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Überschreitung Geierköpfe von Ost nach West, 2164m, 12.06.2022

Ich weiß gar nicht mehr, wie lange es schon her ist, als wir das erste Mal vom Graswangtal aus auf den östlichen Geierkopf gestiegen sind. Lang. Damals wollten wir bereits die Überschreitung angehen, doch nach Erreichen des ersten Gipfels war die Luft schon raus. Nach kaum 1000 Höhenmetern. Wie gesagt, ist schon lange her. Aus heutiger Sicht die richtige Entscheidung, dass wir umdrehten und wieder runtergingen.
Einen weiteren Anlauf unternahmen wir etwas später als wir am Westgipfel starten wollten. Doch auch bei dieser Tour entschieden wir uns fürs Abbrechen. Das Wetter spielte nicht mit. Und wenn ich ehrlich bin, auch unsere Kondition nicht. An diesem Tag trafen wir auf dieser recht prominenten Tour zum Westgipfel niemanden. So gute Bedingungen herrschten.
Doch dann haben wir zwei Wochen zuvor die Ammergauer Kreuzspitze über den Kuchelberggrat bestiegen, was konditionell soweit ganz gut funktionierte. Beide Touren sind lang und anstrengend. Aber es geht. Wir können das. So entschieden wir, dass wir es ein drittes Mal angehen wollen. Start soll wieder der Parkplatz im Graswangtal an der Österreichischen Grenze zwischen Linderhof und Hotel Ammerwald sein. Erstes Ziel der Tour ist demzufolge der Ostgipfel. Einen warmen Tag haben wir uns ausgesucht. Wohl einer der wärmsten bisher in diesem Jahr. Weil wir das schon vor dem Losgehen wussten, packten wir statt der Steigeisen eine dritte Flasche zu Trinken ein.

Als wir am Parkplatz ankommen, ergattern wir mit allen Augen zu den letzten Platz. Hier beginnt nämlich auch der beliebteste Anstieg auf die Ammergauer Kreuzspitze. Deswegen ist der kleine Platz schnell voll. Dieses Mal haben wir die Räder zu Hause gelassen. Der Weg beginnt zunächst damit, dass frau ein ganzes Stück im Bachbett des Neualmbaches zurücklegt. Es handelt sich um ein breites, kiesiges Bachbett, das weitgehend trocken ist um diese Jahreszeit und erst an dessen Ende zweigt ein kleiner Pfad nach rechts in den Wald ab. Ein gelber Wegweiser steht etwas oberhalb des Bachbettes im beginnenden Wald. Ab da geht’s recht steil die ersten knapp 400 Höhenmeter aufwärts. Größere Stufen überwiegend aus Wurzeln gilt es zu übersteigen. Irgendwie ist es mit der Motivation etwas verhalten. Ich habe das Gefühl, wir kommen nicht recht voran. Sonst schaffen wir im Ausdauerbereich gute 500-550 Höhenmeter pro Stunde, aber heute, vielleicht auch dem überraschend langen Weg durchs Bachbett geschuldet, haben wir nach einer Stunde gerade mal 350 geschafft. Fühlt sich wenig an, gerade unter der Prämisse, dass es in Summe später um die 1500 sein werden. An einem Baum mit Schild dran, Marterl auf den Gamsschutz, pausieren wir kurz. Wir wollen heute konsequent meinen Krampfneigungen entgegenwirken, die mich auf der letzten Tour zur Kreuzspitze quälten. Aus Erfahrung wissen wir, dass nur genug Essen und Trinken und kurze Pausen helfen, um das im Griff zu behalten oder vielleicht sogar zu vermeiden.

Etwa 100 Höhenmeter weiter oben steigt der Weg nicht mehr an sondern quert ein gutes Stück den Hang mit mehreren kleinen Aufs und Abs, 2-3 kleine Bächlein müssen überstiegen werden, zwei kurze seilversicherte Abschnitte kommen vorbei. Ich werde ein wenig ungeduldig. Wann geht’s endlich wieder bergauf? Ich will ja irgendwann wenigstens am Ostgipfel ankommen. Versteckt im Wald liegt die Neualpe, die wir nun passieren und danach steigt der Weg auch wieder an. Das nächste Höhenmeterpaket durch kleine Almwiesen schließt sich an bis wir eine unbeschilderte Gabelung erreichen. Die Karte verrät, dass es rechts zu den Geierköpfen weitergeht und sich linker Hand der Zustieg zum Südgrat der Ammergauer Kreuzspitze fortsetzt. Wir bleiben rechts und erreichen kurze Zeit später einen Sattel auf dem sogar ein gelber Wegweiser steht. Hier holt uns eine 4er Gruppe ein, deren Aussehen darauf schließen lässt, dass sie ebenfalls die Überschreitung machen wollen, denn einer hat bereits auf dem Wanderweg hinauf einen leuchtend orangefarbenen Kletterhelm auf der Birne. Schaut ein wenig merkwürdig aus, obwohl Astrid und ich uns bei dem Anblick fragen, ob wir zu fahrlässig unterwegs sind, wenn wir bei sowas, wie schon zwei Wochen zuvor auf der Kreuzspitze, keinen Helm dabei haben. Die Gruppe scheint zügig unterwegs zu sein, doch ich gewinne den Eindruck, dass sie nicht so ganz genau wissen, wo sie nun wegslos zum Ostgipfel abzweigen sollen. 2,5h bis zum westlichen Geierkopf auf dem Weg 243 steht auf dem erwähnten Schild drauf. Nun, den nehmen wir nur noch ein kleines Stück bis wir aus einem Latschenfeld hinaustreten und der Blick auf den baum- und latschenfreien Hang hinauf zum Ostgipfel erscheint. An einer geeigneten Stelle beginnen wir damit, den Hang hinauf zu steigen. Ein Wanderweg führt da komischerweise nicht hinauf, obwohl die Überschreitung recht häufig für dortige Verhältnisse begangen wird. Die 4er Gruppe verlieren wir vorerst aus den Augen. Sie entschieden sich dafür, auf dem Grat durch die Latschen zu staksen.

Knapp 200 Höhenmeter steigen wir derweil über Stufen, die die Gämsen im Hang hinterlassen haben, den recht steilen Hang hinauf, was ganz gut geht. Hier braucht’s ein wenig Geduld und ein paar Schweißtropfen. Dann stehen wir am Gipfel. Etappenziel #1 ist erreicht. Etwa 3h benötigten wir bis hierhin und obwohl wir zwischendurch ein kleines Motivationsloch überwinden mussten, fühle ich mich jetzt gut und bin voller Tatendrang, den Grat über den Mittelgipfel zum Westgipfel hin anzugehen. Hier beginnt das eigentliche Abenteuer erst. Doch bevor wir loshirschen, setzen wir uns erstmal, genießen den Moment und erspähen die 4er Gruppe wieder, die jetzt doch den Hang etwas weiter westlich hochkommt. Ansonsten sind wir alleine hier und das ist sehr schön. Der Himmel ist klar, die Sonne scheint, es geht kaum Wind. Es wird heiß werden, denn oberhalb der Baumgrenze auf einem Grat gibt es fast keinen Schatten. Wohlweislich haben wir heute fast doppelt so viel zu trinken im Rucksack als sonst.
Die 4er Gruppe, die inzwischen am Grat angekommen ist, entscheidet sich dazu, wieder ein kleines Stück nach Osten zu gehen, um den Ostgipfel mitzunehmen. Wir begegnen ihnen auf halben Weg, schnacken ein wenig und gehen dann weiter in Richtung Mittelgipfel. Auf diesem Stück liegen die Kernschwierigkeiten und sie beginnen etwa ab der Hälfte gleich mit der Schlüsselstelle. Wir packen die Wanderstöcke an den Rucksack, denn ab jetzt müssen die Hände mit ran. Es geht ein paar Meter eine schmale Rinne hinunter. Das untere Ende dieser Rinne gibt den Blick bis fast auf die Straße durchs Graswangtal etwa 1000m tiefer frei. Ich schätze die Schwierigkeiten auf etwa den II. Grat ein, also für versierte Gämsen eigentlich keine Herausforderung. Doch das Gestein ist, wie in den Ammergauern üblich, meist bröselig und lose. Jeder Griff und jeder Tritt muss geprüft werden. Ein Ausbruch führt hier sehr schnell zum Absturz. Also Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Unten angekommen, steigt frau auf einen kleinen, schmalen Verbindungssteg, der den Übergang zu der folgenden Kletterstelle bildet, bei der es wieder ein paar Meter nach oben geht. Ebenfalls nicht schwierig, maximal der obere II. Grat, aber ausgesetzt. Es folgen mehrere leichte Kletterstellen, deren Schwierigkeiten fast ausschließlich darin bestehen, dass es auf feinem Splitt sehr rutschig ist und so gut wie alles droht auseinander zu brechen, wenn frau Hand anlegt.
Eine höhere Felsnase wird von hier aus links umgangen, Trittspuren und Steinmanndl zeigen den Weg. Direkt hinter der Felsnase steigt frau wieder auf den Grat hinauf, wo sich der Anstieg zum Mittelgipfel anschließt. Noch eine Kletterstelle im II. Grat, ein paar Meter Pfad und wir stehen am Mittelgipfel. Alleine. Superschön. Wir waren mit 1:15h etwas länger unterwegs bis hier hin, als die einschlägigen Beschreibungen angeben, doch das ist Wurscht. Wir haben Zeit, das Wetter ist stabil, es ist lange hell und im Rucksack ist noch reichlich zu futtern und zu trinken. Wir rasten kurz, machen Fotos und steigen dann erneut einen steilen, rutschigen Pfad in den Sattel zum Westgipfel hinunter. Das ist nochmal ein wenig heikel, danach geht’s aber auf einem Wanderpfad weiter und wir erreichen relativ schnell den letzten Gipfel. Damit ist die Überschreitung geschafft. Vom Ost- bis zum Westgipfel benötigten wir rund 2h. Am Gipfel verschnaufen wir ein paar Minuten. Es folgt der lange Rückweg, der uns zunächst hinunter ins Kreuzjöchl führt, wo wir auf dem Weg 243 treffen und dem wir zurück nach Osten folgen. Auf dem Wanderweg laufen wir die gesamte Strecke im Hang wieder zurück, vorbei am Mittelgipfel, an den Kletterstellen und dem Ostgipfel. Unterwegs füllen wir sicherheitshalber eine unserer Trinkflaschen mit einer kleinen Wasserreserve an einem fließenden Bächlein, dass nur wenige Meter über uns entspringt. Da hier kein Weidebetrieb ist und das Wasser nicht in der Sonne steht, hatte ich da wenig Bedenken. Es ist heiß, die Sonne brennt immer noch, obwohl wir uns dem späten Nachmittag nähern. Zurück am Sattel mit dem Schild setzen wir uns noch kurz in den Schatten, um mal den Beinen und Füßen eine kurze Pause zu gönnen. In den neuen Schuhen lief’s eigentlich ganz gut, doch Blasen werden nicht ausbleiben. Dieses Mal an ganz neuen Stellen, wo ich sonst keine Probleme habe.

Wir raffen uns auf für das letzte Stück mit rund 700 Höhenmetern Abstieg. Am Baum mit dem Marterl halten wir das letzte Mal für einen Schluck zu trinken und erreichen danach relativ schnell das ausgetrocknete Bachbett auf dem wir in der Früh hochgekommen sind. Mein linker Fuß hat keine Lust mehr und ein wenig umständlich tappse ich durch den losen Kiesel, um die Stellen mit den Blasen nicht unnötig zu belasten, was mir jedoch nur ansatzweise gelingt. Egal. Kurz darauf erreichen wir den Parkplatz, von dem aus wir morgens gestartet sind. Die meisten Autos sind weg. Unseres ist zum Glück noch da, allerdings schaut’s ein wenig merkwürdig aus. Bei näherem Hinsehen stellen wir fest, dass fasst die gesamte Oberfläche von Wildbienen belagert ist. So etwas haben wir noch nicht gesehen. Ganz lieb vertreiben wir einige von der Fahrerinnentür, Astrid springt rein und parkt um, doch ich sehe schon als sie losfährt, dass der gesamte Schwarm Bienen einfach folgt und sich sofort wieder auf der Karosserie niederlässt. Tja, reicht wohl nicht. Ich vertreibe wieder ein paar von den Türen, werfe die Rucksäcke und die Stöcke rein und wir beschließen, für’s Umziehen einen anderen Parkplatz anzusteuern. Das gelingt dann zwar was die Bienen angeht. Dafür gibt’s am neuen Parkplatz dicke Bremsen. Schnell aus den nassen Sachen raus, in trockene rein und keine Sekunde länger bleiben als unbedingt nötig.

Ein echter Klassiker geht damit zu Ende. Mit allen Pausen waren wir etwa 9,5 Stunden unterwegs bei moderater Geschwindigkeit. Ist schon lang, hat sich aber gelohnt.

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