Kofel, Oberammergau, "Linke Achsel" und Kofelturm
Es ist Januar. Der 6., um genau zu sein. Ein Montag. Im schönen Bayern ein kirchlicher Feiertag. Astrid und ich haben frei, sind gerade aus dem Kinderwochenende gekommen und brauchen Bewegung. Die üblichen Wanderungen in den Ammergauer Bergen haben die Schwierigkeit, dass sie wegen der Schneelage nicht oder nur schlecht zu gehen sind. Weit fahren wollen wir nicht. Die Kinderwochenenden strapazieren die Ertragensschwelle hinsichtlich Autofahren immer schon erheblich. So kommt es, dass wir uns an die kleine, freistehende Felszacke in Oberammergau erinnern. Den Kofel. Jedes Mal, wenn wir dort vorbeifuhren, sprachen wir darüber, dass wir noch nicht oben gewesen sind. Weil es beim ersten Besuch "nur" ums Wandern ging und ich Rundtouren attraktiver empfinde, planten wir, auf dem Normalweg zum Gipfel zu gehen und am Kofelsattel auf dem Rückweg in Richtung Kolbensattel abzubiegen, um nach Oberammergau zurück zu kommen.
Wir stecken die Schneeschuhe und die Steigeisen ein und wackeln los. Das Wetter ist perfekt. Sonnig und nicht zu kalt. Bis zum Beginn des versichterten Stücks zum Gipfel ist's eine einfache Wanderung. Allerdings kommt die Sonne nicht so gut durch die Bäume, weswegen der Pfad auch aufgrund der starken Frequentierung stellenweise recht eisig ist. Für das letzte Kraxelstück schnallen wir die Steigeisen ran. Unbedingt nötig ist's nicht, macht aber das Leben leichter. Nach etwas mehr als einer Stunde stehen wir am Gipfel und suchen uns zwischen vielen anderen ein Plätzchen für unsere Brotzeit. Kurze Zeit später sehen wir, dass eine 3er Seilschaft von der anderen Seite auf den Gipfel hoch kommt. Ups. Was ist das? Sie sind offensichtlich geklettert, hatten aber Bergstiefel an. Das müssen wir recherchieren. Wir wussten, dass es einige eingebohrte Klettereien gibt, doch verfolgten wir das nie weiter, weil die Schwierigkeiten viel zu hoch erschienen. Wir steigen wieder runter vom Gipfel und machen uns auf den Weg über den Kolbensattel zurück nach Oberammergau. Dabei kamen wir an der kleinen Skipiste vorbei, auf der noch fleißig über Eis gerutscht wurde.
Es dauert nur wenige Tage, es ist der 12. Januar, bis wir wieder unten am Kofel stehen. Das Wetter ist nach wie vor sonnig und stabil. Im Gepäck ein Topo der Route "Linke Achsel" und unser Doppelseil für alpine Unternehmungen. Wir haben gelernt, dass es diese relativ einfache Route auf den Gipfel gibt, dass es sich um 3 Seillängen handelt, dass die Maximalschwierigkeit sich im unteren 4. Grad bewegt und kurz ist. Eine recht gute Beschreibung fanden wir bei bergsteigen.com (https://www.bergsteigen.com/touren/klettern/linke-achsel-kofelturm-kofel/). Vom leeren und völlig mit Eis überzogenen Parkplatz am Oberammergauer Friedhof brauchen wir etwa 45 Minuten bis zum Abzweig vom Wanderweg zum Einstieg hin. Er ist nicht besonders schwierig zu finden. Wir legen uns trocken und essen noch etwas während wir uns zum Klettern fertig machen. Das tun wir, bevor wir in die kleine Querung zum eigentlichen Beginn steigen, denn dort ist es etwas heikel, um rüber zu kommen. Tritt frau hier was los, prasselt alles auf den tiefergelegenen Wanderweg. Im schlimmsten Fall inklusive einem selbst. Also aufpassen. Direkt danach ist der Einstieg erreicht. Die Kletterroute beginnt damit, dass frau die ersten 100 Höhenmeter seilfrei einen kleinen Schrofenvorbau etwa im 2. Grad überwinden muss, an den sich zunächst Gehgelände anschließt, bevor es nach links zum Grat hin wieder etwas kraxeliger und steiler wird. Unter Bäumen durch über kleine Schneebatzen erreichen wir den ersten Bohrhaken, in dessen Nähe sich ein winziges Hinweisschild "Linke Achsel" befindet und den Start der 1. Seillänge markiert. Wir hatten uns unten bereits abgestimmt, wer als erste einsteigt. Und so richtet Astrid einen Stand ein, von dem weg sie mich auf dem ersten Stück sichert.
Die Absicherung ist nicht üppig. Ich lege, wo es geht mal ne Schlinge um einen Baum, platziere einen Camelot oder lasse das mit der Sicherung einfach. Die Kletterei ist zwar nicht schwierig, dafür aber recht exponiert. Der Kopf mag es, wenn die letzte Sicherung nicht so weit weg ist. Unter diesen Bedingungen staune ich schon, wie schwer sich eine 3er Stelle anfühlen kann. Auf den ersten beiden Seillängen, die mit 3+ angegeben sind, stecken jeweils nur ein bis zwei Bohrhaken. Und uns fehlt einfach ein wenig Kletterroutine. Aber es geht. Mit Bergstiefeln sind wir auch nicht falsch beschuht. Es gibt keine Wackler. Die letzte Seillänge steigt Astrid vor. Das kommt bei eigentlich 3 Seillängen daher, dass Milla auf der ersten Seillänge gemeint hat, sie hätte den Stand erreicht, weil zwei Haken vorbeikamen und Stand machte. Lesen, verstehen, handeln. Das Topo spricht von einem möglichen Zwischenstand. Notwendig ist es nicht. Deswegen kommen wir auf 4 Seillängen, brauchen mehr Zeit (wobei das keine Rolle spielte, denn wir waren mutterseelenalleine) und Astrid bekommt die letzte, die schönste Seillänge. Passt. Einer der schönsten Momente, wenn der Gipfel erreicht ist, sind die staunenden Augen der Wanderer, als wir über die Kante krabbeln und aus einer Richtung kommen, wo es gar keinen Weg gibt. Pause am Gipfel.
Wir steigen über den Normalweg wieder ab. Ein paar Wochen später machen wir das nochmal. Es hat zwischendurch doch noch Schnee gegeben. Der Fels war zwar weitgehend trocken, doch die Querung zum Einstieg war noch etwas heikler und kurz vorm ersten Stand hing unter den Bäumen noch relativ viel Schnee drin. Oben raus war aber alles gut.
Last but not least stiegen wir am Pfingstmontag erneut in die Route ein. Dieses Mal mit von der Partie waren Alex und Manuel. Sie sind zwei Tage zu uns gekommen und auf dem Plan stand, sie ins alpine Mehrseilklettern einzuführen. Tags zuvor machten sie ihre ersten Erfahrungen am Südgrat des Burgberger Hörnle, was sich schon ziemlich gut anlies. Dort mischten wir noch die Seilschaften durch. Alex kletterte mit Astrid, Manuel mit mir. Am Kofel bestand der Wunsch, dass die beiden eine Seilschaft bilden, denn letztlich müssen sie in der Regel zusammen klettern. Soweit so gut. Pfingsten ist nicht ein Montag im Januar. Der Parkplatz war voll. Ich befürchtete, dass auch die Kletterrouten voll sein würden. Eine Ausweiche gab es jedoch nicht. Erste Hürde: Die bescheuerte Parkster App, mit der die Parkplatzgebühren bezahlt werden können. Kleingeld ist ja nie in ausreichender Menge vorhanden, deswegen bin ich prinzipiell froh, dass inzwischen elektronisch abgewickelt werden kann. Warum allerdings Oberammergau als einziger Ort weit und breit von dem überall sonst üblichen Standard ParkNow abweicht, ist mir ein Rätsel. Ich drücke das Kennzeichen rein und starte den Parkvorgang in der Annahme, ich hätte die Maximalparkdauer eingestellt. Parkster kann nämlich nicht verbrauchsabhängig. Die Parkdauer muss voreingestellt werden. Der hohe Preis ließ mich vermuten, die Tageskarte gebucht zu haben. Ich denke nicht weiter nach, wir gehen los. Als wir den Abzweig vom Wanderweg erreichen, stehen wir zunächst alleine kurz vorm Einstieg. Ich sehe eine einzige Seilschaft oben, die aber bereits in der vorletzten oder letzten Seillänge war. Kein Problem.
Essen, trinken, Pipi, Gurt, Helm, Geraffel. Hinter uns trifft ein Kletterveteran mit zwei Aspirantinnen im Schlepptau ein. Sie machen keine Anstalten, uns zu überholen. Gut so. Auf zum Einstieg. Ich weise darauf hin, in der Querung vorsichtig zu sein und möglichst nichts los zu treten. Das hat geklappt. Wir krabbeln zum Stand hoch. Dort hängt doch noch jemand aus einer 3er-Seilschaft und irgendwie habe ich den Eindruck, dass nichts voran geht. Es dauert fast eine Stunde bis Astrid endlich losklettern kann. Hinter mir als Sichernde warten Alex und Manuel auf ihren Einsatz. Von der Seilschaft hinter uns ist keine Spur zu sehen. Gemäß unserer Absprache bleibe ich, gesichert von oben, noch beim Stand und schaue mir an, was Alex und Manuel aufbauen. 6-Augen sehen mehr als 4. Dann klettere ich Astrid hinterher und mir kommen sofort Zweifel, ob das die richtige Wahl an Route war für Alex' und Manuels erstes Mal alleine. Es ist schwieriger und vor allem unübersichtlicher, als ich es in Erinnerung hatte. Doch ich denke mir, mit den Schwierigkeiten müssten sie klar kommen und wie sie Zwischensicherungen legen können, wissen sie spätestens seit gestern. Standbauen hatten wir abends auch nochmal ausgiebig geübt. Inklusive Vor- und Nachstiegsichern, sowie den Kommandos. Was soll also schiefgehen. Wir klettern mit Einfachseilen. Es sollte nicht viel Gewurschtel am Stand geben. Ich komme bei Astrid an und steige in die zweite Seillänge ein. Astrid bleibt wieder am Stand bis die vorsteigende Alex bei ihr ist. Das zieht sich jedoch in die Länge. Die genauen Umstände sind mir nicht bekannt. Ich versuche mir, die Zeit am 3. Stand nicht zu lange werden zu lassen, während ich warte. Später erfahre ich, dass Alex am Zwischenstand Stand gemacht hatte, so wie ich beim ersten Mal und dass es irgendein Problem beim Sichern gab. Inzwischen schloss hier ihr eine weitere Seilschaft auf. Nicht der Veteran. Der Führende half Alex, ihre Angelegenheiten zu regeln und dann ging es auch weiter. Derweil traf Astrid bei mir ein und stieg in die letzte Seillänge ein. Mir taten die Füße weh. Seit etwa einer Stunde verharrte ich am 3. Stand und wartete auch dort bis Alex zu mir aufschloß. Etwas angenervt, weil das Seil sich sehr wahrscheinlich irgendwo eingefädelt hat und eine unglaubliche Reibung erzeugte. Damit muss frau in alpinen Klettereien leider auch zurecht kommen. Solche Erfahrungen gehören dazu. Hat sie dann aber auch geschafft. Ich laufe los zu Astrid hoch und sie "sichert" mich dann weiter bis zum Gipfel. Wenig später treffen alle Teilnehmer_innen dort ein. Zeit zum Runterkommen und zum Verdauen des gerade Erlebten und Geschafften. Haben sie fein gemacht die beiden.
Der ursprüngliche Plan wird wieder aufgegriffen, noch den Kofelturm zu suchen, um noch ein wenig Kletterei anzuhängen. Mir persönlich reicht es zu dem Zeitpunkt schon, denn ich hatte mir beim Mountainbike-Kurs zwei Tage vorher die Rippen angedengelt und das Schnaufen war etwas unangenehm. Trotzdem interessierte es mich, wo dieser Kofelturm zu finden ist. Er steht ganz in der Nähe des Kofelgipfels, doch es führt kein offensichtlicher Weg dorthin. Durch den Wald zu sehen ist er auch nicht, bis frau mit der Nase dran stößt und so suchen wir zunächst etwas planlos im Wald rum. Nach ein bis zwei Fehlversuchen fanden wir ihn tatsächlich auch. Alex war ebenfalls fertig mit Klettern für den Tag und so starteten nur Manuel und Astrid in die Zweiseillänge. Ab der Mitte der ersten kommen ein paar schwierigere Züge vorbei. Manuel meistert sie im Vorstieg. Wir lernen, dass am kleinen Gipfelkreuz sehr wenig Platz ist, um die Abseilerei einzurichten. Und wir lernen, dass ein 60m-Seil geradeso ausreicht, um über die beiden Seillängen hinweg an der Ostroute abzuseilen.
Wir packens dann, gehen zurück zum Kofelsattel und steigen auf dem Wanderweg ab. Es ist bereits später Nachmittag, der Parkplatz hat sich deutlich gelichtet. Ein Highlight folgt noch. Wir haben an beiden Autos einen Strafzettel. Ich stutze. Wozu ist dann die Parkster App gut? Vom Strafzettel lerne ich, dass die Parkster App nicht verbrauchsabhängig abrechnen kann, sondern Zeiten voreingestellt sind. Über diese Voreinstellung hatten wir lediglich 4h Parkdauer zur Verfügung, statt des Maximalpaketes. D.h. wir haben für 4h gezahlt und mit lediglich einem Euro mehr hätten wir über einen Schieberegler die Maximalparkdauer haben können. Stattdessen -man stelle sich diese Unverschämtheit der Oberammergauer Verwaltung vor- bekommen wir einen Strafzettel über jeweils 30 Euro. In Worten: Dreißig. Ein Grund, diesem perfiden Touriort in Zukunft fern zu bleiben. Mit keiner anderen App weder in München noch im Rest Oberbayerns ist mir so etwas schonmal passiert. Nur in Oberammergau. Die brauchen eine Sonderlocke. Ich bin sauer. Schlimm finde ich, dass frau dieser Willkür ausgeliefert ist und für 30 Euro keinen Streit anfängt. Oberammergau macht wohl alles richtig, wenn es ums Geldscheffeln geht. Also, an alle Nachahmer und Nachahmerinnen: Oberammergau = Beutelschneider. Aufpassen.