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Überschreitung Alpspitze, 2628m, im Winter, 08.01.2023

Fronleichnam 2011 führte uns Astrids und meine erste gemeinsame Bergtour bereits auf die Alpspitze. Das kuriose damals: Es gibt keine Bilder auf denen wir gemeinsam zu sehen sind, denn das war zu dieser Zeit, ich nenne es mal so, „illegal“. Wir waren zwar beide verheiratet, doch leider (noch) nicht miteinander. Dem gemeinsamen Erlebnis tat das aber keinen Abbruch. Abends stiegen wir zum Kreuzeckhaus auf, wo es kurz nach Eintreffen wolkenbruchartig zu regnen begann und von wo aus wir uns am nächsten Morgen auf den Weg über den Osterfelderkopf zum Einstieg der Alpspitz-Ferrata machten. Wetter, Wolken, Wind brodelten so vor sich hin, doch es blieb erstmal trocken und wegen dieser eher unvorteilhaften Bedingungen waren wir völlig allein. Wir kamen auch am Gipfel an, konnten uns aber nicht lange dort aufhalten. Die Abspannungen des Gipfelkreuzes summten unverkennbar ob des heranziehenden Gewitters, also bloß schnell wieder runter. Der kürzeste Weg nach unten ist die Ferrata, die gleichzeitig auch den bei drohendem Gewitter gefährlichsten darstellt und weil ich/wir seinerzeit nicht dazu in der Lage gewesen sind, ohne Sicherung klar zu kommen, war der Abstieg ein bisschen wie würfeln, ob der Blitz jetzt irgendwo in die Drahtseile schlägt oder nicht. Nun, es ist wohl gut gegangen, sonst gäbe es keine neue Geschichte zur Alpspitze. Und bis auf ein paar Kleinigkeiten ist auch alles andere gut gegangen, denn heute bin ich mit meinem Lieblingsmenschen verheiratet und niemand, auch Milla nicht, deren Namen ich damals noch nicht kannte, muss sich wegen irgendetwas verstecken. Tolle Sache.

Fast 12 Jahre später passen nun also die Bedingungen für eine Winterbesteigung eben dieser Alpspitze, wie wir unverkennbar an den vielen Social Media Beiträgen dieser Tage lernten und das lange Wochenende Anfang Januar steht vor der Tür. Kurzerhand legen wir den Samstag als Tourtag für die Alpspitze fest und können auch noch unseren lieben Nachbarn Thomas für die Tour begeistern, weil das Wetter an dem Tag das Beste sein soll, um dann zu merken, dass nur an diesem Tag auch Fliegen funktionieren würde, was natürlich auch ein Thema ist, denn das haben wir seit Ende November nicht mehr gemacht. Glücklicherweise können wir das Bergsteigen auf den nächsten Tag schieben und schaffen so Raum für einen superschönen Hike&Fly am Spieser im Allgäu, bei dem uns kurzentschlossen auch noch die liebe Janina Gesellschaft leistet, die wir auf dem Frauenfliegenfest im Herbst in Lenk kennengelernt haben.
Sonntagmorgen ist es aber dann soweit, wir ziehen zu dritt (eigentlich zu viert, denn Manni ist selbstredend mit von der Partie) los in Richtung Garmisch, Steigeisen, Pickel und Seil im Gepäck, um 8:30Uhr die erste Gondel auf den Osterfelderkopf zu erwischen. Das Zeitfenster ist nicht so entspannt, wie tags zuvor, denn der bereits samstags einsetzende Südföhn soll im Tagesverlauf deutlich stärker werden und wird dann kurz nach Mittag laut Prognose durch eine Kaltfront aus West ersetzt. Nix, um lange rum zu trödeln. Am Parkplatz treffen wir einen merkwürdigen Vogel, der dort übernachtet hat und kommen mit ihm ins Gespräch, weil wir direkt neben ihm parkieren. Er macht einen erfahrenen Eindruck, wir schnacken über Ausrüstung, Tagespläne und so weiter und er gibt uns jede Menge Tipps zur Wegfindung, den Verhältnissen und worauf wir sonst noch alles achten müssen. Er selbst beabsichtige, sich den Einstieg zum Jubi-Grat anzusehen und, so habe ich das herausgehört, den dann auch zu machen, wenn’s passt. Bezüglich unseres geplanten Abstiegs über die Schöngänge warnte er vor einer überhängenden, abdrängenden Stelle, die mit Blankeis überzogen und die nur mit einem hohen Risiko ungesichert zu begehen sei. An der Stelle hab‘ ich schon gedacht, da stimmt was nicht. Die Schöngänge sind ein kurzer A/B Klettersteig. Da gibt es keine zu durchkletternden Überhänge. Sonst wäre es E oder sogar F. Ansonsten haben wir ein Seil dabei und wissen, was wir damit tun können. Außerdem dachte ich, er wird sich ja wohl den Wetterbericht angesehen haben. Heute ist kein Tag für den Jubigrat, es sei denn er würde die 8km Kletterlänge zur Zugspitze in unter 4 Stunden schaffen. Allein. Im Winter. Aber gibt ja so Leute. Er wird schon wissen, was er tut.

Nochmal Pipi und dann ab in die erste, überraschend leere Gondel, die uns hinauf zum Osterfelderkopf auf 2033m bringt. Unsere neue Bekanntschaft ist mit an Board und redet unablässig mit jemanden, der anscheinend von der Bergwacht Garmisch ist, über die Bedingungen und die Pläne. Wir hingegen schnacken kurz mit einem sehr netten anderen Bergsteiger, der allein unterwegs ist und die gleiche Runde gehen möchte, wie wir das planen, doch ich ahnte da schon, dass er viel schneller unterwegs sein wird als wir, was sich später auch bestätigt. Oben aus der Gondel herausgefallen steht frau schon direkt vor dem Tagesziel und sogar das Gipfelkreuz ist von hier aus zu sehen, denn von den Höhenmetern her ist es ab der Bergstation nicht so wahnsinnig viel. Aber es ist unter diesen Bedingungen eben Bergsteigen trotz Klettersteig und auf den ersten Blick ist kaum zu glauben, dass durch diese alpine, steil wirkende Felskulisse ein mehr oder weniger gut zu gehender Weg verläuft. Während wir unser obligatorisches Startfoto schießen, geht unser Parkplatz-Mate schonmal los und wir folgen ihm zunächst noch ohne Steigeisen. Mein Ziel für heute besteht unter anderem darin, meine neuen steigeisenfesten Bergstiefel zu fühlen, denn ich musste meine alten im Herbst austauschen, weil sie zu klein geworden sind.
Es geht an der Rinderscharte vorbei, durch die der sogenannte Rinderweg hinunter zur Höllentalangerhütte führt und wenig später folgt der Abzweig nach rechts, wo eine erste Leiter aus Eisenbügeln den Start der Alpspitz-Ferrata über den Nordgrat markiert. Unser Parkplatz-Mate haben wir an der Stelle überholt, obwohl wir unterwegs dann doch auf die Steigeisen und mit Beginn der Ferrata von Wanderstöcken auf den Pickel umgestiegen und nicht gerade schnell sind. Unsere Bekanntschaft aus der Gondel ist weit über uns zu sehen. Ich gehe davon aus, wir treffen ihn heute nicht wieder. Aber jetzt geht’s zur Sache, Baby. Auf ein Klettersteigset haben wir verzichtet, weil ich bis dahin davon ausging, dass das Stahlseil sowieso meist unterm Schnee ist, was eine falsche Annahme war, wie sich bald herausstellte. Es liegt so wenig Schnee am Berg, dass es genau anders herum ist: Das Stahlseil ist zu mehr als 90% frei, eine Sicherung per Klettersteigset wäre also größtenteils möglich gewesen. Doch gleichzeitig ist es so, dass klettern mit Steigeisen auf dem gefrorenen Schnee überhaupt kein Problem darstellt und ich zu keiner Zeit trotz Exposition das Gefühl habe, mich sichern zu müssen. Ich wäre da auch ohne Stahlseil raufgekrabbelt. Für den Fall, dass wir mal irgendwo hätten warten müssen, hatte jeder und jede zumindest eine Bandschlinge mit Karabiner am Gurt, womit frau sich schnell und einfach gegen Herunterfallen schützen kann. Hat’s aber auch zu keiner Zeit gebraucht. Mehr Sorgen hat mir meine Kondition gemacht. Ich bin überrascht, wie schnell ich ins Schnaufen komme, obwohl wir nicht besonders hoch sind. Klettern ist allerdings auch nicht geradeaus gehen. Die ständigen Lastwechsel, die immer neuen Bewegungen, der Anstieg an sich, später der starke Wind, das sind alles Dinge, die eine Begehung dieser Art anstrengender machen, als einen Wanderweg entlang zu gehen und ich erfahre von den anderen beiden, dass es nicht nur mir so geht. Trittschneepassagen wechseln sich mit leichten Kletterstellen immer wieder ab und auch wenn es so aussieht, als ob der eigentlich immer zu sehende höchste Punkt nicht näherkommt, so vergehen doch nur etwas mehr als 1,5 Stunden bis wir das Gipfelkreuz anfassen können. Von unserem Parkplatz-Mate ist, by the way, keine Spur mehr. Er war so auffällig in orange gekleidet, dass man ihn eigentlich hätte gut sehen können. Egal.
Schnell ein Gipfelfoto. Manni muss dabei jedoch am Rucksack bleiben, denn es gehen Böen mit mehr als 50km/h durch und wir hatten Sorge, er könnte weggeweht werden. Es ist extrem ungemütlich, die gefühlte Temperatur sinkt locker um 10° und lange Rumstehen ist hier nicht fein, weswegen wir zügig entscheiden, unseren Weg fortzusetzen und über den Ostgrat hinunter zu steigen. Als eine Stelle vorbeikommt, an der der Wind nicht ganz so stark reinpfeift, essen und trinken wir schnell was und ich ziehe mir die dicksten Handschuhe an, die ich in meinem Rucksack finden kann, denn vom Steig auf der anderen Seite sind meine Leder-Windstopper-soll-eigentlich-Finger-warm-halten-Dinger feucht und eise kalt. Weiter unten beobachten wir, wie einige Grüppchen (ja, die haben uns alle auf dem Weg nach oben überholt, deprimierend) an einem Steinmanndl auf dem Grat nach links abbiegen. Das merken wir uns. Einer kommt noch von oben an uns vorbeigerannt, von dem ich erst was mitbekomme, als er schon neben mir ist. In Tourenskistiefeln auf Steigeisen mit zwei Stöcken macht er mehr oder weniger im Laufschritt an uns vorbei und ich staune mal wieder, wie manche drauf sind. In der Ferne am westlichen Himmel zeichnet sich indes unverkennbar eine herannahende Schlechtwetterfront ab. Die war auch genauso angekündigt. Unter anderem deswegen lassen wir den Abstecher zum Bernadeinkopf aus und folgen unmittelbar dem Schild hinab in Richtung Schöngänge. Weil wir uns bereits fast auf Augenhöhe mit der Bergstation Osterfelderkopf befinden wird mir klar, dass wir unten angekommen mal schauen müssen, wohin wir dann weiter gehen. Soweit sind wir aber noch nicht, denn auf den nächsten Abstiegsmetern müsste die wilde Eisstelle mit Überhang auf uns warten, wie es unser Parkplatz-Mate prophezeit hat und ich bin schon ein bisschen gespannt, was uns erwartet. Es ist auf jeden Fall relativ steil mit sehr hohen Stufen im festen Schnee, was anstrengend ist und gerade noch so vorwärts geht. Erinnert ein wenig ans Eisleitl am Großglockner. Kurze Zeit später ist es dann soweit. Astrid klettert als erste eine Stelle ab, die mit etwas Blankeis überzogen ist. Wie erwartet, ist von einem Überhang oder einer abdrängenden Stelle keine Spur. Es ist einfach nur vereist und geht über eine kleine Kante mit einem oder zwei Eisenbügeln hinab, was aber mit Steigeisen kein Problem darstellt, sofern bekannt ist, wie das mit den Frontalzacken funktioniert. Thomas, der das bisher noch nie gemacht hat, koordinativ aber bestens drauf ist, leiteten wir ein wenig an und es gab überhaupt keine Probleme. 3-4 Tritte tiefer ist die Stelle bereits Geschichte. Auch hier hatten wir nicht das Bedürfnis, in irgendeiner Art und Weise eine Sicherung verwenden zu müssen. Das Seil blieb im Rucksack. Ja und dann war’s das im Grunde schon. Noch eine kurze Querung auf schmalem Pfad in steilem Gelände, ein kurzer Abstieg auf die Piste, die vom Osterfelderkopf runterzieht und fertig. Also fast. Von hier gibt es 3 Möglichkeiten, die Tour abzuschließen. Entweder frau läuft zur Hochalm und fährt von dort mit der Bahn auf den Osterfelderkopf, oder sie läuft weiter runter zur Kreuzeckalm und fährt von dort gleich hinunter oder, und dazu entschieden wir uns, sie steigt wieder zu Fuß zum Osterfelderkopf etwa 150 Höhenmeter auf, um von dort mit der Seilbahn hinunter zu gleiten. Der erneute Anstieg tut ein bisschen weh, zumal meine neuen Bergstiefel mich eh schon vom ersten Schritt an piesackten, weit ist es jedoch nicht. Nur etwas nervig. Meinen Füßen geht es relativ gut, das Problem mit den Schuhen ist der Schaft, der auf beiden Seiten ordentliche Druckstellen hinterlassen hat. Da muss ich mal schauen, wie ich das löse. Etwa eine Viertelstunde später sind wir an der Bergstation zurück, wo wir abschließend noch einkehren, um ein Gipfelbier zu nehmen. Mit dem Eintreffen am Osterfelderkopf beginnt es zu schneien, es ist etwa 13Uhr, die Alpspitze verschwindet in den Wolken und es wird noch ein bisschen ungemütlicher draußen. Alles richtig gemacht. Inklusive aller Pausen und Umrüstzeiten sind wir wenig mehr als 4 Stunden unterwegs gewesen. Mit dem kleinen Gegenanstieg am Schluss kommen wir auf etwas mehr als 800 Höhenmeter. Für die, die es interessiert.

Mir hat die Runde gut gefallen und ich bin froh, dass wir diese Gelegenheit nutzen konnten, um unter diesen nicht ganz alltäglichen Bedingungen nochmal auf unseren „ersten Berg“ zu steigen. Jetzt schau mer mal, wie das mit dem Schnee diesen Winter weitergeht. Ich habe das Gefühl, dass mit Skitouren nicht so viel sein wird. Zumindest nicht ohne längere Anfahrten. Doch es ist ja noch nicht aller Tage Abend. Fingers crossed.

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