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Besteigungsversuch Zinalrothorn, 4221m, 22.-23.07.2023

Das Thema bei einer Besteigung des Zinalrothorns sind eigentlich nur die letzten knapp 300 Höhenmeter zum Gipfel. Wer bis dahin schon Probleme hat, hat sich auf jeden Fall die falsche Tour rausgesucht. Wir sind überzeugt, wir schaffen die erwarteten Schwierigkeiten ohne Unterstützung durch einen Bergführer, bzw. machten einen Besteigungsversuch unter anderem davon abhängig, wie es für uns am Piz Bernina über den Biancograt läuft. Die Hütte indes buchten wir bereits letztes Jahr im September, als wir dabei waren, die Jahresplanung mit Urlaub, Kinderwochenenden und Urlaub mit den Kindern in Form zu gießen, denn die Plätze sind rar und begehrt. Mit solch zwei herausfordernden Zielen vor Augen fällt das (fast) tägliche Training, das wir ab November wieder mit Laufen ergänzten, auch nicht ganz so schwer und ich finde wir sind da recht diszipliniert unterwegs. Am letzten Juni-Wochenende starten wir mit der erneuten Besteigung des Weißmies zusammen mit unseren Nachbarn Marcel und Thomas zur Akklimatisation in die Hochtourensaison und unmittelbar danach am nächsten Tag schloss sich das Abenteuer Piz Bernina über den Biancograt an, für das wir uns Bergführer Jürgen und Rainer leisteten, um herauszufinden, ob wir mit der dort anzutreffenden Kletterei und der Exponiertheit klarkommen oder nicht. Die Geschichten sind beide zusammengefasst hier zu finden.
Am Ende des Tages stellen wir für uns fest, ja, die Einzelschwierigkeiten hätten uns nicht aus der Bahn geworfen, doch in Kombination zusammen mit Wegfindung, die notwendigen Entscheidungen über Absicherung und das etwas labil erscheinende Wetter lassen die Sache in einem etwas anderen Licht erscheinen. Genau diese Tour mit Bergführer zu gehen, war auf jeden Fall die richtige Entscheidung.

Zurück zum Zinalrothorn. Der Unterschied ist, bis zum Beginn der Kletterei zum Gipfel hinauf handelt es sich um eine nicht allzu schwierige Hochtour mit ein bisschen Eis, ein bisschen Kletterei, ein bisschen Blockgelände, ein bisschen steiler Schneeflanke und einem schmalen Firngrat. Daran schließen sich ein paar Hundert Höhenmeter Kletterei bis maximal UIAA 3- in einigermaßen exponiertem Gelände an, über das man auf dem Rückweg große Teile abseilen kann. Aber es gibt eben nur genau das. Es wechselt nicht ständig, wie am Piz Bernina. Deswegen waren wir sehr optimistisch und hielten nach den ersten beiden Hochtouren am Plan fest, die Besteigung zu versuchen.
Ursprünglich hatten wir zwei Übernachtungen auf der Rothornhütte gebucht, doch nach den Erfahrungen der letzten Wochen auf diversen Hütten, stresst mich eine unnötige Übernachtung in Berghütten mehr, als mal ein paar Stunden Abstieg auf die Zähne beißen zu müssen. Aufenthalte und Übernachtungen auf Berghütten empfinde ich immer mehr als notwendiges Übel, das ich akzeptieren muss, wenn ich nicht dazu in der Lage bin, entweder zu biwakieren oder 5000 Höhenmeter am Tag zu gehen. Schön ist anders und die Rothornhütte ist da keine Ausnahme, wenngleich die Hüttenwirtin Daniela und ihr Team echt klasse sind und auch sehr leckeres Futter aus der kleinen Küche gezaubert wird. Wir beschließen deswegen bereits einige Tage vor der Anreise, die zweite Nacht zu stornieren und am Gipfeltag den Abstieg mit bis zu etwa 2600 Höhenmetern in Kauf zu nehmen, als unnötig lange auf der Hütte zu bleiben.

Und so geht’s Freitagnachmittag los, sobald wir uns von der Arbeit loseisen können, mit dem ersten Ziel Oberwald im Wallis, wo wir für die erste Nacht ein Hotelzimmer gebucht haben. In den letzten Jahren haben wir uns angewöhnt, wo möglich den Autoverlad zu benutzen, denn die Gurkerei über die Pässe ist nur beim ersten Mal interessant oder wenn man auf der Passhöhe zwecks Akklimatisierung übernachten will, was wir auch schonmal nutzten. Pferdefuß dabei ist, dass wir die Nacht im PKW irgendwie eingeklemmt hinter uns bringen müssen, was nicht wirklich erholsam oder gar angenehm ist und mit sich bringt, dass noch mehr Zeug mit muss. Gefühlt sind wir so langsam aus dem Alter draußen und nehmen uns lieber ein Zimmerchen, was als Eurogehaltsempfängerin in der Schweiz zwar auch eine Herausforderung werden kann, doch angenehmer ist es allemal. Mit dem Verkehr auf der Straße hält es sich einigermaßen in Grenzen und wir erreichen ganz easy die Verladestation in Realp deutlich vor der letzten Fahrt um 21 Uhr, um sozusagen die letzten Meter unterm Furkapass hindurch nach Oberwald, wo der Zug wieder verlassen wird, entspannt auf der Schiene zurückzulegen. Vom Autozug herunter sind wir in wenigen Minuten am Hotel, wo es im Zweifel sogar noch warme Küche gegeben hätte. Doch wir sind vorbereitet, haben Kaltgetränke und Semmeln im Gepäck, um die Kosten für so ein Wochenende nicht noch weiter explodieren zu lassen.
An der Rezeption angekommen, ist da erstmal niemand, außer einer riesigen Dogge. Hätte wohl mal ein Pferd werden sollen. Hab sowas ganz aus der Nähe noch nie gesehen. Irre. Das Riesenviech ist völlig gechillt und will, ohne aufdringlich zu werden, nur ein ganz kleines Bisschen Aufmerksamkeit. Die bekommt es kurz darauf vom Chef als er eintrudelt und den Hund auf sein Sofa in der Lobby schickt. Der tut das dann auch überraschenderweise relativ zügig und braucht tatsächlich eine ganze Seite eines Ecksofas für sich alleine. Nein, wir haben keine Angst gehabt und wurden auch nicht belästigt vom Reithund, auf Nachfrage des netten und etwas schrägen Herrn, der uns mit einem niederländischen Akzent begrüßt und sich freut, dass mit uns die letzten offenen Gäste eingetroffen sind. Zweiter Stock. Die Küche hätte, wie gesagt, noch offen. Uns interessiert eigentlich nur noch, ab wann es Frühstück gibt, denn trödeln dürfen wir am nächsten Tag nicht. Ab 8 Uhr, doch wir können auch früher, denn er sei normalerweise gegen 7:30 Uhr fertig mit den Vorbereitungen. Wir danken, schnappen unser Zeug, nehmen die Treppe und brauchen sonst nix mehr.

Das Frühstücksbuffet ist reichhaltig, es gibt überraschend guten Kaffee, was mich freut, denn das vermisse ich eigentlich immer auf den Berghütten, wo es maximal fürchterliches Pulverzeug gibt, dass nur stark gesüßt reinläuft. Wir teilen uns den Raum mit einer japanischen Motorradgruppe, die sich offensichtlich in München mit Leihmotorrädern ausgestattet hat, um zumindest diesen Teil Europas auf diese Weise zu erkunden. Was mir immer wieder auffällt, wenn wir so unterwegs sind ist, dass Asiaten mich viel weniger anstarren als es die hiesige Bevölkerung für gewöhnlich tut. Woran das wohl liegt? Ich werde es wohl nicht herausfinden und es ändert sich sofort, als etwas später eine europäische Familie den Raum betritt. Mir aber egal, bezahlen, auf nach Zermatt bzw. auf nach Täsch ins Parkhaus. Etwa 1,5 Stunden später finden wir dort ein Plätzchen, schwingen uns in unsere Bergklamotten, kaufen zwei Bahntickets für den Zug nach Zermatt, wo wir kurze Zeit später aussteigen und den ganz schön langen Aufstieg zur Rothornhütte beginnen. Man kann den Weg direkt hinter/neben dem Bahnhof nehmen, wie wir beim Zurückkommen am nächsten Tag merken, was wir allerdings nicht tun, denn von Trift oder Rothornhütte steht da nix drauf. Also wackeln wir die Einkaufsstraße noch ein ganzes Stück weiter bis das erste Schild auftaucht, dass die Trift bzw. den Triftweg ausweist. Egal wie, es ist kein Drama, Frau kommt trotzdem auf den richtigen Weg, denn alle Varianten treffen sich spätestens dort, wo es steil am Bach entlang nach oben geht. Es liegen ziemlich genau 1600 Höhenmeter vor uns und das erste Schild, das vorbeikommt, spricht von 4:20 Stunden, die ohne Pausen benötigt werden. Ich gehe erstmal davon aus, dass wir wesentlich länger unterwegs sein werden, denn ich mag mich nicht beim Hüttenzustieg schon kaputt machen. Eine der Lektionen, die wir in den letzten Jahren gelernt haben. Lieber einen großen Zeitpuffer einplanen, so wie heute, langsam gehen, um auch dem Körper Zeit zu lassen, dass er sich an die Höhe gewöhnen kann, und Pausen machen, gerade, wenn es relativ warm ist. Eine Sache, bei der ich mich sehr schwer tue, ist die Menge an Wasser richtig einzuschätzen, die ich brauche. Am Bernina hatte ich solche Panik, dass mein Wasser am Gipfeltag auf den ebenfalls über 1600 Höhenmetern nicht reichen könnte, dass ich mit Thermoskanne und zwei zusätzlichen Softflasks im Rucksackträger mehr als 3,5 Liter dabei hatte, von denen ich fast 2 Liter unangetastet auf die Marco-e-Rosa schleppte. Das wollte ich hier nicht schon wieder falsch machen, denn der Rucksack ist sowieso schon so schwer. Also Trinkblase nur halb voll und im Zweifel auf der Hütte noch was nachkaufen, wenn’s knapp wird. Das Gletscherwasser zu trinken, das in vielen Hütten im Waschraum aus dem Hahn läuft, stellt ein Risiko dar. In Notfällen kann Frau das mal machen, aber das kann auch schief gehen, selbst wenn weiter oben kein Weidebetrieb sein sollte.

Das Ziel für eine längere Pause ist das Berghotel Trift, das wir nach etwa 770 Höhenmetern Aufstieg erreichen. Der Weg bis dahin ist alles andere als fersenfreundlich und schon gar nicht mit Kategorie D Stiefeln. Schon nach wenigen hundert Höhenmetern melden sich beide Fersen, was ich von meinen letzten Bergtouren im Gegensatz zu früher gar nicht mehr kenne. Insbesondere seit ich meinen kompletten Schuhbestand in den letzten Monaten ausgetauscht hatte und an meine im letzten Jahr veränderten Füße anpasste, war auf einmal Schluss mit Blasen, Druckstellen und Strom in den Zehen. Am Bernina hatte ich mit den D-Schuhen überhaupt keine Probleme, obwohl sie praktisch funkelnagelneu waren. Hilft nix. Am Berghotel Trift ziehe ich die Schuhe aus, lasse die Füße trocknen, während wir essen und trinken und haue mir dann zwei große Blasenpflaster drauf, bevor es weitergeht. Der Weg wird im weiteren Verlauf etwas stufiger und lässt sich besser gehen, doch meine Fersen sind angeschlagen, was ziemlich blöd ist und womit ich nie und nimmer gerechnet habe. Solange es bergauf geht, also auch am nächsten Tag zum Gipfel, ist jeder Schritt ab jetzt mit Schmerzen verbunden. Keine gute Voraussetzung. Die folgenden etwa 850 Höhenmeter bis zur Hütte über einen teilweise steilen und rutschigen Moränenweg ziehen sich ziemlich, wir legen weitere 1-2 kurze Pausen ein, meine Oberschenkel haben sich mal wieder überlegt, dass sie Krämpfe toll finden. Noch vor dem Berghotel Trift ging’s schon in den Fußgelenken los. Das ist ein Scheiß. Bisher konnte ich nicht herausfinden, was die Ursache ist, auch nicht mit ärztlicher Unterstützung. Auf manchen Bergtouren ist nix, auf anderen geht’s schon gleich am Anfang los, spätestens aber, wenn ich absteige. Es hilft nur, rechtzeitig Futter und Trinken reinzuwerfen, die Beine für ein paar Minuten zu entlasten und sie dabei gut durchzukneten. Möglicherweise hängt es einfach mit dem Mineralstoffverlust durch meine sehr starke Kopfschwitzerei zusammen, die ich ganz besonders an mir liebe. Jeder Schritt ein bis zwei Tropfen. Ihr kennt das Beispiel vom tropfenden Wasserhahn. Sieht wenig aus, ist in kürzester Zeit aber ein ganzer Eimer voll.

Die Rothornhütte kommt in Sichtweite, die 3000er Marke haben wir hinter uns gelassen und wie üblich kommt das Scheißding nicht näher, obwohl man das Mittagessen schon riechen kann. Es wird noch mal grobsteinig, was etwas Konzentration erfordert, die Baustelle mit dem Neubau der Hütte liegt etwas unterhalb auf Fels, weswegen wir erst dort einen Blick hineinwerfen können, bevor wir dann endlich die Terrasse der alten Hütte betreten. Ein kleines Steinhäuschen, bei dem Frau kaum glauben kann, dass gut 70 Menschen Platz darin finden können. Für diese Menge an Menschen, die fast alle schon da sind, stehen zwei Außenplumpsklos zur Verfügung, bei denen die Ausscheidungen tatsächlich noch einfach in der Pampa landen, wobei ich nicht weiß, ob nicht hin und wieder weggeräumt wird. Die Frage habe ich mir schon gestellt, als ich keine Wahl mehr hatte und so ein Ding inspizieren musste. Immerhin ist’s zum Sitzen und nicht zum Stehen, wie in Italien oder Frankreich. Dafür ist die Aussicht grandios, denn die zweigeteilten Türen schließen mehr oder weniger nicht, was mich dann aber auch nicht mehr anhebt.
Es ist kalt im Wind, der uns laut Vorhersage auch am nächsten Tag erhalten bleiben wird. Auf der Terrasse den Nachmittag in der Sonne zu verbringen, ist nur gut, wenn Frau ein Plätzchen im Windschatten ergattern kann, was bei der Menge an Leuten natürlich nicht funktioniert. Wir melden uns an und ich bin bereits etwas neugierig auf Daniela, die Hüttenwartin, mit der ich schon längere Zeit auf FB verbandelt bin. Wie genau das kam, weiß ich gar nicht mehr. Eventuell über Gisi, die wir auf der Tierberglihütte kennenlernen durften, wo Daniela auch schon mal arbeitete. Aber für den Moment hilft uns eine ganz liebe Frau weiter, die hier arbeitet und uns ein Plätzchen im Lager unter dem Essensraum zuweist und uns die Zeiten für Abendessen und Frühstück nennt, nachdem wir ihr verraten hatten, dass wir am nächsten Morgen zum Zinalrothorn auf dem Normalweg aufbrechen wollen: Ab 3:30 Uhr am nächsten Morgen ist was vorbereitet.

Außer der großen Pause am Berghotel Trift, ließ ich die Uhr durchlaufen, d.h. mit den kleinen Pausen benötigten wir ziemlich genau 4 Stunden für die 1600 Höhenmeter, was gar nicht so schlecht ist, uns nun bis zum Nachtessen allerdings etwas tote Zeit verschafft. Da draußen sitzen keine Option ist, beziehen wir schonmal unsere Schlafplätze und merken dabei, wie kalt es in dem Raum ist. Ich friere, mag mich aber auch nicht in einen der Fleece-Schlafsäcke legen, die zur Verfügung stehen, denn die finde ich nicht besonders appetitlich. An Schlafen ist zitternd und bei dem geschäftigen Treiben im Lager allerdings auch nicht zu denken. Die meisten Gäste nehmen auf Ruhende tagsüber keine Rücksicht, warum auch immer. Tür auf, Tür knallt zu, Tür auf, Tür knallt zu, Tür auf…. Rucksäcke werden 50zig Mal auf und zu gemacht, es wird sich laut unterhalten, woran auch die Intervention anderer nichts ändert, die einfach mal kurz die Augen schließen wollen. Fenster auf, Fenster zu, Fenster auf, Fenster zu, aufs Bett rauf, wieder runter, rauf, runter und wieder laut reden. So ein Verhalten ist mir unbegreiflich, spiegelt meiner Meinung nach jedoch die Entwicklung der Gesellschaft wider. Rücksichtnahme ist die Ausnahme, alle wollen vorne sein, egal auf wessen Kosten, Hauptsache nicht auf die eigenen. Ein kleiner Vorgeschmack auf den kommenden Morgen, wenn 30 Seilschaften im winzigen Vorraum, in dem das Material und die Schuhe untergebracht werden können, gleichzeitig los wollen und es weitgehend mit der gleichen Rücksichtslosigkeit zugeht. Ich hatte es oben bereits erwähnt, so etwas stresst mich ganz enorm und beschert mir regelmäßig auf den meisten Hütten, die ich kenne, einen schlechten Start in den Tag, der in der Regel 100% meiner Energie fordern wird. Ein Fehler, den wir sicherlich gemacht haben ist, dass Frau sich so einen prominenten Berg nicht an einem Wochenende vornehmen sollte, an dem halb Europa Ferien hat. Aber jetzt sind wir da und versuchen, das Beste draus zu machen.

Nachtessen. Gegen 18:30 Uhr geht’s los. Wir holen uns vorher noch etwas zu trinken ab, lernen dabei kurz Daniela kennen und wir verabreden uns für später, wenn der Trubel nachgelassen hat, um mal ein bisschen zu Schnacken. An dem uns zugewiesenen Tisch hat sich eine 4er Seilschaft Mädels eingefunden, die wir bereits im Hüttenzustieg beobachteten und uns freuten, dass es an so einem Berg nicht nur reine Jungs-Mannschaften gibt. Die vier kennen sich von der Bergwachtausbildung, wie wir lernen und sind total nett. Eine von ihnen fliegt sogar mit dem Gleitschirm. Ich freue mich, dass wir an diesem Tisch sein dürfen und es nicht nur um höher, schneller, weiter geht. Die Mädels haben am nächsten Morgen vor, den Gipfel über die deutlich anspruchsvollere Variante Rotgrat anzugehen, doch ich stutze kurz als mir eine von ihnen erklärt, wie sie zum Einstieg gelangen wollen. Sie würden nämlich mit uns auf dem Normalweg Richtung Wasserloch starten und erst weiter oben abbiegen. Mmmhhh… Ich lasse mich kurz zu der Äußerung hinreißen, dass das möglicherweise nicht der richtige Weg ist, um einigermaßen effizient zum Einstieg in den Grat zu kommen, denn nach meinem Kenntnisstand müsste Frau in Richtung Wellenkuppe über den Triftgletscher, also genau in die andere Richtung, starten. Nein, nein, da läge ich falsch, das hätten sie sich schon überlegt, womit ich dann auch meine Klappe halte, denn so ganz genau weiß ich es ja auch nicht und die vier machen nicht den Eindruck als wüssten sie nicht, was sie tun.

Zu uns hinzu gesellen sich später noch Aaron und seine Frau, ein Paar aus Adelboden in der Schweiz, und als eine der Bergsteigerinnen am Tisch ihn auf seinen etwas anderen Ohrschmuck anspricht, von dem alle annehmen, es sei ein Eisgerät, lernen wir, dass es sich um ein Zimmermannsbeil handelt. Aaron hat früher mal Zimmerer gelernt, arbeitet inzwischen jedoch nicht mehr in diesem Beruf, erklärt er. Ich erwähne kurz, dass ich eine ähnliche Karriere machte, die mit der Lehre im Dachdeckerberuf begann. Er sei jedoch, im Gegensatz zu mir, immer noch in der Baubranche tätig. Mit etwas Nachbohren erfuhren wir, er ist Chef bzw. ein Geschäftsführer einer Bauunternehmung, die sich unter anderem auf Renovierungen und Neubauten von Berghütten spezialisiert hat. Und übrigens wickeln sie auch den Neubau der Rothornhütte etwas unterhalb ab, doch er sei nicht hier, um den Baufortschritt zu begutachten, sondern einfach nur, um mal privat Bergsteigen zu gehen. Das ist spannend. Er gibt uns eine Hausnummer, was so ein Neubau etwa kosten kann und wie viele Heliflüge etwa eingeplant sind, bis die neue Hütte nächstes Jahr mit dem Beginn der Sommersaison 2024 in Betrieb geht. Eine der größten Herausforderungen bei so etwas ist die Finanzierung, die teilweise vom SAC und aus öffentlichen Mitteln gestemmt werden muss, was aber meist nicht ausreicht. Alle Projekte dieser Art sind auf mehr oder weniger viele Spenden angewiesen, damit irgendetwas geht und bis es mit Bauen losgeht, vergehen gerne Jahre, weil einfach nicht genug Geld da ist. Des Weiteren braucht’s auch jede Menge Gutachten, allein schon wegen des nachlassenden Permafrostes und den inzwischen geltenden Bestimmungen, die Umweltverträglichkeit betreffend. Leuchtet ein. Ich muss ans Plumpsklo draußen denken. Ein No-Go heutzutage.

Übrigens gab es zwischendurch auch etwas zu essen, was ich nicht unerwähnt lassen möchte, denn es war sensationell lecker. Einfach, aber sehr gut. Ein Süppchen, ein Fleisch- und ein Veggi-Gericht, Salat und ein kleiner Nachtisch. Da sind alle Schüsseln leer geworden. Als wir zum Bezahlen an der Anmeldung stehen, bittet uns Daniela in die Küche zum Reden. Wir sinnieren darüber, wie es kam, dass wir uns kennen, kommen aber nicht drauf, was aber auch wurscht ist. Sie ist einfach nett. Ich freue mich, sie persönlich kennengelernt haben zu dürfen. Wir sind uns einig, dass wir uns nicht unbedingt das beste Wochenende für unsere Unternehmung ausgesucht haben, die Hütte ist bis auf den letzten Platz voll und praktisch alle haben das gleiche Ziel. Hilft aber jetzt nix, wir kommen irgendwie klar. Dafür sind die Bedingungen im Moment recht gut. Wir werden sie morgen früh wieder treffen, sie ist am nächsten Morgen fürs Frühstück verantwortlich und während Astrid und ich in Richtung Schlafplatz gehen dürfen, hat sie noch ne Menge Arbeit vor sich und ihr Tag startet sicher auch gegen 3 Uhr in der Nacht.

3:15 Uhr. Der Wecker klingelt. Die Nacht war der Horror. Astrid hat mich angeblich schlummern gehört, doch für mich fühlt es sich an, als hätte ich kein kleines Bisschen geschlafen. Es war kalt und mir wurde einfach nicht warm, vom Liegen tat mir alles weh, ich wusste nicht mehr, wie ich mich noch positionieren soll, um wenigstens kurz mal weg zu dämmern. Und dann waren da noch die anderen 25 Menschen, von denen ständig welche aufstehen mussten, wieder reinkamen, der eine oder andere Schnarcher war auch dabei, was aber nicht so schlimm war, wie bei der Menge erwartet. Also eigentlich wie immer auf Berghütten. Ich schiebe gedanklich die Dampfwalze von mir runter, versuche mich, im Liegen anzuziehen, weil im Zimmer kein Platz zum Aufstehen ist. Alles, was wir nicht für die Bergtour brauchen, muss in einen Beutel, den wir im Materiallager lassen und später auf dem Rückweg wieder einsammeln können. Aufsetzen geht nicht, zu wenig Platz zur oberen Etage. Als die Reihen sich etwas lüften, krabbele ich raus, richte das hüttenseitige Schlafzeug ein wenig her und flüchte aus dem Raum. Astrid war schon im Waschraum, um ihre Linsen einzusetzen, oder wie wir sagen, die Augen anzuziehen. Die ganze Hütte ist ein einziges Gewusel. Erstmal frühstücken. Im Essraum geht’s noch einigermaßen. Die ganz eiligen sind schon weg. Bis wir beide fertig angezogen und ausgestattet sind und mit angeschalteter Hirabira den Aufstieg als letzte Seilschaft zum sogenannten Wasserloch beginnen, ist es bereits nach 4 Uhr. Ein paar Steinmanndl zeigen den Weg unterm Eseltschuggen vorbei zum Rothorngletscher, den wir ziemlich bald nach dem Start auf etwa 3300m bereits betreten, nachdem wir die Steigeisen an die Schuhe klemmten und das Seil zwischen uns klöppelten. Große Spalten erwarten wir nicht, manche begehen das Stück auch seilfrei, doch mir ist wohler, wenn wir auf diesem unbekannten Teilstück im Dunkeln angeseilt sind. Die vier Mädels sind unmittelbar vor uns, was mich etwas überrascht, denn ich nahm an, sie sprinten irgendwo weiter vorne rum, so fit und entschlossen, wie sie wirkten. Doch im Moment ist es eher so, dass sie langsamer gehen als wir, aber leider nicht langsam genug, dass wir ohne Spur überholen könnten. Also bleiben wir einfach mal dahinter, denn es ist auch zu steil, als dass wir uns schon so früh verausgaben sollten. Auf etwa 3460m erreichen wir den Kamin am Wasserloch, den es zu durchklettern gilt und der uns die erste Stufe hinaufbringt. Er ist etwa 30 Meter hoch, gestuft und dürfte von der Schwierigkeit her etwa bei UIAA 2/2+ liegen. Am Einstieg treffen wir auf eine weitere 4er Seilschaft Jungs, die irgendwie ganz schön lange rumduddeln, wie ich finde und mindestens die letzten 3 machen auf mich einen eher unsicheren Eindruck als ich sie da so kraxeln sehe. Die vier Mädels neben uns sind noch dabei zu diskutieren, ob sie seilfrei gehen, am laufenden Seil oder gar mit Standplatzsicherung an die Sache rangehen wollen als Astrid und ich schon lange da stehen und auf die Jungs vor uns warten, denn auf die Frage hin, ob wir einfach zwischen ihnen hindurch klettern dürfen, ernteten wir Skepsis und weitere Unsicherheit, ob das nicht zu sehr zu Seilkuddelmuddel führen würde. Also weiter warten. Lustig, wenn wir mit Bergführer unterwegs wären, würde der gar nicht erst fragen, sondern einfach an den anderen vorbeisteigen und uns nachziehen. Die fackeln da nicht lange rum. Dann endlich steigt der letzte der vier Jungs los und ich hatte kurz die Hoffnung, wir könnten direkt anschließen, aber leider haben die vier Mädels dann jetzt einen Entschluss gefasst und weil sie vor uns am Einstieg waren, bestanden sie unausgesprochen auf ihren Vorrang, indem die erste unmittelbar losging, als der letzte der Burschen seinen Fuß in die Felsen setzte. Tja. Weiter warten. Und warten… Ich hatte von den vier Mädels eigentlich erwartet, dass sie da hochspringen, wie die Gämsen, immerhin hatten sie den Rotgrat vor, der von den Schwierigkeiten her bis UIAA 5 in alpinem, ausgesetztem Gelände reicht. Von jemandem, der so etwas gehen kann, hätte ich erwartet, dass er den Kamin seilfrei macht, weil es am Schnellsten geht. Da habe ich mich geirrt. Astrid und ich hatten das Seil zwischen uns lediglich über den Abbund etwas gekürzt, wollten am laufenden Seil gehen, um die Zeit fürs Wegpacken zu sparen. Diese Zeit verbrachten wir nun damit, rum zu stehen.
Aber dann. Als Astrid endlich einsteigen kann, sehe ich von unten einen Alleingänger raufkommen. Merkwürdig, aber dann zieht auch schon das Seil nach oben. Ich steige vom Eis in den Fels, muss aber gleich schon wieder stehenbleiben, weil alle vor mir außer Astrid sich mit einer Stufe im Kamin schwer tun. Da muss Frau mal den Fuß nach rechts außen setzen und dann ist’s nicht mehr schwierig. Nicht ärgern, nur wundern. Bis ich dann endlich durchklettern kann, hängt mir der Alleingänger bereits auf den Fersen. Er sei in der Nacht in Zermatt losgegangen. Häh? Krass. Der ist in der Nacht bis hierher schon 2000 Höhenmeter aufgestiegen und will allein weitere knapp 800m zum Gipfel. Er brauche das, meint er. Ja, warum nicht. Wenn er kann, freue ich mich für ihn.
Als ich oben aus dem Kamin steige, ist es bereits hell geworden und mich irritiert, dass von allen zwei Seilschaften mit insgesamt 8 Menschen, auf die wir so lange warten mussten, niemand mehr zu sehen ist. Einen letzten Blick erhasche ich noch auf einen vor uns im Blockgelände Verschwindenden und dann sind wir plötzlich allein. Also bis auf den lonesome Bergsteiger, der uns allerdings auch mehr oder weniger davonrennt. Sind wir im Gehen doch soooo viel langsamer als alle anderen? Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, kommt mir komisch vor.

Die erste Hürde, der Kamin am Wasserloch ist geschafft, es folgt Blockgelände den nächsten Aufschwung hinauf, das teilweise über Steinmanndl markiert ist, Frau meist aber selbst nach Weg- oder Kratzspuren von Steigeisen suchen muss. Auf einer anschließenden Querung über ein nicht mehr existierendes Schneefeld führen mehrere Pfade, doch wir nehmen leider den falschen, müssen wieder ein paar Meter zurück und runter bis wir die Ideallinie treffen und bis dahin ist dann auch der einzelne Bergsteiger mehr oder weniger verschwunden. Der sogenannte Frühstücksplatz ist erreicht. Es folgt ein etwas nerviges Blockgelände, dass auf mehreren Routen mit Steinmanndln markiert ist. Später von oben betrachtet, ist der Weg einfacher zu sehen, aber jetzt von unten bleibt nicht viel anderes übrig, als einer groben Richtung folgend den steilsten Stellen auszuweichen und den Weg nach oben zu suchen. Kostet natürlich Zeit. Ein einheimischer Bergführer wäre hier mehr als doppelt so schnell durch. Wir erreichen ein steiles Schneefeld, durch das eine Spur auf den nächsten Geröllgrat führt. Wir brauchen wieder die Steigeisen. Wenigstens hat die Wegsuche damit ein Ende, wenngleich die Steilheit etwas gruselig erscheint. Wir queren, steigen über den Geröllgrat und treffen auf eine Spur, die durch das letzte Schneefeld auf den Firngrat führt. Meine Fersen haben mich am Morgen bereits auf dem Eis gepiesackt, jetzt geben sie im steilen Schnee nochmal richtig Gas. Ich versuche, die Füße möglichst waagerecht aufzusetzen, um die Fersen beim Abdrücken weniger belasten zu müssen, doch bei Tausenden Schritten ist das nicht so einfach. Uns beide beunruhigt außerdem, dass wir so schnaufen müssen. Eigentlich sind wir in den Touren davor in kurzen Abständen immer wieder bis auf über 4000m gekommen und sollten einigermaßen akklimatisiert sein, aber irgendetwas stimmt nicht. Ist es vielleicht der fehlende Schlaf? Die Erschöpfung vom langen Hüttenzustieg? Keine Ahnung. Eine gefühlte Ewigkeit dauert es, bis wir das Schneefeld hoch- und auf den Firngrat draufgestiegen sind. Vor dem hatte ich ein wenig Bammel, denn auf allen Bildern und Videos, die wir uns im Vorfeld angesehen hatten, erschien er als äußerst schmal mit sehr steilen Flanken. In Wirklichkeit ist es nur ein kurzes Stück, auf das diese Attribute zutreffen und mit vorhandener, ausgetretener Spur ist es nicht so dramatisch, wenn alles außen herum ausgeblendet werden kann. Die letzte Hürde ist mit dem schmalen Grat genommen, es folgt der eigentliche Abschnitt, weswegen wir hier sind: die berühmte Paradekletterei quer durch die Südwand, das Couloir zur Gabel hinauf auf den Südwest-Grat, weiter über die Biner-Platte und die Kanzel zum Gipfel. Knappe 300 Höhenmeter. Der erste Bergführer mit seinem Gast kommt uns über den Einstieg in die Querung zur Gabel schon entgegen. Wir zögern, erschrecken ob der Steilheit, den vielen Menschen in der Kletterei, die Entschlossenheit, dass wir das klettern können, die uns bis jetzt begleitet hat, ist plötzlich vollständig dem Zweifel gewichen, ja fast schon Angst kommt auf. Ich bin von den Socken. Mein Gehirn weiß, dass die Perspektive das Problem ist, mit dem wir gerade kämpfen. Sähen wir von der Seite auf das Couloir würden wir sehen, dass es geneigtes Blockgelände ist, nicht schwerer als der Kamin, den wir am frühen Morgen hochgehüpft sind, doch wir lassen uns weiter beeindrucken, sehen die vielen anderen Seilschaften, die sich kaum bewegen, entweder beim hochklettern oder Abseilen. Alles geht im Schneckentempo. Der Stau mit zwei Seilschaften am Morgen fällt mir ein, jetzt sind mindestens 20-25 Seilschaften vor uns unterwegs, die meisten bereits auf dem Rückweg. Steinschlag der Abseilenden kann tödlich sein, denke ich. Astrid findet, wir seien viel zu langsam gewesen. Ich bin anderer Meinung, es ist kaum halb acht und wir haben für die 800 Höhenmeter in unbekanntem Gelände bis auf fast 4000m mit der Warterei „nur“ etwa 3:15 Stunden gebraucht. Finde ich ok. Zu spät dran sind wir nicht. Wenn wir jedoch jetzt einsteigen, wird’s zäh und ich schätze, dass wir mindestens 2-3 Stunden bis zum Gipfel brauchen würden und die gleiche Zeit nochmal zurück bis hierher.

Dann höre ich Stimmen hinter mir. Nanu. Die vier Mädels kommen hinter uns den Firngrat entlang gewackelt, gehen an uns vorbei und lassen sich unmittelbar am Einstieg in die Kletterei nieder. Häh? Was machen die hinter uns? Ich habe die ganze Zeit immer wieder auf den Triftgletscher runtergeschaut und am Rotgrat entlang, doch die Mädels bzw. eine Viererseilschaft konnte ich die ganze Zeit nicht entdecken. Ja, sagt die eine, sie haben sich dann wohl den falschen Weg zum Einstieg in den Rotgrat ausgesucht und kurzerhand entschlossen, dass der Normalweg auch gut ist. Meine Rede von gestern Abend. Ich habe nix dazu gesagt. Die sind alle schon groß und können mit Tinte schreiben und unsere Fragestellung ist dadurch auch nicht gelöst, wenngleich mir schon der Gedanke kam, einfach hinter den Vieren her zu gehen, denn vielleicht hätte es uns Mut und Zuversicht zurückgebracht. Doch ein Blick in Astrids Augen genügte, um zu wissen, dass wir jetzt umdrehen werden. Mein Bauch war noch wankelmütig, fühlte sich sehr unentschlossen an, ihrer nicht. Wir tun, was wir immer allen predigen, wenn wir fremde Menschen mitnehmen auf solche Touren: Wenn jemand ein Problem hat, muss darüber geredet und eine Entscheidung getroffen werden und weil wir eine Seilschaft sind, genügt eine Stimme für den Entschluss. Wenn der umdrehen lautet, dann drehen wir um. Punkt. Die Mädels gucken ein bisschen, verstehen möglicherweise unsere Schmerzen nicht, aber es geht schließlich um unser Leben, unser Wohlbefinden. Wenn die Hose zu tief hängt, außer beim Pipimachen, dann hängt sie zu tief. Wir drehen uns in der Spur um, ich beginne damit, die Füße auf dem Weg nach unten voreinander zu setzen und als das Seil gespannt ist, tut Astrid es mir gleich. Die Tränchen trocknen schnell, der Berg wird auf uns warten, wir steigen ab. Die einzigen, die das freut, sind meine Fersen. Unterwegs werden wir von weiteren Bergführern mit ihren Gästen mehr oder weniger im Laufschritt überholt und als ich mir das so anschaue, frage ich mich schon, ob’s dieses Rennen wert ist, um auf so einen Berg zu kommen? Was hat der Gast davon, außer, dass er vielleicht oben war? Und natürlich einen leeren Geldbeutel. Ein Bergführer für so eine Tour kostet gerne 1200 CHF plus Hütte und Spesen. Als Gast, und das habe ich persönlich am Bernina ein Stück weit auch so empfunden, ist man ein passiver Teilnehmer/eine passive Teilnehmerin, alle Verantwortung ist abgegeben, das eigene Handeln erfolgt meist nur auf Kommando des Bergführers, das Denken war mir weitgehend abgenommen. Die Qualität, so etwas eigenverantwortlich zu tun, ist eine ganz andere. Und natürlich sind Bergführer, die genau diese Tour unter Umständen mehrmals die Woche machen, um ein Vielfaches schneller. Die brauchen keinen Abseilstand zu suchen und verlaufen sich nicht im Blockgelände. Deren Weg ist optimiert, sowohl was Zeit als auch Entfernung als auch Sicherungstechniken angeht.

Wir legen nach dem Firngrat und den beiden Schneefeldern eine Pause ein, als die Steigeisen vorerst runter können. Zeit haben wir nun genug. Der Weg durch das anschließende Blockgelände ist, wie oben schon erwähnt, aus der Perspektive viel besser zu erkennen und geht dann auch viel schneller, der Frühstücksplatz ist im Nu erreicht, es folgt die Querung, in der wir uns am Morgen ein wenig verlaufen haben, nochmal ein bisschen Klettern, dann ist der Kamin am Wasserloch schon erreicht. Auch hier gibt es mindestens einen Abseilstand, wir binden ein, seilen ab, die 30 Meter Länge aus dem doppelt genommenen 60m Seil reicht nicht ganz bis unten hin, was aber nicht schlimm ist, denn es ist nur Schrofengelände. Als wir gerade unten sind, kommt von oben ein Bergführer mit seinem Gast und es wird wieder deutlich, was die für ein Tempo vorlegen. Kaum angekommen, lässt er seinen Gast ab und als der halbwegs unten zum Stehen kommt, klettert der Bergführer schneller ungesichert runter als er den Gast vorher hinuntergelassen hat. Dadurch, dass der Gast niemals aus dem Seil genommen wird, geht das alles sehr zügig praktisch im Weiterlaufen. Auf diese Weise braucht das Seil auch nicht so lang und in der Folge so schwer zu sein. Gleichzeitig darf natürlich nix passieren. Stolpert der Bergführer, sind beide Tod. Aber dann ist es irgendwie auch egal.
Die beiden rennen ohne Steigeisen rutschend durch die steile Spur gleich weiter, während wir uns gemütlich die Eisen ranschnallen, die Jacke ausziehen, denn endlich ist’s mal nicht mehr so arschkalt. Ach ja, das hatte ich ganz vergessen zu erwähnen. Der Wind. Der hat auch seinen Teil zu unserem Entschluss beigetragen, denn der war wieder mal viel stärker als vorhergesagt und fuhr uns an besagter Stelle obendrauf auch noch durch die Knochen. Und vom Warten in den Kletter- und Abseilstaus wird’s nicht wärmer. Mehr anziehen wäre schon gegangen, aber behindert in der Bewegung und meine Daune ist immer in Sekunden durchgeschwitzt, wenn ich die beim Kraxeln unter der Hardshell trage. Ist ja eigentlich eher für den Notfall und sollte dann bitte auch funktionieren und nicht tropfnass sein.
Wir steigen über den Gletscher ab, folgen der Spur vom Morgen in die andere Richtung bis wir den felsigen Weg zur Hütte erreichen, packen dort Steigeisen und Seil ein und schwupps sind wir auf der Terrasse der Hütte. Es ist kaum 11 Uhr. Objektiv betrachtet hatten wir einen erlebnisreichen Tag bisher, denn egal, wie weit Frau kommt, es ist eine ausgewachsene Hochtour mit Gletscher, Klettern, unübersichtlichem Blockgelände, Abseilen, steilem Schnee und einem sehr schmalen Firngrat. So gesehen geht’s mir mit der Vernunftentscheidung umzudrehen, ganz gut und tief in meinem Inneren ist mir bereits klar, dass wir das Vergnügen haben werden, nächstes Jahr die neue Hütte besuchen zu dürfen. Das besprechen wir auch mit Daniela, von der wir uns unbedingt persönlich verabschieden wollen und sie gibt oben drauf den Tipp, eher im Herbst kurz vor Hüttenschluss unter der Woche, wenn die Ferien in Europa zu Ende gehen nochmal zu erscheinen. Dann wär’s deutlich ruhiger und ich glaube auch, dass die Bedingungen so spät im Jahr nicht deutlich schlechter sein werden. Eine dicke Schneeauflage wegen Spalten oder Brücken oder Bergschrunden braucht’s nicht. Fürs Klettern ist es angenehmer, wenn kein Schnee mehr im Gipfelaufbau liegt.

So, jetzt sind wir aber immer noch auf rund 3200m auf der Terrasse der Rothornhütte. Zermatt, von wo aus uns der Zug zum Auto nach Täsch bringen wird, ist auf etwa 1600m. Die D-Schuhe sind im Lauf des Tages nicht bequemer geworden und der Schmerz in den Fersen wird sich vermutlich eine andere Stelle oder mehrere andere Stellen suchen. Wir stärken uns nochmal, trinken was. Dann muss alles, was am Morgen auf der Hütte geblieben ist, wieder in den Rucksack, der so langsam wieder Ausgangsgewicht erreicht und dann stapfen wir los. Ziel Nummer eins für die Mittagspause ist das Berghotel Trift auf 2335m, etwa 850 Höhenmeter weiter unten. Rösti mit Ei und Speck und einem selbstgemachten Eistee müssen jedoch auf dem Abstieg über die Moräne mit ein bisschen auf die Zähne beißen erkämpft werden. Dazu kommt die Hitze mit sinkender Höhe und, wer hätte es gedacht, Schmerzen in meinen beiden großen Onkeln, weil sich dort fette Blasen bilden, wie schon lange nicht mehr. Die bockharten Schuhe sind einfach nix fürs Spazierengehen. Pause am Berghotel. Ein weiteres Blasenpflaster kommt drauf. Ursprünglich hatten wir überlegt, je nachdem, wie es läuft, die kommende Nacht entweder hier oder in einem ähnlichen Haus etwas weiter unten oder sogar auf dem Heimweg in einem Hotel zu verbringen. Während der Pause wird laut ausgesprochen, was wir beide schon dachten, wir fahren heute noch bis nach Hause. Sollte das nicht klappen, wird sich von unterwegs schon was finden. Das setzt allerdings voraus, dass wir auf jeden Fall mal mindestens bis Zermatt zu Fuß bergab gehen müssen. Nächster Halt für Kaffee/Kuchen am Nachmittag: Das Bergrestaurant Edelweiß auf 1960m. Nach dem leckeren Mittagessen an der Trift, läuft’s überraschender Weise gleich viel besser, bis natürlich auf die schmerzenden Zehen. 800mg Ibu helfen ein wenig. Auch gegen die Schmerzen im Bewegungsapparat. Auf dem Weg zum Bergrestaurant verläuft der Pfad wieder unter die Baumgrenze und in schattigen Wald hinein, was enorm entlastet. Noch ehe wir das Bergrestaurant sehen, können wir den Kuchen riechen, was es noch etwas angenehmer macht. Ein schattiges Plätzchen unterm Sonnenschirm auf der Terrasse ist unser, Kaffee/Kuchen/Kaltgetränk gleich bestellt und gratis dazu gibt’s ein ganz liebes Gespräch mit dem Chef. Der will wissen, was wir heute so gemacht haben und wir müssen gestehen, nicht auf dem Gipfel gewesen zu sein. Daraufhin meinte er, er habe früher in Saas-Fee irgendwo gearbeitet, wo sinngemäß ein Spruch an der Wand stand, so nach dem Motto, du bist hier und kannst von deiner Tour erzählen. Es hätte auch anders sein können. Also wir sollen deswegen nicht traurig sein, sondern uns freuen. Und er würde sich freuen, wenn wir wieder kämen. Ja, dann, ist das wohl abgemacht. Wir zahlen und nehmen das letzte Stück, etwa 350 Höhenmeter, unter die Füße, die nicht davon begeistert sind, weiter gequält zu werden. Vielleicht wäre es eine Option, beim nächsten Mal den Gleitschirm mitzunehmen. Der Landeplatz ist direkt hinterm Bahnhof Zermatt. Starten geht in der Nähe der Rothornhütte. Bedeutet aber auch, weitere etwa 5 Kilo schleppen zu müssen und das im Zweifel auch runter. Schau mer mal. Dürfen täten wir.

Es dauert kaum eine weitere Stunde bis wir über einen anderen Abzweig als den, den wir nach oben nahmen, mehr oder weniger direkt neben dem Bahnhof in den Ort wackeln. Wir haben’s geschafft. Ab Umkehrpunkt über die Rothornhütte, das Berghotel Trift und das Bergrestaurant Edelweiß sind wir rund 2400 Höhenmeter mit den harten Schuhen abgestiegen. Ich hatte sogar das Gefühl, den Schmerz mit jedem Schritt ein wenig zu assimilieren, jedenfalls wurde es erst schlimm, als ich am Bahnsteig zum Stehen kam und ich nicht mehr wusste, wie ich mich hinstellen soll, damit es nicht rundum weh tut. Aber das ist dann irgendwie nebensächlich. Geht schon irgendwie. Der Zug nimmt uns pünktlich mit zurück ins Parkhaus, wir springen in andere Klamotten, nochmal Porzellanausstellung, Ticket zahlen und auf nach Hause. Sind ja nur etwa 6 Stunden mit Fahrpause auf dem Autoverlad Furka. Ein Katzensprung. Kurzweiliger als gedacht, schaffen wir die Fahrt mit einigen Wechseln relativ entspannt und ab Chur war definitiv klar, dass wir die nächste Nacht im eigenen Bettchen schlafen dürfen, worauf ich mich unglaublich freute.

Mein Quatschi im Kopf und ich waren uns seit dem Umdrehen recht uneins, woran es nun lag, dass wir so plötzlich jeglichen Mut verloren, wo wir uns im Vorfeld so sicher gewesen sind, dass wir das können. Die Frage wird möglicherweise nicht beantwortet werden. Doch die ersten Gedanken zu einem neuen Versuch nächstes Jahr sind bereits ausgesprochen worden. Und dann werden wir vermutlich ein paar Dinge anders machen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir keinen Bergführer dazu brauchen.

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