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Weissmiesüberschreitung, 4017m, 24.-25.06.2023 und Piz Bernina Überschreitung, 4048m, via Biancograt, 26.-28.06.2023

Das letzte Wochenende im Juni ist seit einigen Jahren immer so unser Startpunkt für die Hochtourensaison gewesen, wobei wir uns normalerweise eher einen 3000er um diese Zeit aussuchen, doch nach den Erfahrungen in den letzten Jahren tut Frau gut daran, die Besteigungen von 4000ern eher früher im Jahr zu planen. Der fehlende Schnee, die schrumpfenden Gletscher, der immer schlimmer werdende Steinschlag und die generell zu warmen Temperaturen werden nach meiner Meinung in den nächsten Jahren dafür sorgen, dass manche Touren, so auch die zum Weissmies, nicht im Hochsommer unternommen werden sollten. Also mal was Neues: Wir planen den ersten 4000er für dieses Jahr bereits für den Juni ein und stimmen das auch gleich mit unserem lieben Freund Thomas ab, der seit Jahren darauf brennt, endlich auf seinen ersten hohen Berg zu kommen. Schon im November buchen wir die Übernachtung auf der Almageller Hütte übers HRS, was ich ganz schön praktisch finde, und freuen uns seitdem auf den schönen Südgrat und die Überschreitung des Gipfels hinunter nach Hohsaas über die Normalroute. So wird das ganze schön abwechslungsreich mit Wandern, Klettern, einer spannenden Gletscherbegehung und -wer mag- mit der Abfahrt ab Kreuzboden per Monstertrotti.
Astrid und mir kommt der relativ kurze Abstieg außerdem zu Gute, denn aus terminlichen Gründen und dem erwarteten Schneemangel, müssen wir die anschließende Besteigung des Piz Bernina über den Biancograt mit Bergführer Jürgen und Rainer unmittelbar an den Weissmies anschließen, weswegen wir uns nicht so gerne so ganz kaputt machen wollen.

Eines Abends im Frühjahr sitzen wir dann bei unserem anderen lieben Nachbarn Marcel am Lagerfeuer mit ner Flasche Bier in der Hand, stoßen auf seinen Geburtstag an, quatschen mit Thomas über die geplante Weissmiesbesteigung und weil ich mich so an gar keine besonderen Schwierigkeiten auf der Tour erinnern kann, entfährt mir der Vorschlag, Marcel könne gerne einfach mitkommen, wenn er auf sowas Bock hätte, obwohl ich mehr oder weniger sicher wusste, dass er noch nie so etwas gemacht hat. Mit fünf Bier im Kopf kommt Frau auf merkwürdige Gedanken. Ich muss ehrlicher Weise gestehen, dass ich nicht mit einer Zusage rechnete, doch noch in der gleichen Woche ohne Alkohol in der Birne meldet sich Marcel: Er hat Bock auf Bergsteigen und will mitgehen. Mutig, finde ich und „mutiere“ zügig die Buchung der Übernachtung von 3 auf 4, bevor die Plätze auf der Hütte ausgehen. Später besprechen wir die Details, gehen eine Packliste durch, rüsten Marcel mit dem notwendigen Material aus und haben kurz vor der Tour noch einen Termin durchgeführt, bei dem wir ein paar Basics des Hochtourengehens vermitteln: Anseilknoten, Seilklemmknoten, Gehen mit Steigeisen, Gehen am Gletscherseil, was tue ich wie mit dem Stützpickel, wie verhalte ich mich bei einem möglichen Spaltensturz, usw.

Und dann geht’s los. Wir tuckern freitags schon los, übernachten in einem schönen Hotel in Sedrun im Vorderrheintal und machen uns ausgeruht samstags auf den Weg ins Wallis. Auf der Fahrt zum Treffpunkt mit Marcel und Thomas erhalten wir noch einen Anruf von Bergführer Jürgen, der uns zunächst die Tour zum Bernina absagt, weil sie von dritter Stelle die Info hatten, die Bedingungen am Bernina seien wegen des aufweichenden Schnees zu schlecht und die Sicherungspunkte noch verdeckt. Kurzer Schock. Wir besprechen Alternativpläne, holen Informationen von Ann ein, die ein paar Tage vor uns die Tour gemacht hat, rufen nochmal auf der Tschierva-Hütte an. Alle bestätigen, die Bedingungen könnten kaum besser sein. Kurz darauf klingelt das Telefon nochmal, Jürgen sagt doch zu. Er hat sich erneut mit Rainer abgestimmt. Wir machen’s. Puuhhh… erneut Adrenalin.

Kurze Zeit später treffen wir uns mit den anderen beiden im Wallis in Saas Almagell an der Furggstaldenbahn, kürzen die ersten Höhenmeter mit der Seilbahn ab und starten den Aufstieg zur Hütte über den Erlebnisweg mit zwei ziemlich langen Hängebrücken.
Astrid geht ganz bewusst extrem langsam vor damit wir maximal von der Akklimatisierung profitieren und wir uns nicht verausgaben. Zeit spielt beim Hüttenzustieg keine Rolle, sofern keine Gewitter drohen. Mit Zwischenstopp an der Almageller Alp mit Kaffee und Coke erreichen wir nach schlanken 4 Stunden für 1000 Höhenmetern die Hütte, wir checken ein, beziehen das Lager, sitzen ein wenig in der Sonne und gönnen uns eine Hopfenkaltschale bis es Nachtessen gibt. Das ist dieses Mal nicht ganz so schlimm, wie das letzte Mal. Ich glaube, die Bewartung der Hütte hat sich verändert. Wir besprechen vor dem Schlafengehen den weiteren Ablauf am nächsten Tag, der sicher spannend wird, bezahlen unsere Übernachtung und dann geht’s ins Bettchen. Ich hab’s schon oft erwähnt, die Nächte auf so einer hochgelegenen Hütte haben nichts mit Romantik zu tun. Mit weiteren 4 fremden Menschen im Zimmer (da hatten wir echt Glück, denn es hätte auch das Matratzenlager werden können), einem Puls von über 100 und der Aufregung ob des folgenden Tages, schläft es sich nicht so wahnsinnig gut. Ruhen ist das Stichwort bis um 3:45 Uhr der Wecker klingelt. Frühstück, dass ebenfalls etwas besser geworden zu sein scheint, ist um 4 Uhr und weil praktisch alle in der supervollen Hütte am nächsten Tag das gleiche Ziel haben, ist das Gewusel, wie erwartet, enorm. Ruhig bleiben ist die Devise, konzentriert das eigene Zeug richten, schauen, dass nichts in der Hütte zurückbleibt, denn wir kommen hier nicht wieder vorbei, Hirabira (auf Deutsch: Helm- bzw. Stirnlampe) an den Helm und dann raus in die Wildnis. Gegen 4:45 Uhr gehen wir los. Es wird langsam hell, die blaue Stunde beginnt. Ein einzigartiges Phänomen in diesen Regionen, wegen deren es sich allein schon lohnt, gegen jedes innere Gefühl so früh halb schlafend den Weg zum Gipfel anzutreten. Es gibt kaum etwas emotionaleres für mich, als mit Beginn dieser blauen Stunde mit Steigeisen über blanke Gletscher zu knirschen. Gänsehautmomente. Heute müssen wir uns allerdings mit einem normalen Wandersteig hinauf zum Zwischenbergpass auf 3242m begnügen. Eis gibt es keines, nur ein oder zwei Schneefelder, ansonsten Schutt und Fels auf markiertem Weg im Gänsemarsch. Dort angelangt biegen wir nach links ab, es ist hell geworden, der Aufstieg zum Südgrat liegt vor uns und beeindruckt aus dieser Perspektive mit einer ziemlichen Steilheit, die oben raus fast senkrecht aussieht. „Perspektive“ ist jedoch das Stichwort, denn natürlich ist es nicht senkrecht. Die Erinnerungen in meinem Kopf wissen größtenteils von einem Trampelpfad ohne nennenswerte Schwierigkeiten, was sich später als meine und Astrids eigene Wahrnehmungen herausstellt, die natürlich nichts mit der zu tun hat, die Marcel hat, als die Kletterei losgeht. Ein Bergsteiger mit einem Advance-Rucksack überholt uns im Alleingang ziemlich zügig und Astrid und ich wünschen ihm gute Bedingungen für den Start. Fragezeichen bei den anderen Beiden. Wir klären auf, warum wir wissen, dass dieser Mensch vor hat, mit seinem Gleitschirm am Gipfel zu starten.

Zunächst queren wir einige Blockpassagen, steigen auf das erste Schneefeld, wo wir die Steigeisen anlegen, schauen uns mal den vor uns liegenden Hang an und entscheiden, möglichst weit im Schneefeld östlich des Grates hinauf zu steigen, denn da sind wir schneller als kletternd im Grat. Erst auf etwa 3600m queren wir vom Schnee durch Lawinenreste in den Grat über eine recht steile Flanke und erreichen die Schneide an einer Stelle, in der es tatsächlich erstmal noch im Schnee weitergeht. Sowas kannte ich von den beiden früheren Besteigungen später im Jahr überhaupt nicht. Macht aber nix. Wenig später beginnt die Kletterei im Fels, die wir erst noch ohne Steigeisen angehen, doch es stellt sich später heraus, dass immer wieder Schnee und Eisreste in der Kletterei vorbeikommen, die sicherer mit Steigeisen zu gehen sind. Die ersten Kletterstellen sind noch entspannt, aber schon bald kommt eine Stelle, an der Marcel Inne hält und sein Unbehagen Kund tut. Als ich aufrücke und mir das selbst ansehe, verstehe ich, was sein Thema ist: Wenn du hier fällst, stirbst du. Damit hat er alles richtig gemacht. Das Seil kommt raus. Wir besprechen das kurz auch mit Thomas. Er ist fein damit, seilfrei weiter zu gehen, Astrid nimmt Marcel ans Seil und ich bilde sozusagen die Nachhut, um beim Klettern unterstützen zu können. Astrid steigt weiter vor, sichert Marcel über die Felsnasen, die es zu Hauf gibt, so wie wir das von Bergführer Jürgen mal gelernt haben. Geht zwar etwas langsamer, ist aber auf jeden Fall die richtige Entscheidung, wenn alle oben ankommen wollen.
Wir verlassen den Felsgrat auf etwa 3969m auf einen zunächst breiten Schneerücken. Der Gipfel ist von dort leider nicht zu sehen, obwohl es nicht mehr viel weiter nach oben geht. Dennoch möchte ein schmaler und steiler werdender Schneegrat begangen und ein kleiner Vorgipfel erklommen werden, bevor der höchste Punkt der Tour in Sicht kommt. Wenige Minuten später ist es dann aber soweit. Marcel und Thomas stehen auf ihrem ersten 4000er. Und obwohl gefühlte Heerscharen sich mit uns auf den Weg machten, so ist doch nur eine 3er-Seilschaft mit uns oben. Gipfelfotos, Glückwünsche, Aussicht und leider auch eisiger Wind. Eigentlich wollte ich Mama von dort oben anrufen und zum Geburtstag gratulieren, doch Frau versteht ihr eigenes Wort in dem Getöse nicht. Ich lasse das, packe aber noch mein vorbereitetes Schuildl aus, auf dem ich meinem Onkel Stephan eine gute Reise wünsche. Er ist wenige Wochen vorher viel zu früh auf einen anderen Zug gesprungen und begleitete mich auf dem ganzen Weg nach oben. Manche mögen das als merkwürdig empfinden, wenn ich so denke, doch für mich ist nicht wichtig, wo man Menschen verbuddelt. Wenn ich sie mag, sind sie bei mir. Egal wo und bei was. So, wie damals Ivo, nehme ich Stephan einfach mit auf die schönen hohen Gipfel. Ich lasse die Gelegenheit am Weissmiesgipfel auch nicht verstreichen, obwohl Frau das vielleicht als zu einfach empfinden mag, denn ich weiß nicht, was morgen ist. Gipfelfoto. Der nächste Gipfel zwei Tage später ist so eine krasse Nummer, dass ich nicht einschätzen kann, ob Stephan und ich oben ankommen werden. Tue Dinge immer gleich. Knips.

Astrid richtet derweil bereits das Seil für den Abstieg über den steilen Gletscher her. Ab hier gibt es keine Wahl mehr, wir gehen alle am gleichen Seil, wie wir das in der Übung zu Hause eine Woche vorher demonstriert haben. Schlappseil ist verboten, was mit 4 Menschen, die gleichzeitig mit Steigeisen im steilen Gelände und Pickel immer bergseits in der Hand vorwärts gehen und auch Kurven nehmen müssen, nicht so einfach ist, wie es vielleicht erscheint. Aber die beiden, Thomas und Marcel, machen das super gut. Die Spur durch die Nordflanke, dem Normalweg, ist durch ortsansässige Bergführer angelegt worden und führt teilweise etwas abenteuerlich mitten durch den Gletscherbruch. Der Schnee ist weich von der Sonne, mancherorts kommt’s Eis durch, was die Sache nicht einfacher macht. Eine Fleißaufgabe, bei der Konzentration erforderlich ist. Nach 6-7 Stunden in der dünnen Luft nicht so einfach, denn wir sind nicht auf einer Wanderung durch die Ammergauer Berge. Ich bewundere Marcel, denn er ist derjenige, der hier sozusagen freiwillig ins kalte Wasser geworfen wurde. Mit seiner Entscheidung, uns zu begleiten, hat er sich uns mehr oder weniger vollständig ausgeliefert und kämpft sehr tapfer, denn ich weiß, wie sich so etwas anfühlt. Aber irgendwann lassen wir den steilen Teil hinter uns, die Bergstation Hohsaas auf rund 3200m kommt immer näher und schon bald steigen wir vom Eis runter und erreichen somit das Ende der Bergtour.
Ein wenig länger als sonst hat es zwar schon gedauert, für unsere Akklimatisierung jedoch war das genau richtig und mit 4 Leuten am Seil darf es auch mal 1-2 Stunden später über den Gletscher gehen. Tolle Sache. An der Stelle nochmal meinen Glückwunsch an die beiden Helden des Weissmies. Gut gemacht.

An diesem Sonntagabend trennen sich unsere Wege am Abzweig zum St. Bernard-Pass. Marcel und Thomas tuckern nach Hause, Astrid und ich haben ein kleines Zimmerchen in Thusis für die Nacht gebucht, was auf dem Weg nach Pontresina liegt. Ich merke den Abstieg vom Weissmies schon ein wenig in den Beinen, obwohl es nur etwa 800 Höhenmeter waren. Bin gespannt auf den nächsten Tag. So richtig kaputt, wie wir das sonst von solchen Bergtouren kennen, sind wir definitiv nicht, doch die nächsten Tage muss da noch ne Schippe drauf. Noch ein letztes Telefonat mit Jürgen, bei dem wir unsere neuen Informationen zu den Bedingungen austauschen und dann machen wir es fest. Wir werden in Richtung Bernina aufbrechen.
Am Abend gibt’s ein ziemlich leckeres Cordon bleu direkt in unserer Unterkunft, obwohl es sich eigentlich um eine Bäckerei/Café/Confiserie handelt und ich am liebsten die ganze Theke mit tausend Leckereien eingepackt hätte. Bevor es ins Bettchen geht, richten wir schonmal die Rucksäcke her, denn einige Ausrüstung muss ausgetauscht bzw. ergänzt werden. So brauchen wir für die folgende Tour zum Beispiel unsere Automatikeisen für die Kategorie D Schuhe und je eine extra Eisschraube und lange Bandschlinge, um etwaige Zwischensicherungen legen zu können. Ausreichend zu trinken kann schon aufgefüllt und eingepackt werden, am nächsten Morgen versorgen wir uns im angrenzenden Coop noch mit Futter für die drei folgenden Tage.
Dadurch, dass wir am nächsten Tag nur eine gute Stunde bis zum Ausgangspunkt der Tour benötigen, können wir es mit Dusche, Frühstück und den Besorgungen entspannt angehen lassen. Die Pferdekutsche ab Pontresina ist für 14 Uhr gebucht.

Der Weg führt uns am nächsten Tag über den Albulapass hinunter nach La Punt ins Inntal. Witzige Info am Rande: Die Passstraße ist im Winter hinunter nach Bergün als Rodelbahn präpariert und Frau kann mit der Eisenbahn von Ziel zu Start pendeln. Ich glaube, das wäre mal was für den nächsten Winter. Auf den Fahrten an den Flüssen Hinterrhein, Vorderrhein, Furkareuss, Albula, Inn entlang muss ich immer an meine Wildwasserpaddelkarriere denken. Ganz viele der Flüsse in den Tälern, in denen wir heute zum Bergsteigen vorbeikommen, kenne ich von früher und nerve mit meinen Paddelgeschichten gern mal die Leute im Auto. Astrid ist da schon viel Leid gewohnt, doch sie hört geduldig zu und ich für meinen Teil versuche, es nicht zu übertreiben, und vor allem nichts schön zu reden. Auf manchen dieser Flüsse war mehr Angst als Vaterlandsliebe mit an Bord und es war nicht immer nur lustig. Vergangenheit. Und weil das Leben nach vorne geht, Pontresina bzw. der Parkplatz an der Diavolezza-Talstation näherkommen, wächst die Anspannung für das bevorstehende Bergabenteuer. Um 14 Uhr sind wir mit Rainer und Jürgen am Bahnhof Pontresina verabredet, parken tun wir alle jedoch an der Seilbahn der Diavolezza, weil da einerseits das Abstellen des Autos (noch) nichts kostet und wir später, wenn wir runterkommen, nicht nochmal Bus oder Bahn fahren müssen. Astrid und ich nehmen den Bus für die etwa 10 Kilometer zurück nach Pontresina, von wo aus wir mit der Pferdekutsche ins Val Roseg starten wollen, und sind eine gute Stunde vor der vereinbarten Zeit fertig bepackt am Treffpunkt. Wie bei einer ersten Besprechung der Tour vor einigen Wochen vereinbart, haben wir ein 40-Meter-Seil im Gepäck. Ein zweites Seil bringen die beiden Bergführer mit. Die Kutschfahrt hatte Astrid in der Woche davor bereits gebucht, denn wir wollten es nicht dem Zufall überlassen, ob wir einen Platz bekommen können oder nicht, und wir im Zweifel den ganzen Weg ins Tal hinein mit den harten Bergstiefeln laufen müssen.

Rainer und Jürgen treffen pünktlich ein und Jürgen fällt sofort auf, dass wir ein Seil dabei haben, woraufhin er meint, sie hätten zwei dabei, ein drittes bräuchten wir nicht. Blöd. Das Auto steht 10 Kilometer entfernt und die Kutsche fährt in 10 Minuten. Plan B: Wir lassen unser Seil in einem Schließfach im Bahnhof. Astrid macht sich auf den Weg und ist kurze Zeit später ohne Seil wieder da. Jetzt kann es losgehen. Wir zahlen die Kutschfahrt, müssen noch ein wenig Übergepäck begleichen, wovon beim Buchen keine Rede gewesen ist, dann einsteigen, Türen schließen, die Fahrt genießen und sich freuen, dass wir die etwas eintönige Strecke nicht zu Fuß zurücklegen müssen. Am Restaurant Roseg nach einer guten Stunde Fahrt krabbeln wir aus der Kutsche und machen uns auf den Weg zur Tschierva Hütte, zu der noch etwa 600 Höhenmeter zu bewältigen sind. Eine überschaubare Strecke, die zunächst relativ lang und flach dahinzieht, was noch niemandem Probleme macht, doch als der Weg ansteigt, behält Rainer das Tempo bei und Milla versucht, irgendwie dranzubleiben. Rainer hat deswegen gedacht, das Tempo passt dann schon so, wenn Milla mir auf den Fersen bleibt, ein kleines Henne/Ei Ding. Bis Milla was sagen musste, denn so hätte ich die Hütte nur auf dem Zahnfleisch kriechend erreicht, was nicht zielführend gewesen wäre. Also alles mal einen Gang langsamer. Mit meiner Intervention bin ich Astrid ein klein wenig zuvorgekommen, denn ihr ging das auch alles viel zu schnell. Jetzt passt das.

Jürgen erzählt uns aus seiner Vergangenheit, dass er mit etwa 19 Jahren das erste Mal auf dem Piz Bernina stand. Seine Kumpels hatten ihn überredet mitzugehen. Damals, sagt er, war er Alkoholiker und Kettenraucher und so, wie ich das heraushörte, ein wenig perspektivlos. Vom Bergsteigen hatte er keine Ahnung. Nach der Tour nahm sein Leben dann eine Wendung und er begann die Bergführerausbildung bei der Bundeswehr und führt seitdem Menschen in aller Welt auf allen möglichen Touren. Auf dem Bernina war er jedoch seitdem nicht mehr.
Eine gute eineinhalbe Stunde später betreten wir die Terrasse der Tschierva Hütte auf 2584m. Obwohl wir unter der Woche da sind, ist es viel voller als ich vermutet hätte, was aber wohl den guten Bedingungen am Berg geschuldet ist. Es hat sich herumgesprochen und wer kann, nutzt die Gelegenheit, denn besser wird es im Verlauf der warmen Zeit nicht mehr. Astrid hat für uns ein Komfortzimmer gebucht. Nur wir vier in einem sehr geräumigen Zimmer und sogar je eine Duschmarke für 2 Minuten warmes Wasser ist inkludiert. Das ist Luxus, wobei wir bis auf Jürgen auf die Dusche verzichten. Ich für meinen Teil entscheide, dass es nicht notwendig ist und deswegen möchte ich meinen Fußabdruck hier nicht größer werden lassen als nötig. Während unsere Schuhe und Shirts draußen trocknen, gibt’s was zu trinken mit dem berühmten Biancograt im Hintergrund, der teilweise durch die großen Panoramascheiben der modernisierten Hütte zu sehen ist. Ich kann noch nicht so richtig glauben, dass ich dort morgen hochstapfen werde. Das wird auf jeden Fall die schwierigste Bergfahrt, die wir bisher unternahmen und ich habe überhaupt keine Ahnung, wie ausgesetzt und steil es werden wird und ob ich damit klarkomme. An den Kletterpassagen stehen in den Beschreibungen zwar Schwierigkeitsgrade, die ich normalerweise seilfrei beherrsche, doch das allein entscheidet nicht darüber, wie es wirklich wird. Nicht so viel nachdenken. Abendessen. Das ist ganz passabel und läuft gut rein. Wir haben einen Bergführer aus Thusis mit seinem Gast am Tisch, der sehr nett zu sein scheint. Man tauscht sich ein wenig aus und bald darauf sammeln wir unser Zeug von der Terrasse ein, packen die Rucksäcke soweit wie möglich für den nächsten Tag. Meine Schwierigkeit in den letzten Tagen, auch schon zur Tour zum Weissmies, wieviel brauche ich zum Trinken? Die 2 Liter Trinkblase ist zwar ein ganz guter Vorrat, doch das Zuzeln am Schlauch löscht meinen Durst normalerweise nicht. Deswegen habe ich mir zu Testzwecken zwei weiche Trinkbeutel eingekauft, die in die Schultergurte des Rucksacks passen. Dort geht etwas mehr durchs Mundstück durch und dann gibt’s noch 0,75 Liter Marschtee in der Thermoskanne. In Summe also über 3,5 Liter, trotzdem habe ich Sorge, dass es nicht genügt und ich wieder mit Krämpfen in den Oberschenkeln zu tun bekommen werde, wie so oft meist im Abstieg. Glaubt man den Erfahrungsberichten anderer, wird die Tour so lange dauern, wie kaum eine andere, die ich jemals vorher unternahm. Und obwohl ich bereits am Weissmies lernte, dass ich nur wenig mehr als ein Liter für die ganze Tour brauchte, bin ich bezüglich dieses Themas sehr verunsichert. Zwei Äpfel, die sich bezüglich der Krampfneigung als hervorragende Prävention entpuppten, 8 Landjäger, Riegel, Powerbar-Gel und Honig-Gel sind ansonsten im Gepäck, um über die beiden bevorstehenden Tage zu kommen. Die Mitnahme von vorbereiteten Broten haben wir eingestellt, denn in der Höhe läuft so etwas überhaupt nicht rein. Fühlt sich wie Sandkuchen an, ist kaum zu kauen und noch weniger zu schlucken. Lieber was Frisches und was Fettiges. Dann ab ins Bett. Ich bin so schlimm aufgeregt, dass ich bis Mitternacht nur so vor mich hin liege, dann muss ich doch nochmal wohin, schlafe anschließend kurz ein, warte später auf das Klingeln des Weckers.

Der große Tag bricht mit dem Weckton um 2:45 Uhr an. Alter Falter, das Aufstehen fällt so schwer, doch das geschäftige Treiben der anderen drei lässt keinen Zweifel daran, dass ich im richtigen Film bin und rauskrabbeln sollte. Die ganze Hütte ist in Bewegung, bis auf wenige haben alle das gleiche Ziel. Rainer und Jürgen treiben nicht an. Die Zeiten, zu denen sie mit der Startnummer 1 vorne standen, sind vorbei und es darf auch mal etwas gemütlicher zugehen. Nur gemütlich, nicht trödeln, wohlgemerkt. Frühstück ist um 3 Uhr. Im Gegensatz zu Astrid kann ich leider zu jeder Tageszeit essen. Bis wir fertig sind, hat sich der Raum bereits zu mehr als der Hälfte geleert, alle wuseln in den Gängen, den Waschräumen und dem Materialraum. Bis ich dort ankomme, zieht sich bereits eine Lichterkette aus Stirnlampen den Weg zum Tschierva-Gletscher entlang hinauf. Nach einem kurzen Abstecher vor die Tür, um zu fühlen, wie kalt oder warm es ist, entscheide ich, dass T-Shirt, Armlinge und Windjacke vorerst genügen. Um 3:45 Uhr stapfen wir als eine der letzten Seilschaften los und beginnen den Aufstieg auf dem steilen Pfad, der von der Hütte wegführt. Bald schon fallen mir die ersten Schweißtropfen aus dem Gesicht, der Weg scheint kein Ende zu nehmen. Einige kettenversicherte Passagen sowie eine Überquerung eines Baches sind zu meistern. Das Gelände ist steil. Gegen 5 Uhr schalte ich meine Stirnlampe aus, der Weg endet ein wenig unverhofft auf einer Geröllhalde, in der bereits andere Seilschaften nach Möglichkeiten suchen, wie sie auf das vor uns liegende Schneefeld und die dort sichtbare Spur kommen. Das Geröll ist gruselig und als wir entscheiden, mehr oder weniger gerade nach unten zu gehen, um in den Schnee zu gelangen, kommt mit meinem ersten Schritt der ganze Haufen auf dem ich stehe, in Bewegung. Z’fix, was für ein Mist. Wie auf rohen Eiern schleiche ich mehr rutschend als gehend weiter, mit den Stöcken stabilisierend, bis ich im Schnee stehe. Puhh… unangenehm.

Es geht in der Spur weiter, die Fuorcla Prievlusa ist zu sehen und das steile Schnee-/Eisfeld mit der Randkluft über die wir auf jeden Fall drüber müssen, ist in Sichtweite. Linker Hand gibt es seit einiger Zeit eine eingerichtete Kletterei, um das steinschlaggefährdete Schneefeld umgehen zu können, doch heute ist nur eine einzige Zweierseilschaft darin zu erkennen. Alle anderen nehmen den Weg durch die steile Schneerampe, wie wir auch, denn das geht viel schneller. Etwas beunruhigend ist ein anrollendes dunkles Wolkenband. Wir entscheiden, trotzdem weiterzugehen, der Wetterbericht sagt weiterhin stabiles, trockenes Wetter voraus, zwei französische Seilschaften drehen an der Stelle um.
Rainer steigt über den Bergschrund und zieht mich am gespannten Seil hinter sich her bis ich ebenfalls drüber bin. Kurz mal reingeschaut, spooky, schnell weg hier. Auf dem Weg zur Scharte wird das Gelände bis zu 45° steil, ein plattiges Felsband ist mittendrin zu übersteigen, die erste Kletterstelle, und bald darauf erreichen wir die Scharte, die Fuorcla Prievlusa, auf 3427m. Ich würde sagen, das war schon mal eines der steilsten Schneefelder, das ich bisher in meiner Bergsteigerinnenkarriere hoch bin. Ab hier beginnt die erste längere Kletterpassage, die uns mit einer abschließenden Abseilstelle an den Beginn des Bianco-Grats bringen wird. Die Steigeisen kommen weg, die Stöcke in den Rucksack (um beim Klettern nicht hängen zu bleiben, packe ich gerne immer alles IN den Rucksack, was ich nicht brauche), der Pickel unter den Rucksackträger, damit er griffbereit ist, Rainer stellt eine sinnvolle Seillänge her und dann reihen wir uns in die kletternden Seilschaften ein. Es geht sehr steil hinauf, so steil, dass der Einstieg auf mich etwas beängstigend wirkt, doch ich weiß, dass es nicht schwieriger wird als UIAA 3, was ich mit Bergstiefeln normalerweise problemlos klettern kann. Es ist halt einigermaßen ausgesetzt. Damit muss Frau klarkommen, doch mit den Händen am festen Fels fühle ich mich wohl. Nach dem ersten Anstieg sind die Zweifel weg und wir kommen relativ zügig voran, beginnen damit, die Seilschaften vor uns zu überholen, wo es geht und ehe ich mich versehe, ist schon die Abseilstelle da. Ich lerne eine für mich neue Technik kennen. An Stellen wo Astrid und ich uns normalerweise nacheinander abgeseilt hätten, lässt Rainer mich einfach am Halbmastwurf hinunter, baut in Sekundenschnelle um und seilt sich dann selbst ab. Das geht sehr viel schneller, als nacheinander abzuseilen. Merken.

Astrid und Jürgen sind ein klein wenig im Kletterstau hängengeblieben, kommen dann aber auch nach und wir treffen uns am Schneeplateau, wo der Anstieg in den Bianco-Grat beginnt. Kurze Pause, essen, trinken, Steigeisen wieder an, Pickel raus. Bis hierher hat es schonmal super funktioniert. Keine Wackler. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass die eigentlichen Schwierigkeiten noch vor uns liegen. Mir geht’s aber gut, bin nicht erschöpft und freue mich auf den Schneegrat, den wir alsbald angehen. Der berühmte Grat, der von vielen umliegenden Bergen weithin sichtbar ist und den wir schon so lange hoch wollten, liegt nun genau vor uns. Als erstes muss die sogenannte Haifischflosse umgangen werden, eine Felsnase, die genau auf dem Grat steht und nur bei guten Schneebedingungen ostseitig auf Schnee umgangen werden kann. Ist kein fester Schnee mehr auf dem umliegenden Eis, muss diese Flosse überklettert werden, was mitunter eine echte Herausforderung werden kann. Wir haben Glück und dürfen am Rand drum herumlaufen. Ab jetzt geht’s die sogenannte Himmelsleiter hinauf, das obere Ende auf dem Piz Bianco auf knapp unter 4000m ist nicht zu sehen, viele sagen, die Strecke über etwa 500 Höhenmeter zieht sich gefühlt endlos dahin. Ich stelle mich innerlich darauf ein. So schmal, wie aus diversen Wegbeschreibungen entnommen, ist der Grat nicht und wirklich steil mit etwa 45° ist nur ein Aufschwung über ca. 60 Höhenmeter. Hier setzen wir dann auch Eisschrauben, denn die sonst sehr gute Firnspur besteht an dem Steilstück lediglich aus kleinen Dellen im fast blanken Eis. Uns kommt zu Gute, dass wir schonmal im Eis geklettert sind und wissen, wie das mit den Frontalzacken funktioniert und können auch darauf vertrauen, dass sie halten. Also Schraube ins Eis, ich sichere mich, Rainer sprintet regelrecht los nach oben, bis wir das 40-Meter-Seil ganz ausgenutzt haben und holt mich am gespannten Seil nach. Das ist die einzige Stelle, die wir nicht am kurzen Seil gehen. Danach folgen wieder perfekte Trittspuren in 35-40° steilen Gelände bis rauf auf den Piz Bianco, die wir in kontinuierlichem Gänsemarsch relativ zügig bewältigen und ich staune, dass wir schon so bald ob sind. Ich hatte mich auf mehr Quälerei eingestellt.

Gipfel Piz Bianco, 3994m. Der relative Höhenunterschied zum Hauptgipfel auf 4048m ist nicht groß, doch so einfach ist der Berg nicht zu haben. Die Ausgesetztheit und die Kletterschwierigkeiten erreichen erst hier oben ihr Maximum. Gut, wer noch Körner und Nerven hat. Jürgen und Astrid haben wir wieder ein wenig abgehängt, denn sie krabbeln hinter einer italienischen Zweiergruppe her, die sie am Grat nicht überholen können/wollen. Unmittelbar vor uns steigt der nette Bergführer aus Thusis mit seinem Gast, einer sportlichen Frau, in die Kletterei ein. Ich wundere mich über seinen riesengroßen Rucksack, der mir erst jetzt auffällt. Müssen mindestens 70 Liter sein. Ich lerne später, dass sie in der Marco-e-Rosa keinen Platz haben und sich im Winterraum selbstverpflegen wollen. Deswegen hat er gefühlt eine ganze Küche auf dem Rücken. Trotzdem ist er sehr behende unterwegs. Rainer und ich folgen ihnen, die ersten Meter sind noch moderat, aber die Menschen auf dem Gratstück vor uns, wirken ziemlich klein, was mir sagt, das ist kein schneller Hüpfer da rüber. Rainer geht von etwa 2 Stunden aus, die wir brauchen werden, denn es kommen auch mindestens 4-5 Abseilstellen vorbei, die ein wenig aufhalten und wo Frau auch gerne mal in Stau steht. Eine Querung auf einer supersteilen Platte fällt mir auf, die mir Sorgen bereitet. Offensichtlich geht eine Spur durch, doch wenn ich daran denke, dort rüber zu müssen, rutscht mir das Herz in die Hose. Wer dort abfährt, kommt erst etwa 1000m tiefer auf dem Morteratschgletscher zum Stehen und ich schätze, dass die „Schneeplatte“ gut 50-55° steil ist. Gleichtzeitig denke ich, wenn da alle drüber sind, dann muss mir das auch gelingen. Raufklettern, runterklettern, 2 Mal abseilen, querklettern, oben auf dem Grat, dann wieder in der Flanke und die ganze Zeit schaue ich mir diese Querung an, wenn die Gelegenheit besteht, und merke, dass die Spur so breit ist, dass mindestens zwei Füße nebeneinander passen und sich in der Mitte eine Felsnase befindet, die als Sicherungspunkt benutzt werden kann. Wirklich niemand, der vor uns rüber geht, hat irgendwelche Schwierigkeiten. Ich entspanne mich und weiß außerdem, dass es mir und auch Astrid ganz gut gelingt, uns auf unser Tun zu fokussieren und alles andere, insbesondere die Ausgesetztheit, mehr oder weniger ganz auszublenden.
Dann ist die Querung da, Rainer geht rüber, legt eine Köpfelschlinge um besagte Felsnase in der Mitte und holt mich nach, ich folge ohne drüber nachzudenken, baue die Sicherung in der Mitte ab als ich vorbeikomme und fertig. Easy peasy. Alles andere bis dahin war schwieriger. Es folgt noch ein steiler, ausgesetzter Aufschwung, der mit der letzten Abseilstelle endet, bevor es auf den letzten, sehr steilen, schmalen, längeren Grat hinauf zum Gipfel geht. Der besteht wieder überwiegend aus festen Firnspuren, ist zwar gruselig exponiert, aber deswegen nicht schwer zu gehen. Rainer hat mich am kurzen Seil. Der nette Bergführer vor uns macht ein paar Fotos von uns an dieser spannenden Stelle. Bis dahin war alles gut. Dann kommt mein Endgegner. Zwischen oberem Gratende und Gipfel gibt es ein ganz schmales Schneepaket, 3-4 Schritte nur, aber es passt nur ein Fuß gleichzeitig drauf und es gibt nichts zum Festhalten. Auf beiden Seiten kann Frau bis zu den Gletschern hinunterschauen. Ich zucke fast zurück, denn ich bin auf meinem linken Fuß nicht stabil, weil da sicher mal mindestens was ausgeleiert oder vielleicht sogar was abgerissen ist, weswegen das mit der Balance so eine Sache ist. Naja, zurückgehen ist selbstredend keine Option, es gibt hier nur eine Richtung. Ich spreche kurz mit Rainer, damit er um meinen Schmerz weiß, er spannt das Seil, ich gehe los. Wie üblich, spielen sich die schlimmsten Szenarien im Kopf ab, treten aber nicht ein, drei konzentrierte Schritte und drüber bin ich. Lustig, ich kraxele mit 1000 Meter Luft unterm Popo stundenlang in der Gegend rum, fühle ich wohl dabei, nur, wenn es nichts zum Festhalten gibt, bekomme ich das Zipperlein. Auf dem Spallagrat werde ich reichlich Gelegenheit bekommen, mich erneut darin zu üben, ohne Festhalten auf schmalen, aufgeweichten Pfaden gehen zu dürfen. Aber jetzt ist erstmal Pause.

Gipfel Piz Bernina, 4048m. Genau 8 Stunden haben wir von der Tschierva Hütte aus für die ziemlich genau 1600 Höhenmeter gebraucht, um hier hinzukommen. Finde ich persönlich jetzt nicht so schlecht, ich hatte damit gerechnet, dass wir deutlich länger unterwegs wären. Rückmeldung von Rainer, wie ich mich bisher geschlagen hab‘: Gut gemacht. Rainer erzählt keine Romane. Wenn er so etwas sagt, dann darf ich davon ausgehen, dass ich es wirklich gut gemacht habe. Ich bin ein wenig stolz auf diese Leistung, wenngleich ich mit Blick auf den Abstiegsweg weiß, dass es weiterhin spannend bleibt. Es ist 11:45 Uhr, hinterm Gipfel gibt’s Windschatten, oder Lee, wie es in Pilotinnenkreisen heißt und es ist Zeit für eine längere Pause. Mir geht’s erstaunlich gut, keine Anzeichen von ernstzunehmender Erschöpfung, aber mal sitzen ist trotzdem schön. Zwei Zweierseilschaften, die ähnlich unterwegs zu sein scheinen, wie wir, machen uns Platz, weil sie ihren Weiterweg über den Spallagrat antreten wollen. Bevor wir uns setzen, bitte ich Rainer, ein Gipfelfoto von mir mit meinem vorbereiteten kleinen Schuildl für Stephan zu schießen. Mein lieber Onkel Stephan ist leider Ende April sehr zügig auf einen anderen Weg eingebogen und ich vermisse ihn. Er tat sich zwar sehr schwer damit, Milla anzunehmen, weswegen ich manchmal ein bisschen traurig war, doch er hat es irgendwann doch geschafft, seine innere Schwelle zu übertreten, denn er ist ein von Grund auf lieber und lustiger Mensch gewesen. Und deswegen habe ich ihn sowohl auf den Weissmies als auch jetzt auf den Piz Bernina mitgenommen. Hätte er sich wahrscheinlich auch nicht gedacht, nochmal auf zwei 4000er hintereinander zu kommen. Vor drei Jahren hatte ich meinen Freund Ivo im Gepäck auf das Finsteraarhorn. Jetzt hoffe ich, dass das nicht die Regel wird und ich auf jedem Berg liebe Menschen verabschieden muss.
Gute Reise lieber Stephan.
Eine Bergsteigerin aus einer umstehenden Seilschaft hat die Szene beobachtet, bei der mir fast wieder die Tränen gekommen wären und wollte wissen, wer Stephan war. Ich erklärte in ein paar wenigen Worten, was sich zugetragen hat und löste damit bei ihr fast einen kleinen Zusammenbruch aus. In Tränen aufgelöst stand sie da und war absolut nicht im Stande, irgendwohin weiterzugehen. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie sich wieder gefangen hatte und absteigen konnte.
Rainer und ich nahmen auf deren Felsen für die Rast Platz. Ein Apfel läuft rein, auf den ich mich schon seit 2 Stunden freue, eine Wurst mit schön viel Fett, Marschtee findet sich auch noch in der Kanne. Es ist relativ warm und fast windstill, wo wir sitzen. Ich wundere mich, wo Astrid und Jürgen bleiben. Während meiner Kletterei habe ich sie aus den Augen verloren, wusste aber, dass sie mit einer Seilschaft dazwischen hinter uns in die letzte Passage eingestiegen waren. Kann also nicht mehr so lange dauern, bis auch die beiden eintreffen, war meine Annahme. Dann passiert was Blödes. Ich höre einen Hubschrauber anfliegen. Ich beginne sofort, mir Sorgen zu machen, spreche Rainer darauf an, doch der ist völlig tiefenentspannt und meint, die kommen schon noch. Der Hubi fliegt alle Seilschaften ab, kommt auf Augenkontakt mit den Insassen ganz nah an uns herangeflogen, wir signalisieren, dass alles OK ist, er dreht ab und fliegt davon. Das hätte er wohl nicht gemacht, wenn etwas passiert wäre. Ich warte weiter. Es wird 12 Uhr. Es wird 12:15 Uhr. Dann sehe ich plötzlich Jürgens Helm am Gipfelgrat auftauchen. Puhh…. Sie sind da. Kurz darauf kommt auch Astrid hoch, übersteigt die Kribbelstelle mit dem schmalen Schnee und wir umarmen uns am Gipfel. Was für ein Ritt. Sehr geil.

Gegen 12:30 Uhr beginnen auch wir dann den Abstieg über den Spallagrat. Der Schnee ist weich geworden, schon während der Pause sah ich, wie Teile aus der weichen Spur ausbrachen, die steilen Hänge hinunterrutschten und unten im Bergschrund verschwanden. Genau da geht’s jetzt drüber. Also über die von der Sonne aufgeweichten Spur. Übrigens ist von den anfänglichen Bedenken wegen des Wetters nichts geblieben, die Sonne scheint, seit wir in der Kletterei hinter der Fuorcla Prievlusa gewesen sind, nur kurz wird das durch vorbeiziehende Wolkenfetzen unterbrochen. Der Spallagrat ist ein Mix aus Fels, Schnee, Kletterei und einigen Abseilstellen am unteren Ende. Meist geht es relativ schmal und steil zu, was meinem Kopf insbesondere im Schnee zu schaffen macht, weil es nichts zum Festhalten gibt, wie weiter oben schon geschrieben. Ich bin entsprechend langsam und teilweise wackelig unterwegs, Rainer beruhigt mich, er sei jederzeit bereit, den Grat auf der anderen Seite herunterzuspringen, falls ich ins Rutschen komme. Na dann ist ja alles gut. Beruhigt mich das? Nicht wirklich. Ich will hier nicht ins Rutschen kommen. Das ist keine Option. Obwohl die Strecke nicht so kurz ist, so sind wir doch recht schnell an den letzten Felsabsätzen angelangt, seilen einige Male ab, die Hütte für die nächste Nacht kommt in Sicht und ehe ich mich versehe, stehe ich auf der finalen Abstiegsspur zur Marco-e-Rosa Hütte. Ein letztes Stück vom Grat weg ist nochmal steil und eisig, doch danach können die Wanderstöcke wieder aus dem Rucksack, der Pickel unter den Träger, denn im total aufgeweichten Schnee läuft’s sich besser, wenn Frau mit Stöcken in den Händen stabilisieren kann. Rainer lässt das Seil lang für den restlichen Weg über den Gletscher. Ob’s Spalten hat, ist nicht zu erkennen, deswegen ist es nicht klug, seilfrei zu gehen.

Nach insgesamt knapp 11 Stunden setze ich meinen Fuß auf die Terrasse der Marco-e-Rosa Hütte auf 3597m nach einem erstaunlich schnellen Abstieg der rund 600 Höhenmeter vom Gipfel. Ein kleiner, relativ neuer Bau, von dem gesagt wird, der Hüttenwart sei ein unfreundlicher komischer Vogel. Nun. Er ist scheinbar nicht anwesend und das restliche Personal, muss ich sagen, ist überaus nett und zuvorkommend. Das ist jedoch auch das einzig Gute an dieser Hütte, wie sich bald herausstellt. Sie ist fast bis auf den letzten Platz voll, es gibt nur zwei dieser merkwürdigen Stehklosetts, das Wasser an allen Waschbecken ist abgedreht, weil schlichtweg kein Wasser aus der Umgebung verfügbar ist und was mir sehr merkwürdig vorkommt, überall hängen irgendwelche sexistischen Darstellungen von mehr oder weniger nackten Frauen. Sowas hab‘ ich echt noch nirgendwo erlebt. Was soll das? Über einige schwarzweiß Aufnahmen von nackten, kletternden Frauen könnte man noch streiten, ob es Kunst ist. Ästhetisch schaut’s vielleicht schon aus, doch das ist meiner Meinung nach sicher nicht der richtige Ort dafür.
Wir melden uns an. Die Reservierung war eine kleine Herausforderung, weil auf keinem der bekannten Kanäle irgendjemand geantwortet hat. Erst ein Tipp aus den sozialen Medien mit einer nicht veröffentlichten eMail-Adresse, an die in möglichst einem Satz natürlich in italienisch die Anzahl der Menschen und Übernachtungen gemeldet werden sollte, hat zum Ziel geführt. Wir bekommen Plätze im Lager in der oberen Etage der Stockbetten. Dort hineinzukommen ist gefährlicher als alles, was wir sonst an diesem Tag gemeistert haben. Auf drei senkrecht angeordneten lackierten Miniholztritten und ein bisschen Mut geht’s über zwei Meter hoch dort rein. Nachts aufstehen müssen, weiß ich schon jetzt, ist keine Option. Dabei kann Frau sich leicht den Hals brechen. Wir verstauen die Rucksäcke, richten den Schlafplatz so gut es geht her, das restliche Material bleibt im Materialraum und dann gibt’s reichlich Gipfelradler, das wir aus Bitter Lemon und Calanda aus Dosen selbst mischen.

Es ist noch früh am Nachmittag und weil es erst gegen 19 Uhr was zu futtern geben soll, hauen wir uns noch ne gute Stunde ins Lager. Liegen tut gut. Ich hatte irgendwann gegen Ende des Spallagrats schon gemerkt, dass die Batterien langsam alle werden. Ich wundere mich außerdem über meine Beine und Füße, die jetzt schon den 4. Tag in Folge viel Arbeit leisten mussten und trotzdem noch so gut funktionieren. Das Training der letzten Monate hat sich gelohnt, doch einen Tag müssen sie jetzt noch durchhalten. Der am nächsten Tag bevorstehende Rückweg zur Bergstation Diavolezza ist eine eigenständige Hochtour, die keinesfalls unterschätzt werden darf. Aber das ist morgen. Nicht darüber nachdenken. Wir dösen vor uns hin, treten kurz weg, bis uns kurz vor 19 Uhr der Wecker daran erinnert, dass es Zeit fürs Nachtessen ist. Ich hab‘ richtig Kohldampf, freue mich auf neue Energie. Essen in dieser Art Unterkunft ist häufig nur in Italien gut, viele andere hochgelegene Hütten schaffen es nicht, etwas Vernünftiges auf den Tisch zu bringen. Am schlimmsten sind nach meiner Erfahrung die französischen. Deswegen hege ich eine gewisse Erwartungshaltung, was da jetzt wohl so aus der Küche kommt. Die Euphorie wird schlagartig gebremst, als wir eine nicht definierbare Pasta in Plastiktellern vorgesetzt bekommen. Die Convenience-Zutaten sind förmlich zu riechen. Jürgen ist gleich fertig damit. Er möchte sich das nicht antun. Astrid ist ebenfalls zurückhaltend. Nur Rainer und ich machen den Teller leer und schaufeln auch Jürgens fast ganze Portion in uns rein. Ist zwar nicht lecker, macht aber den Magen voll. Ein sehr pragmatischer Ansatz. Unter anderen Bedingungen hätte ich das sicher nicht verputzt.
Der zweite Gang: Es sieht aus, wie eine Bratenscheibe, allerdings nur 1-2 Millimeter dick, eine Schinkenscheibe, möglicherweise Erbsen und Bohnen und eine mit irgendetwas gewürzte Polentawurst aus dem Fertigschlauch. Darüber etwas, das wohl eine Soße sein sollte. Astrid ist gleich fertig damit, Jürgen mehr oder weniger auch, Rainer und ich werfen alles rein. Es ist Energie. Sonst nix. Es folgt noch eine Nachspeise. Es gibt die Wahl zwischen Dosenobst und fertiger Schokocreme. Not gegen Elend. Pest gegen Cholera. Egal, ich nehme die Schokocreme. Es dauert nicht lange, bis es in meinem Kessel, der diese ganze Fertigzeug überhaupt nicht mag, rundgeht, doch es wird nicht so schlimm, wie befürchtet und ich bin erstmal satt. Ist ja auch was.
Während des Essens reden wir über die Erlebnisse des Tages und über alle möglichen anderen Kuriositäten, die uns so in den Bergen über den Weg gelaufen sind. Rainer und Jürgen bestätigen, dass wir uns wirklich gut geschlagen haben und auch wir beide kommen zu der Erkenntnis, dass wir die einzelnen Schwierigkeiten auch hätten allein meistern können, doch was diese Tour besonders macht, ist die Summe der unterschiedlichen Anforderungen, was sicher dazu geführt hätte, dass wir wesentlich länger gebraucht und uns in der Folge sehr hätten verausgaben müssen. In dieser Schwierigkeit so eine Tour erstmal mit Bergführer zu gehen, war auf jeden Fall die richtige Entscheidung. Damit konnten wir uns bei einem überschaubaren Risiko ein Bild davon machen, ob wir dem gewachsen sein können.
Von Rainer erfahren wir während unserer Plauderei, dass er Ende der Siebziger/Anfang der Achtziger für die deutsche Biathlonnationalmannschaft am Start gewesen ist. Spannend. Ich hab‘ mich eh gewundert. Rainer ist nicht mehr der allerjüngste, doch ich habe ihn ganz im Gegensatz zu mir nie mal schnaufen gehört, er hat nix gegessen unterwegs und so gut wie nix getrunken. Geschwitzt hat er nur beim Hüttenzustieg, weil es halbwegs warm war. Astrid kann sich die Frage nicht verkneifen, was denn der höchste Gipfel gewesen sei, auf dem er Stand. Er druckste ein wenig rum, wollte eigentlich nicht antworten, lies dann aber ganz leise verlauten, dass es der Broad Peak war. 8051m. Ohne Sauerstoff.

Tag 3 bricht an. Etwas überrascht stelle ich fest, dass es unter den mindestens 14 Menschen im Lager keinen ernsthaften Schnarcher gab, wovon ich bei der Menge mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgegangen bin. Viel geschlafen habe ich trotzdem nicht. Vor 5 Uhr gibt es auf der Marco-e-Rosa kein Frühstück, egal was das Ziel für den nächsten Tag ist. Da bleibt der Hüttenwart hartnäckig, obwohl es für die Seilschaften, die über den Spallagrat auf den Bernina wollen zu dieser Jahreszeit kein Luxus wäre, mindestens eine Stunde früher aufzubrechen. Während ich mich aus dem Hüttenschlafsack quäle, höre ich, wie der Wind draußen in starken Böen um die Hütte pfeift. Hört sich nicht gut an und ich befürchte, dass die angekündigte Labilisierung des Wetters deutlich früher eingetreten ist, als vorhergesagt. Huift ois nix, wir müssen trotzdem los. Es gelingt mir, ohne mich zu verletzen im Halbschlaf vom Bett herunterzusteigen, nachdem ich oben alles so hergerichtet hatte, dass ich bloß nicht nochmal rauf muss. Es herrscht geschäftiges Treiben, nur vor den einzigen beiden Toiletten nicht, an denen sich eine lange wartende Schlange gebildet hat. Da muss ich zum Glück nicht hin, stelle meinen Rucksack im Eingangsbereich ab und mache mich zunächst ans Frühstück. Unser Tisch ist so gelegen, dass ich die Schlange vor der Toilette im Auge habe und als es dort plötzlich lichte wird, unterbreche ich mein Frühstück und nutze die Gelegenheit.
Wir lassen es ruhig angehen, eine zweite Tasse Tee oder Kaffee darf auf jeden Fall noch reinlaufen, dann werfe ich einen kurzen Blick nach draußen, entscheide, was ich zum Losgehen anziehe, bespreche mich kurz dazu mit Astrid und wir machen uns fertig für den Weg zur Diavolezza. Steigeisen können gleich vor der Tür schon dran und auch das Seil, denn wir starten von der Hütte flach sofort auf den Gletscher.

Für den Abstiegsweg hatten wir vorgesehen, noch die Überschreitung des Piz Palü anzuhängen, weil das vom Weg her keinen großen Unterschied macht und die Tour gefühlt eine Aufwertung erfährt. Die Wolken hängen jedoch tief, es weht ein fester Wind und kalt ist es auch. Eine Entscheidung, was wir tun, wird erst später notwendig, nachdem wir die Bellavista-Terrassen passiert haben und so gehen wir erstmal zu viert am Seil los, folgen der gut sichtbaren Spur in hartgefrorenem Schnee. Die nächste etwa 1,5 Stunden hängt der Weg immer ein wenig nach links, was mir mit meinem genau in diese Richtung instabilen Fuß große Probleme macht und ich mitunter watscheln muss, wie eine Ente, um Schritt halten zu können. In der Spur geht’s einigermaßen, weil dort die Chancen größer sind, den Fuß gerade aufsetzen zu können, außerhalb ist’s für die anderen besser. Erst steigt die Spur ein paar Höhenmeter an, dann wird’s flach, die Bewölkung kommt immer weiter runter und von den umliegenden Bergen ist inklusive des Piz Bernina nichts zu sehen. Als wir das Ende der Bellavista unter der Fuorcla Bellavista erreichen, müssen wir uns entscheiden, ob’s der Palü noch werden soll, dann müssten wir nun nach rechts in die Scharte über uns, die aber nicht zu sehen ist, aufsteigen und in den Grat auf den Piz Spinas einbiegen. Oder ob wir links abbiegen und über den Fortezza-Grat gleich hinuntergehen. Mein Bauch hat sich schon entschieden: In den Wolken bei Wind ohne Sicht auf einem Schmalen Grat über den Palü zu gehen, findet er nicht sexy. Wir besprechen das kurz in der Gruppe und sind uns schnell einig, dass der Fortezza-Grat genauso gut ist. Also nach links den Hang hinunter auf den gut sichtbaren Felsgrat zu, von dem wir allerdings wissen, dass sich wegen eines Felssturzes vor ein paar Jahren die Abstiegsroute verändert hat. Soll aber neu markiert worden sein. Am Fels angekommen, legen wir die Steigeisen ab und schließen uns wieder zu den gewohnten zwei Zweierseilschaften zusammen. Von den Kletterschwierigkeiten her ist’s ähnlich des Stücks aber Fuorcla Prievlusa, mit dem Unterschied, dass wir jetzt ziemlich viel abseilen und relativ wenig klettern und immer wieder mit der Wegfindung beschäftigt sind, denn so eindeutig markiert ist das dann alles doch nicht. Ab etwa der Hälfte lässt die Kletterei nach, wir folgen Trittspuren, gehen über ziemlich weichen Schnee, in den wir immer wieder tief einsinken, folgen später ein paar Steinmanndl, die uns auf den Pers-Gletscher führen. Es ist wichtig zu erkennen, dass es nicht nach links vom Grat runter geht, dann würde man auf den Morteratsch-Gletscher gelangen, sondern nach rechts, um in Richtung der Diavolezza weitergehen zu können. Wir treffen auf einen weiteren Bergführer mit Gast, Rainer kennt ihn natürlich, so wie gefühlt jeden zweiten seit Anbruch der Tour und sie tauschen sich kurz über das Rauf und Runter aus.
Bei mir macht sich ein bisschen Entspannung breit, denn alle Schwierigkeiten sind nun bewältigt, es muss „nur“ ein bisschen auf dem Weg über den Gletscher durchgehalten werden und am Ende folgt noch ein längerer Aufstieg vom Eis hinauf zur Bergstation Diavolezza, die bereits zu sehen ist. Zu zweit am langen Seil starten wir zunächst ohne Steigeisen im Schnee, bis die schneefreien Eisflächen zunehmen und Krallen sinnvoll werden. Steigeisen wieder an die Füße und weiter auf dem aperen Pers-Gletscher in Richtung des sichtbaren Pfades, der vom Eis eine Moräne hinaufzieht. Eine größere Gruppe französischer Schüler:innen treffen wir am Ende unseres Eisweges an. Nicht wenige Touristen kommen den ganzen Weg von der Bergstation hinuntergelaufen, um einmal auf einem Gletscher zu stehen. Ich für meinen Teil bin froh, dass ich endlich vom Eis runter kann. Gehen mit Steigeisen in teilweise zerklüftetem und von Rinnen durchzogenem Eis ist anstrengend und wir sind ja inzwischen auch schon wieder über 5 Stunden seit 6 Uhr in der Früh unterwegs. Knapp 300 Höhenmeter trennen uns nun noch vom Ende der Tour. Es wird nochmal anstrengend über den sehr steilen rutschigen Pfad zuerst die Moräne hinauf, dann auf einen Wanderweg bis hinauf zur Terrasse der Bergstation. Wir machen uns beim anstrengenden Gegenanstieg ein wenig über die Schüler:innen lustig, denn die hatten unten auf dem Eis schon teilweise lange Gesichter gezogen und wirkten ziemlich demotiviert. Die werden auf dem Weg nach oben Spaß haben.
Am Ende sagt meine GPS Uhr sind wir in rund 6 Stunden etwa 600 Höhenmeter auf- und etwa 1200 Höhenmeter abgestiegen auf dem Weg von der Marco-e-Rosa zur Diavolezza. Damit sind wir in 5 Tagen mit dem Weissmies rund 5100 Höhenmeter rauf und rund 2000 Höhenmeter runter. Wir nehmen noch Kaffee&Kuchen in der Bergstation bevor wir mit der Gondel zum Auto zurück gelangen. Ein paar sensationelle Tage in den hohen Bergen gehen zu Ende. Ich bin schlimm froh, dass wir den Piz Bernina gehen konnten. Ein kleiner Traum hat sich erfüllt, der gleichzeitig neue Impulse geliefert hat, was geht und was (noch) nicht geht.

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