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Rubihorn, 1952m, 13.11.2021

Da der Samstag laut Wetterbericht noch der bessere Tag zu sein scheint und es erst am späteren Nachmittag zu regnen beginnen könnte, brechen wir nicht zu spät auf zum Rubihorn. Der Berg soll es nämlich werden. Im Netz gab's aktuelle Bilder von der Woche davor. Schnee wird's haben. So spätestens ab 1500m. Also die neuen Bergstiefel mit Gamasche eingepackt und Steigeisen. Schadet in dieser Jahreszeit nicht. Eine Spur müsste getreten sein. Neuschnee gab es keinen mehr. Die erste Überlegung, entweder von Reichenbach über den Gaisalpsee rauf und wieder runter oder von der Nebelhornbahn-Talstation in Oberstdorf aus hoch und wieder runter, kippten wir zugunsten eines Rundweges. Finde ich persönlich immer ein bisschen netter, wenn nicht der gleiche Weg wieder runtergestapft werden muss. Also starten wir in Oberstdorf ganz in der Nähe der Skisprungschanzen, wackeln dem Tobelweg, einem geologischen Lehr- und Wanderpfad, nach und biegen kurz vor der Mittelstation der Seilbahn links ab in Richtung Roßbichl. Der obere Rand meiner neuen Bergstiefel drückt unangenehm. Ich entscheide mich dazu, die Schuhe oben rum ganz offen zu lassen. Der Fuß wird von einem Boa-Schnürsystem gehalten, was völlig ausreicht, weil die Dinger einfach so super gut passen. Ein einziger Mensch läuft ein kurzes Stück hinter uns her. Ansonsten sind wir völlig alleine. Hätte ich nicht gedacht. Der Wanderweg aufs Rubihorn ist eigentlich sehr beliebt. Obwohl wir uns nicht beeilen, weil es auch einfach nicht nötig ist, haben wir nach etwas mehr als der ersten Stunde bereits die Hälfte der Höhenmeter geschafft. Kurze Pause irgendwo knapp oberhalb des Roßbichls. Ich sortiere nochmal meine doppellagigen Socken. Hab's geschafft, ne Falte einzubauen, was auf Dauer bisschen blöd werden kann. Der südwestliche Anstieg ist komplett schneefrei. Deswegen geht es auch etwas zügiger. Kurz nach der Pause steigen wir einen Weg mit scheinbar endlosen Spitzkehren rauf. Auf ihm erreichen wir den Grat zwischen Gaisaplhorn und Rubihorn. Ein Bergläufer kommt uns entgegen. Der zweite Mensch heute. Vom Grat aus, auf dem wir links zum Gipfel des Rubihorns abbiegen, sehen wir, dass von der anderen Seite schon ein paar Menschen mehr raufkommen. Aber immer noch alles sehr überschaubar. Auf dem Grat verläuft im Wesentlichen ein Wanderweg. Ab und zu müssen mal die Hände mit ran und es gibt ein paar Seilversicherungen. Alles in allem aber nicht schwierig. Auf der Nordostseite liegt dann schon noch ein bisschen Schnee. Im Abstieg werden wir da nicht drum herum kommen. Die relativ warmen Temperaturen sorgen jedoch dafür, dass die ausgetretene Spur nicht vereist ist. Gut so. Die Steigeisen können im Rucksack bleiben. Am Abzweig vorbei, wo die Spur vom Gaisalpsee hinauf kommt, erreichen wir schnell den Gipfel. Im wahrsten Sinne des Wortes. Mit der kleinen Pause am Roßbichl brauchen wir zu meiner Überraschung nur 2:45h für etwa 1150 Höhenmeter. Mit entspanntem Grinsen im Gesicht und ohne Schmerzen im Knie. Hätte ich anders erwartet. Aber gut. Der schwierige Teil für die Sehne kommt natürlich erst noch.

Am Gipfel sind ein paar Menschen. Was ich allerdings nicht verstehe und was mir woanders auch immer mal wieder auffällt, die Leute bleiben unmittelbar am Kreuz -sofern vorhanden- stehen oder sitzen für ihre Rast. Mitten im Wind sogar. Mal abgesehen davon, dass ein Gipfelfoto mit fremden Menschen drauf unmöglich wird, so ist es doch auch einfach ungemütlich. 3 Kerle. Vielleicht liegt's auch am Testo. Wir verkrümeln uns auf jeden Fall aus Wind und Menschentraube, um was rein zu werfen und was zu trinken. Lange halten wir uns nicht auf. Der Hochvogel ist von seiner imposanten Seite zu sehen. Dort stand ich eine Woche vor meinem Sehnenriss oben drauf. Mitte Juni bei sehr winterlichen Verhältnissen. Wie dem auch sei. Aus Südwest ist das anrollende schlechte Wetter nicht mehr weg zu diskutieren. Ich ahne da schon, dass der Regen uns früher beglücken wird als am späten Nachmittag. Zeit zu gehen. Der Abstieg über den Gaisalpsee ist von der Strecke her mehr als doppelt so lang, da wir ab der unteren Richteralpe den ganzen Wallrafweg zurück nach Oberstdorf tappen müssen. Der Name des Weges hat nichts mit dem investigativen Journalisten Günter Wallraff zu tun -manchen vielleicht bekannt durch sein Buch "Ganz unten"-, der mir zuerst in den Sinn gekommen ist, sondern trägt den Namen seines Stifters, dem Reichtagspräsidenten und Oberbürgermeister von Köln Max Wallraf. Der war wohl immer mal wieder auf Urlaub in Oberstdorf.
Das etwas steilere Stück vom Grat runter in Richtung Gaisalpsee ist schneefrei und läuft ganz gut. Um den See herum gibt's a bisserl Matsche. Aber kein Eis. Ich merke, dass mein Knie das Bergabgehen nicht so mag. Ist aber alles noch im grünen Bereich. "Beinachsentraining" geht mir mantramäßig durch den Kopf. Nette Gegend. Wir haben immer mal wieder Gelegenheit, in die Nordwand des Rubihorns rein zu schauen. Das hätten wir auch noch offen. Dazu muss es aber gut gefroren sein. Letzten Winter hatten wir schonmal recherchiert, ob wir das alleine gehen könnten. Mmmhhh.... schaut eher nicht so aus. Zwar angeblich nicht so schwierig. Doch es muss so gut wie alles selbst abgesichert werden inklusive der Standplätze und die Orientierung ist in der Wand mangels Übersicht möglicherweise auch nicht so einfach. Mal schaun. Vielleicht mit einheimischem Bergführer.

Hinterm Gaisalpsee wird es in einigen Passagen etwas steiler. Teilweise mit Seilversicherungen. Als wir da durch sind und schon fast 800 Höhenmeter Abstieg geschafft haben, setzen wir uns nochmal kurz für eine Rast hin. Es ist kaum halb zwei. Und da fallen dann die ersten wenigen Regentropfen. Anfangs noch so, dass wir denken, geht noch ohne Hardshell. Doch kurz vor der unteren Richteralpe plätschert es dann richtig. Blöd. Angeblich noch zwei Stunden bis zum Auto. Sagt ein Schild. Huift ois nix. Jacke an und weitergehen. In Gedanken bin ich bei meiner superteuren Hardshell eines kanadischen Herstellers. Keine 10 Minuten dauert es, bis die 750€-Jacke die Plörre durchlässt. Die hatte ich eigentlich nur mitgenommen, weil ich nicht so früh mit Regen rechnete, um meine aktuelle Hochtourenjacke zu schonen. Ähnliche Erfahrungen hatte ich in der Vergangenheit schon mit dem Premium-Modell eines bekannten Schweizer Herstellers gemacht. Das Ding hatte ich fünf Mal umgetauscht. Seitdem ich in beiden Modellen mehrfach in Minuten bis auf die Haut nass geworden bin, bin ich geheilt, so viel Knete in bestenfalls mittelmäßige Ausrüstung zu stecken. Ich kann es nun nicht ändern. Nass bis auf die Knochen ist so lange in Ordnung, wie frau in Bewegung bleibt. Laut Karte soll dieser Wallraf-Weg mehr oder weniger konstant von der Gaisalpe in Richtung Oberstdorf abfallen. Ist aber nicht so. Wir steigen nochmal fast 150m rauf bevor es dann endlich bergab zum Ziel geht. Normalerweise hätte mich das nicht angehoben. Doch nass, kalt, Regen, lädiertes Knie und mehrere Kilometer lang vor mich hin wackeln müssen, drückten etwas auf meine Motivation. Ich murmele entsprechend mürrisch vor mich hin. Eine 10-Sekunden-Therapie mit Astrid genügt, mich wieder auf den Boden zu bringen. Wir dürfen hier in unserer knappen gemeinsamen Freizeit nach freier Wahl die wunderschöne Umgebung genießen und haben eine feine Bergtour als Rundweg ausgesucht. Heute halt mal mit Regen. Ist nur Wasser. Und dann kommen auch schon die Skisprungschanzen ins Blickfeld. Ehe wir uns versehen, sind wir am Auto zurück. Weil es immer noch schüttet, legen wir uns im Auto trocken, bevor wir den Heimweg antreten. Den Tag schließen wir im Stammgasthof bei lebensrettendem Cordon bleu und Gipfelbier ab. Passt.

Es gibt noch etwas Gutes zu berichten. Seit ein paar Jahren piesackt mich ein kleiner Knochen in meiner linken Mittelfußsehne (Painful Os Peroneum Syndrom (POPS)). Spätestens im Abstieg war das immer nervig. Dieses Mal ist überraschenderweise nix passiert. Erst als Astrid mich weit unten auf dem Rückweg fragte, wie es eigentlich meinem linken Fuß ginge, stellte ich fest, dass er gar nicht weh tut. Ob das an den neuen Stiefeln liegt? Ich hoffe es. Wäre ein Problem weniger.

P.S.: Sorry, Susi. Beim nächsten Mal melden wir uns wieder. Versprochen.

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