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  • Milla

Georgien - Ein Reisebericht


Eines Tages erfuhren meine Frau und ich durch zwei gute Freunde wie schön Georgien ist. Wie nett und gastfreundlich die Menschen dort sind und wie gut die Küche ist. Die Erzählungen von diesem Land und den Leuten haben uns so neugierig gemacht, dass wir wenige Tage danach einen Flug mit WIZZ Air von Memmingen nach Kutaisi für eine Woche in den Sommerferien buchten. Ein wenig voreilig, wie wir bald feststellten. Denn so lieb, nett und gastfreundlich die Menschen auch sind, besondere Toleranz, wenn es um Anderssein geht, wird ihnen nicht nachgesagt. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich nicht vom restlichen Ostblock, insbesondere nicht von Russland. Nun gut. Der Flug war gebucht. Wird schon gehen. Dachte ich. Um mir etwas mehr Gewissheit zu verschaffen, was die Toleranzschwelle der Georgier gegenüber Transidentität angeht, schnorchelte ich etwas im Netz. Dabei stieß ich dummerweise auf einen sehr aktuellen Bericht, der den Totschlag einer Transfrau auf offener Straße in Tbilisi (georgischer Name von Tiflis, თბილისი) ohne weitere Folgen zum Thema hatte. Das machte mir nicht gerade Mut. Gut, dachte ich, wir wollen ja nicht die Großstädte dort bereisen. In anderen Ländern käme ich zudem genauso wenig auf die Idee, mich unklug zu verhalten, indem ich beispielsweise im kurzen Rock und lackierten Nägeln nachts allein am Bahnhof spazieren gehe. Es gibt Dinge, die man einfach nicht tut. Das ist völlig ortsunabhängig. Beruhigt hat mich diese Strategie nicht. Ich schrieb das auswärtige Amt an und bat um eine Auskunft, wie man generell die Lage bezüglich dieser -ich nenne es mal so- Spezialität einschätzt. Immerhin erhielt ich eine Antwort. Klüger hat sie mich nicht gemacht. Kurzgefasst stand darin, dass es durchaus Schwierigkeiten geben könne. Letztendlich sei das aber meine Entscheidung, ob ich das Risiko eingehen wolle. Ganz ehrlich. Das gilt für jeden Ort dieser Erde. Denn der Anteil der Arschlöcher ist überall gleich hoch. Dann gab es da noch ein Kriterium. Wir lernten, dass es im Sommer in den tieferen Regionen unerträglich heiß werden kann. Eine bessere Reisezeit sei der Frühling oder der Herbst. Alle Informationen zusammen ließen mich einen Rückzieher machen. Ich versuchte, den Flug zu stornieren. Das ging im Prinzip auch, nur eine Rückzahlung des bereits gezahlten Preises fand nicht statt. Man schrieb mir den Wert auf einem Kundenkonto bei WIZZ Air gut. Dieses Guthaben könne problemlos für andere Flüge genutzt werden, hieß es. Priml. Hinzu kam, dass dieses Guthaben nicht unendlich stehen blieb, sondern nach einer 3-Monatsfrist einfach verfiel. Weil anfangs nicht ganz klar war, was genau wir in Georgien tun wollten, buchte ich das Maximalpaket bei WIZZ Air, sodass im Zweifel auch die Bergsteigeausrüstung hätte mitgenommen werden können. So standen da am Ende rund 700€ Guthaben, denen der Verfall drohte. Ein neuer Plan muss her. Ich überlegte, dass ich einfach noch ein wenig warten muss, bis ich mit meiner Transistion und meiner Namens- und Personenstandsänderung soweit bin, dass die Chancen für einen schönen Aufenthalt ohne blöde Situationen und Zwischenfälle steigen. So buchte ich über ein Jahr immer wieder den spätest möglichen Flug, der in der Zukunft angeboten wurde und stornierte diesen zu den spätesten Stichzeitpunkten immer wieder, um das Guthaben weitgehend über die Zeit zu retten. Soweit so gut. Es kam der Tag, an dem wir beschlossen, es zu versuchen. Der neue Perso war da. Ein europäischer Personalausweis genügt, um in Georgien einzureisen. Ein Reisepass oder Visum ist als Europäer*in nicht nötig. Der letztgebuchte Flug wurde nicht mehr storniert. Stattdessen buchten wir gleich noch eine Unterkunft in Mestia, um dem Vorhaben Nachdruck zu verleihen. Ein kurzer Trip um den Tag der Deutschen Einheit ist geplant, um Land, Leute und Kultur kennenzulernen. Eine besondere Herausforderung stellt auf den ersten Blick Schrift und Sprache dar, die mit allem uns Bekannten absolut nichts zu tun hat. Bezüglich der Reisedauer setzt WIZZ Air die Grenzen, denn außerhalb der Sommerferien kann immer nur dienstags- oder samstagsabends zwischen Memmingen und Kutaisi (ქუთაისი) geflogen werden. Da die Ankunftszeit auf dem Hinflug gegen 2:30Uhr Ortszeit ist, nehmen wir uns für die Ankunftsnacht ein Zimmer in einem kleinen Hotel in Kutaisi und vereinbaren mit diesem, dass uns ein Taxi am Flughafen abholt. Also, rein ins Flugzeug und los. Bei Ankunft in Kutaisi hatte ich an der Passkontrolle das erste spannende Erlebnis mit meinem neuen Pass. Der Polizistin kam irgendetwas komisch vor. Das merkte ich sofort. Doch möglicherweise dem Umstand geschuldet, dass sie schon die halbe Nacht an ihrem Schalter saß, winkte sie mich nach kurzer Rücksprache mit ihrem Kollegen auf Georgisch durch. Drin. Die Sache mit dem Taxi hat ebenfalls funktioniert. Der Fahrer wartete wie vereinbart mit einem Schild am Ausgang. Noch schnell ein paar georgische Lari am Automaten ziehen, rein ins Taxi und ab ins Hotel. Wir wurden äußerst freundlich empfangen. Die Gute konnte auch ein paar Worte Englisch. Frühstückszeit und weitere Tagesplanung wurden geklärt, denn wir baten im Vorfeld bereits darum, ob man uns bei der Organisation eines Taxis nach Mestia am nächsten Tag behilflich sein könne. Für die Fahrt in einer Marschrutka, wie das die Einheimischen tun, fühlten wir uns noch nicht bereit. Klar geht das. Nach einer sehr kurzen ersten Nacht auf georgischem Boden wurden wir zum Frühstücken in einen echten kommunistischen Festsaal geführt. Silberfarbene Tischdecken mit Rüschen aus Polyester. Alle Fenster verdunkelt. Plastikfussboden. Der Saft kostet extra. Kaffee gibt es nicht. Jedenfalls keinen, den ein gesunder Mensch trinken möchte. Wir befinden uns in einem ausgesprochenen Teeland, wie wir später lernen. Und wer hätte es gedacht. Der Taxifahrer aus der Nacht -ich schätze es handelte sich um den Angetrauten der Hotelchefin- ist vorgesehen, uns nach Mestia zu bringen. Er hatte allerdings in der vorangegangenen Nacht nach uns noch den Auftrag, ein paar Schweizer am Flughafen abzuholen. Jetzt kann man sich überlegen, wie lange er wohl die Augen zu machen konnte. Er wird schon wissen, was er tut. Der Preis. Den sollen wir mit ihm direkt verhandeln, meint die Chefin. Klug von ihr. Der Fahrer spricht ausschließlich Georgisch. Einsteigen, Abfahrt. Auf der Hauptstraße, die einzige ihrer Art in der Region, geht es gen Westen. Wir lernen den Fahrstil der Einheimischen kennen. Und den Zustand der Straße. Immerhin kann man diese noch als solche bezeichnen. Eigentlich nur zweispurig, wird was das Zeug hält gehupt, mit bis zu 4 Autos oder Lastwagen nebeneinander gefahren, vor Kurven überholt. Alles was man sich wünscht, wenn man heil irgendwo ankommen will. Immer wieder befinden sich Kühe, Schweine, Pferde und Hunde auf der Straße, die teilweise halsbrecherisch umfahren werden müssen, denn Platz machen die Viecher nicht. Die sind da alle völlig gechilled. Insbesondere die Kühe. Nach knapp einer Stunde, wir sind noch ein gutes Stück von Zugdidi entfernt, muss getankt werden. An der Tankstelle versucht uns der Fahrer über den Preis der Fahrt zu informieren. Meine Frau und ich sind uns einig. Er meint 200 Lari. 100 bekommt er hier an der Tankstelle, da er sonst nicht tanken kann. Ein guter Preis, finden wir. Etwa 65€ für eine wahrscheinlich 4-stündige Fahrt auf schwierigen Wegen und zurück muss er ja dann auch wieder. Super. Er bringt noch ein Eis für jeden mit und weiter geht die Fahrt. Bis kurz hinter Zugdidi an der Abchasischen Grenze ist die Straße noch ganz passabel. Zugdidi hatte übrigens bei Ausbruch des Konfliktes mit Russland über Nacht seine Einwohnerzahl verdoppelt. Alle georgischstämmigen Abchasier wurden vertrieben oder mussten aus anderen Gründen flüchten. So etwa 70.000. Können sich mal alle überlegen, was das bedeutet. In Deutschland wird gejammert, weil man am Horizont mal einen Flüchtling gesehen hat. Ab da geht es in die Berge. Es müssen etwa 1400 Höhenmeter überwunden werden. Der Opel keucht. Hin und wieder fehlt ein Stück Straße. Man wechselt von Asphalt auf Beton auf Feldweg auf Asphalt auf ... Ihr wisst schon. Aber ist alles noch hübsch. Dauert halt nur lange. Vier Stunden reichen sicher nicht bis Mestia. Das ist irgendwann klar. Pause am Stausee in einer Art Kiosk. Yeah... es gibt Kaffee. Rein damit. Kurz nach der Weiterfahrt kommt ein Schild vorbei. Eine echte Rarität in Georgien. Es sind noch über hundert Kilometer bis zum Ziel. Fünf Stunden könnten auch nicht reichen, denke ich. Wir hören georgische Musik. Ein Gespräch mit dem Fahrer, der ständig anderen Autos und Frauen hinterherhupt, wird zwar immer wieder mal beiderseits angestrebt, ist aber wegen mangelnden Sprachkenntnissen beiderseits nicht möglich. Der Fahrer stört sich nicht sonderlich daran und redet gerne mal drauf los. Wir lächeln und nicken. Ankunft nach ziemlich genau fünf Stunden in Mestia. Die Fahrt hat uns geschafft. Unser neuer Freund macht für uns noch die Touristeninformation ausfindig und liefert uns dort ab. Mit der Frau im Büro als Übersetzerin, bietet er uns an, uns am Samstag wieder abzuholen und zurück nach Kutaisi zu fahren. Wir sind uns jedoch einig, dass wir mindestens jemanden brauchen, der etwas Englisch kann. Außerdem kickt er sich selbst aus dem Rennen, als er für die Fahrt nicht die restlichen 100 Lari verlangt, sondern den Preis um schlanke 50% erhöht und plötzlich 200 will. Offensichtlich hat er den Aufwand für diesen Ritt falsch eingeschätzt. Er notiert uns trotzdem seine Nummer, wobei wir uns fragen, was das bringen soll. Mal abgesehen davon, dass der Preis nicht stimmt. Mit Händen und Füßen hat es schon nicht wirklich gut funktioniert. Wie soll das dann erst am Telefon werden. Aber gut. Man ist höflich. Wir erkundigen uns in der Touriinfo nach dem Standort unserer Unterkunft und wackeln dorthin los. Tut gut, mal ein paar Meter zu gehen. Dabei bleibt Zeit zu realisieren, wo wir sind und wie sich das anfühlt. Hört sich vielleicht blöd an, doch wir sind ein bisschen stolz darauf, es bis hierhin ohne Komplikationen geschafft zu haben. Wir fallen in der Unterkunft ein. Ein total schön restauriertes/renoviertes altes swanetisches Steinhäuschen. Der Garten ist superordentlich hergerichtet. Es gibt einen Zaun und ein Tor, sodass die allgegenwärtigen freilaufenden Tiere sich nicht einfach so dort rein verirren können. Ein Mütterlein führt uns in unser Zimmer. Das Guesthouse ist erst seit kurzem buchbar. Alles fühlt sich neu an. Der alte Dielenboden ist abgeschliffen, das kleine Bad ist neu gefliest und ausgestattet. Es gibt sogar einen kleinen Balkon. Sehr gefällig. Sehr sauber. Damit hätte ich, ehrlich gesagt, nach den Eindrücken auf dem Weg ins Guesthouse nicht gerechnet. Die alte Frau spricht ebenfalls ausschließlich georgisch, doch wir können uns auf eine Frühstückszeit für den nächsten Tag verständigen. Nachdem die Tasche aus und die Rucksäcke umgepackt sind, machen wir uns ohne Gepäck auf den Weg ins Dorf zurück, um zu erkunden, wo Lebensmittel und Getränke beschafft werden können. Entgegen meiner Annahme ist Mestia inzwischen sehr gut touristisch erschlossen. Zumindest die jüngeren Menschen sprechen oder verstehen ganz gut Englisch. Wir kaufen als erstes ein paar Flaschen lokales Bier, um später auf unserem Balkon auf die Ankunft anstoßen zu können. Wasser für die Trinkblasen bekommen wir im Laden nebenan. In der gleichen Straße entdecken wir ein süßes Café. Die Tageszeit lädt zu einer Tasse Kaffee/Tee mit Süßspeise ein. Es gibt den besten Kaffee außerhalb Italiens. Der Mensch hinter der Theke ist wahnsinnig nett, spricht gut Englisch und gibt uns die eine oder andere Auskunft, die wir noch benötigten. Ein Genuss dort am Straßenrand mit einem Stück Baumstamm als Tisch im Café zu sitzen und die Umgebung auf sich wirken zu lassen. Wir versprechen, am nächsten Tag wieder zu kommen. Auf wundersame Weise springt uns auf dem Weg zur Unterkunft ein Souvenirshop in den Weg. Wir lernen, dass swanetisches Salz eine Besonderheit der Region ist. Neben Honig, der in allen Variationen angeboten wird, den wir aber nicht wirklich gut nach Hause transportieren können, Messern aus Handarbeit, Filzkappen, die die Männer traditionell hier tragen, und Trinkgefäßen aus Tierhörnern in allen Formen und Farben. Wir nehmen ein wenig Salz und eine Postkarte mit dem georgischen Alphabet drauf mit und schaffen die Beute in unsere Höhle. Nach besagtem Bier auf dem Balkon, wo wir noch ein wenig die Wanderkarten studierten, um einen Plan für den nächsten Tag zu haben, meldete sich der kleine Hunger. Auf zurück ins Dorf. Essen und Trinken wird in Georgien großgeschrieben. Die Küche erfreut sich weithin großen Lobes. Wir können das absolut bestätigen. Was auf den Teller kommt, ist in der Regel im Garten nebenan gewachsen oder kurz vorher draußen über die Felder und Wege gelaufen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion war man in den entlegenen Gegenden auf Selbstversorgung angewiesen. Daran hat sich noch nicht viel geändert. Ob das so bleibt, ist eine andere Frage. Nach Ostri, Kubdari und weiteren Leckereien, wie Pilze aus dem Tontopf, sowie einem Liter hausgemachtem Rotwein, staunen wir nicht schlecht ob der unerwartet kleinen Rechnung. Umgerechnet knapp 17€ inklusive 10% Service und georgischer Livemusik und wir sind so voll, dass wir hinaus rollen könnten. Es wird sehr fett gekocht. Wer sich vegan oder vegetarisch ernährt, könnte hier ein Thema haben. Die Menükarten, die uns in die Hände fielen, und was so an den Tischen um uns herum zu sehen war, lässt vermuten, dass in praktisch allen Gerichten Fisch, Fleisch, Käse, Eier oder eine Kombination daraus verwendet wird. Teigwaren mit Fleisch, Kartoffeln und Käse, wie beispielsweise Kubdari sind beliebt und werden gerne als Snack verspeist. Vollgefuttert und leicht angeschickert geht's zum Guesthouse. Unterwegs kommen wir an einem Bäcker vorbei. Es ist fast 21 Uhr. Der Ofen in Form einer Halbkugel mit Loch oben, genannt Tone, der mitten in dem kleinen Raum steht, ist heiß. Der Bäcker zieht mit einem Haken frische Brote von der Innenwand des Ofens, die er in teigform vorher einfach dorthin geklatscht hat. Tonis Puri (თონის პური). Dieses im Grunde unglaublich einfache Weizenbrot in Linsenform ist eine Sensation. Dafür lasse ich jedes französische Baguette links liegen. Außerdem ist es auch einen Tag später noch saftig lecker und dadurch hervorragend als Wegzehrung geeignet. Die erste Nacht im Großen Kaukasus zieht vorbei. Der nächste Tag. Frühstück. Wieder Essen. Etwa die Hälfte dessen, was serviert wird, kommt aus der Pfanne. Sehr lecker, aber auch sehr fett. Der Saft ist aus allen Früchten, die der Garten hergibt, selbst gemacht. Käse, Quark, Joghurt, verschiedene Marmeladen, Eier in unterschiedlichen Zubereitungen, Kuchen, Gurke, Tomate, Würstchen, Mehlspeisen, Teigwaren, Bratkartoffeln. Bis auf Weniges sicherlich alles aus eigener Herstellung. Die nette alte Frau hat jeden Tag eine Variation aus genannten Speisen kredenzt. Ein Traum. Kaffee: Leider Fehlanzeige. Dafür liegt ein Querschnitt georgischen Tees bereit. Und der braucht sich vor Darjeeling & Co überhaupt nicht zu verstecken. Gut gestärkt, um nicht zu sagen, überfressen (ich spreche an der Stelle nur für mich), geht es gleich hinterm Guesthouse in Richtung Mestia Cross steil den Berg rauf. Der Besitzer des Guesthouses, den wir beim Frühstück kennen lernten und der ebenfalls überaus freundlich und hilfsbereit ist, versicherte, dass sei der kürzeste und schnellste Weg hinauf zum Kreuz. Er behielt Recht. Das Ziel an diesem Tag waren die Kuruldi Lakes. Auf dem Weg dorthin kommt man an dem beliebten Ausflugsziel Mestia Cross vorbei, wo sich praktisch alle Touristen zumindest an diesem Tag haben rauffahren lassen. In einer Wanderbeschreibung las ich etwas von 1900 Höhenmetern und etwa 6h Aufstieg bis zu den Seen, geteilt durch den Wegpunkt am Kreuz und dünner Luft. Bestätigen kann ich das nicht. Von Mestia aus bis zum Kreuz sind es etwa 750 Höhenmeter, die wir in etwa 1h 40m schafften und weil das Kreuz nur auf etwa 2200m steht, gibt es mit der Luft kein Problem. Von dort zu den Seen sind es ziemlich genau 530 Höhenmeter bis auf knapp über 2700m. Für diese Strecke brauchten wir wegen der Weglänge erneut etwa 1,5 Stunden. Aufgrund unserer noch vorhandenen Akklimatisation (siehe Bergblog) machte uns die Höhe nichts aus. Die Touristen, die von Meereshöhe kommen, sich mit dem Geländewagen zum Kreuz fahren lassen und dann meinen, die vermeintlich kurze Reststrecke laufen zu müssen, die schnaufen. Klar. Die haben wir auch alle überholt, obwohl wir es nicht sonderlich eilig hatten. Bedauerlicherweise haben die geschäftstüchtigen Georgier etwas Blödes gemacht. Der ursprüngliche Fahrweg zum Kreuz und zu den umliegenden Viehalmen wurde per Bulldozer mit offensichtlicher Gewalt ohne Rücksicht auf Flora und Fauna bis zu den Seen verlängert. Schade. Die Alternative Pferd, die ebenfalls gerne genommen wird, finde ich ja total nett. Sich mit dem Geländewagen bis obenhin und noch ein Stück weiter fahren lassen zu können, divergiert stark mit meiner Vorstellung vom Ausbau des Tourismus. Ich hoffe, man geht da für die nächsten "Projekte" mal in sich. Wolken ziehen, der Wind frischt auf. Es ist Regen gemeldet. Leider ist vom "Matterhorn" Georgiens, dem Ushba -"dem Schrecklichen"- nichts außer Wolken zu sehen. Nach kurzer Rast mit Wildschweinsalami, Puri und Schokolade machen wir uns auf den Rückweg. Wir folgen bis zum Kreuz weitgehend unserem Aufstiegsweg, biegen dann jedoch ein kurzes Stück auf den Fahrweg ab, um wenig später nach rechts in den bereits wieder dichten Wald zu verschwinden. Der Steig ist irgendwo als steil und schwierig beschrieben gewesen, verschafft uns aber die Möglichkeit, einen Rundweg zu gehen und möglichst zügig wieder ins Tal zu kommen. Der Regen kommt nämlich auch und erwischt uns nach anfänglichem Niesel auf etwa halber Strecke in diesem Steig. Beides stellte sich jedoch als nicht so wild wie beschrieben und angekündigt heraus. Weder Steig noch Regen. Mit allen Essens- und Fotopausen, sowie dem Genuss von Aussicht und Menschenverhalten saßen wir nach etwa 5h 45min mit 1300m hoch und runter in unserem Lieblings-Café beim "Gipfel"-Bier. Wie tags zuvor versprochen. Der Barrista muss grinsen. Wir versprechen erneut, am nächsten Tag wieder zu kommen. Heiße Dusche, trockene Kleidung, Hunger, Durst. Abendessenszeit. Weil das Wort gerade gefallen ist, gehe ich kurz auf das Thema Kleidung ein. Um den Menschen in Georgien etwas entgegen zu kommen und sie nicht mit Transidentität zu überfordern, ließ ich ausgesprochen feminine Kleidung zu Hause. Ebenso die Schminke bis auf ein bisschen Wimperntusche, die ich am Ende gar nicht nutzte. Wir beschränkten uns auch aus Gründen der Gepäckmenge auf Wanderklamotten, sprich Hosen, Shirts, Zustiegsschuhe und Bergstiefel. Damit bin ich in den Dörfern gut gefahren. Für die Ausreise aus Georgien, die ich später beschreiben werde, war das eher ungünstig. Machen wir uns nichts vor. Die Bergbewohner stuften mich sehr wahrscheinlich als etwas merkwürdigen Kerl ein. Doch mit einer Frau an meiner Seite hat sich niemand daran gestört. So, jetzt, Essen. Wir wählten die In-Kneipe für Touristen in Mestia direkt neben der Touristeninformation. Glücklicherweise bekamen wir gleich einen Tisch für zwei. In diesem Lokal nicht selbstverständlich, da sehr gut besucht. Ist auch ganz hübsch und sehr international eingerichtet. Es spielt ab 20 Uhr ebenfalls Livemusik. Die Karte. Wir beginnen zu blättern, die Bedienung kommt sofort, was in Georgien etwas ungewöhnlich ist, und wir bestellen schon mal hausgemachten Wein. Erstmal einen Liter. Auf Englisch faselnd wollen wir von ihr eine Empfehlung haben und staunen nicht schlecht als sie nahezu akzentfrei auf Deutsch antwortet. Auch das Menü ist auf Deutsch weiter hinten verfügbar. Sie hat in Deutschland studiert. Es folgt das gleiche Spiel, wie am Vortag, bloß dass das Essen nicht ganz so -wie soll ich sagen- geschmackig war, es etwas mehr Wein gab und bessere Musik gespielt und gesungen wurde. Dafür war die Rechnung kleiner. Erstaunlich. Wir hatten Spaß. Blöderweise sind wir etwas zu spät aufgebrochen. Der Bäcker hatte schon Feierabend gemacht. Wir hatten uns nämlich überlegt, dass wir nicht wie geplant am nächsten Tag zu einem Gletscher wandern, denn der Wanderweg hätte aus einem ebenfalls neu planierten Feldweg bestanden und wie ein Gletscher aussieht, nun ja, das ist uns nicht ganz fremd. Planänderung. Wenn wir schon mal da sind, wäre das Weltkulturerbe Ushguli eine Reise wert. Sofern man nicht 4 Tage zu Fuß über eine Schlammstraße dorthin laufen möchte, nimmt man sich einen Fahrer mit Geländewagen. Das Ticket kauften wir vor dem Essen zwischen Touristeninfo und Restaurant. Und eben dafür wäre Marschverpflegung nicht schlecht gewesen. Die zweite Nacht im Großen Kaukasus zieht vorbei. Der nächste Tag. Das nächste Abenteuer. Auf dem Weg zum Taxi sehen wir, der Bäcker ist schon wieder fleißig. Gibt also doch noch dieses unglaublich leckere Brot aus dem Ofen. Das Allerbeste beim Brotkaufen ist das kaum erkennbare Lächeln des Bäckers, wenn man sich in der Landessprache für das Brot bedankt. Madloba (მადლობა). Ich hätte am liebsten gleich reingebissen, doch es galt, die Beute im Rucksack zu verstauen, denn ein riesengroßer aber sehr netter und etwas introvertierter Hund hatte auch noch nichts gefrühstückt. Die Georgier gehen nicht gerade zimperlich mit ihren pelzigen Freunden um. Sehr häufig sind Ohren und Schwanz kupiert. Komischerweise kann man nicht erkennen, dass bestimmte Tiere bestimmten Menschen zu zuordnen sind. Alles läuft einfach frei herum und kümmert sich um sich selbst. Die gute Nachricht: Die Hunde sind im Allgemeinen friedlich und drängen sich nicht auf und betteln auch nicht. Es sei denn, ein Tourist kommt auf die Idee, den armen Vierbeinern helfen zu wollen. Dann hängt eine große Traube um ihn herum. Doof sind die Feuchtnasen ja nicht. In eines ihrer Reviergerangel sollte man jedoch nicht geraten. Ansonsten bin ich damit gut klargekommen, obwohl ich diesem Haustierwahnsinn in Deutschland so überhaupt nichts abgewinnen kann. Von daher sind mir die Viecher in Georgien gar nicht störend vorgekommen. Gut selbst erzogen eben. Zurück zu unserem Freitagsabenteuer. Pünktlich um kurz nach neun stehen wir Gewehr bei Fuß am Taxistand. Die ersten Fahrer sind eingetrudelt. Ein älterer, kräftiger Kerl ist wohl so etwas wie der Einteiler. Er verlangt nach unserem Ticket, das wir ihm aushändigen und das wir nicht wiedersehen, obwohl da sozusagen auch die Rückfahrt drauf ist. Das sei so in Ordnung. Wir sollen uns keinen Kopp machen. Man muss ein wenig Vertrauen in die Georgier haben. Wir haben nicht erlebt, dass Vereinbartes nicht stattfand. Grundsätzlich halte ich die Menschen dort für zuverlässig und loyal, genauso, wie das in der zugänglichen Literatur zu finden ist. Was sie sagen, findet statt. Nur mit der Zeit darf man sich nicht so festlegen. Für Deutsche sicherlich nicht immer einfach. So auch für uns. Er weist uns einen Allrad-Bus zu. Nach kurzer Wartezeit steigen wir ein. Es wird indes mit den wenigen anderen Touristen verhandelt, wo es hingehen soll und ob man gegebenenfalls Fahrgemeinschaften bilden kann. Ist bei uns nicht der Fall. Wir sitzen alleine auf der Rückbank. Unser Fahrer steigt ein. Es geht los. Denken wir. Zunächst geht's Dorf auswärts. Die Richtung könnte stimmen. Kurz vor Ende des Ortes biegt er in einen Innenhof ab, zu dessen Befahrung man bereits ein geländegängiges Fahrzeug braucht. Ein Spezl von ihm hat offensichtlich ein technisches Problem. Erstmal eine Fluppe an. Dann wird diskutiert und geschaut. Kann ja sein, dass er noch kurz was Privates zu erledigen hat, reden wir uns ein. Passt scho. Er steigt wieder ein und zirkelt aus dem Hof raus. Nein, wir fahren nicht weiter aus dem Dorf raus. Er biegt wieder ins Zentrum ab. Wir fahren zurück in den Ort. Unterwegs telefoniert er und ich denke laut, er wird sicherlich nicht quasi leer rauffahren. Wahrscheinlich haben sich noch Leute gefunden, die den gleichen Weg haben. Sprechen mit dem Fahrer war leider wieder nicht möglich. Seine Englischkenntnisse haben dazu nicht ausgereicht. Das soll kein Vorwurf sein. Ist eben so. Ich spreche ja auch kein georgisch oder russisch. Macht halt nur die Kommunikation schwierig. Er fährt am Zentrum vorbei und tatsächlich halten wir vor einem Guesthouse. Er rennt rein, kommt gleich wieder raus. Fluppe an. Zufällig stehen genau dort noch zwei Kumpels von ihm rum. Wenige Minuten und etwa 2-3 Kippen später steigen zwei Asiatinnen ein. Nun gut. Dann wird es ja jetzt losgehen. Wir hocken immerhin schon eine halbe Stunde im Bus und sind immer noch am Ausgangspunkt. Er wendet und fährt schnurstracks an der Abzweigung nach Ushguli vorbei, durch den ganzen Ort durch. Am Ende stehen wir wieder in besagtem Innenhof. Er rennt wieder weg. Fluppe an. Sein Spezl ist gar nicht mehr da. Trotzdem scheint es einen Grund zu geben, warum er sich dort die Zeit vertreibt. Mir schwillt so langsam der Kamm. Er kommt zurück, steigt ein, zirkelt wieder aus dem Hof raus und biegt in Richtung Ort ab. Jetzt hat er bestimmt alles erledigt. Nicht ganz. Wir fahren wieder zurück zu unserem ursprünglichen Startpunkt an der Touristeninfo. Er steigt aus. Fluppe an. Eine dreiviertel Stunde ist inzwischen ins Land gegangen. Ich überlege laut, wo unsere Schmerzgrenze ist und wir aussteigen dürfen. Aber was für ein Zirkus, da wieder sein Geld zu bekommen. Man kann ja mit niemandem verhandeln. Er quatscht mit seinen Kollegen. Nächste Fluppe an. Ich glaube, er wird sehr bald an Lungenkrebs sterben. Dann endlich. Er steigt wieder ein. Sonst hat sich nichts verändert. Ich versuche meinem Unmut Luft zu machen. Er gestikuliert ruhig zu bleiben. Wir fahren wieder los. Vorbei am Abzweig nach Ushguli zur nächsten Tankstelle. Der Tankwart ist sofort zu stelle. Unser Fahrer macht sich erstmal ne Fluppe an und quatscht erneut mit einem Kumpel. So, ein voller Tank könnte ja bedeuten, dass wir so weit sind. Der Kumpel steigt ein als der Tankvorgang abgeschlossen ist. Wir brettern wieder am Abzweig nach Ushguli vorbei ins Zentrum, wo uns unser Gast wieder verlässt. Eine Stunde ist um seit wir eingestiegen sind und erneut biegt unser Fahrer zur Touristeninfo ab. Dieses Mal aber nur ein wirklich nicht nennenswerter Stopp. Praktisch sofort nach wenigen Worten mit den Spezln im Vorbeirollen nimmt er tatsächlich die Straße nach Ushguli. Es sind etwa 50km Strecke, von der wir wissen, dass es bis vor kurzem nur ein schlechter Feldweg war. Zu unserer Überraschung stellen wir fest, dass ein relativ großes Stück bis an Ipari vorbei inzwischen ein zweispuriger Betonweg ist. Dann folgt ein Stück, an dem gerade gebaut wird. Dort gibt es einen kleinen Vorgeschmack auf das, was noch an Weg auf uns wartet. Das Wahrzeichen namens Liebesturm taucht auf. Ein Wehrturm mit Wärterhäuschen. Ich denke, der Fahrer wollte etwas zur Geschichte sagen, doch -nun ja- wie, wenn ihn keiner versteht. Seine Sprache kam mir zudem nicht wie Georgisch vor. Macht aber auch keinen Unterschied. Wir fahren vorbei. Ca. 15km vor Ushguli endet jegliche Bebauung. In der vergangenen Nacht hatte es geregnet. Der Schlamm in den Schlaglöchern spritzt bis zur Scheibe hoch, die im Übrigen im Wesentlichen aus Rissen besteht. Kurze Pause an einem Kiosk. Fluppe an. Der Fahrer hebt Walnüsse vom Boden auf, die er mit uns teilt. Fand ich eine coole Geste. Wir vertreiben uns die Zeit, die die Asiatinnen damit zu bringen, eine Toilette zu suchen, mit Nüsse knacken und eben rauchen. Also der Fahrer. Es geht weiter. Für die letzten 9km brauchen wir nochmal etwas mehr als eine halbe Stunde. Der Regen hat Steinschlag und Erdrutsche ausgelöst. An ganz verschütteten Stellen mühen sich die Leute mit kleinen Bulldozern ab, um wenigstens eine schmale Spur befahrbar zu bekommen. Dann endlich. Nach etwas mehr als zwei Stunden. Ushguli. Wir umrunden das Dorf auf der Passstraße zum Sagar-Pass. Der Fahrer lässt uns an der Lamaria-Kirche am oberen Ortsende raus. Die Asiatinnen signalisieren, dass sie nicht mit zurückfahren. Sie hätten eine Übernachtung in Ushguli gebucht. Vom Fahrer bekommen wir unseren Treffpunkt für später genannt und da verstehe ich, dass er nicht gleich zurückfährt, sondern auf uns wartet, bis wir alles getan haben, was wir tun wollen. Egal wie lange das dauert. Er wird warten. Wir können uns darauf verlassen. Deswegen ist es auch egal, ob wir unser Rückfahrticket noch haben oder nicht. Unsere einzige Herausforderung besteht daraus, später das Café Koshki zu finden, wo er sich den Tag vertreibt. Zeit spielt dabei keine Rolle. Etwas genervt von der Fahrt und den doch nicht ganz wenigen Touristen im Dorf schlagen wir den Weg zu Fuß in Richtung Enguri-Tal ein. Wir genießen die Ruhe und die Aussicht auf die Schchara-Südwand. Ob man da wohl irgendwo hochklettern kann? Wir wissen es noch nicht. Sieht jedenfalls nicht so leicht aus. Später zu Hause recherchieren wir, dass Besteigungen stattfinden, doch die Südwand wird sehr selten begangen. Startpunkt wäre Ushguli, wobei man von dort noch ein gutes Stück mit dem Geländewagen bis fast zum Basislager fahren kann. Es handelt sich nicht gerade um die leichteste Bergtour. Sie ist logistisch aufwendig, klettertechnisch einigermaßen anspruchsvoll und macht mehrere Biwaks in der Wand nötig. Der Hauptgipfel ist mit rund 5200m (genaue Angaben sind nicht zu finden) die höchste Erhebung in Georgien. Aber gucken ist ja erlaubt. Etwas abseits des Touristenweges suchen wir uns den Viehpfaden folgend ein windgeschütztes Plätzchen, um Brotzeit zu machen. Es ist Zeit zum Umkehren. Auf gleichem Pfad geht's zurück in den Ort, den wir das Café Koshki suchend besichtigen. Unterwegs kommen wir noch am Ushguli Skiing Center vorbei. Ein vielleicht 100m langer Schlepplift. Süß. Die Wege durchs Dorf sind letztendlich nur breite Trampelpfade, die in gewissen Grenzen mit Geländefahrzeugen befahren werden können. Die meisten Gebäude sind Ruinen. Dazwischen immer wieder etwas hergerichtete Häuschen, die offensichtlich tatsächlich bewohnt sind. In der Regel werden dort auch Zimmer angeboten. Der Winter steht vor der Tür. Die Menschen haben Heu eingefahren und vor jedem zweiten Haus wird Brennholz gesägt und geschlagen. Auch hier überall Tiere auf den Wegen, in den Höfen und an den Hängen der umliegenden Berge. Alle, die in Deutschland über ihre Lebensbedingungen jammern und Staat und Gesellschaft für die eigenen Probleme verantwortlich machen, sollten sich das mal ansehen. Wir sind jedenfalls wieder geerdet, nachdem wir Kinder mit ihren einzigen Spielsachen zwischen streunenden Hunden, Schweinen und Kühen in deren Hinterlassenschaften glücklich auf einem breiten Trampelpfad im Schlamm haben spielen sehen. Die Menschen sind hier wohl gläubig. Es gibt in den drei Dorfteilen von Ushguli 7 oder 8 Kirchen und Kapellen. Die ältesten stammen aus dem 7. oder 8. Jahrhundert und es soll sehenswerte Fresken geben, wenn man sich dafür interessiert. Uns gibt dieses Kirchenzeug nicht so viel. Bei anderen ist das vielleicht anders. Café Koshki kommt in Sicht. Und siehe da, der Fahrer ist auch da. Wie versprochen. Er hat es überhaupt nicht eilig. Wir nehmen noch Tee und Kaffee, genießen die Sonne im Windschatten des Gebäudes. Er lädt uns auf einen Schnaps aus einem Horn ein. Wir nehmen an. Die Botschaft dahinter lautet: "Geht in den Souvenirshop, wo der Schnaps herkommt, und kauft eine Kleinigkeit. Die Menschen hier leben davon.". Swanetisches Salz hatten wir schon im Café mitgenommen, also schnackten wir ein wenig mit dem netten Herrn, der sich im Shop die Füße platt steht und nehmen noch ein Widderhorn mit. Alle sind zufrieden. Die Getränke alle. Wir sind bereit für den Rückweg. Dieses Mal besteht der Fahrer darauf, dass jemand von uns vorne neben ihm Platz nimmt. Also steige ich vorne links ein. Ist nämlich ein rechtsgelenktes Fahrzeug, wie viele andere auch. Dorf auswärts wird nochmal für einen Plausch mit den Kollegen gehalten. Diese richten aus, dass weiter unten am Weg eine Frau wartet, die nach Mestia möchte. Ob er sie noch mitnehmen könne. Der Fahrer versichert sich bei uns rück, ob das für uns in Ordnung geht. Wir stimmen selbstverständlich zu. Die Frau ist auch tatsächlich da und steigt ein. Sie hat den Weg von Mestia nach Ushguli über mehrere Tage zu Fuß zurückgelegt und möchte sich das auf dem Rückweg nicht nochmal antun. Sie spricht tolles Englisch. Für mich kein anderer Akzent erkennbar. Erst als sie mit dem Fahrer den Preis verhandelt merke ich, dass etwas anders ist. Sie klärt es selbst auf. Sie lebe seit einigen Jahren in Seattle, stamme jedoch aus Russland. Sie redete Russisch mit dem Fahrer und da verstand ich, warum sich sein georgisch für mich irgendwie anders anhörte. Er ist kein Georgier. Möglicherweise Russe. Sie verstehen sich prächtig. Er taut ein wenig auf. Es gibt Kaugummi und Schnaps. Sie übersetzt uns was der Fahrer nun plötzlich alles über die Gegend, die Straße und die Sehenswürdigkeiten erzählt. Unter anderem über den Liebesturm, an dem wir natürlich wieder vorbeikommen. Kurz vorher treffen wir auf der Straße auf einen Hirten, der seine Kühe vor sich hertreibt. Unser Fahrer hält an, kurbelt das Fenster runter. Die beiden scheinen sich gut zu kennen. Sie busseln, was unter Freunden männlichen Geschlechts hier nicht unüblich ist. Kurz darauf erreichen wir besagten Turm. Dieses Mal besteht der Fahrer darauf, dass angehalten wird und wir diesen Turm besichtigen. Unser Taximate hat uns inzwischen die Story zum Turm übersetzt. Der Eintritt soll einen Lari kosten. Es gibt eine Art Museumswärter. Unser Fahrer springt aus dem Auto, Fluppe an, über den Zaun zum Wärter. Die beiden kennen sich natürlich auch. Sie verschwinden im Wärterhäuschen, nachdem man von uns kein Geld haben wollte, sondern uns aufforderte: "Geht einfach mal gucken. Das passt schon so. Habt eine schöne Zeit.". Wir krabbeln im Turm nach oben. Zu sehen gibt es nicht viel. Der Turm steht in einer Senke. Ich beobachte allerdings aus dem obersten Fenster, dass indes der Hirte ebenfalls eingetrudelt ist und zu den beiden anderen ins Wärterhäuschen verschwand. Wir krabbeln wieder runter, machen noch das eine oder andere Foto und nehmen an, dass jetzt bezahlt werden muss. Wäre mir ansonsten unangenehm. Weit gefehlt. Einfach einsteigen, meint der Fahrer. Wir nehmen lediglich den Hirten mit ins nächste Dorf. Pling. Das war die Bezahlung. So tickt die Welt in Georgien. Selbstverständlich steigt der Hirte vorne ein. Ich mache mir nichts draus und quetsche mich auf die letzte Bank. Die Mädels in der Mittelreihe rümpfen die Nase ob des neuen Fahrgastes. Der stinkende Duftbaum in Form einer Schildkröte, der vor der Nase meiner Frau hängt, wird ihr bester Freund. Ist aber alles nicht so schlimm. Es gibt Fenster und der Hirte verließ uns in der Tat im nächsten Ort wieder. Wenn ich mich recht erinnere, in Ipari. Die Fahrt geht erst weiter, als ich wieder vorne neben dem Fahrer Platz genommen hatte. Er bestand darauf. Also hinten raus, vorne rein und weiter. Inzwischen befinden wir uns wieder auf dem ausgebauten Betonweg. Es geht gut voran. Ein weiterer Stopp wird nötig. Es gäbe einen wunderschönen See mit Blick auf vergletscherte Berge. Das müssen wir unbedingt sehen, meint der Fahrer, synchronisiert durch unsere Mitfahrerin. Wir biegen auf einen Picknick-Platz mit Kiosk, Feuerstellen und Bänken ein. Es ist sonst niemand da. Der Fahrer hat recht. Es ist wirklich hübsch hier. Die Berge spiegeln sich im See, die Bäume glänzen in allen Herbstfarben. Gemeinsam versuchen wir, auf unserer Kompasskarte herauszufinden, wie der markanteste Berg vor uns heißt. Nach kurzem Aufenthalt fahren wir dann endgültig zurück nach Mestia. Der Fahrer ist unserer Mitreisenden noch dabei behilflich, eine Weiterfahrt über Nacht ins 460km entfernte Tbilisi zu beschaffen, denn sie möchte nicht länger bleiben. Muss wahrscheinlich irgendwann zurück nach Seattle. Wir geben ein kleines Trinkgeld, wackeln in unsere Unterkunft, werfen uns in andere Kleidung, Duschen ist nicht möglich, das Wasser ist bereits den ganzen Tag ausgefallen und gehen sofort wieder los. Eine Rückreise am nächsten Tag zum Flughafen muss noch organisiert werden und um etwas zu Essen zu bekommen. Wir haben Hunger. Es ist bereits nach 18Uhr. Wagemutig beschließen wir, die Rückreise mit der Marschrutka zu versuchen. Das machen alle Einheimischen so. Dabei handelt es sich um einen Mehrsitzerbus, die hier überall herumfahren und praktisch den inländischen Personenfernverkehr abbilden. Man muss einfach zeitig da sein. Gestartet wird, wenn der Bus einigermaßen ausgelastet ist. Genaue Abfahrts- und Ankunftszeiten gibt es nicht. Transportiert wird alles, was von A nach B muss. Weil uns am ersten Abend das Essen besser schmeckte, wählten wir anschließend erneut das Restaurant vom ersten Tag. Wir sind so spät an, dass kurz nach unserem Eintreffen und unserer Bestellung die Livemusik beginnt. Leider eine absolute Katastrophe. Es tut regelrecht weh in den Ohren. Ein mäßig guter Sänger gibt zu georgischen Retortenschlagern sein Bestes, begleitet von einem zweiten jungen Mann, der hin und wieder mitsingt oder mit handgemachter Musik die Lage nicht gerade verbessert. Des Weiteren ist von den gewählten Speisen die Hälfte nicht verfügbar und auch in Georgien hat man anscheinend Mühe, gutes Personal zu finden. Noch während ich esse, zieht die eifrige Aushilfe meiner Frau den Teller unter der Nase weg. Wir kippen den Rotwein regelrecht in uns hinein, um möglichst schnell verschwinden zu können. Was wir dann tun, könnte man gut und gerne als "die Flucht ergreifen" bezeichnen. Wir stehen auf der Straße. Der Abend ist noch jung. Was tun. Gegessen haben wir. Ein Espresso wäre nicht schlecht. Die Café-Bar. Der Barrista. Wir hatten versprochen, nochmal zu erscheinen. Ob die noch offen hat? Es sind nur ein paar Meter die Straße runter. Es sieht zwar dunkel aus, doch es ist offen. Wir treten ein, der nette Kaffeemann lächelt. Der Abend ist gerettet. Bei Espresso kommen wir ein wenig mit ihm ins Gespräch. Es sind sonst keine Gäste da. Er heißt Max und stammt eigentlich aus der Ukraine. Für meine Frau ein Glas Wein, für mich ein Bier. Er startet noch in diesem Jahr seine Weltreise, erzählt er. Extra zu diesem Zweck befindet sich auf der Theke eine kleine Kasse mit ein paar Zeilen zu seinem Vorhaben. Wer will, kann was reinwerfen. Sie ist gut gefüllt. Spricht für ihn. Ich lege auch noch was drauf. Insbesondere Afrika und der Ferne Osten interessieren ihn. Sehr spannend. Wir erzählen von unserer Liste unserer Wünsche, die witzigerweise in der Woche davor um einige Länder gewachsen ist. Neben den ganzen Bergabenteuern, die noch ausstehen. Wir lassen ihn weiter seine Arbeit tun und ziehen uns in eine Ecke zurück, lauschen der angenehmen Musik, daddeln ein wenig auf unseren Smartphones rum. Die restliche Reise ist in trockenen Tüchern. Als das Café schließt gehen wir auch. Nach Rücksprache mit meiner Frau lasse ich Max einen Zettel mit einer eMail-Adresse da. Falls er auf seiner Reise einen Platz in Süddeutschland benötigt. Der Bäcker hat leider bereits Feierabend gemacht. Wir hätten liebend gerne eines seiner überirdisch leckeren Brote mit auf die Fahrt morgen genommen. Aber vielleicht hat er ja morgen früh schon offen. Doch wir müssen schon um 8 Uhr am Bus sein. Eher unwahrscheinlich, dass der Gute zu dieser Zeit schon den Ofen befeuert hat. Zurück im Guesthouse beginnen wir zu packen. Das geht schnell. Im Wesentlichen müssen alle für den Flug im Handgepäck nicht erlaubten Gegenstände aus den Rucksäcken. Viel dabei hatten wir ja nicht. Mit unseren Gastgebern vereinbaren wir ein Frühstück um 7 Uhr. Das sei kein Problem. Mit dem Herrn des Hauses kommen wir ein wenig ins Gespräch und erfahren, dass sein Bruder in Deutschland studiert hat und dort als Lehrer arbeitet. Klein die Welt ist. Wir sprechen ihn auf die Berge an und dass wir große Lust hätten, wieder zu kommen, um nicht nur zu wandern, sondern Bergsteigen zu gehen. In der Umgebung stehen Laila und Tetnuldi. Beide über 4000m hoch. Der Tetnuldi ist sogar ein paar Meter höher als der Mont Blanc. Infrastruktur, wie in den Alpen, gibt es nicht. Für solch ein Abenteuer wären wir auf lokale Hilfe angewiesen. So etwas wie ein Bergführerbüro ist mir im Ort nicht begegnet. Genauso wenig wie Bergsteiger. Das sei überhaupt kein Ding, meint er. Sein Spezl ist Bergführer und könne uns da unterstützen. Es seien immer wieder mal ausländische Bergsteiger da, die seine Dienste in Anspruch nehmen. Kürzlich erst eine Schweizer Seilschaft. Da schau. Geht alles. Noch Fragen? Wir bedanken uns und gehen zu Bett. Die dritte Nacht im großen Kaukasus zieht vorbei. Der letzte Tag. Frühstück steht pünktlich bereit. Mutter und Sohn sind beide für uns aus den Federn gekrochen. Man kann sich auf die Menschen verlassen. Es folgt ein kleiner Abschied bevor wir uns auf den Weg zum Bus machen. Wie vermutet, hat der Bäcker leider noch geschlossen. Ein kleines Stück seines Tonis Puri ist vom Vortag noch übrig. Wenigstens das. Am Bus herrscht reges Treiben. Auch die gegenüberliegende Abfahrtsstelle ist gut besucht. Alle "Agenturen" haben mehrere Busse am Start, die unterschiedliche Ziele anfahren. Wir steigen in einen 20-Sitzer Sprinter ein. Sieht überhaupt nicht heruntergekommen aus. Man fühlt sich, wie in einem kleinen Reisebus. Gar nicht so schlecht, wie vermutet. Man könnte auch sagen, gut. Das Gepäck der Fahrgäste wird teilweise auf dem Dach verzurrt. Ebenso das eine oder andere Fahrzeugersatzteil, sowie Ersatzräder. Der Bus wird nicht so voll, wie gedacht. Der eine oder andere Platz ist noch frei als wir losfahren. Kostenpunkt bis Kutaisi: 25 Lari pro Person, was etwa 8€ entspricht, für 250km und geschätzten 5 Stunden Fahrt. Ein Witz. Wir merken schnell, dass der Bus nicht langsamer ist, als ein PKW. Die Fahrer kennen jede Kurve und jedes Schlagloch. Gebremst wird nur, wenn es gar nicht anders geht. Festhalten ist angesagt. Ich muss jedoch zugestehen, dass ich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl hatte, die Fahrer hätten ihre Sache nicht im Griff. Es läuft. Alles, was uns auf Rädern und Beinen begegnet, wird überholt. Alle Busse, die vor uns gestartet waren, holt unser Fahrer wieder ein. Nach zwei Stunden Pause an einer -wir würden sagen- Fernfahrerkneipe. 4-5 Busse kommen fast zeitgleich an. Es gibt zwei Toiletten. Bei allen müssen die Frühstücksgetränke raus. Ich springe über meinen Schatten, denn die Schlange an der Mädchentoilette ist lang und wird nicht kleiner. Also, dachte ich, wenn mich eh alle für einen komischen Kerl halten, kann ich mir die Sache auch einfach machen. Schwupps. Herrentoilette. Kommt eh überall das gleiche raus. Ich verstehe die Geschlechtertrennung in dieser Angelegenheit sowieso nicht. Wir stehen fast 45 Minuten in der Kälte herum bis es weiter geht. Der Fahrer ist jedoch ein anderer. Muss man nicht verstehen. Nächster Halt: Zugdidi. Dort angekommen, halten mehrere Busse, unter anderem unserer, an einer Tankstelle. Fahrer und Fahrgäste werden neu sortiert. Warum auch immer sitzen bei uns im Bus Menschen, die gar nicht nach Kutaisi wollen, sondern nach Batumi am Schwarzen Meer müssen. Wieder ein anderer Fahrer setzt die Fahrt in unserem inzwischen etwa halbgefüllten Bus fort, nachdem sich alle Einheimischen im Bus einen Platz möglichst weit vorne gesichert hatten. Es sind noch gut 100km bis Kutaisi. Die Berge haben wir hinter uns gelassen. Die Straße kann man als solche bezeichnen. Die Fahrt erinnert an einen Flug im Rasenden Falken kurz vor Eintritt ins Wurmloch. Es scheppert und knattert an allen Ecken und Kanten. Ich wundere mich, dass noch nichts vom Dach geflogen oder vom Bus abgefallen ist. Der Fahrer legt noch einen Zahn zu und überholt alles, was sich ihm in den Weg stellt. Gegenverkehr spielt keine Rolle. Er beginnt, mit Telefon am Ohr zu telefonieren. Der Flughafen kommt in Sicht. Er liegt westlich einige Kilometer außerhalb der Stadt. Da wir bei Fahrtantritt ausdrücklich sagten, dass wir dort raus wollen, gehe ich davon aus, dass gehalten wird. Der Fahrer telefoniert noch. Er fährt auf das, was man bei uns Verzögerungsstreifen nennt. Allerdings nutzt er diese Spur nur, um eine Bodenwelle zu umfahren und kehrt sofort wieder auf die Hauptstraße zurück. Zack. Vorbei. Kein Halt. Er telefoniert immer noch. Kurze Ratlosigkeit, ob wir ihn darauf hinweisen sollen. Wir lassen es. Entschließen uns dazu, bis Kutaisi mitzufahren. Zeitnot haben wir keine. Vielleicht gibt es dort was zu Essen. Es ist schon nach 13 Uhr. Hunger macht sich breit und die Stadt zu sehen könnte ein Erlebnis sein. Die Einfallstraße in die Stadt ist gespickt mit Autokradlern. Einen unserer Fahrgäste werfen wir mit den Ersatzteilen vom Dach dort ab. Endstation dieser Fahrt ist der Busbahnhof in Kutaisi. In Sekundenbruchteilen wissen meine Frau und ich unabhängig voneinander, dass wir hier nicht bleiben wollen, um noch was anzusehen. Es ist laut, es stinkt, viel zu viele Menschen hier und absolutes Chaos auf den Straßen und Wegen. Ein krasser Übergang von der Beschaulichkeit des Landes. McDonald's ist hier ebenfalls bereits angekommen. Schnell nen Burger rein. Der Magen hängt auf den Knien. Auf dem Weg dorthin spricht uns ein älterer Taxifahrer mit ein paar Worten auf Deutsch an. Wir signalisieren ihm, dass wir zum Flughafen wollen, vorher jedoch noch etwas zu Essen reinwerfen. Wir sollen unsere Taschen schonmal bei ihm ins Auto packen. Wir lehnen dankend ab, versprechen aber, gleich wieder da zu sein. Das tun wir dann auch und in der Tat, er hat auf uns gewartet. So schnell, wie wir in die Stadt reingefahren wurden, geht's auch wieder raus. Unterwegs nur noch schnell Kippen kaufen. Aber das kennen wir ja bereits. Er liefert uns wohlbehalten am Flughafen ab. Der Fahrpreis ist klein: 20 Lari, etwas mehr als 6€. Am Flughafen herrscht wieder Ruhe. Gepäck aufgeben ist noch nicht möglich. Wir setzen uns draußen in die Sonne und lassen die Tage Revue passieren. Nach der morgentlichen Kälte in den Bergen tut es gut, die Sonne zu spüren. Irgendwann wird unsere Flugnummer per Lautsprecher auch draußen durchgegeben und wir können das Gepäck loswerden. Eine kleine Menschenmenge hat sich inzwischen gebildet. Scheinbar gehen alle Flüge erst gegen spätem Nachmittag/Abend hier weg. Vom Check-In-Schalter geht es gleich zur Passkontrolle. Wir stehen kurz an. Dann bin ich an der Reihe. Meine Frau wird nach mir zu einem anderen Schalter beordert. Bordkarte und Personalausweis gebe ich dem Polizisten. Der legt meinen Ausweis auf das Lesegerät und beginnt, komisch zu schauen. Na, was gefällt dem denn jetzt nicht, denke ich. Er nimmt den Ausweis vom Gerät, dreht und wendet ihn, beschaut ihn von allen Seiten, legt ihn wieder aufs Lesegerät. Wann ich eingereist sei? Vor vier Tagen. Er guckt wieder komisch. Wahrscheinlich kennt er die Wochentage auf Englisch nicht. Was hat der Kerl, geht mir wieder durch den Kopf. Er kann praktisch kein Englisch. In sehr rudimentären Worten will er wissen, ob ich noch ein anderes Ausweispapier habe. Ich: "Nein, höchstens noch einen Führerschein, wenn ihn das interessiert.". Er winkt ab. Legt den Pass wieder aufs Lesegerät und versucht, mit einem Kollegen Kontakt aufzunehmen. Was für ein Mist. Was ist los hier. Ich verstehe die Welt nicht. Sein Kollege kommt. Scheint der Schichtführer zu sein. Er hockt sich hin und sieht sich ebenfalls den Pass an. Erneut die Frage, ob ich denn keinen anderen Passport hätte. Ich wieder: "Nein, habe ich nicht. Das ist ein gültiger deutscher Personalausweis und mit dem bin ich auch eingereist.". Inzwischen ist meine Frau durch die Passkontrolle gelangt und wartet direkt neben meinem Schalter auf mich. Sie bekommt mit, dass es Zirkus gibt. Und wieder die Frage, ob ich denn nicht noch irgendetwas anderes zum Ausweisen dabei hätte. Ich frage mich wirklich, ob die Jungs ein wenig zu kurz in der Schule gewesen sind. "Neeeiiiinnn." Was ist mit meinem Perso nicht in Ordnung? Ein dritter Polizist kommt hinzu. Sie gackern irgendetwas untereinander auf georgisch. Es sind inzwischen gut 10 Minuten vergangen. Unbehagen macht sich breit. Ich habe keine Lust, in irgendein Hinterzimmer entführt zu werden. Ich schmiede im Kopf einen Plan, was in dem Fall zu tun ist. Ich weiß, wo die Nummer der deutschen Botschaft in Tbilisi steht. Grinsen macht sich in den Gesichtern der drei Helden breit. Etwas genervt haut der Schichtführer seinen Stempel auf meine Bordkarte, gibt mir meine Sachen zurück und schickt mit durch. Sie beginnen zu lachen und offensichtlich Witze über mich zu reißen. Arschlöcher, denke ich. Euch ist wohl nicht zu helfen. Was die Jungs für ein Problem hatten, begreife ich erst später. Jeder nehme seinen eigenen Personalausweis zur Hand und prüfe, was dort drauf steht. Name, Vorname, eine Passnummer, eine Anschrift, usw. Nicht zu finden ist das Geschlecht. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Meine Frau hatte die Gelegenheit, bei ihrer Passkontrolle zu sehen, was passiert, wenn ein Ausweis auf dem Kartenleser landet. Der Pass spuckt wesentlich mehr Informationen aus, als man von draußen sehen kann. Natürlich auch das Geschlecht. Ich hatte beschrieben, dass ich mich in Sachen Kleidung und Aussehen etwas zurück hielt, um die Georgier nicht zu überfordern und dass die meisten mich wahrscheinlich für einen etwas merkwürdigen Kerl gehalten haben. Was ist passiert? Die drei Polizisten halten den Personalausweis einer Frau in Händen und vor dem Tresen steht ein etwas merkwürdiger Kerl in deren Wahrnehmung. Das war der springende Punkt. Mit so etwas kommt der Durchschnittsgeorgier nicht zurecht. Die meisten anderen Menschen auf der Welt möglicherweise auch nicht. Fehler gemacht. Egal, die Aufregung legt sich. Ein kühles Bier vor dem Abflug hellt die Stimmung wieder auf. Wir steigen ins Flugzeug. Die nächste Überraschung wartet. Ich sehe, wie jemand, der mir sehr bekannt vorkommt, dessen Name mir jedoch nicht einfällt, die Treppe ins Flugzeug hochkommen. Ein Arbeitskollege. Ich erfahre später, dass er mit einem Kumpel zwei Wochen in Georgien unterwegs war. Klein die Welt ist. Eine Bestätigung für meine These bezüglich meines Problemes bei der Ausreise aus Georgien bekomme ich, in Deutschland gelandet, bei der Passkontrolle am deutschen Flughafen in Memmingen. Ich reiche dem Polizisten meinen Ausweis. Der legt ihn, wie in Georgien auch, auf das Lesegerät. Er verzieht kurz das Gesicht, hält mir den Ausweis hin und sagt: "Das ist der Ausweis einer Frau.". Ich antworte: "Ja, das ist auch richtig so. Schonmal was von Transidentität gehört?". Selbstverständlich hat er das und sein Kollege neben ihm auch. Überhaupt kein Problem. Passt alles. Wir schnacken kurz über mein Erlebnis in Georgien. Beide schütteln verständnislos den Kopf und wünschen eine gute Heimreise. Ja, so kann es auch gehen. Danke, liebe Polizisten aus Memmingen. Den Nasenbären in Georgien ist offensichtlich nicht bewusst, dass sie neben ihren Tätigkeiten in Sachen Sicherheit, die sie bestimmt gut tun, auch ihr Land repräsentieren. Touristen abzuschrecken ist in der Situation, in der sich das Land gerade befindet, sicherlich nicht die klügste Tat. Es handelte sich andererseits um den einzigen, vergleichsweise harmlosen Zwischenfall, der passiert ist. Hat man meine Bedenken vor Augen, überhaupt dorthin zu reisen, ist das eine ziemlich gute Quote. Ich bin nicht gestorben. Georgien ist ein tolles Land mit tollen Menschen. Und mit neuen bergsteigerischen Herausforderungen. Danke für dieses Abenteuer.

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