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Sustenhorn, 3501m, 23.-24.8.2020

Wie bereits im Text zur Besteigung des Wörners beschrieben, entschieden meine Frau und ich für dieses Wochenende die Tour zum Finsteraarhorn nicht zu unternehmen. Zu unsicher erschienen uns die Prognosen das Wetter betreffend. Also zumindest mir erschienen sie als zu instabil. Die Schneefallgrenze sollte samstags unter 3000m fallen, was die Bedingungen am Gipfelgrat ab Hugisattel sicher nicht begünstigt. Zu aufwändig, zu teuer und zu risikobehaftet um zu experimentieren. Machen kann frau nix, außer neue Pläne schmieden, die mit dem Wetter kompatibel sind. Ziele gibt es ja bekanntlich genug. So nutzten wir den Freitag für eine Besteigung des Wörners im Karwendel. Eine Tour, die seit etwa 2 Jahren auf der Wunschliste steht. Den Schlechtwettersamstag klammerten wir für die Berge aus, nutzten diesen allerdings, um ganz liebe Freunde in der Schweiz zu besuchen, die wir lange nicht sahen und sprachen und fuhren sonntags weiter in Richtung Sustenpass. Ausgangspunkt für den Zustieg zur Tierberglihütte ist der Parkplatz Umpol, der vom Steinsee aus auf einer kleinen Privatstraße (moderate Maut, 5 CHF/Tag) erreicht wird. Und so zogen wir die Besteigung des Sustenhorns, die wir eigentlich in der freien Woche im September nach dem Zinalrothorn vor hatten, einfach nach vorne und schoben das Finsteraarhorn auf den freigewordenen Slot. Allein schon wegen des Besuchs der Tierberglihütte freute ich mich auf die Tour. Ob das Wetter gut genug werden wird, um montags zum Gipfel aufzubrechen, ist fraglich. Doch bei diesem Ziel sind wir uns einig, das Risiko einzugehen.

Die Nacht von Samstag auf Sonntag war nicht so wahnsinnig lange und etwas zu tief ins Glas geschaut hatte ich obendrein. Nach dreieinhalb Jahren gab es viel zu erzählen. Dann verquatschen wir uns noch ein wenig beim Frühstück. Bis wir am Startparkplatz eintrudelten, war es später Nachmittag am Sonntag. Ist aber alles noch im grünen Bereich gewesen. Naja, bis auf das Wetter. Erstmal Jacke drüber. Auf 2100m mit tiefhängenden Wolken und max. 10°C musste ich mein Quatschi im Kopf überreden, in die Bergklamotten zu springen. An den Parkplätzen entlang der Privatstraße herrscht reger Betrieb. Auf der Seite der Tierberglihütte hatte ich bereits gelesen, dass an diesem Wochenende eine militärische Übung in der Gegend stattfindet. Telefonisch hatte ich geklärt, dass uns das sehr wahrscheinlich nicht beeinflussen wird. Neben Wohnmobilisten, Wanderern, Kletterern und Ausflüglern waren demnach jede Menge bewaffneter Menschen hier unterwegs. Sah nach deren Erscheinungsbild zunächst eher nach Jägervolk aus, doch bei genauerem Hinsehen, machte ich ausschließlich automatische Waffen aus. Die Reservisten waren offensichtlich zu einer Schießübung geladen. Nahe am Parkplatz war ein Schießstand errichtet worden. Mit Catering und Get Together.

Eine kriegsähnliche Geräuschkulisse im Hintergrund begleitete uns ein ganzes Stück im Aufstieg zur Hütte. Sehr befremdlich. Glücklicherweise endete dieses Szenario gegen 17 Uhr, wie veröffentlicht. Danach herrschte Ruhe. Der Nebel und die Wolken verschluckten sowieso schon fast alle anderen Geräusche außer den Schüssen. Steigt frau zur Tierberglihütte auf, gibt es mehrere Möglichkeiten. Nicht empfohlen ist im Moment der Zustieg über den Steingletscher. Der ist ziemlich spaltig und es gibt wohl mehrere Stellen mit starkem Steinschlagrisiko. Alternativ sind ein Wanderweg oder ein Klettersteig üblich. Um das Klettersteig-Set unten lassen zu können und den schweren Rucksack nicht über den Klettersteig (die ich eh nicht so gerne mag) nach oben schleppen zu müssen, entschließen wir uns dazu, den Wanderweg zu nehmen. Der ist gar nicht so langweilig. Ganz im Gegenteil. Nach oben hin geht der Weg stellenweise in Gekraxel über. Die vom Gletscher geschliffenen Felsen wollen überwunden werden. Insgesamt einer der schönsten Hüttenzustiege, die ich je gemacht habe. Kein anspruchsloser langer Hatscher. Es kommen uns Menschen entgegen, die Gletscherutensilien mit sich tragen. Fein, denke ich, dann waren heute wahrscheinlich welche oben und die Chancen auf eine Spur morgen stehen nicht schlecht. In Anbetracht des vorhergesagten wolkenverhangenen Tages ohne Sonne nicht die schlechteste Information. Dass es sich am Ende doch etwas anders gestaltet, kann ich noch nicht wissen. Der Zustieg ist mit etwa 2 Stunden unten angegeben. Schnaufend, aber ohne uns kaputt zu machen, erreichen wir nach stetigem Aufstieg etwa eine halbe Stunde eher die Hütte. Eine wunderschöne Hütte. Auf 2795m. Sie thront am oberen Ende des Felsriegels, über den wir gerade gekrabbelt sind, am Rand des etwas unterhalb gelegenen Steingletschers. Vor wenigen Jahren wurde saniert. Die Hütte hat bei der Gelegenheit einen neuen Anbau für Material, Schuhe und Toiletten erhalten. Wir kehren ein, laden ab, springen in Hüttenschuhe und melden uns an. Es wurde bereits auf uns gewartet. Kurz vor 18 Uhr ist es schon. Wir hören jedoch kein Gemecker, wie anderenorts schon passiert. Wir werden liebevoll Willkommen geheißen, ich glaube von Sabrina, und in die Gepflogenheiten, Rechte und Pflichten der Hütte eingewiesen. Mein transidentitärer Röntgenblick verrät mir außerdem, dass ich so hier willkommen bin, wie ich bin. Keine Vorbehalte. Kenne ich woanders auch nicht selten anders. Neu und etwas befremdlich finde ich die Regel, dass Rucksäcke im Materialraum bleiben müssen. Was für die Übernachtung benötigt wird, ist ohne Rucksack ins Lager zu bringen. Was auf den ersten Blick merkwürdig erscheint, ist eine kluge Sache. Im Lager ist viel mehr Platz, weil nichts zugestellt werden kann. Das abendliche und morgendliche nervige und machmal schier endlos erscheinende Gekruschtel in den Rucksäcken bleibt aus. Gilt natürlich auch für meine Nase.

Auf Grund unseres späten Erscheinens warten wir nicht lange aufs Nachtessen. Beim Abholen des ersten Bieres lerne ich Gisi kurz kennen. Ebenfalls außerordentlich nett und aufgeschlossen. Ein paar der anderen Gäste sind das leider nicht. Wir grüßen in die Runde als wir den Gastraum betreten und bekommen nur wenig Antwort. Stattdessen ernte ich irritierte und ablehnende Blicke. Das lässt über den Abend und den nächsten Tag auch kaum nach. Ich habe fast das Gefühl, dass man mir aus dem Weg geht. Nahezu amüsant, finde ich, wie manche sich verhalten. Das Team der Hütte kann für ihre Gäste nichts. Wir lassen uns den Aufenthalt davon nicht verderben. Erneut passiert etwas mir völlig unbekanntes. Kurz bevor das Nachtessen serviert wird, ergreift Gisi das Wort in die Runde und Sabrina verteilt kleine Gläschen mit Weißwein. Es handele sich um den Apèro, lerne ich von Gisi. Der wird auf der Tierberglihütte mit allen Gästen zelebiert. Auf anderen Schweizer Berghütten ist das eine Angelegenheit, die sich im Stillen an zurückgezogenem Ort, insbesondere fern von Bergtouristen, ausschließlich zwischen Hüttenwart und den anwesenden Bergführern abspielt. Eine Art Freimaurerkreis der Berge. Zumindest ist das in meiner Wahrnehmung so. Über diese traditionellen Gepflogenheiten setzt sich Gisi offensichtlich hinweg. Spricht für sie, finde ich. Aber vielleicht habe ich auch einfach keine Ahnung von diesen Ritualen. Eine nette Geste ist es auf jeden Fall, die wir hier erleben dürfen. Bei der Gelegenheit spricht sie das Thema Ziel und Tagwache an. Da praktisch alle bis auf ein Pärchen am nächsten Tag aufs Sustenhorn wollen und die Sicht möglicherweise nicht so wahnsinnig gut werden soll, schlägt Gisi 5 Uhr als Frühstückszeit vor. Bis dann alle auf dem Eis sind, wird es schon hell, was eventuell die Wegfindung erleichtert. Alle stimmen zu. Alle Fragen geklärt. Es folgt die Suppe.
Ich komme zu meiner persönlichen Futterqualitätsskala. In meinen letzten Beiträgen ist keine Hütte gut weggekommen, bis auf das Rifugio Ai Caduti dell’Adamello. Fast alle werfen irgendwelches Fertigzeug in ihre Töpfe, deren notwendiger Verzehr mir sehr häufig Blähbäuche und Unwohlsein macht. Gerade auf Schweizer Hütten nach meinem Empfinden Normalität. Dafür wird dann fast der doppelte Preis verlangt, wie der, der auf allen anderen Berghütten in den Alpen üblich ist. Hier werde ich jedoch überrascht und ich lerne, dass es auch anders geht. Sogar auf das Auge, das bekanntlich mitisst, wird geachtet. Die Suppe ist mit einem Klecks Sahne oder Rahm sowie ein paar bunter Blüten garniert. Zudem schmeckt sie richtig lecker und scheint aus frischen Zutaten hergestellt zu sein. Ein Novum. Es gibt sogar einen kleinen Nachschlag. Soweit ich erkennen kann, lässt sich das keiner der Anwesenden entgehen. Es folgt ein kleiner Salat. Einfach aber lecker. Das Dressing scheint ebenfalls nicht aus der Tüte zu kommen. Der Hauptgang besteht aus Nudeln mit Hackfleischsoße. Ich wähle diese Worte bewusst, um darzustellen, dass einfache Gerichte sehr, sehr lecker sein können, ohne dass sie überkandidelt sein müssen. Will sagen, ich liebe einfache Gerichte und erwarte kein Chichi unter den vergleichsweise einfachen Bedingungen. Ich erwarte ein einfaches, aber qualitativ gutes Essen. Das ist alles. Auch hier lässt sich kaum jemand einen kleinen Nachschlag entgehen als er angeboten wird. Den Abschluss bildet eine Vanillecreme, die Gisi wohl schon in der vergangenen Nacht herstellte, so Sabrina. Verziert mit etwas Sahne, einem kleinen Schokostick sowie frischen Pfefferminzblättern. Selten, dass ich mich in dem Umfang der Beschreibung des Essens hingebe. Hier lohnen sich die Worte.

Der Schlafrückstand der letzten Nacht und die Gewissheit, dass die nächste nicht viel länger sein wird, krabbeln wir ziemlich zeitig in unsere Bettchen. In unserem Lager sind nur noch drei andere untergebracht. Einer der Herren mit fortgeschrittenem Alter und Bierbauch sorgt dafür, dass die Nacht noch etwas kürzer wird. Er hat bereits Schnappatmung, als er das Zimmer betritt und beglückt die Anwesenden den Rest der Nacht mit anhaltendem Geschnarche und Gepupse. In diesen Momenten überlege ich manchmal, ob ich zukünftig einfach draußen biwakieren oder gar die Bergsteigerei einfach ganz sein lassen möchte. Fürchterlich. Das Gepupse setzt sich sogar übers Aufstehen morgens hinweg fort und seine Begleiter finden das auch noch amüsant. Merkwürdige Menschen. Ich schäle mich mit kleinen Äuglein aus meinem Sackerl als die drei anderen den Raum verlassen haben. Wir müssen nicht die ersten auf dem Eis sein. Der Plan ist, den Waschraum aufzusuchen, während hoffentlich alle anderen am Frühstückstisch sitzen. Das gelingt auch. Wenige Minuten später sitzen wir ebenfalls im Gastraum. Das Gegaffe und Getuschel geht weiter. Mein dickes Fell stellt sich auf. Ich blende einfach aus. Ich bin mit meiner Lieblingsbergsteigerin hier und wir werden heute erfolgreich zu zweit durch alle Spaltenzonen und über den Bergschrund aufs Sustenhorn steigen. Weil wir es können und niemanden sonst dazu brauchen. Alles andere ist nicht wichtig.
Ein Kännchen Tee geht noch mit. Gisi stellt allen Gästen morgens jeweils bis zu einem Liter Tee zur freien Verfügung. Das ist schon wieder so eine Geste, die wir sehr zu schätzen wissen. Auf allen anderen Schweizer Berghütten, die ich persönlich kenne, werden bis zu 10 CHF für den Marschtee verlangt. Es geht hier nicht ums Geld, wie ich an anderer Stelle bereits schrieb. Das ist mir egal, solange ich in der Kälte einen Schluck heißen Tee trinken darf. Trotz Wasser- und Stromknappheit tut sie es einfach.
Die Reihen im Gastraum lichten sich. Der Trubel zieht weiter nach unten in den Materialraum. An der Tür hängt ein Schild: Maximal 6 Personen gleichzeitig. Coronabedingt. Ich blicke durch die Scheibe rein und wäre ca. die 10. oder 11. Person im Raum, wenn ich den Raum beträte. Ich lasse es. Erstmal Sonnencreme drauf. Das geht auch woanders. Manchmal frage ich mich, was die Menschen immer so lange treiben. Abends saß der Raum schon voll mit Bergsteiger_innen, die Steigeisen anpassten, das Seil herrichteten oder sonst irgendwelche Vorbereitungen trafen. Morgens findet das gleiche Spiel wieder statt. Gurt an, Gurt aus, Helm rauf, Helm runter, Pickel gesucht, Schuhe gesucht, Diskussion, was an Metall mit soll, Jacke an, Jacke aus, Helmlampe geht nicht. Der Trubel schiebt weiter aus dem Materialraum hinaus in die Wildnis. Jetzt ist Platz. Meine Frau und ich machen uns in wenigen Minuten fertig. Ich hatte mir vorher einen Eindruck vor der Tür verschafft, wie die Wetter- und Witterungsverhältnisse sind. Etwas überrascht stellte ich fest, dass es entgegen der Annahme recht kühl und klar ist. Gute Bedingungen. Das Eis beginnt nach einem sehr kurzen Abstieg von der Hütte. Als wir es betreten, ist eine Seilschaft schon losgegangen. Wie ich später bemerke, sind es die drei aus unserem Zimmer, die auf Position 1 laufen. Zwei sind beim Anseilen und eine kommt hinter uns runter aufs Eis. Also insgesamt 5 Seilschaften, die ziemlich zeitgleich starten. Obwohl wir auf Blankeis starten, gehen wir bereits angeseilt. Früher oder später muss es eh ran. Wann genau, wissen wir noch nicht. Es könnten Altschneefelder vorbei kommen, von denen wir nicht wissen, was drunter ist. Nachmittags hatten wir schon einen Blick auf den Gletscher geworfen und uns eine günstige Route überlegt, soweit einsehbar. Für den Rest musste die Karte und eine Beschreibung genügen, die ich mir vor dem Start einprägte. Sorgen machte mir zu dieser Zeit die Frage, wo sich das Wetter hin entwickelt. Auf blankem Eis gibt es keine gut sichtbare Spur, wenn es neblig wird. Noch ist es klar. Wir werden sehen. Notfalls muss ein Punkt auf der digitalen Karte Orientierung geben. Wir gehen als dritte Seilschaft los. Die Spitze der Viererseilschaft vor uns bildet ein Bergführer. Unsere ausgewählten Routen scheinen gleich zu sein. Wir nehmen die erste Steigung und gehen mehr oder weniger geradeaus weiter in Richtung Sustenlimi. Alle anderen Seilschaften schneiden die lange Linkskurve. Allen voran unsere drei Roommates. Da es bereits hell ist erkenne ich, wie sie mehr oder weniger zwar angeseilt aber auf einem Haufen über den Gletscher stapfen. Das Schlappseil hinter sich herziehend. Interessant. Nicht nachmachen.

Blankes Eis und Schnee wechseln sich ab. Auf unebendem Eis in Hanglage mit Steigeisen gehen zu müssen, ist ganz schön mühselig. Dadurch, dass die Steigeisen nicht ins Eis einsinken, kommt ein ungünstiges Kippmoment hinzu. Ich muss bei jedem Schritt aufpassen, nicht umzuknicken. Der Schnee ist ebenfalls hart gefroren. Wir sinken nicht ein. Da wir keiner vorhandenen Spur folgen, gibt es lediglich ein paar Steigeisenabdrücke, von denen ich hoffe, dass wir sie notfalls im Abstieg wieder finden, falls es zu zieht. Im Moment geht jedoch die Sonne auf und wir wundern uns, wie gut das Wetter ist. Wir überwinden eine kleine Spaltenzone. Teilweise auf Eis, teilweise auf altem Schnee. Meist können die Spalten einfach überschritten oder mit wenigen Metern Umweg umgangen werden. Ich erinnere mich nur an eine Spalte, bei der wir tatsächlich auf eine Schneebrücke gestiegen sind. Zumindest war nur diese eine zu sehen. Ist immer ein spannender Moment. Astrid und ich stimmen uns in solchen Situationen kurz ab, damit die jeweils andere Bescheid weiß. Der Seilabstand in der Zweierseilschaft ist so groß, dass die jeweils andere nicht immer sehen kann, wo die jeweils andere gerade rumläuft. Danach wurde es flacher. Der Gipfelhang bzw. -grat kommt in Sicht. Zeit für die Linkskurve. Die Viererseilschaft vor uns haben wir nicht überholt. Wir wären zwar wahrscheinlich ein klitzekleines Bisschen schneller gewesen, doch zum Überholen hätten wir überpacen müssen. Und dann den Abstand so zu halten, dass der Überholvorgang gerechtfertigt ist, kann einen kaputt machen. Außerdem ist es kein Wettrennen. Es könnte zwar der Eindruck entstehen, dass wir uns quasi dem Bergführer einfach an die Fersen geheftet haben, weil wir selbst keine Ahnung hätten, wo es lang geht. Dem muss ich jedoch widersprechen. Wir wären den Weg auch ohne die Seilschaft vor uns genau so gegangen, wie wir es taten. Am Gipfelhang vor dem Bergschrund trennten sich unsere Wege dann auch für ein kurzes Stück. Wir erachteten den direkten Weg auf die einzige Übergangsmöglichkeit des Schrunds zu als günstiger. Der Bergführer entschied sich für einen zusätzlichen Bogen. Warum auch immer. Spielt auch keine Rolle. Alle Wege trafen sich an dieser Stelle. Denn am anderen Ende des Schrunds blieb nur die Möglichkeit, über blankes Steileis zu klettern. Bei diesem Berg mit dessen üblichem Publikum ein unnötiges Risiko. Also tut es niemand.

Weil die einzige Brücke am rechten Ende des Schrunds bereits eingebrochen war, musste kurz vor dem Schrund noch ein Stück weiter nach rechts quasi in den Schrund hinein abgestiegen und an der gegenüberliegenden Seite wieder aufgestiegen werden. Mit Frontalzacken und dem scharfen Ende des Eispickels. Nicht ganz unanspruchsvoll wenn Frau halbwegs sicher unterwegs sein will. Für uns jedoch kein Wackelereignis. Wir steigen durch, freuen uns, dass wir es können und steigen weiter auf. Am Gipfelhang wechseln erneut blanke Stellen mit altem Schnee ab. Der Berg ist zu niedrig als das oben über Firn gegangen werden könnte. Mit wohl um die 30-35° sind die blanken Stellen echte Fersenkiller. Für die Frontalzacken alleine ist es nicht steil genug. Das wäre mithin jedoch genauso ermüdend. Also alle Krallen ins Eis, weil es sicherer ist, und aus der Ferse drücken. Aua. Jede kleine Rinne oder Unebenheit, die vorbei kommt, versuche ich auszunutzen, um meine Füße wenigstens für einen kurzen Moment etwas waagerechter platzieren zu können. Die sind nämlich noch ein wenig beleidigt von den 1600 Höhenmetern zwei Tage zuvor auf den Wörner rauf. Die gute Nachricht: Der Gipfel ist nah. Am Ende steigen wir über ein letztes Schuttfeld ein paar Meter auf und erreichen nach 2:45h den Gipfel. Kurz nach der Seilschaft mit besagtem Bergführer. Gipfelfoto. Manni darf nicht fehlen. In direkter Nachbarschaft dürfen wir das Finsteraarhorn bewundern, auf dem wir eigentlich hätten stehen sollen. In der Ferne ist die Wolkendecke zu erkennen, die für das vorhergesagte trübe Wetter hätte sorgen sollen. Nun, sie rollt auch an und wird irgendwann den Gletscher erreichen. Der Umstand, dass wir ziemlich schnell wieder unten sei können, lässt keine Hektik aufkommen. Wir essen und trinken, trödeln aber nicht dabei. Das ist genauso wichtig. Dann beginnen wir den Abstieg. Kurz vorher wird Astrid noch gebeten ein Gipfelfoto der Dreierseilschaft mit dem Pupser zu machen, die inzwischen am Gipfel eingetroffen sind. Was frau nicht alles tut.
Wir steigen den Schutthaufen runter, klöppeln das Seil wieder zwischen uns und dann muss natürlich noch etwas peinliches passieren: Ich grüße mehr aus Gewohnheit denn aus ernstgemeintem Interesse die Fünferseilschaft, die mich den ganzen Abend mit Blicken und Getuschel bedachte, verlor dabei den Tritt, knickte mit rechts um und legte mich praktisch vor ihnen lang in den harten Schnee. Priml. Muss ja sein.
Ich rappele mich auf, tue unerschrocken und verneine Astrids Frage vehemmend, ob ich mir weg getan hätte. Geht schon. Einfach weiter stapfen. Ich ärgere mich. Doch das hilft dann auch nicht mehr. Immerhin ist nichts weiter passiert. Lieber wieder konzentrieren und innerlich abhaken. Ein solcher Sturz im folgenden steilen Gelände wäre ziemlich sicher für uns beide nicht folgenlos. Wie John Wayne, falls den jemand noch kennt, hämmere ich breitbeinig in gebückter, federnder Haltung die Zacken meiner Steigeisen bergab ins Eis. Ist schon irre, wie die Dinger halten und dass frau sich darauf verlassen kann, dass sie halten. Sofern sie halbwegs scharf sind. Wir krabbeln erneut durch den Bergschrund. Danach wird das Gelände etwas flacher. Ich folge zunächst der Spur, die wir im Aufstieg verwendeten. Im flachen Teil des Gletschers schnitt ich ein klein wenig die Kurve ab bevor wir die Spaltenzone erreichten. Die Viererseilschaft mit dem Bergführer ist woanders hingegangen. Wir gehen unseren eigenen Weg. Läuft auch gut. Wir übersteigen ein paar Spalten. An der einzigen Spalte, wo wir im Aufstieg auf die Brücke mussten, kommen wir gar nicht vorbei. Gut so. Obwohl der Schnee immer noch recht hart ist. Mitten in der Spaltenzone finde ich unsere Aufstiegsspur, sprich die Steigeisenspuren, und folge ihr. Im letzten Hang nach unten als keine nennenswerten Spalten mehr zu erwarten sind, wechseln wir wieder auf beide Wanderstöcke und stecken den Pickel hinten durch den Rucksackträger, damit er im Ernstfall greifbar ist. Mit zwei Stöcken ist es etwas leichter. Die Füße sind müde und die Gefahr, auf der unebenen Oberfläche umzuknicken, groß. Wir passieren eine kleine Senke, die morgens noch gefroren war und wo sich nun das Gletscherwasser sammelt. Egal. Durchstapfen. Die Schuhe können das. Noch ein letzter kleiner Anstieg im Schnee, dann erreichen wir das Blankeisstück, dass zur Hütte führt. Wie am Morgen ist es äußerst mühsehlig, auf blankem Eis zu queren. Ich muss mich auf jeden einzelnen Schritt konzentrieren. Astrid geht es ähnlich. Mit müden Füßen und Beinen erreichen wir den Rand des Gletschers, steigen zur Hütte hoch und verschnaufen erstmal kurz. Für die Tour auf den Gipfel und zurück zur Hütte brauchten wir kaum 5 Stunden. Demnach war es erst gegen 11 Uhr vormittgs als wir in der Hütte nachmal einkehrten. Wir entschlossen uns, etwas zu Mittag zu essen und bekamen erneut eine unglaublich leckere Gemüsesuppe mit zwei Würschteln serviert. Inklusive der Garnitur mit bunten Blüten und einem freundlichen Smalltalk. Bevor wir den Abstieg beginnen, bringen wir beim Bezahlen unseres Mittagessens noch unsere Begeisterung bezüglich Hütte und Personal zum Ausdruck und bedanken uns für die überaus freundliche Behandlung. Gisi wird ab nächster Saison die Hollandiahütte bewirtschaften. Das ist gut. Denn dort stehen noch ein paar unbesuchte Berge.

Zum Abstieg muss wieder alles in den Rucksack, was wir hochschleppten. Somit erreichten wir fast wieder das Ausgangsgewicht. Stöhnend nehme ich die Last auf. Im ersten Moment fühlt sich so ein voller Rucksack immer unsagbar schwer an. In der Regel wird es nach dem Losgehen jedoch besser. Rede ich mir ein und gehe los. Der Weg nach unten ist der gleiche, wie am Vortag rauf. Es muss an ein paar Stellen etwas geklettert werden. Deswegen braucht der Abstieg mehr Zeit, als wenn einfach runtergerannt werden könnte. Gerade im oberen Teil. Mit der schiebenden Last auf dem Rücken nehmen wir Stufe um Stufe und kommen ganz gut voran, ohne unvorsichtig zu werden. Nach etwa der Hälfte nimmt die Kraxelei ab und geht mehr und mehr in einen Wanderweg über. Kurz vor dem Parkplatz werden wir von Sabrina von der Hütte überholt. Winkend und grüßend läuft sie den Hang hinunter. Nicht schlecht. Manchmal frage ich mich, warum ich mich gerade im Abstieg nicht selten ziemlich schwer tue? Es ist ja nicht so, als wäre ich nicht schon viele, viele Tausend Höhenmeter abgestiegen. Gut. An diesem Tag kommen etwa 1500 Höhenmeter vom Gipfel bis zum Parkplatz zusammen. Und die stecken bereits nahezu ganz in unseren Knochen. Nach etwa 1:20h sind wir zurück am Auto. Ein neuer Berg ist bestiegen. By the way: Schon wieder ein erstes Mal. Denn einen 3000er hatten wir bis dahin in der Schweiz noch nie bestiegen. Wird wohl auch nicht der letzte gewesen sein. Gibt noch ein paar.
Das lange Bergwochenende geht zu Ende. Ich bin immer noch traurig, dass wir auf das Finsteraarhorn verzichten mussten. Zwei neue Berge haben wir dafür kennen lernen dürfen. Schau mer mal, mit was uns die restliche Saison überrascht. Wäre schön, wenigstens noch einen neuen 4000er Gipfel dabei zu haben.

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