Es ist tatsächlich so, dass ich bzw. wir seit Erhalt unserer Fluglizenz überraschend viel geflogen sind, was natürlich alle anderen "üblichen" Aktivitäten etwas in den Hintergrund hat treten lassen. Hinzu kamen die für uns zumindest ungünstigen Hochtourenbedingungen in diesem Sommer, weswegen wir das eine oder andere Ziel entweder fallen lassen oder umplanen mussten, wie zum Beispiel die mit und für unseren Nachbarn Thomas angedachte Weissmies-Überschreitung.
Aber bleiben wir mal im August. Etwa eine Woche nachdem unsere Lizenzen eingetroffen waren, kamen wir auf die glorreiche Idee, unseren ersten frei wählbaren Flug machen zu wollen, wozu wir nach eingehender Beobachtung und Bewertung der Wetter- und Windverhältnisse an einem Sonntag zum Buchenberg fuhren. Was wir nicht bedacht hatten: Es sind Ferien, es ist Sonntag es gibt noch andere Menschen, die fliegen, es gibt eine Seilbahn als Aufstiegshilfe. Nachdem wir zu Fuß hochgetappt und zum Startplatz gewackelt sind, war schon klar, dass wir nicht alleine sein werden. Massen an Touristen bevölkerten den Startplatz, die Bedingungen zum Starten traten ziemlich pünktlich gegen Mittag ein und als der erste Pilot gestartet war, explodierte gefühlt in Sekunden die Zahl der Startwilligen. Die Touristen drängten sich rund um den Startplatz und beobachteten mit Spannung die Starts, die Schlange der Pilot:innen wurde immer länger und es riss nicht ab. Wie in einer römischen Arena kurz bevor die Löwen dran kamen. Nach etwa einer Stunde des Wartens und Beobachtens sanken das Selbstvertrauen und die Motivation, sich in dieses wilde Treiben zu stürzen, auf Null, was uns dazu veranlasste, wieder zu Fuß hinunter zu gehen. Ein deprimierendes Erlebnis, dem wir dann noch eins draufsetzen konnten. Um eventuell doch noch zu einem Flug zu kommen, siedelten wir zum Ammergauer Hörnle um, wo ich nach einer guten Stunde Aufstieg zum ersten Mal erlebte, dass hier tatsächlich geflogen wird und wir sind wirklich oft dort. Das Problem hier: Wir verpassten für uns beherrschbare Startbedingungen um wenige Minuten und auch von hier latschten wir nach einiger Zeit des Wartens wieder zu Fuß hinunter. Nach diesem Tag zweifelte ich, ob wir überhaupt bereit sind, um alleine in unterschiedlichen Fluggebieten zu fliegen.
Doch dann ändert sich alles. Ein Mensch namens Klaus, der mit uns zusammen die Ausbildung begann, sie aber fast ein Jahr vor uns abschloss und somit über wesentlich mehr Flugerfahrung verfügte, verabredete sich mit uns unter der Woche zu einem Flugtag am Buchenberg. Mental durch seine Anwesenheit gestärkt, flogen wir tatsächlich einige Male und gewannen dadurch enorm an Selbstvertrauen an diesem einen Tag, an den sich unmittelbar einige weitere spontane Hike&Fly Sessions anschlossen und auch ein erster Flugtag in Andelsbuch mit einem weiteren Spezl aus der Ausbildung. Erwähnenswert bei den Flügen in Andelsbuch ist meine erste Landung dort. Obwohl der Landeplatz wirklich reichlich Platz bietet und nicht zu verfehlen ist, so hat er doch die Besonderheit, dass es vom Dorf aus zu diesem Landeplatz bergauf geht. Das wurde mir fast zum Verhängnis, denn allein die Höhe über Grund ist in dem Fall keine Garantie dafür, dass der Landeplatz auch erreicht werden kann. Das wurde mir schlagartig klar, als ich auf dem Weg vom Dorf zum höher gelegenen Landeplatz plötzlich zwischen den Häusern durchblickte und wusste, dass ich die Landewiese sicher nicht mehr ansteuern kann. Nun bleibt ein Gleitschirm nicht einfach stehen, wenn es keinen Ausweg gibt. Die Pilotin ist gefragt, Lösungen zu finden und zwar innerhalb weniger Sekunden. Ein Blick um mich herum, unter mir ist eine Wiese mitten im Dorf und wenn ich mich schnell entscheide, besteht eine kleine Hoffnung, dass ich auf ihr landen kann bevor ich in Bodennähe über die Hauptstraße brettere oder in irgendeinem Zaum hängen bleibe. Ich schaffe es geradeso und habe ein paar wichtige Dinge dabei gelernt, die ich bei meinen zukünftigen Flügen berücksichtigen werde.
Ende August hatten wir eine Woche Urlaub, die wir mit der Besteigung des höchsten Berges im Albula-Gebiet begannen, dem Piz Kesch, zusammen mit unserem lieben Nachbarn Thomas. Mit Rücksicht auf fehlende Akklimatisierung und diverse Probleme in meinem Bewegungsapparat eine zumindest von den Höhenmetern und Zustiegswegen her eher überschaubare Tour, die gleichzeitig jedoch sehr abwechslungsreich ist und einen gewissen Anspruch an die bergsteigerischen Fähigkeiten stellt. Auf etwa 850 Höhenmetern von Hütte bis Gipfel und zurück kommt von blankem, steilem Eis bis zum Klettern im III. Grat ein bisschen was vorbei. Die Geschichte dazu hab' ich hier aufgeschrieben.
Noch in dieser Woche siedelten wir nach der Besteigung des Piz Kesch um nach Davos, wo wir allerdings nicht, wie geplant, geflogen sind, weil die Bedingungen uns nicht gut genug für einen mangels Bahn langen Hike gewesen sind und dann weiter ins Wallis, um ganz lieb gewonnene Menschen wieder zu treffen. Birgit und Remo von der Lärchenwald-Lodge in Bellwald. Dort angekommen, zeichneten sich bessere Flugbedingungen ab und so nutzten wir die Gelegenheit für einen ziemlich aufregenden Flug in Fiesch. Aufregend deswegen, weil wir ganz alleine am Startplatz standen, obwohl wir die Bedingungen als gut einschätzten und daher erwarteten, dass andere das auch so sehen. Vertrauend auf unsere Einschätzung sind wir gestartet und erlebten einen für unsere Verhältnisse turbulenten Flug, weil auf dem Weg nach unten aufgrund des relativ großen Höhenunterschieds und diverser angrenzender Täler einige unterschiedliche Luftmassen und Windrichtungen zu durchfliegen waren. Aber wir haben's hinbekommen, sind unbeschadet auf dem regulären Landeplatz gelandet, wo sich ebenfalls niemand aufhielt, und bauten per Liegestuhlliegen etwas Adrenalin ab. Ein abgefahrenes Erlebnis.
Das nächste Flugevent bog zwei Wochen später um die Ecke: Das Frauenfliegenfest (externer Link) in Lenk im Simmental. Dazu hatten wir uns sofort nach der bestandenen Flugprüfung angemeldet. Die Wettervorhersage für jenes Wochenende war zunächst sehr bescheiden und ob sich Fliegen überhaupt ausgeht, überhaupt nicht klar. Der weite Weg lohnte sich trotzdem, denn wir durften so viele coole Frauen kennenlernen und hatten ganz viel Spaß und neue Eindrücke, dass ich sie kaum zählen kann. Meine anfänglichen Bedenken wegen meiner Transidentität waren überdies völlig unbegründet, was meiner Seele unglaublich gut tat. Zu diesen superschönen Wochenende habe ich natürlich auch was aufgeschrieben.
Tja, was soll ich sagen. Nach dem Frauenfliegenfest sind wir erstmal wieder zum Fliegen gegangen. Ebenfalls bereits länger vereinbart war eine Art Flugreise zusammen mit Alex und Manuel nach Meduno in Italien. Auch hier grätschte das Wetter ordentlich rein. An den ersten beiden Tagen hatten wir Dauerregen vom Feinsten, doch dann wurde es langsam besser und bot uns die Möglichkeit, neben ein paar Abgleitern auch mal etwas länger in der Luft zu bleiben. Hangsoaring ist hier das Ding, weil unter normalen Umständen täglich ein laminarer Wind vom Meer her einsetzt. Hier haben wir gelernt, mit einem etwas stärkeren Wind beim Starten klar zu kommen und dass wir uns mit unserer Startkompetenz nicht zu verstecken brauchen. Ein paar Zeilen dazu gibt es hier.
Im Oktober schlossen wir weitere Flugerlebnisse an. So konnten wir zum Beispiel zusammen mit Klaus, den ich oben bereits erwähnte, die Gelegenheit wahrnehmen, unter der Woche am Tegelberg das erste Mal zu fliegen. Sonst trifft sich an den Wochenenden bei Flugbedingungen dort immer das nahezu gesamte fliegende Volk aus dem süddeutschen Raum, was die Gegend für mich immer sehr unattraktiv machte. Doch an diesem Tag war es einigermaßen überschaubar und es gingen sich zwei kleine Flüge aus.
Zwischendurch unternahmen wir mal wieder was zu Fuß und lernten den Plankenstein am Tegernsee kennen, dessen Gipfelaufbau wir geradeso ohne Sicherung erklettern konnten. Wenn frau da aus der Ferne drauf zu läuft, kann sie kaum glauben, dass es dort einen "Weg" gibt, der ohne Seil zu schaffen ist. Es geht allerdings etwas exponiert zu.
Doch dann ging's gleich wieder mit Fliegen weiter: Wank, Spieser und Mittag. Am Wank sind nach meinem Empfinden Starten und Landen kleine Herausforderungen, lässt sich aber gut als Hike&Fly machen. Ebenso der Spieser ab Bad Hindelang. Über die Pilotinnengruppe Allgäu durften wir dort zwei superschöne Flüge mit neuen und alten Bekanntschaften haben. Beim zweiten Mal war es nur echt zapfig, wie auf dem Bild zu sehen ist, und die Bedingungen waren grenzwertig bezüglich Windstärke und -richtung. Besonders gefreut hat mich, dass Erika alias Ulligunde sich die Zeit aus dem Rippen schneiden konnte und mit von der Partie gewesen ist. An die erste Spieser-Tour packten wir kurzentschlossen noch den Mittag hinten an. Bei anstehendem Talwind ist hier immer der Himmel bunt, doch an diesem Tag gab es keinen Andrang. Einfach nur runterfliegen, Start- und Landegelände kennenlernen, wobei der Start nach Nord schon auch spannend ist, weil frau genau auf eine Baumgruppe zu laufen muss, um abheben und sofort durch eine Waldschneise hindurch flüchten zu können. Da darf auch nicht so viel schiefgehen.
Die letzte längere Bergtour in 2022 bildete ein Ausflug zusammen mit Thomas, unserem Nachbarn, zu den Hohen Gängen. Anfang 2021 hatten wir hier schonmal einen Versuch gemeinsam unternommen, doch vergleichsweise große Schneemengen hatten über Nacht dafür gesorgt, dass der Plan unterwegs geändert werden musste. Dieses Mal war nix mit Schnee und wir konnten die Runde über den Grat zwischen Rotspitze und Breitenberg abschließen. Dazwischen liegen die erwähnten Hohen Gänge, eine größtenteils seilversicherte Passage mit ein paar exponierten Stellen und entsprechenden Tiefblicken. Hier auf dem Bild ist unser Ausstieg auf der Breitenbergseite zu sehen, wo eine lange Eisenleiter den Übergang von der Kletterei auf den Wanderweg bildet. Die Geschichte dazu ist weiter oben verlinkt.
Nun hoffe ich, ich kann dem einen oder der anderen mit meinem Geschreibsel noch einen schönen Jahresausklang bereiten und bin sehr gespannt, wie es nächstes Jahr weitergeht. Einige Abenteuer sind in der Pipeline, manche Hütte ist bereits gebucht, Pläne sind gemacht, die sogar der Unterstützung durch Bergführer bedürfen. Schau mer mal. In naher Zukunft bräuchte es bloß noch etwas Schnee und Eis. Doch das können wir nicht beeinflussen und werden mit dem leben, was wir bekommen können.
In diesem Sinne, bleibt gesund und habt's gut.
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