeiden, denn auf der Fahrstraße ablegen, auf der immer wieder Autos vorbeikommen, ist eine semi gute Idee. Aber egal wie, wir haben beide, wie immer, ein breites Grinsen im Gesicht, denn das Privileg, einfach fliegen zu dürfen, empfinde ich immer noch als den absoluten Wahnsinn. Nichts desto trotz sprechen wir natürlich darüber, was uns dieser Flug in Bezug auf den geplanten Weg gelehrt hat und kommen zu dem Schluss: „Wenn du Steigen hast, bleib genau dort, nutze es aus und fliege erst weiter, wenn ausreichend Höhe für die anschließende Etappe vorhanden ist.“. Astrid ist nämlich schon ein wenig enttäuscht, dass sie den allerersten Aufzug verpasst hat und nicht so hoch fliegen konnte. Da wir aktuell noch beim Sammeln von Flügen für den B-Schein sind, hätte es uns natürlich gefreut, diesen Flug verbuchen zu können. Lustigerweise ist mir das trotz Thermikfliegen und ein bisschen Strecke machen, ebenfalls nicht gelungen, weil mein Flug am Ende ein paar Sekunden zu kurz war, um für die Anforderungen an die Ausbildung zu taugen. Aber, hey, wir sind voll schön geflogen, sind vorher über 3 Stunden mit dem schweren Rucksack den steilen Weg rauf, waren dabei praktisch ganz alleine, können selbst entscheiden, ob fliegen klug oder blöd ist und es ist ein super Tag mit Sonne und gut 20°C Ende Oktober. Was will Frau mehr?
Um die Schirme trocken und sauber zusammenlegen zu können, ziehen wir auf einen kleinen asphaltierten und vor allem in der Sonne liegenden Sportplatz wenige Fußminuten entfernt um. Als alles trocken verstaut ist, schultern wir wieder unseren Fliegerucksack und machen uns auf den Weg zurück zur FeWo. Wir nehmen nicht gerade den optimalen Weg, was unter anderem daran liegt, dass unsere elektronische Karte uns über eine Brücke schickt, wo keine ist und wir bis in den letzten Ort zurücklatschen müssen, um die Richtung korrigieren zu können. So sind wir am Ende fast eine Stunde unterwegs, allerdings mit dem einen oder anderen Fotostopp an einer kleinen Schlucht mit Hängebrücke, bis wir auf Sandi in seiner Garage treffen, wo er gerade den ersten Lauf einer Schnapsbrennaktion überwacht. Aus einer selbstgebauten Destille tropft klare Flüssigkeit raus, überwiegend einwertiger Alkohol, und weil wir sehr interessiert sind, was er da tut und wie das geht, Sandi uns jedoch aufklärt, dass wir das, was gerade hier rausläuft, auf keinen Fall trinken können, verschwindet er im Haus und kommt mit einer Flasche Brand vom letzten Jahr und 3 Gläsern wieder raus. Landeschnaps. Aus was genau der ist, bekommen wir mangels gegenseitiger Sprachkenntnisse nicht hin, doch das Zeug schmeckt sensationell lecker, sehr aromatisch und vergleichsweise mild. Da hat Sandi was Tolles gezaubert, würde ich sagen. Wir bedanken uns, erzählen noch kurz, wie es beim Fliegen so war, doch dann wird es Zeit, dass wir uns trockene Sachen anziehen, einen Kaffee kochen und danach wollen wir zum Bach hinunter an den Kiesstrand, wo wir noch ein paar Sonnenstrahlen genießen können. Außerdem will ich die Gelegenheit nutzen, noch ein wenig Handpan zu spielen, was im Freien in einer so feinen Umgebung noch ein bisschen mehr Spaß macht. Als die Sonne dann aber verschwindet, wird es sofort kalt. Zeit zu kochen und Pläne für den nächsten Tag zu machen. Alle Versuche am Abend, für den nächsten Tag irgendwie ein Shuttle zu bekommen, scheitern, weil einfach niemand da ist, der shuttled.

Donnerstag, 31. Oktober. Die Prognosen in unserer Fliege-App sagen, dass Stol erneut die beste Wahl sein wird und obwohl wir eigentlich keine Lust mehr auf den beschwerlichen Weg haben, uns die Knochen und Muskeln schon ein wenig weh tun, ist es, wenn wir fliegen wollen, die einzig sinnvolle Option. Nach der Erfahrung vom Vortag, specken wir etwas beim Gewicht ab, ziehen die leichteren Trailrunningschuhe an, reden uns gut zu, dass wir das schon schaffen werden und dass es eigentlich super ist, eine Gelegenheit zu bekommen, am gleichen Berg bei gleichen Bedingungen einen neuen Versuch starten zu dürfen und gehen etwa um die gleiche Uhrzeit los, wie tags zuvor, auf den uns nun bekannten Weg. Obwohl wir uns nicht beeilen, sind wir eine gute halbe Stunde schneller als gestern, schon allein deswegen, weil wir uns nicht mehr verlaufen. Eine Startplatzbesichtigung brauchen wir auch nicht und so kommt es, dass wir etwa eine Stunde früher in der Luft sind und uns daran tun, es besser zu machen als gestern. Es dauert keine zwei Minuten bis ich merke, dass alles anders ist und dass ich hier heute gar nirgendwo nach oben fliegen werde. An den Geländekanten, an denen es gestern mit Schmackes nach oben ging, passiert heute original nix und jede Kurve und jede weitere Suche nach Steigen führt zu Sinken. Einzig an einer kleinen zerklüfteten Felswand können wir uns ein paar Minuten halten, doch das rettet Holland nicht. Zuerst verstehe ich es nicht, doch mit jedem Flugmeter in Richtung Landeplatz wächst die Erkenntnis in mir, dass wir schlicht zu früh gestartet sind und die Sonne, die zwar schön scheint, Luft und Berghang noch nicht lange genug beschienen hat. Diese Erkenntnis wird gefestigt als wir später am Tag 3 Schirme über dem Grat beobachten, die einzigen in dieser Woche, die so hoch sind, dass sie mehrmals am Grat rauf und runterfliegen können. Gibt wohl noch viel zu lernen beim Thermikfliegen.
Die gute Nachricht: Der Nachmittag ist noch jung, wir wollen noch einkaufen gehen, denn morgen ist der 1. November, Allerheiligen, der auch in Slowenien Feiertag ist. Sandi hatte uns schon gewarnt, dass wir an den Feiertag denken sollen, wir nickten ab und bestätigten ihm, dass wir Bescheid wissen und er sich keine Sorgen machen braucht. Weil es noch so schön ist, setzen wir uns vor dem Einkaufen mit Kaffee, Keksen, Schoki und Handpan noch ein wenig in den Garten, als Sandi vorbeikommt und sich nach dem Flug erkundigt. Wir reden kurz und teilen ihm mit, dass wir dann später, wenn die Sonne weg ist, nochmal losziehen wollen, um Futter zu schießen. Daraufhin er, können wir uns sparen, die Geschäfte sind zu, weil doch heute, wie er uns gestern schon versucht hat zu sagen, Feiertag in Slowenien ist. Der Groschen rutscht. Die Slowenen haben sowohl am 31.10. als auch am 1.11. Feiertag. Unsere Gesichter werden lang, es sollte lecker Coq au Vin geben. Na, das fällt dann wohl aus. Nudeln sind da, Tomaten sind da, am Ende fehlt uns eigentlich nur etwas Brot fürs Frühstück. Sandi meint, wir sollen sitzen bleiben, er besorgt uns Brot für den nächsten Morgen und den nächsten Tag, mit seinem Quad sei er schnell wieder zurück und ich schätze, er hat in seine eigene Tiefkühltruhe gegriffen. Haben wollte er fürs Brot nix. Astrid und ich sind sprachlos. Das ist so lieb von ihm.
Bei unserem dann doch sehr einfachen Abendessen checken wir das Wetter für den nächsten Tag. Stol sieht nicht mehr so gut aus, dafür kommt Kobala, ein Hügel über Tolmin, ins Rennen, aber egal wie, wir müssen zu Fuß gehen. Beim Zubettgehen bemerken wir liebe kleine Spinnentierviecher, die bei Astrid schon angezapft haben. 3 Stück. Zecken. Auch ich habe das erste Mal in meinem fast 51-jährigen Leben eine Zecke auf mir drauf, doch die scheint noch etwas unentschlossen zu sein und sucht in der Gegend rum. Ich helfe ihr bei der Entscheidung und überzeuge sie, dass ich ihr nicht schmecke. Die Zecken auf Astrid entfernen wir vorsichtig und vollständig und beobachten ab da die Einstichstellen, denn wenn die Rötungen größer werden und Ringe ausbilden, ist allerhöchste Eisenbahn für eine medizinische Versorgung.

Freitag, 1. November, Allerheiligen. Felsenfest davon überzeugt, dass der Aufstieg zum Kobala über einen Wanderweg durch den Wald und mit etwas weniger relativer Höhe als am Stol nicht so lang sein wird, lassen wir uns ein bisschen mehr Zeit an diesem Morgen, das Auto bleibt auf einem Parkplatz nahe des nördlich von Tolmin gelegenen Landeplatzes stehen und wir gehen gegen halb zehn los. Der gesamte Ort Tolmin ist zu durchqueren bevor es über eine Brücke in den nächsten Ort geht, in dem wir auf den Wanderweg abbiegen wollen, statt die Fahrstraße hinaufzulaufen. Ein klein wenig verwinkelt durch die Gassen erreichen wir ein Bächlein über das zwei Bohlen gelegt sind, an deren Ende es am anderen Ufer in den Pfad hineingeht, den wir nehmen wollen. Ein einzelner Mann kommt uns über die Bohlen entgegen und als er unsere Rucksäcke sieht, will er wissen, was wir vorhaben. Ich stutze. Was geht ihn das an? Die Frage wächst sofort in mir, weil er mir auf den ersten Blick sehr suspekt vorkommt und auch an Astrids zurückhaltender Reaktion merke ich, dass es ihr ähnlich geht. Wir antworten knapp, dass es auf den Kobala gehen soll. Wir wollen fliegen. Er schüttelt den Kopf und er versucht uns mit Händen und Füßen zu erklären, dass das auf diesem Weg eine schlechte Idee ist. Er spricht wenige Worte Englisch und noch ein paar weniger Deutsch und als er merkt, dass wir seinen Rat nicht verstehen, dreht er auf dem Absatz um und winkt uns, wir sollen ihm folgen. Er biegt in den Wanderweg ein und sprintet hinauf, wir ihm dicht auf den Fersen so gut es mit den Rucksäcken geht. Nach etwa 10 Minuten kommen wir an einen Abzweig und wir erkennen auf unserer elektronischen Karte, dass es ab diesem sehr unscheinbaren Abzweig, an dem wir 100%ig erstmal vorbeigelaufen wären, nach oben in den Wald gehen würde, um zum Kobala zu kommen, doch bereits beim ersten Blick hinauf erkennen wir, warum dieser Mann uns davon abhalten will, dort entlang zu gehen. Soweit das Auge reicht Windbruch vom Feinsten. Tausende umgestürzte Bäume verlegen den Weg, ein Ende ist nicht zu sehen. Er meint, ohne Rucksack würde es vielleicht noch gehen, aber mit dem schweren und sperrigen Ding auf dem Rücken ist es ein gefährliches und äußerst mühsames Unterfangen. OK, verstehe. Da geht es nicht rauf. Wir müssen über die Fahrstraße wackeln. Gemeinsam gehen wir zurück bis zu dem Bach, über den die Bretter liegen, der Mann möchte erneut, dass wir ihm folgen, sein Auto stünde nicht weit von hier. Obwohl er es nicht explizit ausdrückt, gewinnen Astrid und ich den Eindruck, dass er uns rauffahren will. Nein, das kommt nicht in Frage, das wäre uns unangenehm und wir lehnen freundlich aber unmissverständlich ab, wir wollen zu Fuß gehen und keine fremde Hilfe in Anspruch nehmen. Es braucht mehrere Anläufe, doch dann verabschieden wir uns dankend und schlagen einen Wanderweg ein, der uns zur nächsten Brücke und damit auf die Fahrstraße nach oben führt, so wie es in unserer Fliege-App beschrieben ist.
Einer der offensichtlichen Nachteile dieses Weges ist, dass sich die Strecke praktisch verdoppelt, über die Straße nur wenige Höhenmeter purzeln und wir ständig auf die Autos achten müssen, denn es gibt keinen Randstreifen oder so etwas und die Autos fahren schnell, auch in den Kurven und uns fällt darüber hinaus auf, dass sich der Verkehr von oben und unten immer genau da trifft, wo wir gerade gehen. Laut Karte können wir in einer der Kehren auf einen Pfad durch den Wald wechseln, um ein paar der Kehren abzuschneiden. Nach einer kurzen Suche finden wir den Einstieg, doch ich frage mich sofort, ob Straße dann nicht doch besser gewesen wäre, denn, wie am Stol, werden diese Wege offensichtlich kaum begangen, führen durch dichten Bewuchs, sind nicht immer eindeutig erkennbar und die Unwetter, die für den Windbruch gesorgt haben, zerstörten auch große Teile der Wege. Viele mühselige Schritte durch Dornengestrüpp, durch ausgewaschene Rinnen, über Baumstümpfe und unter querliegenden Bäumen hindurch später, bin ich fast froh, dass wir die Straße wieder erreichen und auf ihr ein Stück weitergehen können. Zwei, drei Kurven später wechseln wir erneut auf einen Wanderweg, der jedoch deutlich als solcher markiert und besser zu gehen ist, da er eine der Hauptverbindungen zwischen den Tälern darstellt. Kürzer ist er deswegen allerdings nicht. Eine weitere gute Stunde sind wir darauf unterwegs bis wir das letzte Stück Straße erreichen, das zum Startplatz führt. Ein wenig abgekämpft stehen wir nach fast 4 Stunden Fußmarsch seit Verlassen des Parkplatzes nach etwas mehr als 1000 Höhenmetern endlich auf dem Startplatz. Das hatte ich mir anders vorgestellt und wahrscheinlich kam es uns deswegen so beschwerlich vor, weil wir auf einem normalen Weg ohne Verhauer kaum die Hälfte der Zeit benötigt hätten, um hier zu stehen. Nun sind wir aber da, können erstmal ankommen, uns trockenlegen, was essen und den Startplatz in Augenschein nehmen. Ein Tandem startet gerade als wir ankommen, wir schauen ein wenig zu, doch er bleibt nicht lange, biegt relativ schnell in Richtung Landeplatz ab. Ansonsten ist noch genau ein anderer Pilot gestartet, der sich ein wenig am Starthang hält, mal rechts ums Eck, mal links ums Eck fliegt, aber immer in der Nähe des Startplatzes bleibt. Sagt uns, es trägt ein wenig. Der relativ lange Anmarsch hatte dem nach auch etwas Gutes, denn dass wir heute zu früh starten, so wie gestern, kann uns jetzt nicht mehr passieren. Der Pilot landet top, bedeutet, er landet wieder auf dem Startplatz, wurschtelt ein wenig an seinem Zeug rum, zieht um an eine andere Stelle und startet wieder, fliegt erneut ein bisschen hin und her.
Astrid und ich bereiten zwischenzeitlich alles für einen Start vor, denn fliegen geht auf jeden Fall und als wir zwei Plätze nebeneinander gefunden haben, wo wir fast gleichzeitig starten können, landet der andere Pilot erneut und wir quatschen kurz, wo es am meisten Steigen gibt. Er meint, es sei nicht so prickelnd heute, deswegen packt er jetzt auch ein und ist fertig für heute.
Bevor ich starte, schaue ich ein wenig in der Gegend rum, um mich zu orientieren, wo ich den Landeplatz finde, den Parkplatz, wo das Auto steht und wie der Hügel nahe am Landeplatz aussieht, hinter dem es je nach Talwind ein großes Lee gibt, in das wir auf keinen Fall hineinfliegen wollen. Mir fällt auf, dass es eine ziemlich lange Strecke bis zum Landeplatz ist, der von hier aus auf der anderen Seite von Tolmin liegt. Es gibt noch einen vorher, doch den haben wir uns nicht angeschaut. Links am Ort vorbei gibt es einige große Wiesen mit nicht zu vielen Hindernissen drauf, was auch gut zu wissen ist, falls eine Außenlandung nötig wird.

Astrid startet als erste, sie zieht rückwärts auf, stabilisiert, dreht aus und hebt nach ganz wenigen Schritten ab. Als sie sich ein paar Meter entfernt hat, tue ich es ihr gleich und so sind wir erneut völlig allein in der Luft, die Sonne scheint, der Wind ist moderat, wehte am Startplatz mit vielleicht 8-10km/h, und die erste Aufgabe besteht darin herauszufinden, wo es Steigen gibt. Vor dem Start hatten wir noch verabredet, ab welcher Höhe MSL wir auf jeden Fall in Richtung Landeplatz müssen, um diesen sicher gegen den Wind erreichen zu können und auch heute gilt, sobald die erste zum Landeplatz fliegt, folgt die andere. Meine erste Annahme, dass es rechts neben dem Startplatz an einer Baumreihe steigen könnte, bewahrheitet sich nicht und ich kaspere da gar nicht lange rum, sondern drehe um und fliege in die entgegengesetzte Richtung. Gleichzeitig behalte ich Astrid im Auge, die nach meinem Empfinden direkt nach dem Start überraschend viel an Höhe verloren hat und rechne damit, dass sie in Kürze zum Landeplatz abbiegt. Just in diesem Moment hebt’s mich ordentlich über einer Geländekante. Ich drehe sofort ein als das Steigen nachlässt, um den Punkt wieder zu erwischen, was auch gelingt und schwupps geht’s weiter rauf bis auf Augenhöhe mit dem Startplatz. Ich mache mir Sorgen um Astrid. Sieht sehr tief aus, wo sie gerade ist, doch sie hat mein Steigen beobachtet, drehte eine Kurve zurück in den Hang und versucht, an der gleichen Geländekante Steigen zu erwischen. Während ich Meter um Meter den Startplatz überhöhe, kämpft sie weiter unten, um nicht weiter zu sinken und im besten Fall wieder weiter hoch zu kommen, was ihr tatsächlich gelingt. Beharrlich dreht sie ihre Kurven vor der Kante und krabbelt Stück für Stück hoch zu mir und am Ende schafft sie es sogar, deutlich über mich zu kommen. Voll krass. Das hat sie richtig, richtig gut gemacht. Es geht zwar nicht wirklich weit hoch, wir schaffen es, den Startplatz etwa 200m zu überhöhen, doch die Thermiken und Aufwinde genügen, um sich gut halten zu können. Erneut weiß ich, dass es eine gute Entscheidung gewesen ist, den B-Schirm einzukaufen und an solchen Tagen damit zu fliegen, denn mit dem Bergsteigeschirm hätte das im Leben nicht funktioniert, weil die Aufwärtsfahrt viel zu gering für diesen Schirm gewesen wäre, um sich aus der fast verfahrenen Situation wieder nach oben retten zu können. Es gibt immer wieder Klugscheißer, die sagen, dazu braucht’s keinen höherklassifizierten Schirm, doch da bin ich wieder an dem Punkt, wenn’s ordentlich nach oben kachelt, kann ich auch mit einer Plastiktüte fliegen. Aber wenn das nicht so ist, kommt es halt schon ein wenig aufs Material an. Am Ende fliegen wir fast eine Stunde lang zu zweit unsere Thermikkreise mit kleinen Abstechern über die Gegend, beobachten uns gegenseitig, wo Steigen und wo Sinken angesagt ist, teilweise sind die Heber sogar recht heftig, im Mittel liegen sie so bei knapp unter 3m/s, was einigermaßen lieb ist, doch die Anfangsbeschleunigung, wenn ich in eine Thermik einfliege, liegt mitunter bei mehr als 6m/s. Da passiert schon ordentlich was in der Kappe. Ein kleiner Schnalzer hier und da, wenn die äußere Spitze mal entlastet inklusive. Aktiv zu fliegen, alles mitzubekommen, was passiert, Entscheidungen treffen, umsetzen, die Partnerin nicht aus den Augen verlieren, so ist fliegen einigermaßen anstrengend, insbesondere für den Kopf.
Nun ist es aber auch so, und da ticken Astrid und ich ähnlich, dass es irgendwann langweilig wird, insbesondere dann, wenn wir relativ kleinräumig vor uns hinfliegen, alle Ecken, wo was passiert, ausgekundschaftet haben und sich die Abfolgen beginnen, zu wiederholen. Außerdem, wenn ich so lange mit gewickelten Steuerleinen fliege, schneiden die Dinger irgendwann ein, die Hände schlafen ein, es wird kalt und unbequem im Leichtgurtzeug und dann kommt der Moment, wo mein Quatschi im Kopf sagt, ne Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen wären jetzt auch schön. Und zack, knackt es in meinem Ohr, Astrid meldet sich und funkt durch, dass sie gerne landen gehen würde. Hihi… wie bestellt. Auf zum Landeplatz. Wir drehen vom Starthang weg, Astrid hat nochmal Steigen und fliegt gute 50-100m über mir, doch auch meine Höhe reicht komfortabel aus, um über den Ort zu kommen, selbst wenn wir nun mit höchstens 25-30km/h Vorwärtsfahrt mit offener Bremse gegen den Wind die letzten Kilometer fliegen müssen und das Sinken dabei ein klein wenig größer ist. Die kleine Bedenkenträgerin in mir setzt sich durch und möchte nicht unmittelbar über bebautes Gebiet fliegen, sondern an dessen Rand entlang, wo es reichlich Wiesen gibt, falls doch eine Außenlandung notwendig werden würde. Ist zwar nicht wahrscheinlich, doch sie gewinnt. Auch Astrid steuert nach links am Ort vorbei, über die Soča drüber, überquert auf dem Weg dorthin Kirche und Friedhof, immerhin ist Allerheiligen, fotografiert den Überflug und schon bald hat auch sie den Bereich um die Landewiese erreicht, wo ich bereits die nicht vorhandene Windrichtung versucht habe zu ermitteln und meine Landeeinteilung fliege. Je weiter ich runterkomme, desto weniger Wind gibt’s, was mir dann auch die Windfahne auf einer Ecke der Landewiese sagt, als ich sie endlich erkenne und so setze ich nach einem langen Endanflug entlang eines Weges sanft auf der Wiese auf und sogleich macht sich Euphorie in mir breit, dass so ein Flug im November überhaupt noch möglich war. Der Hammer. Wenige Minuten nach mir setzt Astrid ebenfalls am Wegesrand auf und hat ein breites Grinsen im Gesicht. Die Schinderei beim Aufstieg hat sich absolut gelohnt, ich bin froh, dass wir nicht aufgegeben haben, gestartet sind und so einen Wahnsinnsflug machen konnten, denn nebenbei bemerkt, das war der letzte Flug, der uns für den B-Schein außer dem finalen Überprüfungsflug noch gefehlt hat.

Wir legen zusammen, währenddessen hält ein Pärchen, ein paar Jahre älter als wir, auf e-Bikes neben uns an, er ist ebenfalls Pilot und wollte wissen, wie wir hochgekommen sind, denn er hat wohl bemerkt, dass sonst niemand fliegt, der Schalter für die Fliegevignette geschlossen ist und keine Shuttles fahren. Wir schnacken kurz, seine Begleiterin zieht ein langes Gesicht, als wir zu dem Punkt kommen, dass wir zu Fuß hoch sind. Spricht irgendwie Bände, geht mich aber nix an und ich kenne die Leute natürlich kein kleines Bisschen. Um allerdings zu Fuß hochzugehen, ist es inzwischen definitiv zu spät, es geht auf 15 Uhr zu, und morgen ist nach unserem Kenntnisstand kein Flugwetter mehr, weil der Westwind die Oberhand gewinnt und deutlich zulegt. Unser Plan für den heutigen Nachmittag: Zurück zum Auto, Tankstelle ansteuern, wo es ein Landebier und etwas Süßes zu kaufen gibt, dann Ferienwohnung, Kaffee machen, Handpan spielen, Schokotörtchen futtern und später kochen. Das könnte ich jeden Tag haben. Gibt es nicht doch irgendjemanden auf der Welt, der mich dafür bezahlt, dass ich nicht arbeiten gehe? By the way, wo ich die Frage gerade stelle, ein Nachbar von uns hat daraufhin mal geantwortet, dafür hätten wir die falsche Hautfarbe. Spricht auch Bände.
Abends checken wir erneut das Flugwetter für den nächsten Tag und es bleibt dabei, fliegen ist nicht. Aber das macht nichts. Astrid hat einen Plan B entwickelt, wir machen eine kleine Radtour samstags an der Soča entlang bevor wir in Richtung nach Hause aufbrechen, eine Gelegenheit für mich, mal in die eine oder andere Klamm oberhalb von Bovec hinein zu schauen, ob’s noch so ist, wie ich es vom Kajakfahren vor 34 Jahren kannte. Ich freue mich darauf. Was wir noch brauchen ist eine Idee davon, wo wir sonntags vielleicht fliegen können, denn wir wollen die Rückreise wieder unterbrechen, um keine 8-10 Stunden am Stück im Auto zu sitzen. Ansonsten packen wir schonmal zusammen, was geht, damit’s am nächsten Morgen, dem Tag der Abreise aus Slowenien, etwas zügiger geht.

Samstag, 2. November. Schweren Herzens räumen wir die FeWo. Hier könnten wir es länger aushalten und versprechen Sandis Sohn, mit dem wir noch ein bisschen plaudern, dass wir wiederkommen, es hätte uns schlimm gut gefallen. Im Auftrag seines Vaters drückt er uns noch eine kleine Flasche Selbstgebrannten in die Hand, wir verabschieden uns und reiten los in Richtung Bovec. Wir parkieren an dem kleinen Flugplatz, steigen auf die Räder und fahren los, die Soča hoch, kommen tatsächlich wenigstens an einer der kleinen Flussklammen vorbei, die ich noch von früher kenne und ich habe kleine déjà-vus, wie ich da mit dem Paddelboot runter bzw. durch bin. Digga, das ist lange her. Bei unserer Radtour haben wir nicht bedacht, dass das enge Soča-Tal oberhalb von Bovec um diese Jahreszeit mehr oder weniger ganz im Schatten liegt und wir frieren wie die Schneider, ziehen an, was wir noch im Rucksack haben und als nach 10km der erste Fleck mit Sonne vorbeikommt, beschließen wir erst Pause zu machen und was zu essen und dann, dass es hier auch gut ist für heute und wir nach der Pause zurückfahren. Auf dem Rückweg geht’s ein bisschen mehr bergab und es ist gefühlt noch kälter, weil wir schneller fahren können und ich bin fast froh als wir den kleinen Anstieg aus dem Tal heraus zum Parkplatz erreichen, weil dort endlich die Sonne wieder hinkommt. Brrr…
Ein kleiner Supermarkt und ein kleines Sportgeschäft werden noch von uns überfallen, bevor wir auf die Idee kommen, abschließend ein Café zu suchen, um unseren Aufenthalt in Slowenien mit Kaffee&Kuchen zu beschließen. Wir werden fündig und erneut überrascht, wie freundlich und zuvorkommend die Menschen hier sind. Einfach schön. Dann geht’s auf die Straße, über Tarvisio in Italien zurück nach Österreich und auf die Tauernautobahn nach Norden. Unterwegs bucht Astrid uns ein Hotelzimmer in Werfenweng an der Bischlinghöhe, eines der wenigen, die überhaupt noch zu bekommen sind, wo wir dann mit einiger Verspätung aufschlagen, weil die Dauerbaustellen auf der A10 eher einem langen Parkplatz gleichen als einer Autobahn. Die anfängliche Idee, bei unseren Freunden Alex und Manuel in Saalfelden aufzukreuzen und mit ihnen zusammen etwas zu unternehmen, scheitert an unterschiedlichen Vorstellungen bezüglich der Aktivitäten an so einen Tag. Weil wir keine 2000-Höhenmeter-Tour mit „Klippenstart“ machen wollen, wie es den beiden vorschwebt, entscheiden wir uns dazu, es mit Fliegen am Bischling zu versuchen, denn dort könnte sich sonntags was ausgehen und der Zustieg zu Fuß ist mit etwa 2 Stunden und rund 800 Höhenmetern moderat und passt in den Tag, an dem wir danach noch etwa 4 Stunden fahren müssen. Den anderen beiden ist das zu fade, aber dann ist das eben so.
Gerade auf den Hotelparkplatz gerollt, quatscht uns ein besoffener alter Mann an. Boaahhh…. Das Gesülze brauche ich jetzt wirklich nicht. Erstmal hilft es, diesem Menschen keine Aufmerksamkeit zu schenken, er verschwindet im Restaurantbereich des Hotels, doch leider sind wir so spät dran, dass die Rezeption geschlossen ist und man solle sich im Restaurant melden, wo uns dieser ekelhafte Mensch schon wieder anlabert und damit offensichtlich auch allen anderen Anwesenden auf die Nerven geht. Immerhin finden wir mit der Servicekraft hinterm Tresen zum Ziel, bekommen einen Schlüssel und beziehen unser Zimmer für die Nacht. Beim Aufschließen der Tür bekomme ich Sehnsucht nach einem eigenen Wohnmobil. Ein waschechtes Retro-Zimmer. Ich schätze, die letzte Renovierung war wahrscheinlich vor 1955 und ich staune mal wieder, wie leider oft, für was die Menschen sich trauen, Geld zu verlangen. Alt, abgeranzt, kalt, geflickschustert für bald 140€ die Nacht, aber immerhin mit Frühstück. „Kalt“ lösen wir, indem wir mal die Balkontür schließen und die Heizung anschalten, wobei das eine kleine Herausforderung ist, da der gigantische, aber ineffiziente Heizkörper, wie in den 50igern üblich, sich hinter einer Holzverkleidung versteckte. Das Bett ist nicht so schlecht. Die Matratze ist noch keine 70 Jahre alt. Wir werden die eine Nacht überleben. Apropos Überleben, Hunger. Es gibt ja ein Restaurant und als wir dort einfallen, lernen wir, dass die Bude den letzten Tag vor der Pause bis Skisaisonstart offen hat. Morgen nach dem Frühstück gehen alle in Urlaub. Doch bis dahin gibt’s natürlich noch etwas zu essen und zu trinken und ich muss sagen, dass Essen ist besser als die Zimmer vermuten lassen.

Sonntag, 03. November. Der Tag beginnt mit einer Textnachricht von Alex, die sich was von der Seele schreiben will, weil wir doch gesagt hätten, wir kämen vorbei. Eine Erwartungshaltung, die wir nicht nachvollziehen können, denn alle bis dahin auch von ihr geschriebenen Inhalte waren im Konjunktiv geschrieben, es war nichts fest vereinbart und offensichtlich passten unsere Vorstellungen bezüglich der Aktivitäten, die heute für uns gehen können, nicht zusammen, was Astrid auch genauso antwortet. Seitdem ist Funkstille bis heute, die wir nicht einordnen können.
Mehr Sorgen macht mir die geschlossene Nebeldecke im Tal und die nervigen Kinder beim Frühstück. Selbstverwirklichung von Eltern ist nicht in allen Belangen sinnvoll, manchmal wünsche ich mir, dass Kinder durchsetzbare Grenzen kennen würden. Fremdscham. Ich spreche den Menschen vom Service an, was er zum Nebel meint oder welche Erfahrungen es gibt, ob das nochmal aufreißen könnte? Wir schauen zusammen den Wetterbericht an, den wir schon kennen und der von Sonne spricht. Ein Nebelloch sei Werfenweng eigentlich nicht, das sei heute das erste Mal, dass er da ist, doch er meint, wir sollen mal schauen, ob jemand von der Flugschule am Landeplatz da sei und dort nochmal nachfragen. So machen wir das dann auch, als wir ausgechecked haben, springen wir erst an der Flugschule vorbei, sprechen dort mit einem Menschen, der allerdings ebenfalls keinen Rat hat, und entscheiden dann, dass wir einfach mal losgehen und sehen, was passiert, denn oben am Startplatz scheint die Sonne, wie wir von der Webcam erfahren. Sollte es wider Erwarten keine Bodensicht geben bis wir oben sind und sich das auch nach einer angemessenen Wartezeit nicht ändert, sind die 800 Höhenmeter auch schnell wieder abgestiegen, was dann immer noch in unseren restlichen Lebensplan für den Tag passt. Weil auch hier die Bergbahn in Revision ist, gibt’s keine Touristen, der Parkplatz an der Bahn ist leer, es sind nur sehr wenige Wandernde unterwegs und wir beobachten einen anderen Piloten, der leicht an seinem Rucksack zu erkennen ist und der sich ebenfalls auf den Weg nach oben macht. Ok, wir sind nicht die einzigen mit einer kleinen Hoffnung auf einen Flug. Den Weg kennen wir teilweise schon vom letzten Winter, wo wir mit den Tourenski zum Fliegen hier hoch sind. Unterwegs kommen wir so ab etwa 1200m in den Nebel, sind aber ab etwa 1300m schon wieder draußen. Dick ist die Decke also nicht und wir beobachten vom Weg aus, wo es möglich ist, dass sich etwas tut. Über dem Ort ist das erste Loch entstanden und wenn das mal da ist und die Sonne noch ein bisschen Kraft hat, müsste es sich schon soweit auflösen, dass wir mindestens ein Loch zum Durchschlupfen finden, denn das genügt prinzipiell. Es geht ein kleines Stück über die Skipiste weiter, die Sonne scheint schön, es ist nichts los, nur wenige bis keine anderen Menschen und so erreichen wir in nicht mal 2 Stunden und dann doch knapp 900 Höhenmetern den Startplatz und machen noch einen winzigen Abstecher zum Gipfelkreuz. Ein einziger anderer Pilot ist da, mit dem wir ein wenig ins Gespräch kommen, denn er hat einen ganz neuen Miniwing zum Testen da. Als er weg ist, legen Astrid und ich aus, es ist Platz genug, dass wir beide nebeneinander starten können und dann fliegen wir raus. Trotz der Sonne ist es relativ kalt und fast windstill, weswegen weder mit Thermik noch mit Hangaufwinden zu rechnen ist und weswegen wir auch unsere leichteren Bergsteigeschirme eingepackt haben. Dafür ist die Luft ruhig, Zeit zum Genießen und ich mache etwas, was ich bis dahin noch nie gemacht habe: Ich lasse die Steuerleinen los, ziehe die Handschuhe aus, stecke sie mir oben in die Jacke, denn ich habe keine Bändel dran, nehme mein Telefon aus der Tragegurttasche am Rucksack, es ist dort mit einem kleinen Karabiner an einer Schnur fest, und mache mein allererstes Video während eines Fluges. Und dann noch ein kurzes, wo Astrid mit drauf ist und wo eine Inversion schön zu sehen ist, die in den Tälern liegt. Momente, die einem niemand mehr wegnehmen kann. Ich freue mich schon wieder, wie ein Schnitzel, dass wir einfach so fliegen dürfen und können, ganz ohne schneller, höher, weiter, wie andere es gerade betreiben. Ich brauche das Rennen um spektakuläre Instagram-Beiträge nicht, sondern bin einfach nur happy, ganz besonders dann, wenn mein Lieblingsmensch und ich uns in der Luft begegnen. Das Einzige, was ich ein wenig verkacke, ist schon wieder die Landung. Offensichtlich immer noch mein Endgegner, auch nach rund 130 Flügen noch. Das mit der Windrichtung ist irgendwie schwer einzuschätzen, die Windsäcke sind keine Hilfe, sie zeigen immer wieder zwar schwache aber doch wechselnde Verhältnisse an und so kommt es, dass Astrid und ich in genau entgegengesetzter Richtung in den Endanflug gehen, sie nahe der Straße und der Flugschule aufsetzt und ich bei leicht abfallender Wiese in meiner Richtung und tragender Luft weit über den Landeplatz hinausfliege, bis meine Füße endlich den Boden berühren. Ich traue mich nicht, wie andere das häufig tun, mich herunter zu bremsen, denn prinzipiell ist Geschwindigkeit beim Landen sicherer und ermöglicht es, erst kurz vorm Aufsetzen mit dem richtigen Bremsimpuls die Fahrt so zu reduzieren, dass sehr sanftes Landen möglich wird. Wenn ich hingegen schon angebremst reinkomme, riskiere ich am Ende noch einen Strömungsabriss dicht überm Boden und beraube mich der Möglichkeit, den eben beschriebenen Impuls setzen zu können. Die Wiese ist lang, keine Hindernisse, ich muss bloß mit der Tulpe in der Hand lange zurücklaufen, um auf Höhe Astrid wieder in der Sonne zu sein, wo wir dann gemeinsam zusammenpacken. Erstmal fallen wir uns in die Arme und busseln. Die Entscheidung hinauf zu gehen trotz Nebel, war genau richtig und hat uns, wie so oft in dieser Woche, einen leeren Himmel für uns allein geschenkt.
Jetzt bin ich fein, nach Hause zu fahren und mit ein bisschen Glück noch in unseren Stammgasthof zu kommen. Eine blöde Sache passiert allerdings noch: Mein geliebtes Schweizer Messer habe ich auf dem Parkplatz liegenlassen, nachdem ich es völlig untypisch nicht sofort aus dem Flugrucksack zurück in die Handtasche gepackt, sondern schlampig auf meinem Zeug habe rumliegen lassen, von wo aus es unbemerkt auf den Boden rutschte. Tue Dinge immer gleich. Fail. Das hat weh getan, als ich es zu Hause bemerkte. Es hat mich nun etwa 30 Jahre begleitet, ich hatte es damals von meinen letzten Kröten auf der Abschlussfahrt mit der Fachabiturklasse in der Schweiz eingekauft. Es wollte wohl nicht mehr bei mir sein und ich beschließe, dass es nicht klug ist, an materiellen Dingen zu hängen. Das Messer ist ersetzbar, kein Grund sich zu grämen. Vielleicht findet es jemand anderes und wird glücklich damit.
Das Ding mit den Wangerstuben hat am Ende auch funktioniert, wir sind zu den gewöhnlichen Öffnungszeiten dort angekommen und mussten kein Cordon bleu telefonisch vorbestellen, wie zuletzt auf der Fahrt zurück aus dem Gsieser Tal.

Eine voll schöne Woche vollgepackt mit lieben Menschen, tollen Erlebnissen am Boden und in der Luft und 3 neuen Fluggeländen geht zu Ende. Jetzt drücke ich uns für die nächsten 3-4 Monaten die Daumen, dass wir trotz Winter ein paar Gelegenheiten zum Fliegen bekommen. Im nächsten Jahr wartet im April zuerst ein weiteres Sicherheitstraining mit den neuen Schirmen auf uns und im Mai ein Thermikseminar für Frauen und spätestens dort würde ich mich freuen, wenn das mit unserem finalen Überprüfungsflug klappt und wir damit den unbeschränkten Luftfahrerschein bekommen können.

bottom of page