Weissmies-Überschreitung, 4017m, 28.-29.7.2020
Schon wieder hat uns COVID-19 fest im Griff. Die geplanten Touren im Stubai und auf den Dom, sowie die Urlaubswoche mit meinen Kindern fielen der amtlich angeordneten Quarantäne zum Opfer. Nachdem sich meine Frau mit ziemlicher Sicherheit auf der letzten Bergtour auf einer Tiroler bzw. einer Südtiroler Hütte infizierte, positiv getestet und richtig krank wurde, landeten wir in den Fängen des Gesundheitsamtes. Ihre Quarantäne war klar nachvollziehbar. Meine nicht. Obwohl ich mich -warum auch immer- nicht ansteckte, alle meine drei Tests negativ waren und ich bis zum letzten Tag meiner Quarantänehaft keine Symptome zeigte, verhängte das Amt in Summe fast 4 Wochen Isolation für mich. Das ist übrigens nur in Bayern so. Im Rest des Landes und auch im Rest Europas schert sich niemand um so etwas. Auch das Bundesgesundheitsministerium interessiert sich dafür nicht. Hab' ich ausprobiert. Schöne Regeln, die nichts nutzen, weil sie in der Fläche nicht mit der gleichen Härte umgesetzt werden, wie eben in Bayern. Die Leidtragende war ich. Aber frau lernt ja dazu.
Und weil dadurch nur wenige Tage zum Bergsteigen im Juli übrig blieben und praktisch 4 Wochen kein Training möglich war, musste das Ziel angepasst werden. So ganz schwer fiel die Wahl nicht. Manuel und Alex waren mit von der Partie und beide waren noch nicht auf dem Weissmies. Überhaupt war es Manuels erster 4000er. Der Anstieg über den Südgrat ist überdies ein schöner. Der Abstieg durch den Gletscherbruch auf der Nordseite, dem Normalweg, gestaltet sich recht spannend. Per Buchungssystem, das ich im Übrigen echt super finde, ergatterten wir noch 4 Plätze auf der Almagellerhütte. Die Wettervorhersage ließ uns ebenfalls nicht im Stich. Und so starteten wir mit dem offiziellen Ende meiner Quarantäne in Richtung Saas-Grund. Die völlig fehlende Akklimatisierung begannen wir damit zu kompensieren, dass wir die erste Nacht auf dem Furka-Pass auf ca. 2400m verbrachten. Immerhin.
Weil ich als transidenter Mensch so überhaupt keine Lust auf meist verdreckte Sammelsanitärräume mit glotzenden Artgenossen auf überteuerten Campingplätzen habe, buchten meine Frau und ich ein kleines Appartment, das überraschender Weise nicht viel teurer war, als 3 Nächte im Zelt. Direkt neben der Talstation der Hohsaas-Bahn. Sehr praktisch. Die Vorhersage für den Hüttenzustieg bedeutete uns, am Anreisetag nicht zu trödeln. Spätestens ab 15Uhr sei mit Gewittern zu rechnen. Und so brachen wir früh am Furka-Pass auf und waren demzufolge (zu) früh an der Unterkunft. Erster Kontakt: Der "Chef" der Putzkolonne, der uns zunächst mit radebrechendem Englisch vom Parkplatz verjagen wollte. Als er kapiert hat, dass wir praktisch seine Gäste sind, bekam er die Kurve und wurde freundlich. Ansonsten war von ihm nichts zu bekommen. Eine Rezeption gibt es nicht, das Büro sei erst ab 10 Uhr besetzt. Also richteten wir zunächst unser Zeug, bis Astrid jemanden telefonisch im Büro erreichte. Mit etwas Bitten durften wir das Gipfelbier im Kühlschrank deponieren, obwohl die Reinigung unseres Zimmerchens noch im Gange war, und wir bekamen die Saas-Tal-Card elektronisch per Whats-App geschickt. Das genügte uns, denn die nächste Nacht fand ja auf der Almagellerhütte statt. Manuel und Alex erging es ähnlich. Einen Stellplatz konnten sie für diesen Tag noch nicht bekommen und so stellten sie Molex vor den Toren des Camping Schönblick ab. Natürlich für den vollen Preis.
Nachdem wir von Röckchen und Sandalen auf Berghose und Stiefel umgestiegen waren und der letzte Materialcheck keine Fragen offen lies, stapften wir gut bepackt in Richtung Postbus los. Früher unter dem Namen "Bürgerpass" bekannt, kann man jetzt die sogenannte Saas-Tal-Card bekommen, sobald man im Tal eine Übernachtung gebucht hat. Sie inkludiert die freie Nutzung der Postbusse sowie der Seilbahnen für die Zeit des Aufenthalts. Eine feine Sache. Zunächst. Denn das ist nur die halbe Wahrheit, wie wir zwei Tage später lernen. Ich erinnere mich, dass Astrid und ich auf unserer ersten Weissmies-Bergfahrt ein Spiel spielten. Aus meiner Paddelvergangenheit hatte ich die Schweizer als hinterhältig und raffgierig im Kopf gespeichert, die aus jeder Kleinigkeit versuchen, einen Vorteil für sich zu erwirtschaften. Zu viele schlechte Erfahrungen verleiteten mich dazu, alle Schweizer in einen Sack zu stecken und kein gutes Haar an ihnen zu lassen. Allein der Umstand, dass sie zufällig in ihrem Land schöne Flüsse und Berge haben, führte zu Besuchen in den kleinen diebischen Bergdörfern. Die Devise lautete immer: "Bringe alles von zu Hause mit und reduziere den Kontakt auf das Allernötigste". Astrid sieht das ganz anders. Bei ihr hat jeder einen 100%-Vertrauensvorschuss. Schweizer pauschal zu verurteilen, kommt für sie überhaupt nicht in Frage. Und so führten wir auf der ersten Weissmies-Tour 2013 eine "Guter Schweizer - Böser Schweizer"-Liste. Tja, was soll ich sagen. Für mich sehr überraschend ging dieses Spiel mit 11:0 für die guten Schweizer aus. Mein Vorurteilsberg bröselte damals auf einen kleinen Haufen zusammen. Mit dem dieses Mal stattfindenden Geeiere mit unserer Unterkunft und dem, was die zwei anderen auf dem Camping Schönblick bis dahin schon erleben mussten, sah ich mich nach den ersten paar Stunden im Tal bereits wieder in meinen Vorurteilen ein Stück weit bestätigt.
Wir steigen in den Bus nach Saas-Almagell. An der Furggstalden-Bahn treffen wir Alex und Manuel und fahren ein kleines Stück mit dem Sessellift rauf nach Furggstalden. Selbstverständlich tragen wir Maske auf dem Weg durch die Bahnstation und werden von der Frau an der Kasse sogleich angesprochen, es gäbe keine Maskenpflicht in der Schweiz. Tja, Pflicht vielleicht nicht, aber das ist dem Virus ziemlich egal. Astrid klärt sie auf, warum Maske tragen nicht ganz dumm ist, auch wenn es vielleicht komisch aussieht. Mit der kurzen Bahnfahrt kann der Hüttenzustieg zwar nicht viel gekürzt aber doch per Erlebnispfad etwas interessanter gestaltet werden. So mit Hängebrücken und so. Etwas überrascht ob der Kürze des Erlebnispfades, den ich aus der Vergangenheit etwas länger im Kopf hatte, bogen wir bald auf den normalen Hüttenzustieg ein. Es ist heiß. Als wir so langsam die Baumgrenze hinter uns lassen, wird es noch heißer. Der bis dahin abgängige Sommer zu Hause sorgte dafür, dass ich nicht an die Hitze gewöhnt bin. Tropfend erreichen wir eine gute Stunde später die Almagelleralp. Oder wie draußen angeschrieben steht, das Hotel Almagelleralp. Eine Coke läuft rein. Wir sind gut in der Zeit. Für die Reststrecke zur Almagellerhütte benötigen wir ebenfalls nicht ganz die angegebene Zeit von etwa zwei Stunden. So ganz unfit sind wir dann doch nicht. Unterwegs ziehen dicke Wolken durch und es fallen ein paar Tropfen. Doch ein richtiges Gewitter bleibt vorerst aus. Meine Füße sind ein wenig beleidigt als wir die Hütte erreichen. Ob es an den neuen Socken liegt oder dem späten Start nach der Autofahrt, kann ich nicht sagen. Was Füße angeht bin ich leider ein kleines Empfindlich. Es kommt nur sehr selten vor, dass eine richtige Bergtour ohne Blasen über die Bühne geht. Ist halt so.
Beim Betreten der Hütte haben wir alle vier wieder unsere Masken an und werden damit beäugt, als seien wir von einem anderen Stern. Also ich bin es ja inzwischen gewohnt, dass die Leute sich nach mir umdrehen und über mich reden, doch jetzt gab es noch drei Gründe mehr. Leider hat sich das nach meinem Gefühl den ganzen Abend nicht wesentlich geändert. Wir sind die einzigen gewesen, die immer mit Maske unterwegs waren, wenn wir nicht am Tisch saßen oder im Bettchen lagen. In den Gesichtern der anderen Gäste ist nur Verständnislosigkeit zu sehen. Interessant, wie schnell die allgegenwärtige Ansteckungsgefahr vergessen ist. Immerhin spricht der Hüttenwart meine Frau am nächsten Morgen an, dass er es gut findet, wie konsequent wir Maske tragen. "Guter Mann. Dann setz es in deiner Hütte durch. Wenn sie den ersten auf deiner Hütte positiv testen, kannste den Laden für den Rest der Saison zu machen." Offensichtlich ist es für die gemeine Besucherschar zu schwierig, einfachste Schutzmaßnahmen umzusetzen. Schade. Ich wünsche ihm in Gedanken Glück.
Das Nachtessen. Große Erwartungshaltungen habe ich auf einer Schweizer Berghütte nicht, wenn es darum geht, den Magen zu beschäftigen. Ich werde nicht enttäuscht. Eher unteres Ende meiner eigenen Futterqualitätsskala. So gut wie alles kommt aus der Tüte. Gefühlt auch das, was wahrscheinlich Huhn sein sollte. Durch eine Plastikscheibe getrennt von der anderen Hälfte des Tisches, aus der wir und insbesondere ich gefühlt den ganzen Abend argwöhnisch von einer Gruppe Herren im fortgeschrittenen Alter beobachtet werden, schaufeln wir das Futter rein und vertreiben uns die Zeit so gut es geht. Ich lerne, dass ausgerechnet diese Menschen sich das Lager mit uns teilen. Priml. Es gibt aber noch eine Steigerung. Der Sanitärraum für Damen ist winzig und obwohl -wie üblich- weit weniger Frauen auf der Hütte waren als Männer, war es nahezu unmöglich, nicht angegafft und per bösem Blick verurteilt zu werden. Ich ernte einige akzeptanzlose Blicke mit dem Schriftzug auf der Stirn "Was will der hier drin?". Sehr unangenehm. Diesbezüglich eine meiner schlechtesten Erfahrungen auf Berghütten. Hilft aber nix. Kopf hoch. Können mir alle gestohlen bleiben. Wir sind zum Bergsteigen hier. Ist kein Strandurlaub.
Die kurze Nacht verbringe ich mehr oder weniger schlaflos. Fairer Weise muss ich gestehen, dass die alten Männer gar nicht so arg geschnarcht haben, wie ich erwartete. Der Wecker klingelt um 3:40 Uhr.
Hinsichtlich der Nahrungsaufnahme kann noch eins drauf gesetzt werden. Mit dem Frühstück um 4 Uhr morgens. Erinnert ein wenig an Alcatraz. Immerhin ist der Kaffee einigermaßen genießbar, wenn genug Zucker drin ist. Die Morgentoilette fällt mehr oder weniger aus. Ich kann kein kleines Zeitfenster ergattern, um auch nur das Nötigste für mich alleine zu erledigen. Dann muss es so gehen. Trage ja eh ne Maske, sobald andere Menschen ins Spiel kommen. Außerdem habe ich keinen Bock mich bei irgendeiner dahergelaufenen Tusse erklären und rechtfertigen zu müssen. Die verstehen es eh nicht.
Spannend wird es nochmal unmittelbar vor dem Start. Material und Bergschuhe aller Gäste befinden sich auf einem kurzen Stück zwischen Küche und Ausgang. Alle hängen sich auf der Pelle. Gedränge. Geschiebe. Abstand ist aus den Köpfen gestrichen. Nur das eigenen Fortkommen im Sinn, geht es trotz nur halber Hüttenbelegung zu, wie beim Preisboxen. Wir warten und versuchen, uns aus dem Verkehr draußen zu halten. Es gibt keinen Grund, als erste aus der Hütte zu stürmen. Als Viererseilschaft kommt es auf dieser Tour nicht auf eine Stunde mehr oder weniger an. Die Reihen lichten sich. Wir sammeln unser Zeug ein, machen uns draußen fertig. Es ist ziemlich warm. Gefroren hat es nicht. Ich starte mit T-Shirt und Hardshell in Richtung Zwischenbergpass. Der Weg ist bestens markiert. Das war vor 7 Jahren noch nicht so. Selbst vom Pass weg zum Südgrat hin gibt es blau-weiße Fähnchen auf Felsen gepinselt bis zum ersten Schneefeld. Ziemlich komfortabel in der Dunkelheit. Die Menschenmengen haben sich indes etwas auseinander gezogen. Es sind auch nicht alle aus der Hütte auf dem Weg zum Weissmies, so scheint es mir. Am Pass und in der Folge auch am Grat weht ein frisches Lüftchen. Ich ziehe noch was drunter und dann geht es los zur Kletterei. Aus der Ferne betrachtet geht es ganz schön steil den Grat rauf. Besonders in der oberen Hälfte. Ich erinnere mich jedoch nicht, dass wir beim ersten Mal irgendwelche ernsthaften Schwierigkeiten hatten. Sieht dramatischer aus als es ist. Ich freue mich auf die Kraxelei. Es folgen zwei Schneefelder, die ohne Steigeisen gehen. An einem windgeschützten Plätzchen besprechen wir den weiteren Weg. Spuren gibt es mehrere. Manche Grüppchen beginnen schon ganz unten am Grat zu klettern, andere steigen möglichst weit über den Schnee nach oben bevor sie in die Felsen queren. Wir entscheiden, im nächsten Schneefeld noch ein Stück der vorhandenen Spur zu folgen und an der ersten Felszunge nach links in den Grat einzubiegen. Steigeisen sind nicht nötig. Der Schnee ist gut zum Gehen. Nach wenigen Minuten beginnt die Kletterei. Irgendwie kommt's, dass ich voran steige. Kleine Pfadpassagen wechseln mit Felsen ab. Je näher ich an der Kante den Weg suche, umso besser ist der Fels. Schöner kompakter Fels. Wenig Gebrösel. Sehr fein. Zum ersten Mal fällt mir noch etwas anderes an mir selbst auf: Ich blicke auf den Grat vor mir und sehe automatisch wo die meiner Meinung nach beste Route verläuft. Und genau der folge ich dann immer. Beim Näherkommen bestätigen Millionen Kratzspuren von Steigeisen, dass ich nicht so ganz falsch liegen kann. Es läuft super. Ich schnaufe zwar, wie ein Walross, doch ich finde einen ganz guten Tritt, der mich nicht ganz an die letzte Schwelle treibt. Auf diese Weise legen wir gut 500 Höhenmeter kletternd am Grat zurück. Unterwegs läuft ein wenig Energie rein. Seit Kurzem ist ein Gel aus Honig und Salz im Gepäck. Sonst keine künstlichen Zusätze. Frau muss natürlich Honig mögen, sonst wird das nichts mit so einem Beutel. Und der Beutel muss vollständig geleert werden, sonst kommt Spaß in den Taschen oder im Rucksack auf. Honig klebt wie Hölle. Jedenfalls lässt der kleine Beutel meine Augen leuchten, wie bei Asterix und ich werde noch ein bisschen schneller. Mit dem Gefühl, der Grat nähme kein Ende, kommt schon das Ende. Das Gelände neigt sich nach hinten und ich stehe im Schnee. Oben. Ich schnacke noch ein wenig mit zwei Bergsteigern, die uns während unserer Futterpause überholten, bis die anderen drei aufgeschlossen haben. Fette Spuren über einen anfangs breiten Schneegrat, der später sehr schmal wird, lassen keine Zweifel aufkommen, wie es weiter geht. Bei unserer ersten Überschreitung hatten meine Frau und ich in dieser Passage das Seil zwischen uns und wir hielten die Eispickel bremsbereit in den Händen, darauf wartend, wann in die jeweils andere Richtung gesprungen werden muss. Deswegen hatte ich ein wenig Respekt vor den nächsten Metern. Es liegen ein paar Jahre mehr Erfahrung und etwas mehr Selbstbewusstsein zwischen dem ersten Mal und jetzt. Das macht sich bemerkbar. Wir gehen völlig entspannt seilfrei. Es gibt keine Wackler. Ich fühle mich nicht unsicher. Natürlich muss ich auf jeden Schritt achten. Mit den Steigeisen zu stolpern wäre nicht das schönste Ereignis hier. Ein Problem ist das aber nicht. Es folgt noch ein kleiner Felsaufschwung am Ende des Schneegrates. Als er überwunden ist, wird der Blick auf den nahen Gipfel frei. Auf dem letzten Stück am Gipfelgrat entlang geht es nochmal halbwegs steil zu. Eine gut ausgetretene Spur macht es jedoch einfacher, rüber zu kommen.
Gipfel. 4017m. In mancher Literatur auch mit 4023m angegeben. Ist aber auch wurscht. Es ist einfach eine superschöne Tour. Manuel steht auf seinem ersten Viertausender. Nach 4 Wochen Quarantäne ohne ernsthaftes Training sind meine Frau und ich froh, so entspannt oben angekommen zu sein. Von der Hütte weg sind es immerhin etwa 1100 Höhenmeter in wechselndem Gelände. Wir machen Fotos mit uns, mit Manni, von anderen. Genießen die Aussicht. Es sind gar nicht so viele Seilschaften am Gipfel, wie ich befürchtete. Es weht allerdings ein kalter Wind. Altwerden muss man da nicht. Wir packen das Seil aus. Der Abstieg verläuft über die Nordflanke auf dem Normalweg durch den Gletscherbruch hindurch. Ich bin froh, dass wir zu viert am Seil gehen. Nachdem die Reihenfolge festgelegt ist, wir alle eingebunden sind, starte ich voran bergab und die erste große Spalte lässt nicht lange auf sich warten. Es gibt ein paar Durchtritte. Wie dick die Brücke ist, kann ich kaum einschätzen. Noch ist der Schnee aber einigermaßen fest. Es ist erst etwa 10 Uhr. Wir meistern einige Spaltenübergänge. Mich beruhigt außerdem, dass wir in der Seilschaft ganz gut funktionieren. Es gibt kein Schlappseil. Es sei denn, ich fordere es für den Schritt über die Spalten an. Ansonsten berühren die Abschnitte zwischen uns kaum den Schnee. Alle sind bei der Sache und konzentriert. Bevor wir den Abstieg durch den eigentlichen Bruch erreichen, machen wir kurz Pause. Dann wird es steil und spaltig. Ein Lob an die Bergführer des Tales. Der Weg sieht insbesondere aus der Ferne waghalsig und exponiert aus. Er ist jedoch klug angelegt und nicht schwierig zu gehen. An ein oder zwei Stellen ist ein Halteseil installiert. Wir benötigen es nicht, aber schön, dass es da ist.
Plötzlich lautes Gerumpel. Wir bleiben stehen und blicken uns um. Nicht unwahrscheinlich, dass hier Eisschlag runter kommt. Ist aber nicht so. Am Hang gegenüber zum Lagginhorn hoch bricht Fels ab und saust nach unten. Keine Gefahr. Aber beeindruckend. Da möchte niemand im Weg stehen. Ebenfalls beeindruckend: Die Bergführer legten den Weg mitten durch eine riesige Spalte hindurch. Es tropft kalt von oben. Gänsehaut. Sowohl wegen des kalten Wassers als auch von der Atmosphäre in der Spalte. Schnell wieder raus in die Sonne. Kurze Zeit später gibt es auf unserer Seite dann doch Eisschlag. Allerdings weit genug entfernt. Ich verstehe nicht, dass immer noch Leute auf dem Weg nach oben sind. Es ist inzwischen gegen 11 Uhr. Wir lassen das steile Stück hinter uns. Damit werden auch die Spalten kleiner. Ich halte auf den rechten Rand zu, von wo aus ein breiter Weg sich vom Gletscher weg zur Bahnstation Hohsaas zieht. Etwas blankes Eis, inzwischen von der Sonne völlig aufgeweichter Schnee und Geröll sind noch zu passieren. Über ein paar letzte Felsbrocken gelangen wir vom Gletscher runter. Geschafft. Der Weissmies ist überschritten. Ich fühle mich lange nicht so platt, wie befürchtet. Rund 850 Höhenmeter sind wir nun über den Gletscher abgestiegen und es geht mir gut. Zufriedenheit macht sich breit.
Ein Blick zurück in den Bruch verrät, dass in den letzten Jahren ganz schön viel Eis verschwunden ist. Große Teile Fels sind sichtbar geworden, wo bis vor kurzem noch Eis drüber hing. Bin gespannt, was das in den kommenden Jahren für die Bergsteigerei ganz allgemein bedeutet.
Ein Mensch mit niederländischem Akzent spricht uns an, um sich zu erkundigen, wie die Spaltenlage auf dem Normalweg so ist. Er möchte in den nächsten Tagen mit Teilnehmern aus seiner DAV Sektion rauf. Wir quatschen ein wenig mit ihm. Er begleitet uns rauf zur Bergstation der Seilbahn. Dabei kommen wir auch auf das Thema COVID-19, wie es uns mit der Quarantäne ergangen ist und dass wir wegen des Masketragens so merkwürdig behandelt wurden. Sie werden ebenfalls Maske tragen. Alles andere ist nicht klug.
Wir steigen in die Gondel. Der Plan: Bis Kreuzboden runterfahren und dort auf Monstertrotties umsteigen. Das wollen wir seit Jahren mal gemacht haben. Bisher ging es immer irgendwie unter. Ein Monstertrotti ist ein großer Roller, vom Prinzip her wie ihn Kinder benutzen. Bloß mit dickem Metallrahmen, Ballonstollenreifen und Scheibenbremsen. Leider ohne Dämpfung. Die Abfahrt von Kreuzboden zur Talstation ist fast 11 km lang und baut rund 800 Höhenmeter ab. Das erste Stück geht's auf einer Schotterpiste runter, auf der wir gut durchgeschüttelt werden. Wir lachen uns vor Spaß halb tot. Sehr lustig das ganze. Die Rucksäcke wurden zum Glück mit der Bahn runter transportiert. Mit dem Ding auf dem Rücken wäre es vermutlich ziemlich mühsehlig geworden. So war das eine feine Sache. Manuel hat es sogar fertig gebracht, mit dem Trotti zu springen und zu driften. Weiter unten ging der Weg in Asphalt über, wo wir richtig laufen lassen konnten. Knapp 50 Klamotten, sagt meine Uhr, hätte ich in der Spitze drauf bekommen. Immer wieder mal mussten wir Pause machen, denn die Fahrt in gebückter Haltung mit spannender Kurvendynamik ist sehr anstrengend. Vom ersten bis zum letzten Meter haben alle ein Grinsen bis hinter beide Ohren im Gesicht. Kann ich nur empfehlen. Ist nicht ganz billig, macht aber einen Heidenspaß.
Die Rucksäcke haben es derweil auch bis zur Trottiabgabe unten geschafft. Ein nahezu perfekter Bergtag. Unsere FeWo ist nur zwei Minuten entfernt. Wir laden unser Zeug ab. Dann gibt's Kaffee und Kuchen nebenan in der Konditorei. Einfach sitzen und den Moment genießen tut gut. Ich bringe Alex und Manuel zum Camping Schönblick. Abends sind wir bei uns im Appartment zu einer fetten Portion Spaghetti Bolognese verabredet. Mit viel Käse. Und gutem Rotwein. Wir besprechen, was wir am nächsten Tag tun wollen und die Wahl fällt auf das Mittagshorn. Dort führt von der Saas-Fee-Seite ein Stück Klettersteig rauf, wenn frau von der Bergstation Morenia aus startet. Absteigen wollen wir auf der Rückseite und von dort zur Bergstattion Plattjen gehen, um wieder mit der Seilbahn nach Saas-Fee zurück zu kommen. Wir verabreden uns für nächsten Morgen. Alex und Manuel brechen ihre Zelte ab, weil sie nach der Tour weiter nach Italien wollen.
Am nächsten Morgen geht's mit dem Molex ins Parkhaus in Saas-Fee. Der Rucksack ist leicht. Die Schenkelchen leider nicht. So gut ich mich auch am Vortag nach der Tour fühlte, 4 Wochen nicht zu Fuß gehen hinterlässt Spuren. Das Bergabgehen am Vortag macht jetzt Schmerzen in den Oberschenkeln. Wird schon gehen. Wir wackeln zur Talstation der Felskinn-Bahn, um den Aufstieg zu beginnen. Astrid und ich gehen mit unseren QR-Codes der Saas-Tal-Card durch's Drehkreuz. Alex und Manuel bekommen keine Freigabe zum Passieren. Merkwürdig. Auf den Zetteln steht, sie gelten für die Dauer des Aufenthaltes. Die beiden fragen an der Kasse nach und bekommen die erstaunliche Antwort, dass die Karte entweder am Anreise ODER am Abreisetag benutzt werden kann. Es handelt sich nicht um eine UND-Verknüpfung. Und da waren sie wieder, meine Vorurteile. Die Einschränkung ist nirgends erwähnt. Also, Seilbahnfahren geht nicht. Damit fällt das Mittagshorn aus, denn wir wollten am Nachmittag ja erneut mit der Seilbahn nach unten fahren. Das hätte die beiden etwa 100 CHF gekostet. Einen Plan B gibt es nicht, weil niemand von uns mit dieser Unverschämtheit rechnete. Astrid und ich steigen über die Absperrung zurück in die Vorhalle. Alles unter strenger Beobachtung des Kassierers, der uns die ganze Zeit Böses ahnend nicht aus den Augen ließ. Ich bin zwar nicht so wahnsinnig traurig wegen der ausfallenden Bergtour, weil die Beinchen schon schlimm weh tun. Eine Enttäuschung ist es aber allemal. Erstmal durch Saas-Fee schlendern. Ein Café finden. Dann einen neuen Plan schmieden. Es gibt durch die Schlucht von Saas-Fee runter nach Saas-Grund einen Klettersteig. Könnte was sein. Aber nein, ist es nicht. Die Begehung ist ausschließlich mit Bergführer erlaubt. Priml. Plan C. Auf der Abfahrt mit den Trotties kamen wir an einem anderen kleinen Klettersteig vorbei, an dessen oberem Ende angelangt über die ganze Strecke abgeseilt werden kann. Das könnte was sein. Hört sich nach Spaß an. Es geht ja inzwischen auf Mittag zu. Muss nicht so lang sein. Also wieder zurück nach Saas-Grund. Wir packen zwei 60m Seile ein. Mit ihnen können wir die ganze Strecke auf einmal frei hängend abseilen. Das ist das eigentliche Highlight, denn der Steig selbst ist eher für Kinder. Am Einstieg angelangt, lacht uns ein STOP-Schild an. Die Begehung ist nur mit Bergführer gestattet. Kostet 50 CHF pro Nase. Die Leiter, die zum Einsteigen benötigt wird, liegt angekettet und abgeschlossen am Fuß des Steiges. Man könne einen Schlüssel bekommen. Kostet aber 50 CHF Pfand von denen man 30 wieder bekommt, wenn der Schlüssel zurück gebracht wird. Und nochmal eins drauf auf meine Vorurteile, die ich dieses Mal wieder alle bestätigt sehe. Alles andere außer selbständigem Bergsteigen ist Abzocke. Manuel platzt der Kragen. Die beiden beschließen, die Schweiz möglichst schnell hinter sich zu lassen und gleich aufzubrechen. Kann ich verstehen. Astrid und ich haben noch eine Nacht länger. Wir steigen nachmittags aufs Fahrradl und brechen zu einer kleinen Ausfahrt in Richtung Mattmark Stausee auf. Radeln tut vielleicht nicht so weh, wie gehen. Wir verabschieden uns. Die gute Nachricht: Wir haben einen 4000er auf einer fantastischen Route bestiegen, sind alle heil wieder runter gekommen und wir dürfen annehmen, dass der Virus bei meiner Frau keine Lungenschäden zurückgelassen hat.