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  • AutorenbildMilla

Jetzt bloß nicht die Zuversicht verlieren



So viele Ziele und Pläne, wie wir diese Ziele erreichen. Der beschränkte Luftfahrerschein sollte es werden, ein neuer 4000er, der Glockner über den Stüdlgrat, usw. Und dann passiert es. Bei einem Superflug vom Neunerköpfle im Tannheimer Tal reiße ich mir beim Aufsetzen die Patellasehne ab. Wie auch immer frau es schafft, dieses dicke Ding zu schrotten. Ich hab's hin gekriegt. Manche mögen nun denken: "Warum nur muss sie beim Gleitschirmfliegen ihre Knochen riskieren?" Tja, weil's leider schon irgendwie geil ist. Und eines kann ich gleich vorneweg sagen: Zum Einen ist Gleitschirmfliegen nicht mit einem übermäßig großen Risiko für Leib und Leben behaftet und zum Anderen war das Landen hier nur der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat. Als ich nämlich auf dem Boden aufsetzte und praktisch ohne weiteren Schritt einfach umfiel und nicht mehr aufstehen konnte, wunderten sich Fluglehrer und anwesende Flugschüler, als ich plötzlich zu schreien begann. Erst dann nahmen sie wahr, dass etwas schief gegangen war. Die Landung war völlig ok. Keine groben Fehler, kein harter Aufschlag. Ich gehe davon aus, die Sehne hatte bereits eine wie auch immer gelagerte Beschädigung, denn so ohne Weiteres reißt so ein dickes Ding nicht. Und schon gar nicht bei einer soften Landung.

Egal. Es ändert am Ergebnis nichts. Klarheit verschaffte mir der Arzt in der Notaufnahme. Hier ist erstmal Ende mit Bergen und Fliegen. Für lange Zeit. Meine Seele knickt. Im Bruchteil einer Sekunde wird alles über den Haufen geworfen. Auf der Fahrt in die Klinik redete ich mir noch ein, dass es sich zwar ganz schön doof anfühlt, doch es wird schon nicht so schlimm sein. Morgen starte ich wieder.

Nein. Als der Arzt sagte: "Heben sie mal ihren Unterschenkel an" und mein Rückmark sagte "klar, kein Problem" und aber leider nix passierte, merkte ich selbst, dass ich ziemlich in die braune Masse gelangt hatte.


Ich wurde aufgeklärt, was ich mir hier zugezogen hab und was die erforderliche Maßnahme ist. Eine OP mit anschließender stationärer Aufnahme ist unumgänglich. Mein persönlicher Alptraum wird wahr. Als transidenter Mensch habe ich große Sorgen bezüglich der Unterbringung und dem Umgang mit mir. Ich könne mir überlegen, es gleich hier machen zu lassen, sagt der Arzt, dann besteht eine kleine Chance, dass es noch am gleichen Tag operiert werden kann. Oder ich suche mir eine andere Klinik/einen anderen Arzt, wenn ich es hier nicht machen lassen möchte. Aber was soll ich mit einem kaputten Bein in der Gegend rumlaufen. Den Arzt, den ich gerne an mein Knie gelassen hätte, war nicht erreichbar. Also nicht lange fackeln. Bereits die Warterei im Warteraum der Notaufnahme war schlimm. Ich konnte so nicht tagelang auf eine Reparatur warten. Ich sage zu.


Dann beginnt der Alptraum stationärer Krankenhausaufenthalt. Meine erste Sorge ist, dass diese ignoranten Menschen mich in ein Mehrbettzimmer mit Männern stecken. Das biegt Astrid zum Glück ab, indem sie mich anmeldet und auf meine nicht ganz alltägliche Situation hinweist. Ich komme erstmal alleine in ein Zweibettzimmer auf einer normalen Station, bis mein Versicherungsstatus geklärt ist. Ich werde tatsächlich noch am Abend operiert und bin kurz vor Mitternacht wieder auf dem Zimmer.

Warum niemand auf die Idee kam, meine kleine Besonderheit auf meinen Laufzettel zu schreiben, weiß ich nicht. Es könnte so einfach sein. Seit der Schwester in der Notaufnahme haben mich ausnahmslos alle, mit denen ich danach zu tun hatte, einschließlich des Anästhestisten, mit "Herr" und in der Folge den falschen Pronomen angesprochen. Oder in meinem Beisein mit anderen über mich mit den falschen Pronomen gesprochen, was noch schlimmer ist. Warum fragen die Menschen nicht einfach, statt ins Blaue hinein zu raten? Das wäre im Zweifel immer der richtige Weg. Ich kenne keinen Sprachraum, in dem "Milla" ein männlicher Vorname sein könnte. So lag ich mit lackierten Finger- und Zehennägeln und mit langen Haaren nackt auf dem OP-Tisch und muss mich erklären. Ein Armutszeugnis für die Klinik, wie ich finde. Dieses Spiel setzt sich noch zwei Tage auf der Station fort, bis auch die hinterletzte Pflegekraft mitbekommen hat, dass ich eine Frau bin. Für mich, in der Lage, in der ich mich befand, eine mental äußerst belastende Situation. Den Gipfel an Demütigung, Erniedrigung und Respektlosigkeit erreichte die Pflegekraft, die mir am ersten Morgen nach der OP das Frühstück brachte. Als ich ihr ins Wort fiel, um sie entnervt zu korrigieren, so gefühlt das zehnte Mal an diesem Morgen, lachte sie über mich. Sie hatte Glück, dass sie schnell genug aus dem Zimmer raus war.


Ich lebe nicht erst seit gestern in meiner richtigen Geschlechterrolle und war der Meinung, mir ein einigermaßen dickes Fell zugelegt zu haben. Doch in solchen Ausnahmesituationen wird mir klar, dass die Gesellschaft noch Lichtjahre davon entfernt ist, sich korrekt zu verhalten und Menschen wie mich, einfach so anzunehmen, wie sie sind. Aufklärung ist nötig. Viel Aufklärung.


Nach einigen weiteren Fehltritten sowohl was die Rücksicht auf meine Transidentität angeht als auch die pflegerischen Leistungen, flüchtete ich regelrecht zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Hätte jemand beschlossen, ich müsse noch einen Tag bleiben, wäre ich auf eigenes Risiko gegangen. An der Stelle möchte ich jedoch erwähnen, dass es auch zwei nette Pflegerinnen gab, die mich von erster Minute an respektvoll behandelten und auch ihren Job verantwortungsbewusst ausführten. Pauschal verurteilen ist also nicht angebracht. Die beiden haben gezeigt, dass es auch anders geht. Ich hätte mir mehr davon gewünscht.


Und nun starte ich in die Anschlussbehandlung(en). Und den Papierkrieg mit den Versicherungen. Wenn es einigermaßen so kommt, wie mein Behandlungsplan es vorgibt, kann ich Anfang August wieder ohne Hilfsmittel gehen. Mehr aber auch nicht. Ob sich dieses Jahr noch was mit Bergen ausgeht, ist Glaskugel. Was mein Kopf zur Wiederaufnahme der Fliegerei sagt, ebenfalls. Er weiß auf jeden Fall, dass diese Situation nicht durch einen Flugfehler verursacht wurde. Ich werde es herausfinden. Ich habe Astrid und mich für einen Kurs Ende September angemeldet. Womit ich bei der Zuversicht in der Überschrift bin. Die erste Woche war für den Kopf und das Bein ziemlich blöd. Doch ich kann nix daran ändern und auch die Zeit nicht zurückdrehen. Es gibt nur ein nach Vorne. Die Ziele haben sich halt verändert. Berg- und Radlgeschichten wird es vorerst nicht mehr hier geben. Und auch keine Fluggeschichten. Bis auf meinen letzten Start. Den könnt ihr oben sehen.

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