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Weißkugel, 3738m, 7.-8.8.2020

Als klar war, dass die Hütten in dieser Sommersaison öffnen können, saßen meine Frau und ich zu Hause und verplanten die wenige freie Zeit bis in den Herbst hinein mit Touren aus unserer Wunschliste. Manche Zweitversuche sind dabei. Ebenso neue Berge. Und spontane Neuentdeckungen. Gibt ja genug Auswahl. So ergab es sich, dass wir für das zweite Wochenende im August die Besteigung der Weißkugel ins Auge fassten. Wie es kam, dass wir bereits freitags auf die Hütte aufstiegen, samstags zum Gipfel und wieder komplett absteigen wollen, weiß ich gar nicht mehr. Vielleicht hat es mit der Hüttenbelegung zu tun. Die Weißkugel ist ein beliebtes Ziel. Jedenfalls war das Zeitfenster zufällig so gut gewählt, dass wir die quarantänebedingte Verschiebung der Ferienwoche mit meinen Kindern auch noch unter einen Hut bringen und sie sonntags im Saarland abholen konnten. Zwischen Weißkugel und Kinder abholen passte sogar noch ein bisschen Straßenfest bei uns vor der Haustür. Etwas unterschätzt habe ich die Anstrengung hinsichtlich der Fahrerei und dem kleinen Termindruck, der sich aus diesem Plan ergab. Von Freitagmittag bis Sonntagabend sind wieder rund 1200km Autofahren notwendig geworden. Die Kinder sind, um unnötige Abstimmungskomplikationen zu vermeiden und die Kooperationsbereitschaft nicht zu strapazieren, sehr pünktlich abzuholen gewesen. Nicht einfach bei dem Rückreiseverkehr. Doch Freitagmittag geht es zunächst mit einem etwas früheren Feierabend auf in Richtung Melag. Das ist der letzte Ort am Ende des Langtauferer Tals im Vinschgau. Der Verkehr ist bereits an diesem Freitag eine ziemliche Katastrophe. Die Fernpassstraße ist vollgesperrt. Wir umfahren umständlichst ab Bichlbach/Berwang übers Hahntennjoch nach Imst. Da war der Puffer schon mehr als doppelt aufgebraucht. Obwohl Alex und Manuel eigentlich die längere Anfahrt haben, treffen wir fast zeitgleich am Parkplatz ein. Die Parkgebühren sind ordentlich. Meiner Frau und mir erscheinen 24 Stunden zu knapp und so sind 20,-€ fällig. Angeblich kann mit Karte gezahlt werden, doch weder EC noch VISA funktionieren. Wahrscheinlich tut nur die italienische EC-Karte. Das ist ironisch gemeint, für die, die es nicht verstanden haben.

Es ist heiß und schon nach 17 Uhr bis wir losgehen. Der Weg führt fast 2km flach am Fluß entlang, bevor endlich die ersten Höhenmeter machen können. Ob es erneut die lange Autofahrt war oder die neuen Socken, weiß ich nicht, doch bereits nach den ersten paar Kehren schmerzen meine Fersen. Ich wechsele die Socken. Ansonsten kann ich nix tun. Der Schmerz wird mich den Rest der Tour begleiten. Unten am Start waren 2:20 Stunden angeschrieben. Inklusive der Sockenwechselaktion von mir, erreichen wir nach 1:50h die Hütte, wo wir erwartet werden, denn die Suppe steht schon auf dem Tisch. Die Weißkugelhütte. Der Bau ist von 1893. Bis auf Wasser und Strom hat sich -glaube ich- seitdem wenig verändert. Sehr verwinkelt und eng geht es zu. Die Küche ist im Untergeschoss. Der Gastraum wird per Handaufzug beliefert. Ich komme zu meiner Futterqualitätsskala. Die sonst von mir vielgepriesene beste Versorgung auf italienischen Hütten bestätigt sich hier bei Weitem nicht. Es ist ähnlich schlecht, wie auf den meisten schweizerischen oder französischen Hütten. Es macht nur den Magen voll. Sonst nix. Trotz Materialseilbahn. Schade. Die späte Anreise lässt den Abend nicht so lang werden. In dem Teil, in dem wir sitzen, ist sonst nur noch eine andere Gruppe, die anscheinend mit Bergführer am nächsten Tag das gleiche Ziel hat. Besagter Bergführer ist mit an deren Tisch und hört sich gerne selbst reden. Viel und durchdringlich gibt er seine Erfahrungen preis. Nervig. Wir studieren indes die Karte gemeinsam. Der Weg, den wir wählen wollen, ist noch nicht bestimmt. Es gibt mehrere Möglichkeiten außer dem Normalweg. Im Auge hatten wir eigentlich den Aufstieg über den Ostgrat und den Abstieg auf dem Normalweg über Hintereis- und Weißkugeljoch. Die Entscheidung sollte geplant erst auf der Hütte fallen, denn ausschlaggebend dafür sollte die Information des Hüttenpersonals sein, wie die Bedingungen sind. Auskunft gab es dazu erstmal nicht, denn die Servicekraft hat keine Ahnung. Sie verweist auf den Hüttenwart, den wir beim Bezahlen unten ansprechen könnten. Na dann. Wir machen uns zum Bezahlen auf nach unten. Wir treffen auf eine nette Dame, die uns zumindest sagen kann, dass nach dem Neuschnee diese Woche noch niemand über Nord- oder Ostgrat respektive Ostflanke gegangen ist und dass es speziell an der Ostflanke sehr steil zu geht. Ob es blankes Eis ist, weiß sie nicht. Sie ist sich jedoch sicher, dass der Ostgrat nicht geklettert wird. Dann weiß sie mehr als das Internet, denke ich. Also, keine sicheren Auskünfte zu bekommen. Bis auf eine: Kurz vor dem Eis sei eine Brücke zu überqueren. Ums einfach zu gestalten, entscheiden wir, sowohl Auf- als auch Abstieg über den Normalweg zu machen. Damit können zusätzliches Sicherungsmaterial sowie das zweite Seil auf der Hütte bleiben.

Wir werden noch für das Frühstück gebrieft, denn vom Hüttenpersonal steht niemand auf. Wir können selbst entscheiden, wann wir aufstehen und loswackeln wollen. Habe ich so auch noch nicht erlebt, aber gut. Wir stimmen uns mit anderen auf der Hütte ab, denn die meisten haben das gleiche Ziel. Weil es so eng in den Lagern und Zimmern ist und wir von unserem 4er Zimmer durch das Matrazenlager steigen müssen, ist das auch sinnvoll. Der Wecker wird für 3:30 Uhr gestellt. Es gibt ein einziges kleines "normales" Bädchen auf der Hütte. Abschließbar. Ich bin so egoistisch und belagere es am nächsten Morgen für ein paar Minuten ganz alleine. Mein Kopf möchte, dass ich halbwegs hergestellt in die Welt hinaus trete. Geht auch. Ich behindere nicht wirklich jemanden.
Das Frühstück ist überraschenderweise gar nicht so miserabel, wie das Nachtessen hätte vermuten lassen können. Es gibt Käse, Wurst, Butter, Marmelade, sogar Nutella und so etwas wie Semmeln. Das ist 100% mehr als auf der Almagellerhütte, wo die Übernachtung nochmal 10€ teurer war. Der Kaffee geht nur mit viel Zucker. Ein lösbares Problem, wenn die einzige Zuckerdose gefunden ist. Heißes Wasser für den Marschtee gibt es ebenfalls. Entgegen der gelebten Üblichkeit, kostet das noch nicht mal was extra. Ein warmes Getränk im Laufe des Vormittags in diesen Höhen, kann Wunder bewirken. Deswegen geht die Thermoskanne so gut wie immer mit und es ist mir auch egal, was der Tee kostet, solange er einigermaßen genießbar ist.

Die meisten Menschen auf der Hütte sind mehr oder weniger zeitgleich mit uns am Start. Dementsprechend geht es auf den 3 Metern zwischen Frühstück und Wildnis zu. Ich trete erstmal vor die Tür, um zu fühlen, wie der Morgen so ist. Temperatur, Wind, Lichtverhältnisse zu spüren und zu sehen, halte ich für wichtig. Der Start zu diesen Uhrzeiten fällt sowieso schon schwer. Da möchte ich mich so einpacken, dass ich wenigstens die ersten ein bis zwei Stunden gehen kann, ohne etwas an der Startkonfiguration ändern zu müssen. Am Start leicht zu frieren ist meist nicht doof. Hatte ich mir beim Marathonlaufen schon zu Herzen genommen und bin damit immer gut gefahren. Allerdings muss in diesem Fall erst bis zum Gletschertor abgestiegen werden. Also was Langärmeliges. Die Gruppe mit dem Vielredner an Bergführer ist schon weg. Deren Lampen leuchten in der Ferne. Eine zweite Gruppe, vier Jungs, gehen ebenfalls vor uns weg. Alle anderen scheinen andere Ziele zu haben. Ziemlich genau um 4:30 Uhr schalte ich meine Stirnlampe ein und wir wackeln los. Zwischendurch führt der Weg quer durch eine steile Moränenflanke. Unangenehm zu gehen. Gerade im Dunkeln. Wegmarkierungen und Steinmanndl sagen, wir sind richtig und irgendwann sind wir am Gletscherbach unten angekommen. Besagte Brücke kommt vorbei und der Hinweis am Abend, die Brücke zu überqueren, stellt sich als genau richtig heraus. Die Bergführergruppe hat das ebenfalls getan und ist gerade dabei, am Gletschertor Steigeisen und Seil ranzutüddeln. Die 4 Jungs suchen auf der anderen Seite des Baches einen Weg und gerade, als wir über die Brücke drüber sind, sehe ich, wie sie umdrehen und zur Brücke zurück gehen. Und so rücken wir auf Position 2 vor. Die Bergführergruppe geht gerade weg, als wir am Gletschermund ankommen. Der Gletscher ist aper. Steigeisen genügen zunächst. Es beginnt zu dämmern, als wir uns knirschend auf dem Eis nach oben arbeiten. Die Jungs schlossen auf, blieben aber hinter uns. Ganz so schnell, wie es an der Hütte den Anschein hatte, waren sie dann doch nicht. Hinter ihnen kommt erstmal niemand mehr.

Zwei Absätze auf dem Eis überwinden wir, als wir nach einer Schrägfahrt auf der anderen Seite des Gletschers ankommen, die Steigeisen wieder runter tun und auf einer Seitenmoräne weiter aufsteigen. An ihrem oberen Ende treffen wir auf Schnee und eine gut ausgetretene Spur wird sichtbar bis rauf zum Weißkugeljoch. Der Normalweg beschreibt relativ weit außen eine Rechtskurve über den Langtauferer Ferner. An einer geeigneten Stelle am oberen Rand des Schutts wechseln wir auf Steigeisen und gehen am Seil weiter. Das Joch sieht nah aus, es ist hell inzwischen, doch der Weg zieht sich elends lange dahin. Vom Spaltenreichtum dieses Gletschers ist wenig bis nichts zu sehen. Bis zum Joch überqueren wir lediglich zwei offensichtliche Spalten, die jedoch mit einem Schritt übertreten werden können. Möglicherweise sieht es im Herbst anders aus. An diesem Tag war es entspannt. Der Einstieg in den Nordgrat ist zu sehen. Sieht sehr bröselig und steil aus. Gleiches gilt für den Ostgrat. Als wir das Weißkugeljoch erreichen, werfe ich einen Blick nach oben. Auch die Flanke ist zu sehen. Wie gut sie noch beschneit ist, konnte ich nicht beurteilen. Steil ist sie allemal. Die Frage, ob wir doch dort raufsteigen wollen, stellt sich nicht mehr. Wir haben zu wenig Material mit. Also weiter auf dem Normalweg. Die Bergführergruppe ist wieder ins Sichtfeld gerückt. Bis zum Hintereisjoch geht es netto fast eben dahin. Allerdings ist eine Felsrippe zu überqueren. Damit verbunden ein relativ steiler Anstieg und dahinter ein kleiner Abstieg, bevor es erneut hinaufgeht und frau zum Hintereisjoch gelangt. Am Hintereisjoch kommen die Menschen an, die übers Teufelsegg unter anderem von der Schöne-Aussicht-Hütte gestartet sind. Am Joch holten uns die 4 Jungs wieder ein und stiegen vor uns auf den Matscher Ferner. Dort treffen wir auf eine weitere Spur, die von der Oberetteshütte hinaufzieht. Sowohl hinter uns als auch vor uns sind nun sehr viel mehr Menschen unterwegs. Zwei Hürden gibt es nun noch: Der folgende Anstieg auf dem Matscher Ferner ist recht steil und gerne mal vereist. Und aus der Literatur wusste ich, dass es wohl noch etwas Kletterei zum Gipfel hin geben soll. Aber erstmal den steilen Hang rauf. Wir packen das Seil weg. Spaltig sieht es nicht aus. Die Mitreißgefahr schätzten wir höher ein. Also Eispickel und Konzentration. Auf dem Zickzack-Weg gibt es blankes Eis. Ohne Seil haben wir den Vorteil, dass jede(r) ihr/sein Tempo gehen kann. Wenn's steil wird und die Luft dünner, ist das angenehmer. Ich komme als erste oben über die Kuppe und staune nicht schlecht über die Menschenmengen auf dem Klettergrat zum Gipfel. Zwei bunte Schlangen, die sich entgegengesetzt bewegen. Die einen hin, die anderen zurück. Die Weißkugel ist auf ihre Art halt schon irgendwie prominent und daher gut besucht. Der Grat ist schnee- und eisfrei. Wie die anderen Seilschaften lassen wir die Steigeisen am Schneegrat zum Einstieg zurück und entscheiden auch das Seil da zu lassen. Es wartet überraschend kompakter Fels. Die Schwierigkeiten übersteigen den 2. Grad nicht. Es ist jedoch hi und da etwas ausgesetzt. Der Popo muss mindestens zweimal an Kanten vorbei gehoben werden, an denen bis runter auf den Gletscher geblickt werden kann. Die Kletterei ist zudem deutlich länger, als ich vermutete. Mit dem Gegenverkehr kommt noch ein wenig Warten hinzu. Der Anstand gebührt, dass frau sich mit den entgegenkommenden Seilschaften abstimmt. Gerade wenn ein Bergführer mehrere Menschen am Seil hat, ist Hektik keine gute Begleiterin. Macht aber auch nix. Ich schaue gerne den anderen zu, was sie so tun. Gerade bei den Bergführern kann frau hin und wieder was lernen.

Nach einer Bruttozeit von 6 Stunden, d.h. inklusive aller Pausen und Umrüstaktionen, stehen wir auf dem Gipfel. Sogar mit wenig Gedränge. Einen lustigen Italiener können wir gewinnen, ein Gipfelfoto von uns fünf zu schießen. Bis der richtige Knopf gefunden war, vergingen 4 oder 5 Versuche mit entsprechend spaßigen Kommentaren. Die Viererseilschaft, die uns am Hintereisjoch überholte, fiel wieder zurück, da einer der Teilnehmer etwas schwächelte auf den letzten 250 Höhenmetern. Nun treffen sie kurz nach uns am Gipfel ein. Fein. Lange Aufhalten ist nicht. Es kommen immer weitere Seilschaften an. Wir erkennen von oben den Parkplatz in Melag, wo wir heute noch hin müssen. Puuhhh.....Nachdem die Fotosession durch ist und wir die prominentesten Gipfel um uns herum bestimmt hatten, traten wir den Rückweg an. Außerdem blies ein kalter Wind rund um den Gipfel. Dem muss frau sich nicht länger aussetzen, wie nötig. Wir kraxeln zurück. Ich genieße jeden Meter. Die Kletterei ist der interessante Teil der Tour, die ansonsten nur aus einem langen Gletscherhatscher besteht. Tja. Und genau der lässt den Weg nach unten ganz schön lang werden. Heiß ist es geworden. Sobald wir vom Gipfel runter waren, blieb auch der Wind aus. Ab Hintereisjoch reicht mir ein T-Shirt. In der Querung zum Weißkugeljoch gibt es Stein- und Eisschlag. Ich laufe am Seil voran und lege einen Zahn zu, um dieses Stück zügig hinter uns zu lassen. Was ich erneut nicht verstehe: Es kommen permanent Seilschaften von unten rauf und uns entgegen. Einer ist gleich angefresssen, als ich ihn im Vorbeilaufen frage, ob sie auch ein Seil dabei hätten. Er und seine Begleiterin, die im wahrsten Sinne des Wortes hinter IHM herzustapfen scheint, sind seilfrei auf dem Gletscher unterwegs. Mmmhhh.... Frau könnte auf den Gedanken kommen, dass es egal ist, denn sie wissen eh nix damit anzufangen. Ein Telefon werden sie ja haben. Jedenfalls plautzt er zurück, hier wäre kein Seil nötig. Nun gut, dann ist es nicht nötig. Chacun à son goût. Nicht meine Verantwortung. Am Weißkugeljoch ist es bereits Mittag. Wir treffen auf eine Gruppe dreier Halbstarker, die sich erkundigen, wie weit es wohl noch ist. Die richtige Antwortet lautet an diesem Ort zu dieser Zeit eigentlich "Ihr seid am Ziel". Aber auch für sie sind wir nicht verantwortlich. Nach einer kurzen Futterpause beginnen wir den langen Weg den Langtauferer Ferner hinunter. Die Sonne brennt. Der Weg ist scheinbar endlos. Ich versuche, halbwegs gleichmäßig den aufgeweichten Spuren zu folgen. Ein wenig zermürbend ist es schon. Bisschen auf die Zähne beißen. Bisschen Ablenkung im Kopf machen. Ich muss zwischendurch an meinen Freund Ivo denken, dem das Leben gerade wieder ein Bein gestellt hat. Eine Lösung fällt mir nicht ein, doch es macht die Sache kurzweiliger. Ich nehme mir vor, Kontakt aufzunehmen.

Kurz vor Ende des Schneehatsches passieren wir weit entfernt eine Gruppe der Bergwacht, die Übung machen und gerade zusammenpacken und ebenfalls aufbrechen. Sie überholen uns auf dem Weg nach unten. Gehen mit 11 (!) Leuten am Seil und haben einen Heidenspaß. Sie seilen ziemlich gleichzeitig mit uns ab und ab da läuft von ihnen jede(r) seinen eigenen Weg nach unten. Hier lerne ich, dass man praktisch ganz über die Seitenmoräne bis runter zum Gletschermund absteigen kann. D.h. hätten sich die Jungs morgens ausgekannt, hätten sie auch auf ihrer Seite bleiben und dort raufgehen können. Ob das angenehmer gewesen wäre, weiß ich nicht, doch sie hätten nicht bis zur Brücke zurück gehen müssen. Egal. Ich hätte es in der Nacht wahrscheinlich auch nicht gefunden. Wir gehen soweit wie möglich ohne Steigeisen über den aperen Teil runter. Das Eis ist bröselig von der Sonne und es liegt auf einer Seite genug Split rum. Bergab ohne Steigeisen gehen zu können, ist viel effizienter. Ein Rettungshubschrauber überfliegt uns ganz nah. Wir lernen später, dass er die Ausrüstung der Bergwacht, die sie zur Übung oben hatten, nach unten geflogen hat. Unterwegs geht mein Trinkbeutel leer. Ich sammele mit der Thermoskanne meiner Frau Gletscherwasser ein, das mit einer Zitronenbrausetablette sich in das Geilste verwandelt, was ich seit langem getrunken habe. Mag an Hitze und Erschöpfung gelegen haben, aber es war einfach ein Traum. Am Gletschermund, der nur noch aus einer dünnen Eisbrücke besteht, tummeln sich indes die Tagestouristen, als wir eintreffen. Wir werden ähnlich neugierig beäugt, wie die Eisbrücke. Es ist matschig als wir vom Eis runter sind. Im Gletscherbach waschen wir den Sand von den Steigeisen und nehmen dann den Gegenanstieg zurück zur Hütte in Angriff. Sind schon ein paar Meter. Ganz so schlimm, wie es sich morgens im Dunkeln angefühlt hat, ist es aber nicht. Als wir an der Hütte ankommen, sind seit Aufbruch ca. 10,5 Stunden brutto vergangen. Wir breiten uns auf einer der Biertischgarnituren in der Sonne aus. Bergstiefel aus. Erstmal kurze Hosen an. Barfuß auf Gras zu gehen, wirkt sehr erfrischend. Ich kippe mir einen halben Liter Schorle und noch einen halben Liter Coke rein. Dazu ein Stück Kuchen. Tut gut. Wir brauchen noch ein wenig Strom, denn wir müssen noch bis nach Melag runtersteigen und dann 3 Stunden nach Hause fahren. Für den Abstieg von der Hütte packe ich meinen Rucksack um. Das zweite Seil und die restlichen Sachen, die wir dort gelassen hatten, müssen wieder rein. Der Trinkblase spendiere ich nach Freigabe durch den Hüttenwart einen Refill am Wasserhahn.

Dann starten wir den Abstieg von der Hütte. Es sind "nur" rund 600 Höhenmeter, doch nachdem wir schon mehr als 1300 Höhenmeter runter hinter uns haben, ziehen die sich nochmal ganz ordentlich. Nach unten wird es immer heißer. Füße und Beine haben so langsam keine Lust mehr. Zumal der Rucksack nun wieder so schwer ist, wie er am Start war. Hier hilft nur konzentriert kontinuierlich Weitergehen. Nicht nachdenken. Kurz nach 17 Uhr erreichen wir den Parkplatz am Talschluss. Alle sind wieder heile unten. Wir haben einen coolen Berg bestiegen. Der Gipfel ist vom Parkplatz aus zu sehen. Fast 2000 Höhenmeter sind wir abgestiegen.


Nachtrag zu meinem Freund Ivo: Zwei Tage nachdem wir vom Berg runter waren, hat er den Freitod gewählt. Das macht mich sehr, sehr traurig. Ob ich hätte helfen können, weiß ich nicht, hab's aber auch nicht versucht. Jetzt werde ich es nie mehr herausfinden. Wir haben uns eigentlich kaum gekannt, aber irgendwie gab es eine Verbindung. Ich werde noch oft an ihn denken. R.I.P.

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