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Skihochtour Großglockner, 3798m, 19.-20.03.2022

Plätze auf der Stüdlhütte sind reserviert, das Wetter schaut ganz gut aus. Im vergangenen Herbst wollten wir schonmal auf den Glockner, hatten sogar schon Plätze auf der Hütte. Es sollte der Stüdlgrat werden. Nur leider kam mir meine gerissene Sehne dazwischen, die bis weit ans Ende des Herbstes so gut wie alle Touren unterband. Etwas überraschend bog dann diese Gelegenheit ums Eck. Alex kümmerte sich um Übernachtungsplätze, die tatsächlich für jenes Wochenende noch zu haben waren. Weil in den Bergen noch Winter ist, stellt sich die Frage eigentlich gar nicht, ob wir mit Ski raufgehen. Klar machen wir das so. Skibergsteigen. Das erste, was mir dazu einfällt, ist der abartig schwere Rucksack. Wir brauchen neben dem üblichen Hochtourenzeug zusätzlich noch das Lawinengeraffel. Zwei kleine Neuerungen gibt es, auf die ich mich freue. Wir haben uns leichte und klein verpackbare Hochtourengurte zugelegt. Ein wirklich großer Unterschied zu den normalen Klettergurten. Und statt der bisher im Gepäck befindlichen Eisschrauben aus Stahl können wir dank unserer Eiskletterausrüstung nun auf Eisschrauben aus Alu mit Stahlspitze zurück greifen. Die Summe der kleinen Gewichtsersparnisse macht am Ende dann schon was aus.
Ich beginne einige Tage vorher damit, mich mal mit der Tour auseinander zu setzen und Informationen zu sammeln. Ganz so einfach, wie ich bisher immer annahm, ist die Besteigung gar nicht. Selbst auf dem Normalweg, wo im Jahr tausende Bergsteiger:innen und Tourist:innen von Heerscharen an Bergführern rauf gezogen werden, ist ein gewisses Maß an Fertigkeiten unabdingbar, wenn Frau ohne fremde Hilfe auf den Gipfel will. Es geht vergleichsweise steil und exponiert zu. Der massive Andrang insbesondere im Sommer hat wohl dazu geführt, dass im Glocknerleitl einige Bohrhaken und Fixseile angebracht und auf dem Grat zu Klein- und Großglockner jede Menge Stahlstangen zu Sicherungszwecken verbaut sind. Der Abstieg vom Kleinglockner in die Glocknerscharte ist sogar mit einem Stahlseil ausgestattet. Alles, damit endlose Ketten an Seilschaften auch an den exponierten Stellen aneinander vorbei kommen, ohne dass das Risiko zu groß wird.

Die Tour beginnt freitags mit der Fahrt nach Saalfelden am Steinernen Meer zu Alex und Manuel. Obwohl, wenn ich so darüber nachdenke, beginnt sie schon früher. Denn Astrid und ich waren seit etwa 1,5 Jahren auf keiner ernsthaften Hochtour mehr. So packten wir in der Woche vorher schon mal das Seil und ein wenig Material aus und übten zu Hause ein paar Basics. Wie nehme ich nochmal das Seil so auf, dass ich leicht ein- und ausgeben kann, ohne dass die Gefahr der Selbststrangulation besteht? Wie geht das nochmal mit der losen Rolle oder einem einfachen Flaschenzug zur Spaltenbergung? Wie steige ich am Seil auf, um mich selbst aus einer Spalte zu retten? Was genau brauchen wir eigentlich an Material? Wie sichere ich steile Passagen rauf und runter? Was tue ich an diesen Sicherungsstangen, die auf dem gesamten Grat eingebaut sind, genau? Insbesondere wenn ganze Seilschaften aneinander vorbei müssen? Ein paar Knoten müssen sitzen: Halbmastwurf, Mastwurf, Schmetterlingsknoten, Achterknoten, doppelter Bulin (Palstek in Segelkreisen). Fragen über Fragen, die alle beantwortet werden wollen. Denn ich habe keine Lust, mir im Ernstfall nicht zu helfen zu wissen oder aus Unwissenheit viel zu viel mit rauf zu schleppen. Am Ende der Tour hatten wir zwar doch zu viel Material dabei, denn nennenswerte Spalten hat der klägliche Rest des Ködnitzkees nicht, doch das weiß ich vorher nicht. Mit diversen Tourbeschreibungen muss frau vorsichtig umgehen. Da steht auch viel Quatsch drin. Dann lieber auf Nummer sicher.
In Saalfelden angekommen, gibt's Futter und wir sprechen über die Tour. Insbesondere die Frage, bis wohin wir mit Ski gehen (können) beschäftigt uns. Früher, als noch sehr viel mehr Schnee lag, konnte frau übers Ködnitzkees und das sich anschließende steile Schneefeld mit Ski bis zum Anfang des Glocknerleitls (oder auch Eisleitl) aufsteigen. Das geht zwar prinzipiell immer noch, doch heutzutage ist am oberen Rand eine Felsbarriere zu überwinden, in der kaum bis gar nicht gesichert werden kann. Für die Abfahrt durch diesen Felsriegel muss frau schon eine sehr versierte Skifahrerin sein, was definitiv nicht auf mich zutrifft. Deswegen lautet die Empfehlung der einheimischen Bergführer, unterhalb der Adlersruhe (Erzherzog-Johann-Hütte) am sogenannten Kampl Skidepot zu machen, dort auf Steigeisen zu wechseln und den versicherten Steig zur Adlersruhe aufzusteigen. Wir beschließen, das auch genau so zu machen. Der erneute Check des Wetterberichts zeigt, dass der Sonntag nicht unbedingt der beste Gipfeltag werden könnte. Die vorhergesagten Windböen sollen zwar nicht mehr ganz so stark ausfallen, doch es bleibt angeblich eher kalt und neblig. Aber erstmal haben wir eine Idee, welchen Weg wir gehen wollen.

Ziel Nummer eins für den Samstag: Spätestens gegen Mittag wollen wir am Lucknerhaus auf etwa 1920m den Aufstieg zur Stüdlhütte beginnen. Die Fahrt dorthin ist von Saalfelden aus mit knapp 100km gar nicht so weit. Einmal durch den Felbertauerntunnel und dann ist frau schon fast da. Na ja, fast. Es zieht sich dann schon, bis Kals am Großglockner in Sicht kommt und wir irgendwann auf die Mautstraße zum Lucknerhaus einbiegen können. Ticket ziehen und weiter. Der Parkplatz am Lucknerhaus ist gut gefüllt, was aber auch daran liegt, dass einer der beiden großen Parkplätze noch nicht schneefrei ist. Aber hey, wir sind gut in der Zeit. Um 11:30Uhr etwa gehen wir los. Sehr imposant und fast ein wenig angsteinflößend ist vom Start aus der Gipfel des Großglockners mit seiner Pyramide aus Fels hoch oben gut zu sehen. Steile Grate. Alter Falter. Der schwere Rucksack ist ungewohnt. Komme ich überhaupt bis zur Stüdlhütte mit dem schweren Ding? Gute 850 Höhenmeter liegen für heute vor uns. Da frag' ich mich immer, was andere dabei haben, die mit einem kleinen Daypack am Gipfel ankommen, wo kaum die Brotzeit reinpasst?
Zum schweren Gepäck kommt die absolut fehlende Akklimatisierung hinzu, die nur dadurch ein wenig wett gemacht werden kann, indem ich möglichst langsam und gleichmäßig meine Ski über den Schnee schiebe. Apropos Schnee. Der ist irgendetwas zwischen Eis und mal kurz durch die Sonne aufgewärmter Matsch. Zumindest dort, wo die Sonne hinkommt. Größtenteils ist er allerdings völlig zerfahren und Bock hart gefroren. Ich versuche nicht, an die Abfahrt zu denken, sondern konzentriere mich auf den Weg unmittelbar vor mir. Eins nach dem anderen. Die erste Pause legen wir an der Lucknerhütte ein. Nach etwas mehr als 300 Höhenmetern kommt sie als erster Wegpunkt vorbei. Bis dorthin führt die Spur fast komplett über einen Fahrweg, mit dem die Hütte im Sommer versorgt wird und weil seit dem Frühstück ein paar Stunden vergangen sind, knurrt mir der Magen. Wurstbrot und Tee laufen auf der sonnenbeschienenen Terrasse rein bevor wir weiter aufsteigen. Ab jetzt folgen wir der Spur auf dem Wanderweg zur Stüdlhütte und der erste etwas steilere Hang will erklommen werden. Sobald der Weg im Schatten liegt, wird es eisig kalt, was auch am Zustand des Schnees gut zu bemerken ist. Abfahrt ausblenden. Wird schon irgendwie gehen. Eine weitere Stunde später nach etwa 650 Höhenmetern seit dem Lucknerhaus legen wir erneut eine kurze Teepause in der Sonne ein. Wir haben es nicht eilig und der Weg ist Teil der Akklimatisierung, weswegen wir wirklich langsam machen sollten. Das Wort Endspurt passt da zwar nicht, doch den treten wir dann sozusagen an. Wie immer, ziehen sich die letzten Höhenmeter bis zum Tagesziel, der Stüdlhütte auf 2801m, und ein letzter Hang ist ebenfalls noch mit im Programm. Nach brutto etwas mehr als 3 Stunden, d.h. inklusive aller Pausen, sind wir an unserer Bleibe für die Nacht angekommen. Sieht von draußen schon sehr nett aus die neue Stüdlhütte, was sich innen fortsetzt. Die Ski mit den Fellen sind draußen in der Sonne abgestellt, drinnen werden wir sehr nett empfangen, nachdem wir alle Hardware im Materiallager gelassen und von Skistiefeln auf Hüttenschlappen gewechselt haben. Wir bekommen einen Chip, auf den alle Konsumation gerechnet wird. Praktisch. Leider gibt es in der Stüdlhütte ausschließlich Massenlager. Die sind zwar nicht mehr, wie früher, wo sich teilweise über 30 Menschen auf engstem Raum tümmelten, doch eine erholsame Nacht ist auch in diesen geräumigen 16er Lagern nicht zu erwarten. Ein Schnarchvogel genügt. Corona scheint kein Thema mehr zu sein. Am Ende ist auch das Lager, in dem wir unseren Platz haben, randvoll belegt. Nun gut. Trocken legen, einrichten, mal kurz Sanitär checken, dann runter in die Gaststube, wo es lecker Kuchen gibt. Gerade als wir uns hingesetzt haben, spricht mich einer der Hüttencrew an, ob wir uns schonmal begegnet seien, denn ich käme ihm bekannt vor. Ob wir vielleicht letzten Sommer auf dem Prinz-Luitpold-Haus gewesen sind? Ich bejahe. Andreas heißt er und natürlich sind wir uns in besagtem Haus begegnet, wo er für gewöhnlich im Sommer arbeitet. Das war auf unserer Tour vergangenen Juni zum Hochvogel im Allgäu. Eine Woche bevor ich mir meine Patellasehne abriss. Wie klein die Welt ist. Wir schnacken noch ein wenig und als Kuchen, Kaffee, Radler, Schorle vertilgt sind, hauen wir uns bis zum Abendessen noch in unsere Schlafkammern. Ruhen und sich weiter an die Höhe gewöhnen ist wichtig.

In den knapp 2 Stunden, in denen wir versucht haben, etwas Ruhe zu finden, füllte sich unser Lager und auch gefühlt der ganze Rest der Hütte bis fast auf den letzten Platz. Mir kommt es etwas merkwürdig vor, dass es im 21. Jahrhundert offensichtlich nicht zu schaffen ist, in einer krachneuen Hütte den Holzboden so zu verlegen, dass er nicht bei jeder kleinsten Berührung laut knarzt und quietscht. Im Schlafraum herrscht ein Geräuschpegel, als säße man in einer Bahnhofsvorhalle. Schade. Denn ansonsten ist die Stüdlhütte echt gelungen. Abendessenzeit. Wir krabbeln aus unseren Kojen und wackeln in den Gastraum. Ist das laut hier, denke ich. Frau versteht ihr eigenes Wort nicht mehr. War das vor Corona in anderen Hütten auch so? Ja, war es. Ich erinnere mich an einen Abend in der Almageller Hütte, wo wir es fast nicht aushielten. Eine Servicekraft gibt sich Mühe, für uns einen zusammenhängenden Platz für 4 zu finden. Zwei Tische müssen frei bleiben. Man erwarte noch eine 16 köpfige Gesellschaft aus Italien. Hui. Das wird spannend. Aber jetzt habe ich Hunger und bin sehr gespannt auf das Bergsteigermenü. Ein Buffet mit Salat, Suppe, Käse und Nachtisch ist vorbereitet, wo Frau sich selbst bedienen kann. Der Hauptgang wird an der Theke zur Küche durch Personal ausgegeben. Nach Freigabe bildet sich im Nu eine lange Schlange. Wir warten kurz ab, doch es sind so viele Menschen da, dass wir nicht umhin kommen, uns doch anzustellen. Eine FFP2-Maske trägt außer uns praktisch niemand mehr. Und über Abstand muss ich auch nix mehr sagen. Scheint alles vergessen zu sein. Wenigstens wird nicht geschoben und gedrängelt. Um die Anstehzeit zu verkürzen, nehme ich gleich Suppe und Salat in einem Rutsch mit zum Tisch. Läuft rein. Sensationell lecker. Das muss ich wirklich sagen. Auch der Hauptgang später. Es standen Lasagne, vegetarische Tortellini oder Geschnetzeltes mit Reis zur Auswahl, was an sich bereits mehr ist, als wir es sonst gewohnt sind. Ich entscheide mich für die Lasagne und genieße jeden Bissen. Käse und Nachtisch fallen danach dann allerdings aus. Es geht nix mehr rein und ich will mich auch nicht überfressen. Ein zu voller Bauch trägt schnell dazu bei, dass die Nacht noch unangenehmer wird als ich sie eh schon erwarte. Am andern Tischende versucht derweil ein toller Bergsteiger seine Begleiter:innen mit seinen Geschichten zu beeindrucken. Leider so laut, dass wir zuhören müssen. Ein sich verspätendes Pärchen gesellt sich zu den vieren, die bereits länger da sitzen. Die "Neuen" sind eher ruhig und ich gewinne den Eindruck, dass "Er" mehr Spaß daran hatte, unserem Uno und Mensch ärgere dich nicht zu zu sehen als seinem Kumpel zuhören zu müssen. Inzwischen ist es Stockfinster draußen. Die Fütterung der Raubtiere neigt sich dem Ende zu. Als plötzlich besagte italienische Mannschaft doch noch eintrifft. Es wird nochmal kurz hektisch und laut bis alle 16 einen Platz und etwas zu trinken haben. Aber danach ging's eigentlich vergleichsweise gesittet zu. Sie haben wahrscheinlich einen langen Tag hinter sich, denke ich. Sehen jedenfalls alle nicht mehr so ganz fit aus.
Wir quälen uns indes durch ein zähes Mensch ärgere dich nicht bzw. einer Art Abwandlung davon. Das Spiel scheint schier kein Ende zu nehmen. Ständig stehen alle meine Figuren wieder am Startplatz. Bei den anderen geht's genauso. Astrid erlöst uns nach einer gefühlten Ewigkeit. Während des Spiels besprechen wir, wann es am nächsten Tag losgehen soll. Frühstück gibt es ab 5:30Uhr. Mein Herz schlägt normalerweise für den frühestmöglichen Aufbruch. Doch es ist Winter. Es sind keine Spalten zu befürchten, laut Wetterbericht sollen sich die Wolken erst im Tagesverlauf auflösen, die Abfahrt braucht ein wenig Sonne, damit sie für mich überhaupt machbar wird und auch sonst ist nicht mit sich im Verlauf des Tages steigernden objektiven Gefahren zu rechnen. Außer vielleicht der steigenden Anzahl an Aspiranten, die wir nicht beeinflussen können. Um 7 Uhr in der Früh losgehen müsste genügen und lässt reichlich Zeitreserve am Nachmittag. Glauben wir. Dass es sich um eine völlige Fehleinschätzung handelt, lernen wir dann.

Wie erwartet folgt für mich eine grauenhafte Nacht. Ich kann nicht einschlafen. Das Herz klopft rasend, egal wie ich mich drehe. Ständig sind Menschen im Zimmer unterwegs. Die einen kommen spät aus der Gaststube, die anderen müssen mehrmals in der Nacht raus, der erste Wecker klingelt gegen 4 Uhr morgens. Meine Augen gingen bestenfalls ein paar Minuten zu. Es wird irgendwann hell draußen. Kurz vor 6 Uhr stehen wir auf. Ich brauche keinen Wecker. Ätzend. Wie von einer Dampfwalze überrollt schäle ich mich aus meinem Hüttenschlafsack und fühle mich entsprechend schei.... Für die erste Nacht in der Höhe ist das eher normal rede ich mir ein und weiß, dass es auf fast jeder Hochtour genauso ist und ich trotzdem über den Tag leistungsfähig bin. Also nicht anstellen, sondern frühstücken und fertig machen für raus. Das Frühstück in der Stüdlhütte ist ebenfalls echt klasse. Sehr reichhaltig und gute Produkte. Dann passiert noch was Unglaubliches. Wir stehen am Marschtee an und füllen unsere Thermosflaschen als plötzlich der Mensch vom Hüttenservice Astrid anspricht: "Astrid, bist du es?" Sie schaut hoch und erkennt ihn sofort. Jan. Der Mensch, der nach seiner Bundeswehrzeit auf Weltreise ging. Ein Jahr sollte es dauern. Es sind dann fast 8 geworden und wenn die Pandemie nicht losgebrochen wäre, würde er wahrscheinlich immer noch unterwegs sein. Astrid kennt ihn aus ihrer Zeit in der Kletterhalle in Köln. Der Wahnsinn. Seit 3 Jahren arbeitet er auf der Stüdlhütte, wann immer sie offen hat. Bei unserer Reservierung im vergangenen Herbst, aus der leider nix wurde, ist ihm der Name Astrid schon aufgefallen. Und nun treffen wir uns einfach. Echt witzig und so was von unerwartet. Wir verabreden uns für den Nachmittag, wenn wir wieder zurück an der Hütte sind, denn wir lassen unser Übernachtungszeug dort zurück.
Dann auf in die Wildnis. Viele Seilschaften sind schon weg. Die große Gruppe Italiener:innen noch nicht. Für die Querung hinauf zum Ködnitzkees entscheiden wir uns dazu, die Ski zu tragen und auf Steigeisen zu gehen. Die Schneereste sind hart gefroren und etwas spärlich vorhanden. Ich fühle mich ob der letzten Nacht eigentlich ganz gut und bin zuversichtlich, dass wir den Gipfel erreichen werden. Nicht immer selbstverständlich. Die Wolkendecke hängt unterhalb der Hütte und so starten wir bereits bei Sonnenschein überm Nebelmeer, aus dem tausend Felsspitzen nach oben herausschauen. Für diese Momente alleine lohnen sich bereits alle Unannehmlichkeiten. Das gibt es sonst nirgendwo zu erleben außer in den Bergen. Alleine das Knirschen der Steigeisen im eisigen Schnee morgens sorgt bei mir für Gänsehaut. Es gibt einen Menschen, der mir vorwirft, ich müsse meine innere Leere durch meine Extremsportarten füllen. In diesen Momenten grinse ich in mich hinein und freue mich darüber, was dieser blasse, leidenschaftslose, habgierige und rachsüchtige Mensch alles verpasst.
Ganz gemütlich erreichen wir die Ausläufer des Gletscherrestes des Ködnitzkees. In der Ferne sind die vielen Seilschaften im steileren Stück zum Skidepot auszumachen. Hinter uns ist erstmal niemand. Ab hier wechseln wir von den Steigeisen auf die Ski und gehen entspannt weiter. Die Sonne kommt immer weiter rum, der Hang zum Skidepot wird langsam angestrahlt. Ein kurzes Stück werden wir jedoch noch im Schatten sein und beschließen, vor der Schattengrenze einen Becher Tee reinzuwerfen und die Harscheisen an die Bindungen zu klöppeln. Ein paar Kehren noch, dann ist der erste Abschnitt und damit auch das Weiterkommen auf Ski beendet. Auf etwa 3300m erreichen wir den Grat, der zur Adlersruhe hochzieht, verstauen die Ski samt Felle und Harscheisen zwischen den Felsen, legen die Steigeisen wieder an und folgen dem versicherten Steig zur Hütte hoch. Bei dem Steig handelt es sich eher um einen Wanderweg mit Stahlseil. Astrid und ich verzichten auf eine Sicherung. Etwa 150 Meter weiter oben erreichen wir die Adlersruhe, die im Winter nicht bewirtschaftet ist, und machen nochmal kurz Pause. Die Umgebung und der Ausblick sind irre. Es lohnt sich, einfach mal kurz stehen zu bleiben und zu schauen. Der Großvenediger ist in direkter Nachbarschaft zu erspähen. Auf ihm standen wir im Herbst 20. Auf dem Weg zum Gipfel über den Westgrat sind wir damals ganz alleine gewesen.

So, ab hier beginnt so langsam das Bergsteigen. Das Glocknerleitl ist von der Seite zu sehen. Sieht steil aus. Ein kurzer Anstieg über Schnee trennt uns noch vom Abenteuer. Beim Näherkommen kann ich erkennen, dass es in diesem Steilstück recht betriebsam zu geht. Die Bergführer haben ihre Gäste alle am Seil, andere sind seilfrei unterwegs. Von dem angenommenen Blankeis ist hingegen nichts zu sehen. Zwei seilversicherte Passagen im unteren Teil sind zu erkennen, in denen sich gerade einige Seilschaften im Abstieg befinden. Am Einstieg lassen wir unsere Stöcke zurück, indem wir sie einfach im Schnee liegen lassen, denn ab jetzt brauchen wir bestenfalls unsere Hände und den Eispickel. Das ist auch so eine kleine Besonderheit unter bergsteigendem Volk. Aus solchen Depots kommt so gut wie nie etwas weg. Wir lassen immer bedenkenlos Ausrüstung liegen, die wir für den weiteren Aufstieg nicht mehr benötigen, um uns damit nicht zu belasten, und können fast 100% sicher sein, dass das Zeug auf dem Rückweg noch genauso da liegt und nichts weg gekommen ist.
Beim Blick hinauf und der Bewertung der Situation entscheiden wir, seilfrei rauf zu gehen. Es ist zwar steil, doch der Schnee ist gefroren und mit hunderten Stufen ausgestattet, so dass im Grunde eine breite Treppe entstanden ist. Bei den vielen Menschen mit Seil und den Felsen im unteren Teil sehe ich eher die Gefahr, sich mit anderen ins Gehege zu kommen und im Zweifel meine eigene Seilschaft mit zu reißen. So sind wir viel flexibler. Klappt auch gut. Wir steigen einfach hoch, so wie es die Luft erlaubt. Am Übergang vom Eisleitl auf den Grat zum Kleinglockner wechseln wir dann in zwei Zweierseilschaften, um uns am laufenden Seil an den Eisenstangen sichern zu können. Die meisten Seilschaften wickeln das Seil einfach immer ein- oder zweimal um so eine Stange, doch das wird dann blöd, sobald Gegenverkehr hinzu kommt, der sich auch sichern will. Aus dem Grund haben Astrid und ich eine handvoll kurzer Schlingen mit Schraubern dran mitgenommen. Die sind schnell per Ankerstich um die Stange gelegt und können auch wieder entfernt werden, egal wie viele Seile übereinander gewickelt sind. Läuft auch ganz gut. Ich gehe vor, lege Sicherungen und wenn mein Material aus ist, hole ich Astrid über einen Halbmastwurf nach, um mir das eingesammelte Material wieder von ihr zu holen, usw.. Die verbleibenden Höhenmeter bis zum Gipfel sind gar nicht mehr so viele, doch das Gekrabbel mit Sicherungen und die Warterei wegen der vielen Seilschaften auf dem Weg lässt die Zeit rasen. Der Grat selbst ist halbwegs ausgesetzt, erscheint mir jedoch lange nicht so exponiert, wie ich es aus diversen Beschreibungen befürchtet hatte. Es gibt keine einzige Stelle an der ich mich ernsthaft unwohl gefühlt hätte. Am höchsten Punkt des Kleinglockners angelangt, folgt der Abstieg in die Glocknerscharte. Dieser ist mit einem Stahlseil versehen, womit der Abstieg problemlos zu bewältigen ist. Von der Scharte aus kann Frau in die Pallavicinirinne schauen. Kaum zu glauben, dass dort schon Menschen mit Ski runter bzw. durch gerast sind. Auf den schmalen Schneepfad durch die Scharte folgt die einzige ernsthafte Kletterstelle auf der Tour. Der Gipfelanstieg beginnt mit einer etwa 7-8 Meter hohen IIer-Kletterpassage. Hinreichend viele Griff- und Trittmöglichkeiten sind vorhanden sowie einige Eisenstangen und Bohrhaken. Abertausende Steigeisenbegehungen sorgten dafür, dass die Tritte in der Form von Steigeisen regelrecht ausgefräst sind. Problematisch ist hier nur der Andrang von oben und von unten gleichzeitig. Wir müssen kurz warten, bis eine Seilschaft von oben kommend abgeklettert und an uns vorbei ist. Der letzte beglückwunscht uns, denn wir hätten nun den Gipfel für uns allein. Es sei niemand mehr im Moment oben.

Und so ist es dann auch. Die letzten Meter sind unschwierig, der Gipfel schnell erreicht, wir stehen alleine am höchsten Punkt Österreichs auf 3798m. Der absolute Wahnsinn. Entgegen aller Vorhersagen scheint die Sonne, es ist warm und windstill. Lädt eigentlich zum Verweilen ein, allerdings ist es schon fast 13 Uhr. Ich erschrecke ein wenig und frage mich, wo die Zeit geblieben ist. Eine knappe Stunde haben wir länger gebraucht, als der Anstieg von der Stüdlhütte eigentlich dauern sollte und unter der Prämisse, dass die Kraxelei am Grat zurück und das Eisleitl hinunter nochmal die gleiche Zeit in Anspruch nimmt, wie rauf, sollten wir uns nicht lange aufhalten. Außerdem kommen bereits die nächsten Seilschaften in Sichtweite. Es kommen sogar zwei vom Stüdlgrat mit Ski auf den Rucksäcken hoch. Auch net schlecht. Astrid und ich machen auf dem Absatz kehrt und beginnen als erste den Abstieg. Alex und Manuel folgen. Mir kommt die riesengroße Gruppe mit den 16 Italiener:innen in den Sinn. Ich hatte sie vom Skidepot aus das letzte Mal im Aufstieg auf dem Ködnitzkees gesehen. Hoffentlich kommen die uns jetzt nicht auch noch entgegen. Dann wird es turbulent. Den ersten und einzigen Stau gibt es an der Kletterstelle hinunter in die Glocknerscharte. Als Astrid und ich am oberen Ende ankommen und abklettern wollen, stehen schon 3 3er Seilschaften an, um hoch zu klettern und brauchen ewig dafür. Niemand in den drei Gruppen macht einen versierten Eindruck. Bergführer scheinen jedoch auch keine dabei zu sein. Wir warten und warten. Irgendwann stimme ich mich mit einem der Raufkommenden ab und steige schon mal bis zur ersten Sicherungsstange ab. Derweil kommen von hinten die beiden Vögel mit den Ski auf den Rucksäcken und drängeln sich rücksichtslos überall durch. Einer rempelt dabei Astid so an, dass sie fast das Gleichgewicht verliert. Jeglicher Protest prallt an den zwei Hornochsen ab. Sie steigen den anderen fast mit den Steigeisen auf die Hände, stoßen mit ihren Ski überall an und benehmen sich, wie die Axt im Walde. Auf dem Arm einer der beiden prangt ein großes Bergführerabzeichnen. Hinterlässt keinen guten Eindruck. In den Kreisen ist wohl die Menge der Arschlöcher auch normalverteilt.
Um weiter zu kommen, lässt Astrid mich etwas neben der Kletterstelle schonmal ab und gerade als sie selbst auch abseilen will, wird eine Lücke zum Abklettern frei. Der Flaschenhals beginnt sich aufzulösen, der Weiterweg rauf auf den Kleinglockner ist frei. Ab da begegnet uns nur noch eine Zweierseilschaft. Der restliche Abstieg zum Eisleitl läuft ohne Gegenverkehr. Die zwei anderen folgen und treffen kurz nach uns ein als Astrid und ich schon dabei sind, an Bohrhaken gesichert langsam durch das obere steile Stück abzusteigen. Im Nachhinein habe ich gedacht, was für ein Quatsch. Wir sind ungesichert hoch. Dann sind wir auch dazu in der Lage, ungesichert wieder abzusteigen. So haben wir jede Menge Zeit beim Rumdaddeln mit dem Seil eingebüsst. Nach dem 3. oder 4. Bohrhaken, so etwa ab der Mitte im Eisleitl beschlossen wir dann, das Seil weg zu tun und über die breiten Stufen einfach mit Pickel gesichert weiter runter zu steigen. Astrid ist sogar vorwärts runtergegangen, was ich mich nicht getraut hab', und es ging ganz entspannt. Weil die Sonne nicht mehr dort ins Eck schien, wurde es sehr schnell sehr zapfig, was uns dazu veranlasste, diesen Ort zügig hinter uns zu lassen und weiter unten in der Sonne auf die anderen beiden zu warten. Warten ging dann aber auch nicht so gut, denn ein eiskalter Wind strich permanent über das Schneefeld unterm Eisleitl und so stiegen wir noch ein bisschen weiter ab, bis wir hinter einer Kuppe etwas windgeschützt standen. Gegen die Sonne war es schwer auszumachen, warum die anderen beiden nicht gleich hinter uns her kamen. Plötzlich war das ganze Eisleitl voller absteigender Menschen und die beiden taten sich schwer, sich dort mit ihren Interessen durchzusetzen. Blöde Situation. Astrid stieg nochmal ein Stück rauf, um sich mit ihnen abzustimmen, dass wir schonmal bis zur Adlersruhe runtergehen und dort in Sonne und Windschatten warten werden. Dort saßen wir eine ganze Weile bis die beiden ums Eck bogen. Fast zwei Stunden hat's gedauert vom oberen Eingang Eisleitl bis runter zur Adlersruhe. Wir besprachen kurz, was passiert ist und versicherten uns, dass alles in Ordnung ist und dann stiegen wir gemeinsam den versicherten Steig weiter ab runter zum Skidepot.

Die lustige Skiabfahrt beginnt. Den ganzen Tag schon lag eine Nebeldecke zwischen etwa 2800 und 3000m, was zwei ungünstige Folgen hat: Ab dem Nebel und weiter runter bis an den Parkplatz wird die Schneedecke oder das was von ihr übrig ist, eine zerfahrene, eishart gefrorene Mörderpiste sein und durch den Nebel wird es schwierig, die richtige Abzweigung zur Stüdlhütte zu finden. Das erste Stück vom Skidepot weg übers Ködnitzkees geht noch ganz gut. Die Sonne hat die obere Schicht einigermaßen aufgeweicht, sodass es einfach ein bisschen sulzig ist. Damit komme ich klar. 200m tiefer ging mein persönlicher Alptraum dann los. Im Nebel änderte sich sofort die Oberfläche in ein bockhartes, zerfurchtes Etwas. Große Teile kann ich nur noch versuchen, quer abzurutschen oder die Kurven mit dem guten alten Stemmbogen einzuleiten, wobei ich Mühe habe, auch durch den schweren Rucksack verursacht, überhaupt auf den Ski zu bleiben und die Kontrolle zu behalten. Dicht an dicht, um uns nicht zu verlieren, kratzen wir so Meter für Meter nach unten, orientieren uns immer wieder in der elektronischen Karte und halten nach einem ganz bestimmten, auffälligen Steinmanndl Ausschau. Wir finden es. Immerhin sind wir auf dem richtigen Weg. Eine letzte steilere Stufe holpere ich unter Todesverachtung quer nach unten. Mir reicht's ab da. Auf etwa Hüttenhöhe lichtet sich der Nebel, die Hütte ist zu sehen. Ich beschließe, den Rest dort hin auf Steigeisen zu gehen. Das hat mit Skifahren nichts mehr zu tun und ich habe keine Lust, mir nochmal weh zu tun. Außerdem warten weitere 850 Höhenmeter katastrophale Abfahrt auf mich. Meine Beine brennen. Nach nun über 10 Stunden geht auch die Konzentration bei den Teufel.
Ski auf den Rucksack, knirsch, knirsch, wie am Morgen, auf Steigeisen in wenigen Minuten zur Hütte. Teil 1 der Abfahrt ist geschafft. Es ist 17 Uhr. Astrid besorgt für alle nochmal etwas zu trinken während wir unsere zurückgelassenen Habseligkeiten einsammeln und auf die Rucksäcke verteilen. Prima. Noch ein bisschen mehr Gewicht. Im Eiltempo läuft eine kalte Johannisbeerschorle rein. Die Dunkelheit wartet nicht auf uns. Aus der Verabredung mit Jan wird nichts mehr. Dass wir so spät erst wieder da sein würden, hätte ich im Leben nicht gedacht. Hilft nix. Nicht jammern, sondern zusehen, dass wir runter kommen.
Der erste Hang von der Hütte weg ist für mich nicht fahrbar. Der einzige, der das hinbekommt, ist Manuel. Wir Mädels klemmen nochmal die Steigeisen an die Skistiefel und gehen die ersten 50-60 Höhenmeter zu Fuß bevor wir es im flacher werdenden Teil nochmal mit Ski versuchen. Die Weiterfahrt findet praktisch auf Blankeis statt. Es ist allerdings mehr oder weniger flach und wenn Frau den ausgefahrenen Kurven folgt, geht's einigermaßen. Langsam rutschen ist halt immer noch viel schneller als zu Fuß gehen zu müssen. In der Abfahrt zur Lucknerhütte gehen Astrid und ich nochmal ein Stück auf Steigeisen. Meine Beine und meine Kondition sind durch nach 11 Stunden, taugen nicht mehr für Experimente und ich möchte keinen Sturz riskieren. Bin erst ein dreiviertel Jahr ausgefallen. Ab der Lucknerhütte kratzen wir auf dem Fahrweg weiter, was allerdings keine Entspannung bringt. Ebenfalls blankes Eis und ausgefahren, die Sicht wird immer schlechter, weil es schon ne Weile dämmert. Wenigstens ist die Wegfindung jetzt kein Thema mehr und es geht dann auch relativ schnell bis wir am Parkplatz ankommen. Inzwischen ist es stockfinster. Aber wir sind trotz der widrigen Umstände alle heile unten angekommen. Fast 12 Stunden hat die Tour nun gedauert. Ich bin fertsch und froh, dass ich nicht mehr fahren muss. Das übernimmt Manuel, der uns zurück nach Saalfelden kutschiert.
Nun bin ich endlich auf dem Glockner gestanden und muss sagen, eigentlich eine tolle und sehr abwechslungsreiche Tour mit einem gewissen Anspruch an die bergsteigerischen Fähigkeiten. Nochmal brauche ich das jedoch nicht. Jetzt im Winter mit Ski, sagt man, ist der Andrang nicht so schlimm. Da möchte ich mir gar nicht vorstellen, was hier im Sommer los ist.

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