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Steinmanndl, 1985m, 06.02.2021

In den bayerischen Bergen hat das warme und regnerische Wetter Anfang Februar so ziemlich alle Ski- und Eiskletterträume platzen lassen. Wir grübelten die ganze Woche, was wir wohl samstags, wo möglicherweise doch mal die Sonne rauskommen soll, unternehmen können. Viel ist uns nicht eingefallen. Die üblichen Verdächtigen sind völligst überlaufen. Wandern im Matsch ist nicht sexy. Zu weit oben sind die Verhältnisse unklar. Der Regen hat die Lawinenlage hinsichtlich nassen Gleitschneelawinen stark negativ beeinflusst. Über die Grenze dürfen wir nicht, ohne eine längere Quarantänehaft zu riskieren. Ich war kurz davor, die Flinte ins Korn zu werfen. Als Verzweiflungstat sahen wir eine Wanderung in Pfronten vor, bei der wir vorsichtshalber mal die Schneeschuhe mitnehmen wollten. Aber so richtig gut war das alles nicht. Während des Richtens unserer Sachen freitagsabends suchten wir immer noch nach anderen Ideen. Ich weiß nicht mehr wie, doch dabei kam uns das Kleinwalsertal wieder in den Sinn. Der Start zur Schwarzwasserhütte liegt auf über 1200m. Astrid forschte nach Webcams, um zu sehen, ob überhaupt noch Schnee liegt. Ja, da lag noch Schnee. Über dessen Qualität, da waren wir uns einig, müssen wir nicht reden. Wir beschlossen, es zu versuchen und erstmal zur Schwarzwasserhütte aufzusteigen, wo wir dann weiter entscheiden wollten, was wir tun. Die Anfahrt ist ein wenig länger, d.h. früh aufstehen ist ratsam, um irgendwo parkieren zu können. Gesagt, getan.

Der Wecker klingelt samstags um 5:30Uhr. Kurz vor 8 Uhr passieren wir die Grenze. Das Kleinwalsertal ist in Sachen Pandemie an Deutschland angeschlossen. Für den Grenzübertritt gelten keine Quarantäneregeln, wie ansonsten zwischen Österreich und Deutschland. Bereits im ersten Ort lernen wir, dass alle Parkplätze der Bergbahnen gesperrt sind. So auch die an der Auenalm bei den Ifen-Liften, wo wir starten wollen. Priml. Da, wo sonst Parkplätze sind, ist zwischen hohen Schneewänden eine Einbahnregelung gebaut, die alle ankommenden Fahrzeuge sofort wieder umlenkt und zurück schickt. Wir finden eine letzte Lücke an der Hubertuspiste, wo wir nicht auf einer Straße stehen. Das ist nämlich keine gute Idee. Parkieren dort bedeutet, fast 1,5km zu Fuß über die Straße laufen zu müssen, um zum eigentlichen Start zu kommen. Meine Motivation ist am Boden. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir grad kehrt gemacht. Astrid sah das anders. Hauptsache draußen bewegt. Also rein in die Skistiefel und los. Zu Fuß bis kurz vor die Auenalm, dann in den Schnee und auf den Brettern weiter. Bis zur Melköde zieht es sich mehr oder weniger flach mehrere Kilometer über einen planierten Fahrweg dahin. Es sind noch andere unterwegs. Doch weit weniger als ich befürchtete. Liegt sicher auch an den stark eingeschränkten Parkmöglichkeiten. Erst ab der Melköde geht es nennenswert bergan. Mir graut vor dem Rückweg. Nach meinem Dafürhalten werden wir hier wieder auffellen und den ganzen Weg zurückgehen müssen, statt zu rutschen. Sieht Astrid auch so. Wir gehen weiter, haben jedoch ständig diesen Gedanken im Kopf. Als wir die Schwarzwasserhütte erreichen, sind wir schon über 7km gelaufen. Es gab ab der Melköde erneut Abstiege, von denen wir annahmen, wir müssten diese auf dem Rückweg irgendwie hochlaufen.

Mit schmerzenden Füßen von der ewigen flachen Latscherei und einer weiter abnehmenden Motivation stehen wir an der Schwarzwasserhütte und können aufs Steinmanndl schauen. Weit ist es nicht. Etwa 350 Höhenmeter. Vielleicht eine knappe Stunde bis zum Gipfel. Es ist trüb. Die Sonne kommt nicht wirklich durch. Es hängt Saharasand in der Luft, wie wir später lernen. Astrid wirft Ibu rein. Geistig sind wir irgendwie schon auf dem Rückweg, beschließen aber, mal noch ein Stück weiter zu gehen und uns auf der nächsten Kuppe neu zu entscheiden. Dort angelangt sehen wir in die Abfahrt vom Gipfel und überlegen, ob wir uns diese antun wollen. Der Schnee ist schwer und nass. Die Rinne nach unten halbwegs steil. Sieht allerdings nicht zerfahren aus. Viele sind noch nicht runter hier. Eine Dreiergruppe fährt durch den direkten Gipfelhang ab. Ich finde das sehr risikofreudig. Doch es hält. Wir beobachten weitere zwei, die nahe am Aufstiegsweg abrutschen und sich etwas schwer tun. Gleichzeitig erkennen wir jedoch auch, dass der Gipfel wirklich nicht weit weg ist. Ein Gratstück mit Spitzkehren liegt vor uns. Und das war's dann fast schon. Wir verwerfen den Plan, an dieser Stelle abzubrechen und zurück zu rutschen und steigen stattdessen weiter auf. Ein Bursche aus einer Zweiergruppe vor uns hat sichtlich Mühe mit den Spitzkehren. Lustig. Vorhin sind sie locker flockig und dynamisch an uns vorbei gehirscht. Hier sind nun seine Körner alle und mit der Technik scheint er auch überfordert. Ist gut aussehen vielleicht doch nicht alles? Uns machen die Kehren keine Mühe und ehe wir uns versehen sind wir nahe am Gipfel. Das letzte Stück legen wir zu Fuß zurück und lassen die Ski an der Stelle liegen, wo wir später die Abfahrt starten. Es sind nur noch ein paar Meter. Schnell ein Foto. Wir halten uns nicht lange auf. Die große Gruppe, die wir zuvor am Gipfel ausmachten, ist in Richtung Österreich abgerutscht und schiebt gerade mitten durch einen Lawinenkegel. Auch nicht gerade die besten Bedingungen.

Wir steigen wieder auf die Ski und beginnen, den Weg durch die Rinne auszuloten. Astrid rutscht voran. Wir staunen über die Schneekonsistenz. Sie ist gar nicht so schlecht. Morgens war alles noch gefroren und harschig. Nun haben die wärmeren Temperaturen den Eisdeckel aufgetaut und es lässt sich überraschend gut fahren. Selbst das steilere Stück bereitet mir keine ernsthaften Probleme. Nur die Sicht wird weiter unten im flacheren Teil so schlecht, dass die Konturen verschwinden. Ich werde dann immer fürchterlich aufgeregt und unsicher, wenn keine Buckel und Senken mehr zu erkennen sind und es sogar schwer fällt zu unterscheiden, ob ich noch rutsche oder schon stehe. Mit schön Skifahren hat das dann nix mehr zu tun. Der gute alte Stemmbogen kommt zum Einsatz und hilft mir über die 50 Höhenmeter nach unten hinter Astrid her bis wir den Aufstiegsweg zur Schwarzwasserhütte erreichen. Ab da ist es einfach. Der Weg ist nicht zu verfehlen. Inzwischen sind einige Wanderer unterwegs. Wir schaffen es bis zur Melköde, ohne von den Ski steigen zu müssen. Fein, ein Kreuz weniger. An der Melköde vorbei schaffen wir es ebenfalls noch ein gutes Stück zu rutschen. Dann stehen wir vor der Entscheidung, aufzufellen und zu gehen, oder es -wie letztes Jahr am Adamello- damit zu versuchen, Schuhe und Bindung im Aufstiegsmodus zu lassen, hinten also nicht fest zu sein und kein Fell aufzuziehen. Damit ist so etwas wie Skaten möglich. Wir versuchen es. Und es funktioniert sehr gut. Die zahlreichen kleinen Anstiege sind so kein Problem und wo es geht, rutschen wir. Das ist 10 Mal besser und viel schneller, als laufen zu müssen. Ohne Fell greifen die Kanten gut. Eine kontrollierte Fahrt ist möglich. Auf diese Weise sind wir in sehr kurzer Zeit zurück an der Auenalm und können nach einer kleinen Wegänderung sogar noch ein gutes Stück an der Straße entlang gleiten, bevor wir dann doch auf den Asphalt müssen. Der letzte Kilometer zu Fuß tut weh, geht aber schnell vorbei. Glücklich, doch den Gipfel erreicht und nicht gekniffen zu haben, machen wir nach Hause.

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