Eisklettern: Rechter Ödalmfall, WI3, 150m, 19.02.2022
Am ersten Februarwochenende in diesem Jahr hatten wir das erste Mal seit unserem Eiskletterkurs vor zwei Jahren die Gelegenheit, in Kolm-Saigurn im Rauriser Tal an einem kleinen Eisfall mit etwa 20m Höhe und der Schwierigkeit WI 2 selbständig zu klettern. Die Geschichte ist unter den Skitouren als "Saalfelden, Kaprun und Rauriser Tal, 4.2.-7.2.2022" zu finden. Wir standen da lange rum und überlegten, ob wir uns den Vorstieg zutrauen. Von Weitem frontal betrachtet sieht so ein Eisfall fast immer senkrecht aus. Bei dem Schwierigkeitsgrad WI 2 ist das jedoch normalerweise nicht der Fall. Und so war es auch hier nicht. Am Ende trauten wir uns und dieses Erlebnis gab einen richtigen Schub in Sachen Selbstvertrauen. Ein Meilenstein, wie ich finde, wenn's ums eigenständige Eisklettern geht.
Mit dieser Motivation im Gepäck trafen wir zwei Wochen später wieder in Saalfelden am Steinernen Meer bei Alex und Manuel ein. Mit dabei ein paar Vorschläge mit alpinen Mehrseillängen-Eiskletterrouten. Was ganz Neues. Der ursprüngliche Plan, erneut nach Kolm-Saigurn zu fahren, dort im Naturfreundehaus zu übernachten und weitere der umliegenden Eisfälle zu versuchen, scheiterte an der Verfügbarkeit der Unterkunft. Da es sich hier um ein kleines Eiskletter-Eldorado handelt, werden die für uns kletterbaren Abschnitte völlig überfüllt sein, wenn das Naturfreundehaus ausgebucht ist. Da ergibt es keinen Sinn, auf gut Glück hinzufahren. Plan B. Wir hatten 3 alternative Spots zur Auswahl, wovon einer gleich wegen fehlendem Eis ausschied. Das vergleichsweise warme Wetter gebot, hochliegendes und trotzdem leicht zu erreichendes Eis zu finden. Verbleibende Möglichkeit #1: Die Eisrinne an den Grünseefällen. WI 3 170 Höhenmeter. Hier hätten wir bloß ziemlich früh aufbrechen und mehr als eine Stunde mit den Ski aufsteigen müssen. Zu dem Zeitpunkt wusste ich auch noch nicht, dass dieses Ziel eine ordentliche Herausforderung geworden wäre. Denn alle 3 Seillängen wären im höchsten Schwierigkeitsgrad der Route. Hätten wir mit unseren physischen Möglichkeiten eher nicht geschafft. Als letzte Möglichkeit blieb nur noch der Rechte Ödalmfall direkt am Nordportal des Felberntauerntunnels übrig. Es handelt sich ebenfalls um 3 Seillängen (ca. 150Hm), wobei jedoch nur die erste davon auf etwa der Hälfte mit WI 3 angegeben war. Hört sich machbar an.
Wir brechen zu moderater Zeit in Saalfelden auf nach Mittersill und von da weiter die Felberntauernstraße rauf. Unterwegs kommt die ausgeschiedene Alternative an einer Lawinengalerie in der Nähe eines Kraftwerks vorbei. Kein Eis. Am Nordportal des Tunnels angekommen, hat sich das geändert. Gut 800 Höhenmeter weiter oben ist's kalt genug. Wenn auch nur knapp, wie wir bald feststellen werden. Der Ödalmfall ist vom Parkplatz an der Jausenstation aus gut zu sehen. Die Sicht war zwar generell etwas bescheiden, weil es leicht schneite, doch der Fall ist so nah an der Straße, dass frau ihn nicht übersehen kann. Wie üblich, sieht der Fall frontal betrachtet senkrecht aus. Das diesige Wetter gepaart mit dieser Aussicht lassen mich ein wenig zweifeln, ob wir hier was Kluges tun. Da der Tag aber schon halb um war, der Zustieg kurz ist, gingen wir einfach mal los, um uns das aus der Nähe anzusehen. Mit Schneeschuhen. Für den kurzen Zustieg die Ski und damit verbunden ein zusätzliches Paar Schuhe mitzunehmen, erschien uns unnötig. Außerdem konnten wir so mit einem Auto fahren statt mit zweien. Eisklettern ist eine richtige Materialschlacht. Schwer bepackt mit all den nötigen Utensilien von zwei Mal 60m Doppelseil über die Eisgeräte bis zu den Eisschrauben eierten wir im wahrsten Sinne des Wortes los. Der Schnee hatte eine Kruste, die mal brach und mal nicht. Bisschen blöd zu gehen. Der Weg zum Einstieg wird irgendwann richtig steil und entsprechend mühsam wurde es mit all dem Zeug. Wenigstens war es nicht so lang. Von unterwegs beobachtete ich immer wieder die eine Seilschaft, die im Fall unterwegs war. Ich war vor allem darauf gespannt, wie sie wieder runter kommen. Laut Topo gibt es mehrere Möglichkeiten. Eine spricht davon, orographisch etwas rechts vom Fall über Bäume abzuseilen. Nun, dass dort Bäume in den Felsen stehen, sah ich erst, als ich mit der Nase am Eis stand. Kam mir aber gruselig vor, dort abzuseilen. Frau könne oben auch in einem weiten Bogen über steile Schneefelder absteigen. Fand ich auch nicht so sexy bei der aktuellen Schneebeschaffenheit. Am Fuß des Falles angekommen, gruben wir uns etwas abseits der Falllinie mit den Schneeschaufeln unseren Platz für's Material. Dabei wurde mir bewusst, wie viele unterschiedliche Schneeschichten selbst auf einer kleinen Höhe übereinander liegen. Außen rum runterlaufen schied zu diesem Zeitpunkt für mich eher aus. Abseilen über den Fall müsste eigentlich immer gehen. Wir haben eine lange Schraube und einen Fädler dabei. Im Zweifel heißt das Zauberwort Abalakov.
Aber jetzt wollen wir ja erstmal hochklettern. Ein erstes Mal. Erste Male sind toll. Wie beschrieben, beginnt die Route gleich mit dem schwierigsten Abschnitt. 13-15m bis zur ersten Kante geht es fast senkrecht rauf. Was ich zunächst aus etwas Entfernung als alte Einschlag- und Trittlöcher interpretierte, stellte sich als poröses Etwas auf nahezu dem gesamten Eisfall raus. Es war zu warm. Die oberste Schicht ist spröde und bröselig. Manuel steigt als erster in die Route ein, gesichert von Alex. Mit jedem Schlag und jedem Tritt muss er erstmal das bröselige Zeug entfernen bevor halbwegs festes Eis kommt. Spannend. Doch er bleibt hartnäckig. Deren Eisschraubenvorrat zwingt ihn dazu, sparsam mit Sicherungen umzugehen. Beste Voraussetzungen für so ein Unterfangen. Ich, die in unserer Seilschaft den ersten Abschnitt vorsteigen will, bin insgeheim froh, dass ich mir den Luxus leisten kann, ein paar Schrauben mehr auf diesem Stück verwenden zu können. Allerdings bedeutet "Sicherung legen" auch einen zusätzlichen Kraftaufwand, wie ich dann schnell feststellte. Als Manuel die erste Kante erreicht und drüber steigt, ist er sichtlich erleichtert und muss erstmal kurz verschnaufen. Für unsere Verhältnisse war das Nervenkitzel. Hat aber geklappt. Von dort ist er schnell am ersten Stand. Nach der Kante flacht es deutlich ab. Alex steigt nach. Sie hat ihre liebe Mühe in dem Brösel, flucht fleißig, lässt aber auch nicht locker, bis sie über die Kante ist. Dann machen Astrid und ich uns am Wandfuß fertig. Bis wir einsteigen, werden die anderen beiden in die nächste Seillänge über ihnen aufgebrochen sein.
Nachdem ich gesehen hatte, was Manuel, der über deutlich mehr Körperkraft verfügt als ich, für Schwierigkeiten hatte, bin ich nicht mehr so sicher, ob ich die Kiste im Vorstieg schaffen kann. Das Gute am Eisklettern ist jedoch, dass ich mir in unseren Schwierigkeitsgraden so gut wie immer dort eine Sicherung per Eisschraube setzen kann, wo es mir gerade beliebt und anschließend rasten kann. Beziehungsweise kann ich mich an einem gut geschlagenen Eisgerät auch kurz einfach an beliebiger Stelle selbst sichern. Nur sollte frau damit nicht warten, bis der Strom vollends aus ist. Für letztgenannte Möglichkeit hänge ich mir ans rechte Eisgerät einen kleinen Schrauber, an dem ich mich per schnellem Mastwurf sichern kann. Die Dachdeckerinnenlehre in meiner Jugend garantiert mir, mindestens das rechte Eisgerät so zu schlagen, dass es wie ein einbetonierter Griff funktioniert. Der kleine Schraubkarabiner stört beim Einschlagen nicht und ich gebrauche ihn auch an zwei Stellen. Ich lasse zwar das Eisgerät in dem Fall nicht los, doch es entspannt den Kopf ungemein.
Die Eisqualität ist echt bescheiden. Einen guten Stand auf den Frontalzacken zu finden entsprechend schwierig für mich. Doch ein guter Stand ist extrem wichtig. Schlampig die Eisen zu platzieren und damit einen Sturz zu provozieren, ist fahrlässig. Die Verletzungsgefahr mit all den scharfen Dingen in Händen und an Füßen mal abgesehen vom permanenten Eisschlag ist enorm hoch. Ich gebe mir also viel Mühe. Denn dadurch werden auch Hände und Arme entlastet. Etwa alle 1,5-2 Menschleinlängen setze ich eine Eisschraube und raste auch kurz. Wie gesagt, mein Strom ist endlich und die Tour beginnt erst. Haushalten ist angesagt. Die letzten zwei Meter bis zur Kante sind herausfordernd da tatsächlich senkrecht und bröselig. Als ich das erste Eisgerät über der Kante in festes Eis einschlage, weiß ich, dass ich diese Herausforderung geschafft habe. Ich kann Alex am Stand über mir sehen. Bis dorthin lehnt sich das Gelände deutlich zurück. Höchstens noch 45°. So flach, dass noch viel Schnee auf dem Eis liegt. Ich setze noch zwei Eisschrauben bis zu ihr und baue mit etwas Abstand an einer geeigneten Stelle meinen Standplatz, um Astrid nachzuholen. In der Ecke, in der wir unsere Stände einrichteten, ist auch eine Eissanduhr mit einem Stück Kletterseil vorhanden. Das ist beim nächsten Stand ebenfalls so, wie ich später sehe. Nur am letzten "Stand" in irgendwelchen Büschen ist's ein wenig doof. Aber dazu komme ich noch.
In der Zeit, in der nun Astrid die erste Seillänge klettert, ist Manuel am Stand der zweiten Länge angekommen und Alex klettert von mir weg zu ihm hoch. So ist reichlich Platz auf dem kleinen Schneeplateau als Astrid eintrifft. Es ist anstrengend. Auch für den Kopf. Die Waden melden sich bereits jetzt. Doch der ganz steile Teil ist geschafft. In der nächsten Seillänge sind zwei kleine Stufen WI 2 zu überklettern. Astrid steigt nun die zweite Seillänge vor. Ich bin froh, dass wir umschlägig klettern können und uns dadurch das Gewurschtel mit zweimal 60m Seil am Stand sparen können. So, wie wir es vom Felsklettern gewohnt sind. Mal abgesehen davon, dass wir hier die Stände auch selbst einrichten müssen, ist's nicht so viel anders als im Fels. Wir wissen, was zu tun ist. Materialübergabe an die Vorsteigerin, Sicherung umgehängt, Dummy-Runner eingehängt. Und dann klettert sie auch schon los. Weil unsere Sicherungsgeräte von selbst blockieren, haben wir uns wegen des Handlings angewöhnt, den Vorstieg über den Körper zu sichern. In dem Fall ist es sinnvoll, das Seil einmal zwischen Sicherung und Vorsteigender in einen Sicherungspunkt einzuhängen. So ist gewährleistet, dass der Zug aufs Sicherungsgerät immer nach oben geht. Selbst wenn die Vorsteigende an der Sichernden vorbei nach unten stürzen sollte. Ein normaler Tuber würde in dem Fall nicht mehr bremsen. Absturzgefahr!
Nun kommt Astrid also in den Genuss des Nervenkitzels namens Vorstieg im Eis. Die flacheren Passagen liegen mit Schnee voll. Bisschen doof, wenn frau mit den Eisgeräten nicht bis ins Eis kommt. An den zwei Stufen setzt sie Eisschrauben und hängt das Seil in die Sicherungen. Es stellt sich eine kleine Pause ein als sie kurz vor dem zweiten Stand ist, wo Alex noch steht. Die letzte Seillänge ist deutlich länger und vom Stand aus nicht einzusehen. Manuel scheint etwas zu tun zu haben, bis der nächste und letzte Stand bereit ist. Die Seilkommandos sind nicht zu verstehen. Zu groß ist der Abstand und zu laut ist die Felberntauernstraße unten. Manuel ruft an. Eine gute Idee. Kurz darauf klettert Alex los. Ich warte derweil an meinem ersten Stand und freue mich, dass es nicht so kalt ist. Astrid und Alex haben sich darauf verständigt, dass Alex deren Schrauben im Eis lässt. So ist Astrid schneller mit ihrem Stand fertig. Ich steige zu ihr hoch und mit kurzem Aufenthalt geht's gleich weiter zum letzten Stand. Viel Eisklettern ist in der letzten Länge wenig. Die letzten 30 Meter zum Stand gibt's steilen Schnee. Ich schnaufe. Muss zwischendurch mal stehen bleiben. Zu steil, um einfach aufrecht zu gehen. Zu flach, um effizient die Eisgeräte mit nutzen zu können. Als ich am "Stand" ankomme, sehe ich die Schwierigkeiten. Es ist eigentlich nur ein wenig Gestrüpp mit einer Schlinge aus einem alten Stück Kletterseil drin, wo Manuel Stand gemacht hat. Er hat's nochmal mit einer zusätzlichen eigenen Schlinge hintersichert. Mehr steht nicht zur Verfügung. Die beiden machen sich irgendwo im Gestrüpp fest, ich richte mich ein, um Astrid nach oben zu sichern und hole sie nach. Dann stellt sich die Frage nach dem Abstieg. Wir haben während unserer Kletterei mitbekommen, dass zwei Seilschaften, die einen Fall weiter links kletterten, über den steilen Schnee etwas abseits hinuntergestiegen sind. Sie müssen oberhalb von unserem letzten Stand durchgegangen sein und es müsste eine Spur vorhanden sein. Mmmhhhh.... Die Alternative, durch die Bäume zwischen den beiden Eisfällen abzuseilen, fanden wir alle nicht sexy. Mit dem Wissen, dass es an jedem Stand eine fertige Eissanduhr mit Schlinge gibt und sonst niemand im Fall klettert, entscheiden wir uns dazu, über die Kletterroute abzuseilen. Als diese Gedanken ausgesprochen sind, merke ich, dass Astrid und ich nur die Sicherungsgeräte für das ganz dünne Doppelseil am Gurt haben. Die anderen liegen in den Rucksäcken. Priml. Da unser Doppelseil zu dünn für die Tuber von den anderen beiden ist und unsere Sicherungsgeräte zu klein für deren Doppelseil, können wir nicht alle an einem Seil runter, sondern müssen nach Seilschaft getrennt abseilen. Umständlich, aber eine gute Übung. Wir beginnen damit, dass ich Astrid grad so, wie sie hochgekommen ist, wieder herunterlasse. Dann muss sie nicht umbauen und das Seil liegt für meine Abseilaktion schon richtig. Anschließend baue ich um und seile per Sicherungsgerät ab. Bei Astrid angekommen, ziehen wir unser Seil ab, machen so den Weg für die anderen beiden oben frei, richten unser Seil an der Eissanduhr für den nächsten Abseilabschnitt her und lassen uns weiter runter. So geht das 3 Mal pro Seilschaft bis alle wieder heile unten sind. Wichtig beim Abseilen: Knoten in die unteren Seilenden machen und immer das Abseilgerät mit einer Prusik hintersichern. Beim Abseilen sind schon einige Bergsteiger:innen ums Leben gekommen. Wegen solcher vermeintlichen Kleinigkeiten. Es dämmert bereits als wir alles zusammengepackt haben und uns auf den Rückweg zum Auto machen. Ein cooler Tag geht zu Ende. Alle sind happy, dass wir das geschafft haben.
Zeitlich und organisatorisch bekommen wir es nicht mehr hin, am Folgetag erneut zum Eisklettern zu gehen. Stattdessen entscheiden wir, eine kleine Skitour in der näheren Umgebung von Saalfelden zu gehen: Von Leogang aus auf den Großen Asitz. Rund 1100 Höhenmeter. Und um mein Knie etwas zu schonen, führt die Abfahrt über eine Piste.