Manni war damals noch jung und kohlrabenschwarz.
Etwas rechts oben der Bildmitte ist der Cevedale zu sehen, den wir am Tag davor bestiegen hatten.
Meine Frau beobachtete unseren Abstieg und wartete kurz vorm Gletscher auf uns.
Punta San Matteo, 3678m, 19.07.2012
Gletscherkurs Summit Club
Die zweite Hochtour meines Lebens führte mich während des Gletscherkurses einen Tag nach dem Monte-Cevedale-Abenteuer auf den Punta San Matteo. Der vorherige Tag steckte mir und mit ziemlicher Sicherheit auch allen anderen noch ordentlich in den Knochen. Allerdings war der Weg definitiv kürzer und es sind etwa 100 Höhenmeter weniger zu bewältigen. Wir starten mit unserer 6er Seilschaft als die Morgendämmerung bereits vorbei war. Mit sechs Leuten am Seil, meinte unser Bergführer, können wir das Risiko, später zu starten, eingehen. Hin- und Rückweg sind dieses Mal identisch und führen quer über den Fornigletscher. Die Schwierigkeiten bestehen aus einem spaltenreichen Teil unter einer Serac-Zone hindurch sowie verhältnismäßig steilen Firnhängen gen Gipfel.
Noch bevor wir das Eis erreichten meldete sich meine Frau und klagte über Unwohlsein und Erschöpfung. Sie hatte sich nach der Strapaze des Vortages leicht erkältet. Sie entschloss sich dazu umzudrehen, um nicht das Risiko eingehen zu müssen, den anderen zur Last zu fallen. Da wir noch auf dem uns wohl bekannten Weg durch die Felsen standen, stimmte unser Bergführer zu, dass sie alleine zurück zur Hütte geht. Hier erlebte ich das erste Mal, wie sich das Treffen so einer Entscheidung anfühlt. Ich musste ein paar Tränen verdrücken. Sie ebenfalls. Sie wünschte mir Glück, wir ließen einander los und ich ging sehr bedrückt mit den anderen vier weiter in Richtung Gletscher. Jedes Mal, wenn ich mich zu ihr umdrehte, kamen mir wieder die Tränen. Doch wir hatten darüber im Vorfeld geredet, wie wir uns in einer solchen Situation verhalten wollen. Und genau das taten wir. Sie ging zurück, ich weiter hinter der restlichen Mannschaft her.
Unser Bergführer stapfte fleißig durch den tiefen Schnee und trat eine Spur. Es muss wohl ein paar Tage vorher jemand diesen Weg gegangen sein, doch dessen Spur war kaum noch erkennbar. Außerdem verließ sich unser Bergführer nicht auf die Spuren anderer, sondern ging seinen eigenen Weg. Und so lernten wir mal einen steileren Firnhang kennen. Nach rund 4,5 Stunden hatten wir die 1200 Höhenmeter geschafft und standen am Gipfel. Ich kam mir ein bisschen einsam ohne meine Lieblingsbergsteigerin vor. Ich ließ mit Manni zusammen ein Gipfelfoto von mir machen. Das hatte ich versprochen.
Im Abstieg war der Schnee bereits deutlich aufgeweicht. Die Hänge runter ging's noch. Auf dem flachen Teil des Gletschers mit den Spalten unter der Serac-Zone waren wir froh, mit 5 Leuten am Seil zu sein. Ich ging vorne weg und folgte unserer Aufstiegsspur. Immer wieder brach jemand ein. Niemand ist verschont geblieben. Den Längsten in unserer illustren Truppe erwischte es genau unter einem Serac und er hatte wirklich Mühe, sich selbst zu befreien. Ich hörte unseren Bergführer von hinten rufen: "Sieh zu, dass du raus kommst. Ich möchte hier weg. Mir gefällt es hier nicht." In der Tat kein Ort, an dem man verweilen möchte.
Meine Füße meldeten sich sehr zeitig mit Schmerzen. Solange wir im weichen Schnee gingen, war es noch ok. Als wir aufs blanke Eis kamen, war es vorbei mit Lustig. Ich gab die Führung auf, als wir das Seil weg packten und versuchte einfach nur noch, irgendwie dran zu bleiben. Unterwegs ist uns in einer Furche im Eis noch so etwas wie ein Biwaksack aufgefallen. In der Nähe fanden wir einen alten Eispickel. Der Konstruktion nach zu urteilen, etwa späte sechziger Jahre. Bei genauerem Hinsehen beschlich uns zunehmend der Verdacht, dass der Biwaksack nicht leer ist. Gut möglich, dass jemand drin lag. Helfen kann man sicher nicht mehr. Also beschlossen wir weiter zur Hütte zu gehen und dort Bescheid zu geben. Unser Bergführer hat sich -nehme ich an- die GPS-Koordinaten gemerkt, damit die Stelle wieder gefunden werden kann.
Meine Frau hat uns von der Hütte aus zugesehen, wie wir den letzten Hang hinunter kamen und machte sich dran, uns entgegen zu gehen. Darüber war ich heile froh. Als wir zusammentrafen, bin ich eigentlich nur noch auf den Trekkingstöcken gehumpelt. Sie nahm mir das Gepäck ab. Was für eine Erleichterung. Wir sind erneut alle fix und fertig gewesen, als wir an der Hütte eintrafen, wo unser Bergführer unseren Fund dem Hüttenwart meldete. Damit war unsere Schuldigkeit getan und wir konnten uns um uns selbst kümmern.
Den nächsten und letzten Tag machten wir noch etwas Ausbildung im Eis. Am Rande bekamen wir mit, dass Polizei und Bergwacht sich auf die Suche nach dem Biwaksack machten. Das Ergebnis kenne ich leider nicht. Der alte Eispickel, den wir dem Finder aus unserer Truppe überließen und von dem wir alle annahmen, dass den niemand mehr braucht, musste abgeliefert werden.