Säuling, 2047m, 09.01.2021, Winterbesteigung
Der um die Weihnachtsfeiertage gefallene Neuschnee brachte uns dazu, in der steilen Passage auf der deutschen Seite des Säulings kurz vor der Gemswiese abzubrechen. Lockerer, unverbundener Neuschnee auf gefrorenem Gras. 40° steil. In Rinnen teilweise fast bis zur Hüfte hoch. Die Lawinenwarnstufe laut bayerischem Warndienst war unter diesen Bedingungen auf 3. Eine vorhandene Spur bestand aus Trial and Error einer Zweiergruppe vor uns, die wir in dem steilen Stück einholten. Das Risiko bestand nicht darin, von einer spontanen Lawine mitgenommen und verschüttet zu werden, sondern einfach darin, dass frau haltlos abstürzen würde, wenn sich was löst. Andere Gruppen nahmen diese Gefahr offensichtlich nicht wahr. Oder sie schätzten das Risiko anders ein. Keine Ahnung. Wie dicht frau dran gewesen ist, weiß sie erst, wenn sie unten liegt.
Ein paar Tage später sah die Welt ganz anders aus. Es schneite erneut, doch der alte Schnee hat sich gesetzt und verbunden. Unmittelbar nach Neujahr sind einige Menschen auf dem Gipfel gewesen, wie in einschlägigen Gruppen in den sozialen Medien leicht zu finden war. Und so brachen wir zu einem neuen Versuch auf. Wieder mit dabei unser lieber Nachbar Thomas, wie beim ersten Versuch. Früh dran sein lohnt sich. Die Parkplätze um die Königsschlösser in Schwangau sind begrenzt. Morgens um 8 Uhr gehen wir los. Wie zuvor ist es kalt. So um die -13°C. Diese trockene Kälte lässt sich jedoch besser ertragen, als nasse 0° im Schneeregen. Stabiles, sonniges Wetter ist vorhergesagt, was allerdings auf der Nordseite für die Tagestemperaturen kaum eine Rolle spielt. Die Sonne sehen wir erst als wir die Gemswiese kurz vor dem Gipfel erreichen. Mit dabei sind ein paar beheizbare Socken, die ich mir nach etwas Recherche zugelegt hatte. Ein erster Test. Auf praktisch jeder Tour im Winter und auf Hochtour im Sommer kämpfe ich mit halberfrorenen und gefühllosen Zehen. Nicht angenehm. Bisher konnte ich das Problem mit nichts sinnvoll lösen. Ich bin gespannt. Zum Start lasse ich die Dinger noch aus. Als nach den ersten rund 300 Höhenmetern die Kälte langsam in die Schuhe kriecht, schalte ich ein. Kleinste Stufe. Strom ist begrenzt.
Von der deutschen Seite am Schloß Neuschwanstein vorbei sind einige Kilometer auf Straßen und Forstwegen zurück zu legen. Nicht besonders attraktiv, aber ein notwendiges Übel. Wir begegnenen 2-3 Pärchen, die offensichtlich das gleiche Ziel haben. Leicht daran zu erkennen, dass sicherheitshalber ein Eispickel am Rucksack hängt, wie bei uns. Während unseres ersten Versuchs hat er uns auch gute Dienste geleistet. Als wir vom letzten Stück Forstweg auf den Wanderweg abbiegen, finden wir eine gut getretene und feste Spur im Schnee vor. Die bleibt auch so. Der Weg lässt sich viel besser gehen, als beim letzten Mal. An der Wildsulzhütte ist etwa die Hälfte der gut 1200 Höhenmeter geschafft. Ob der bis dorthin benötigten Zeit bin ich überrascht. Wir sind nicht wirklich zügig gegangen. Trotzdem ist nur wenig mehr als eine Stunde vergangen. Wir essen und trinken kurz was. Es folgt ein kurzer steilerer Aufstieg an den sich eine Querung anschließt, die zum Abzweig zur Gemswiese führt. An der Stelle wechselten wir das letzte Mal von Grödel auf Steigeisen. Dieses Mal war das nicht nötig. Die erste versicherte Passage geht problemlos mit Grödel. Der Schnee ist fest und gibt guten Halt. Die Steilheit bremst ein wenig das Tempo. Wir kommen an unserer Umkehrstelle auf knapp 1800m vorbei. Es ist nach wie vor eine gute Spur getreten. Als wir die nächste versicherte Passage erreichen, entschließen wir uns dazu, auf die Steigeisen zu wechseln. Die Grödel bieten keinen Seitenhalt. Zudem kann ich mit den Frontalzacken an den Steigeisen kleine Felsvorsprünge als Tritte benutzen. Macht die Sache einfacher und sicherer.
Meinen Füßen ist kalt. Die Heizung in den Socken bringt nicht das, was ich erwartete. Über die App, mit der ich die Heizstufe steuern kann, finde ich außerdem heraus, dass bereits nach wenig mehr als 2 Stunden auf kleinster Stufe die Akkus zur Hälfte leer geworden sind. Mmmmhhhh.... Die Marketingfolie des Herstellers hat da was ganz anderes versprochen. Ich drehe trotzdem eine Stufe weiter hoch. Schmerzen sind doof.
Wir erreichen die Gemswiese. Ein letzter kurzer Anstieg führt uns von dort auf den Gipfel. Die Pärchen, denen wir umschlägig immer mal wieder begegenten, sind entweder schon da oder treffen kurz nach uns ein. Insgesamt sind 6 weitere Menschen mit uns am Gipfel. Platz ist genug. Wir sitzen oder stehen alle weit auseinander. Erstmal trocken legen. Ein zarter Wind lässt die gefühlte Temperatur sinken. Die ist nicht mehr weit von -20°C entfernt. Ich ziehe fast alles an, was der Rucksack zu bieten hat. Wir wollen kurz verweilen, was essen und natürlich in der Gegend rumschauen. So viele neue Ziele sind zu sehen. Das Gefühl weicht aus meinen Zehen.
Für den Abstieg schnüre ich die Schuhe wie üblich etwas fester. Sonst würde ich permanent mit den Zehen vorne anstoßen, ohne es zu merken. Das brachte mir in der Vergangenheit schonmal blutige Blasen an den Zehenspitzen ein.
Der Abstiegsweg ist mit dem Aufstieg identisch. Wir bleiben auf den Steigeisen, bis wir das ganz steile Stück geschafft und die unterste versicherte Passage mit einer kleinen Eisenleiter hinter uns gelassen haben. Den Eispickel brauchen wir hingegen nicht. Der Blick auf die Socken-App verrät, dass die Akkus fast alle sind. Priml. Ich drehe die Heizung kleiner. Immerhin habe ich wieder ein klein wenig Gefühl in den Zehen. Auf dem weiteren Abstieg merke ich plötzlich, dass ganz langsam von der Ferse nach vorne zu den Zehen die Wärme zurück kehrt. Ob das jedoch mit der Bewegung oder den Heizsocken zu tun hat, kann ich natürlich nicht unterscheiden. Mein Bauch sagt, es kommt von der Bewegung.
An der Wildsulzhütte werfen wir nochmal einen Snack rein und genehmigen uns warmen Tee bevor kurz darauf der Forstweg beginnt. Ab hier ist einfach Durchhalten angesagt. Wir quatschen viel, was die Sache kurzweiliger macht. Wie beim letzten Mal, begegnen uns immer mehr Menschen, je weiter wir runter kommen. In dicken Trauben gehen sie zusammen. Niemand trägt Maske. Jau, so geht das, wenn wir weiter eingeschränkt sein und Corona haben wollen. Wir ziehen unsere Schlauchschals über die Nase und versuchen, den vielen Menschen nicht zu nahe zu kommen. Eigentlich besteht im gesamten Bereich um das Schloß herum Maskenpflicht, wie unübersehbar angeschlagen ist. Hält sich halt kaum jemand dran. Und es stört auch offensichtlich niemanden.
Nach brutto etwa 6h sind wir am Auto zurück. Eine feine Tour. 1240 Höhenmeter rauf und wieder runter in netto etwa 5 Stunden. Ohne zu hetzen. Ich finde, unser Corona-bedingt sehr beständiges Ausdauertraining trägt Früchte. Die Akkus der Heizsocken sind inzwischen alle. Allerdings hat mir der weitere Abstieg dann doch halbwegs warme Füße verschafft. Ich hadere mit mir, ob die enorme Investition ihr Geld wert ist. Mein Bauch sagt eindeutig nein. Mein Gehirn sagt, mit den nun bekannten Einschränkungen könnte es zumindest für das Radfahren im Winter taugen. Oder für kurze eintägige Touren kleiner 5 Stunden. Ist aber eigentlich ein trauriges Bild für dieses teure Produkt. Versprochen werden auf kleiner Stufe mindestens 10-14 Stunden Wärme. Vielleicht setze ich mich mal mit dem Hersteller in Kontakt.
Wie dem auch sei. Den Säuling im Winter zu machen, war cool. Es gibt weitere Kandidaten, die zwar kein Ersatz für Skitouren sind, aber wenigstens einen gewissen Anspruch bieten.
Anmerkung: Auf einer kleinen Tour am Folgetag zog ich meine Kompressionssocken an, um unter ähnlichen Bedingungen herauszufinden, ob die Heizsocken nicht vielleicht doch einen Unterschied gebracht haben. Nein, haben sie nicht.