Bike&Hike Oytal, 18.10.2020
Nachdem die Frage geklärt war, wo es hingehen soll, blieb noch der Punkt, was genau wir da so machen wollen. Samstags war das Wetter noch nicht so prall, wenngleich es wenigstens nicht mehr regnen sollte. Für die Berge war es uns jedenfalls noch zu schlecht. Diesen Tag nutzten wir dafür, die Winterräder aufs Auto zu schrauben und -ganz wichtig- Milla hat sich neue Pedale fürs Radl eingekauft: Tatze Two Face. Die wollten unbedingt noch montiert und getestet werden. Meine bisher genutzten Kombipedale mit SPD Klick auf der einen Seite und mehr oder weniger nichts als ein kleines Standardpedal auf der anderen stellten sich auf der Nicht-Klick-Seite als viel zu glatt heraus, wenn frau mal ein wenig Technik üben und nicht nur stumpf am Pedal ziehen möchte. Pedale gewechselt. Ist ja wirklich einfach. Der einzige Stolperstein sind die gegenläufigen Gewinde. Die erste Fahrt zaubert mir ein Grinsen ins Gesicht und der erste Versuch, das Hinterrad anzuheben, zaubert mir ein paar Löcher ins Schienbein. Aua. Aber genau deswegen wollte ich diese Pedale haben. Also nicht wegen der Löcher im Schienbein. Nein, natürlich nicht. Ich habe jedoch gemerkt, dass eine halbwegs saubere MTB-Fahrtechnik nicht mit Klickies zu erlernen ist. Außerdem ist mir persönlich beim Üben die Verletzungsgefahr eingeklickt zu groß. Ein blauer Fleck am Schienbein ist besser als abgerissene Bänder oder gebrochene Fuß- oder Kniegelenke. Frau wird ja nicht jünger. Also rauf aufs Rad und den Samstagnachmittag mit ein paar Fahrtechnikübungen ausgefüllt. Im Fokus: Vorderrad und Hinterrad entlasten, die Vorstufe zum Bunny Hopp. Leider haben es die neuen Pedale für Astrid bis Samstag nicht bis zu uns geschafft und es wurde deutlich, dass die Alubügel auf ihrer Nicht-Klick-Seite, gerade wenn es ein wenig naß ist, überhaupt nicht für sowas taugen. Deutlich wurde bei den Übungen ebenfalls, dass noch ein langer steiniger Weg vor mir liegt. So viele Punkte, die noch nicht passen. Bewegungen, Impuls, Timing, Selbstvertrauen. Die kleinen Fortschritte bereits nach der ersten kleinen Übungssession stimmen mich jedoch zuversichtlich.
Der Sonntag. Die Zustiege zu den Bergen im Oberallgäu weisen häufig lange Strecken über Forst- oder sonstige Zubringerwege auf. Es bietet sich an, dafür das Radl zu nehmen. Nicht zuletzt wegen der abschließenden Abfahrt zurück zum Ausgangspunkt mit extrem breitem Grinsen, wenn frau an den Wandertouristen vorbei huscht. Das Ziel für den Tag ist der Schneck. Die Anfahrt mit dem Radl soll durchs Oytal vorbei am Prinzenkreuz und dem Stuibenfall führen. Das obere Ende wird durch die Käseralpe markiert. Dieser Artikel steht deswegen unter den Radltouren, weil die Radtour den markanten Teil des Tages ausmacht. Dass recht viel Schnee in den Allgäuer Bergen liegt, konnten wir bereits bei der Anfahrt nach Oberstdorf sehen. Aber dass er schon soweit runter reicht, wie wir es antrafen, wurde erst an der Käseralpe offensichtlich. Aber von vorne.
An der Nebelhornbahn wird gerade umfangreich gebaut und erneuert. Die Parkplätze dort standen nicht zur Verfügung. Die verbleibenden Parkmöglichkeiten sind rar und teuer. Des Weiteren wurde uns bewusst, dass wir uns in den Ferien befinden und nicht wenige diese Zeit im Oberallgäu verbringen. Früh morgens ging's aber noch. Dank Park-App müssen auch keine 2 Kilo Kleingeld aufgetrieben werden. Bei den Apps ist allerdings Aufmerksamkeit gefordert. Nicht selten sind irgendwelche Standardparkzeiten vorausgewählt, die uns in der Regel nicht genügen. Ich bin da in Oberammergau mal schön auf die Nase gefallen. Und die Behörden genieren sich nicht, saftigste Strafzettel zu verteilen, weil die Parkzeit um wenige Minuten überschritten ist. In O-Gau hat es dann fast das 10-fache gekostet. Weil ich 20 Minuten überzogen hatte. Ganz schön frech. Parkieren per App mit 4-Augen-Prinzip eingestellt, Rad zusammengesetzt und los.
Ich stelle fest, mit den Bergstiefeln auf den neuen Pedalen ist's viel besser als vorher auf den kleinen rutschigen Alu-Rechtecken. So lange ich nicht versuche, am Pedal zu ziehen, fühlt es sich fast an, wie eingeklickt. Was mir an den neuen Pedalen auch gefällt ist, dass sie sich bei Entlastung nicht selbständig irgendwo hindrehen und eine undefinierte Position zurück lassen. Sie bleiben in der Stellung stehen, in der der Fuß zuletzt draufstand. Fein. Die Fahrt beginnt noch im Ort mit einer ziemlichen Steigung. Der erste Kilometer bis zum Kühberghotel ist mit knapp über 15% an den steilsten Stellen halbwegs heftig. Aber noch kein Grund abzusteigen. Danach wird es deutlich flacher. Bis zum Oytalhaus, wo auch ein Pendelbus hinfährt, besteht der Weg aus einer Asphaltstraße, die teilweise in hübsche Ahornalleen gefasst ist. Wenige Menschen sind unterwegs. Doch Vorsicht ist geboten, denn es gibt Einheimische, die mit dem Auto in einem Affenzahn rauffahren und keinen Abstand zu Radfahrern halten. Auch nicht dann, wenn die Radfahrenden zeitgleich einen Wandernden passieren. Schon irre. Knappe Kiste. Mit fliegenden Steinen von der Bankette.
Das Oytalhaus liegt ungefähr auf der Hälfte des Weges zur Käseralpe. Ab da geht es zunächst auf einem Schotterweg weiter. Immer noch mit sehr moderater Steigung. Am Prinzenkreuz angekommen, stoppen wir kurz für ein Foto. Wie praktisch. Frau könnte auf den Gedanken kommen, sie hätten einfach ein Gipfelkreuz unten hingestellt, damit die Touris nicht so weit rauflaufen müssen. Ist natürlich nicht so, aber lustig fand ich's. Bis zum Prinzenkreuz liegen bereits fast dreiviertel der Wegstrecke hinter uns, aber erst ein Drittel der Höhenmeter. Frau kann sich vorstellen, dass es nicht so flach weitergeht. Der Belag wechselt nochmal zu Asphalt und dann beginnt die Quälerei. Bis kurz vor den Stuibenfall schaffen wir es zu fahren. Es geht in Wellen bis zu 20% Steigung rauf, dann ist erstmal Schluss. Die Beine wollen nicht mehr. Wir müssen ein Stück schieben. Gelegenheit, sich den Stuibenfall in Ruhe anzuschauen. Ein beliebtes Ziel unter Touristen. Die lassen um diese Uhrzeit allerdings noch auf sich warten. Wenige Kehren weiter haben wir Gelegenheit, wieder aufs Rad zu steigen und das letzte Stück zu Käseralpe rollend zu bewältigen. In Zahlen sind es von Oberstdorf bis hierher ca. 10 km Strecke und rund 600 Höhenmeter, wobei der Großteil des Höhenunterschieds erst auf den letzten etwa 2 km anstehen. Mein Quatschi sagt bei Ankunft (Quatschi ist das Ding in meinem Kopf), eigentlich bin ich schon fertig. Eine Bergtour zu Fuß mit rund 850 Höhenmetern jetzt im Anschluß brauche ich nicht mehr. Ich kann mein Quatschi beruhigen. Astrid und ich haben uns abgesprochen, dass wir mal schauen, was überhaupt geht. An der Käseralpe auf knapp über 1400m stehen wir bereits im Schnee. Wir peilen zunächst "nur" den Himmelecksattel auf 2000m an. Dort führt normalerweise eine breite Wanderautobahn hin. Die ersten 300 Höhenmeter bis zur Wildenfeldhütte kämpfe ich mit dem Umstieg vom Pedal auf die Füße. Meine Beine sind müde. Unsere kleine Fahrtechnikübung vom Vortag setzt noch eine ganz ordentliche Ganzkörpermuskelkatze oben drauf. Vor uns hat jemand eine Spur getreten. Die sorgt dafür, dass wir überhaupt weitergehen. Markierungen sind nämlich wenig bis keine mehr zu sehen. Ab der Hütte steigt der Schneepegel stetig an. Und weil ich zu faul war, die Radbeinlinge durch eine Berghose mit Gamasche zu ersetzen, schaufele ich mir selbst beim Gehen die Schuhe voll Schnee. Blöd. Kalt. Der Schnee ist nass und schwer. Überall sind spontane Abgänge zu sehen und zu hören. Es ist inzwischen Nachmittag. Etwa 100 Höhenmeter unterm Sattel, wo der Weg (bzw. die vorhandene Spur) durch einen vergleichsweisen steilen Grashang führt, entscheiden wir umzukehren. Ist uns zu gefährlich. Allein der Umstand, dass schonmal jemand durch den Hang gelaufen ist, sagt nicht, dass es sicher ist. Erst recht als sich die Sonne durch den Nebel geschafft hat und den Schnee weiter aufweicht. Durch einen Lawinenkegel sind wir bis dahin schon durchgestapft. Ich möchte nicht, dass ich im nächsten drin stecke. Lieber Kaffee/Kuchen statt Tod. Umkehr. Runter geht's schnell. Wir rasten ganz kurz in der Sonne an der Wildenfeldhütte und steigen dann in wenigen Minuten bis zu den Rädern ab zur Käseralpe. Zum Nachmittag hin haben es immer mehr Wandernde und Radfahrende bis hierher geschafft. Bei den Radfahrenden sieht frau eigentlich nur noch E-Bikes. Selten, dass mal jemand wie wir ausschließlich mit der eigenen Muskelkraft den Weg findet. Auf der einen Seite denke ich, naja, die elektrische Unterstützung sorgt dafür, dass sich die Menschen überhaupt noch bewegen. Andererseits bin ich eine Verfechterin, die Dinge aus eigener Kraft zu schaffen. Und wenn das nicht geht, sind vielleicht die Ziele für den Moment nicht passend gesteckt. Ein Urteil möchte ich da auf keinen Fall fällen. Ich kann nur für mich sprechen.
Der beste Teil des Tages wartet. Wir legen uns trocken, ziehen was winddichtes drüber und natürlich dickere Handschuhe. Die Sonne ist so gut wie weg aus dem Tal. Die Abfahrt wird kalt. Der Plan ist, am Oytalhaus zu einer Tasse Kaffee einzukehren, weil wir nun doch sehr viel früher dran sind, als gedacht. Auf der Abfahrt dorthin gilt es, den Heerscharen an wandernden Touristen auszuweichen. Manchmal gar nicht so einfach, denn es gibt Menschen, die beharrlich nebeneinander weitergehen, auch wenn sie mitbekommen haben, dass wir anrollen. Oder sie lassen ihre freilaufenden Viecher, die sie eh nicht unter Kontrolle haben, weiter kreuz und quer rumlaufen. Nun. Idioten sind nicht zu ändern. Ich habe ein Bergfahrrad und weiche auf die angrenzenden Wiesen aus, um den nötigen Abstand einhalten zu können. Kurze Zeit später stehen wir am Oytalhaus und staunen nicht schlecht. In Zweierreihen stehen die Menschen an dem völlig überfüllten Lokal in einer schier endlosen Schlange an. Die Ursache: Der Pendelbus bringt unablässig Nachschub. Kaffee/Kuchen findet hier für uns sicher nicht statt. Wir wollen es unten beim Kühberg versuchen. Wir zwängen uns durch die Menschenmassen, versuchen dabei irgendwie reichlich Abstand zu halten und rollen weiter talabwärts. Kleine Fahrtechnikübung inklusive: Bremstechnik auf den Flatpedals und Kurvenfahren zwischen den Wandernden.
Am Kühberg sichten wir die Lage. Hier ist so gut wie nix los. Wir setzen uns im Ahorngarten in die untergehende Sonne, werden äußerst zuvorkommend bedient und genießen Kaffee/Cappucino und hausgemachten Zwetschgenkuchen. Lecker. Ich denke, das wird nicht unser letzter Ausflug hierher gewesen sein. Die umliegenden Berge haben viel zu bieten. Überall ragen schroffe Grate und Gipfel in die Höhe. Die Namen Höfats, Schneck, Himmelhorn, Trettachspitze und viele mehr haben wir alle schon gehört, nur oben gewesen sind wir noch auf keinem. Wird Zeit.
Morgen warten der Südgrat am Burgberger Hörnle und der Stuhlwandgrat. Schau mer mal, ob's mit dem Schnee hinhaut.